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Die Bauopfer-Ballade

Im Dokument Böhlau Verlag Wien Köln Weimar (Seite 46-50)

Die Ballade vom Toten Bruder ist in den Balkanliteraturen oft dramatisiert worden ; noch häufiger allerdings die Bauopfer-Ballade mit der Einmauerung der Frau des ersten Maurermeisters (in Rumänien allein 26-mal)354. Die Grundkonstellation der Bauopfer-sage355 beruht auf einer präanimistischen bzw. animistischen Weltsicht356 und der do-ut-des-Denkfigur des homo necans357 : Ein schwieriges Bauwerk kann nur dann gelingen und Bestand haben, wenn die übernatürlichen Mächte durch ein Opfer beschwichtigt werden, um das Architekturwerk zu dulden und ihm Dauerhaftigkeit zu verleihen358. In den verchristlichten Versionen sind dies die Teufelspakt-Sagen, die meist den jahr-zehntelangen Kirchenbau umranken. An dieses metaphysische Tauschgeschäft schließt sich noch eine andere Superstition : der Beseelungsglaube von Bauwerken ; die Seelen-übertragung geschieht gewöhnlich durch gewaltsame Tötung (z. B. in den kosmogoni-schen Mythen besteht die Schöpfung in der Tötung des Urriesen), die Einmauerung des Menschenopfers verleiht dem Bauwerk Uneinnehmbarkeit und Unzerstörbarkeit, Leben und Konstanz359. Die soziale Palette der Geopferten reicht vom anonymen Wai-senkind und jungfräulichen Mädchen (magische Wirkung der Unschuld) bis zur Frau des Obermeisters (Kulmination des Opferwertes).

Bei dem schwierigen Bauwerk handelt es sich im südosteuropäischen Raum ent-weder um eine mythische Stadt oder uneinnehmbare Festung (Stadt als kosmolo-gische imago mundi, sakrales Zentrum der kosmischen Weltenachse), einen Klo-sterbau (Suche nach dem geeignete Sakralort, Kloster als Paradies, Himmlisches Jerusalem) oder eine Brücke (Transgression der Grenze, rite de passage, Initiations-probe, Bändigung der katastrophalen Naturkraft)360. Das praktisch globale Bau-opfermotiv tritt in der rituellen Praxis in sublimierteren Formen auf wie dem Tie-ropfer (z. B. Hahn bei Grundsteinlegung)361 oder der Einmauerung des

Schat-tens362. Im zentralen und nördlichen Balkan herrscht der Stadtbau vor, im mitt-leren und südlichen Balkanraum die Brücke363. Bei Städtegründungsliedern und -sagen364 ist das albanische Skutari (Shkodër, Skodra, Skadar) zu nennen, das bulgari-sche Sliven365, die ungarische Stadt Deva, die rumänische Klosterburg Argeș, bei den Brücken dominiert die Arta-Brücke, doch neben anderen Flußnamen kommt relativ häufig auch die Jenseits-Brücke vor, die die Verstorbenen als dünne Fadenbrücke (της τρίχας το γεφύρι) überschreiten müssen366. Unter dem onomastischen Material für den Obermeister findet sich der ungarische Kőmüves Kelemen (Meister Clemens) und der rumänische Meșterul Manole.

Zu der Ballade liegen z. T. umfangreiche sprachregionale und komparative Studien vor (Georgios A. Megas367, Adrian Fochi368, Nikolaos G. Politis369, Samuel Baud-Bovy370, Karl Dieterich371, Lăzar Șăineanu372, Mihail Arnaudov373, Petar Skok374, Pe-tru Caraman375, Giuseppe Cocchiara376, Sv. Stefanović377, Lajos Vargyas378, Dimitriosz Hadzisz379, Ion Taloș380, Ovidiu Papadima381, Mihai Pop382, Gheorghe Vrabie383, Zihni Sako384 u. a.385), aber auch religionswissenschaftliche und philosophische Schriften (Mircea Eliade386, Adrian Fochi387, Horia Bădescu388) sowie Variantensammlungen aus dem magyarischen Bereich389, Siebenbürgen390 und den ehem. Transdanubischen Fürstentümern391, der Aromunen392, der Pomaken393, der Roma394, aus Serbien395, Bul-garien396, Slavo-Makedonien397, dem albanophonen Raum398, den hellenophonen Ge-bieten bis nach Kleinasien399, ja sogar noch Spuren bei den judeo-spanischen Spracht-rägern der Sefarden400. Andere Gruppen von Studien beschäftigen sich mit der litera-rischen Verarbeitung der Bauopfer-Ballade401, Verfilmungen402, mit gender-Fragen aus feministischer Sicht (nur die Frau oder Schwester des Obermeisters wird eingemau-ert)403, mit Fragen der Esoterik und Psychoanalyse Jungscher Prägung, mit der Her-meneutik archaischer Rituale wie dem Einmauern404, mit Strukturproblemen und Se-mantik405, mit Semiotik und mathematischer Linguistik406, mit Stilistik und Ästhetik407, mit Beziehungsfragen von Folklore und Religion im südosteuropäischen Mittelalter408, mit dem Realitätsgehalt der Ballade409, mit existenzialistischen Moralfragen410, ethno-stereotypische Spekulationen411, mit dem Weiterleben der Ballade in moderner Zeit412 usw. Die Spezialbibliographie ist mit Sicherheit nicht mehr überschaubar, die sehr un-terschiedliche Zielsetzung, Methodik und Qualität der Studien lohnt die bibliographi-schen Bemühungen nicht in allen Fällen.

Ein Großteil der einschlägigen Arbeiten ist der Frage der regionalen und sprachna-tionalen Vorgängigkeit, Alter und Herkunft des Liedes gewidmet, wobei erwartungs-gemäß kein Konsens erzielt werden konnte413. Während die Universalität des Bauop-fermotivs eine Polygenese plausibel erscheinen läßt, weist die Konsistenz der Motiv-sequenz eher in die entgegengesetzte Richtung, die einer möglichen Diffusion, etwa durch die epirotischen Maurergilden, die fast die gesamten Archontenhäuser der

Bal-kanhalbinsel nach dem 17. Jh. erbaut haben. Samuel Baud-Bovy hat in einem Brief an Vargyas darauf hingewiesen, daß der Brückenbau in den Balkanschluchten eine weit gefährlichere Arbeit darstellte als der Festungsbau414. In den Argumentationsführun-gen nationalsprachlicher Vorgängigkeit spielen die Anzahl der erfaßten Varianten, die Konsistenz und Logik der Motivsequenz bzw. archaische Archetypik vs sentimental-li-terarische Ausarbeitung der Motive eine entscheidende Rolle. Nach den systematischen Arbeiten von Vargyas 1967, Megas 1976415 und Taloș 1989416, die jeweils die ungarische, griechische bzw. rumänische Herkunft der Ballade vertreten, ist die Herkunftsfrage auf eine solide Materialbasis gestellt, die trotzdem keine eindeutige Abstammungstheo-rie erlaubt : Mircea Eliade verweist das archaische Bauopfer in ein vorindoeuropäisches Stratum geto-thrakischen Kulturerbes in den Donau-Balkan-Ländern417, Megas un-terstreicht die Tatsache, daß die kappadokischen Varianten der Bauopfer-Ballade in In-nerkleinasien eigentlich nur mit Byzanz in Zusammenhang gebracht werden können418. Wie dem auch immer sei, lassen sich jedoch grob zwei Großregionen und Liedtypen unterscheiden : eine ungarrumänisch-südslavisch-albanophone Zone im nördlichen Balkanraum, wo der Festungsbau bzw. die Errichtung der Klosterburg von Argeș vor-herrschen (bzw. die Stadtfestungen Deva und Skodra ; das Lied hat Vasile Alecsandri 1852 zum erstenmal veröffentlicht und mit seiner französischen Übersetzung europa-weit bekannt gemacht)419, und eine südbalkanisch-mediterrane hellenophon-südsla-visch-aromunische Zone, die vom Ionischen Meer bis ins Innere Kleinasiens und nach Zypern reicht (hier wurde das erste Lied von Niccolò Tommaseo auf den Ionischen Inseln 1842 aufgezeichnet und ebenfalls durch seine Übersetzung europaweit bekannt gemacht)420.

Die Bauopferballade wird neben dem Vortrag als Erzähllied auch als Totenklage, aber auch als Ansingelied der Kinder (colinde) im Mittwinterabschnitt gesungen bzw.

auch am Ostermontag als Gedenktag der Totenseelen421. In den nordbalkanischen Va-rianten läßt der Schwarze Prinz die verfallenen Klostermauern von Argeș neu errich-ten (ein Hirt weist ihm die Ruinen) und bedroht die neun Maurer und ihren Meister Manole mit dem Einmauern, da das Werk über Nacht immer wieder zusammenbricht.

Manole hat einen prophetischen Traum, daß das Festungswerk nur dann stabil bleiben würde, wenn die erste Gattin oder Schwester, die morgens ankäme, um den Maurermei-stern das Essen zu bringen, eingemauert würde. Das Schicksalslos trifft die Gattin Ma-noles selbst und sie wird trotz ihres Flehens und dem Hinweis, daß das Neugeborene zu säugen sei, eingemauert. Der Schwarze Prinz fragt nach der Vollendung des Werkes die Maurer auf dem Dach, ob sie ein noch schöneres Kloster errichten könnten, und erzürnt über ihre positive Antwort läßt er Leitern und Gerüste abbrechen. Die Männer verferti-gen aus Dachschindeln Flügel, nur Meister Manole wird durch die Stimme seiner ster-benden Frau abgelenkt und stürzt vom abschüssigen Dach (Ikarus-Motiv)422. Die

unga-rischen Varianten um den Meister Klemens und seine zwölf Maurer, die die Burgfeste Deva zu erbauen haben, lassen die Lösungsfindung (Einmauern der ersten Frau, die das Mittagessen bringt) unerklärt und bringen den neugeborenen Sohn des Meisters am Tatort ins Spiel, der verwaist zurückbleibt und dem reuigen Maurermeister mit sei-nen Schreien den Schlaf raubt423. In den südbalkanisch-mediterranen-kleinasiatischen Versionen geht es immer um einen Brückenbau, den 45 Meister und 62 Gesellen vor-nehmen : Der rettende Rat kommt meist von Vögeln, einem Flußgeist oder einem pro-phetischen Traum ; die Wahl wird manchmal nicht dem Zufall überlassen, sondern fällt gleich auf die Frau des Obermeisters. Dieser gibt vor, der Ehering sei ihm in den Pfei-ler gefallen, und seine Frau steigt hinab, ihn zu holen. Dort wird sie eingemauert und gesteinigt. Das Säuglingsmotiv und das Ikarusmotiv fehlen hier. Stattdessen verflucht die sterbende Frau die Brücke : Drei Schwestern seien sie gewesen, die eine sei in die Donaubrücke eingemauert, die andere in die Vardar-Brücke (mit Variationen), und sie, die dritte Schwester, in die Arta-Brücke ; so wie ihr Herz erzittere, solle auch die Brücke erbeben, und wie ihr die Haare ausfallen, sollten die Wanderer von der Brücke fallen.

Der Obermeister ruft ihr zu, sie solle den Spruch ändern, denn ihr aus der Fremde rück-kehrender Bruder hätte dieses Schicksal ; und so wird der Fluch in einen Segensspruch umgewandelt : Aus Eisen sei ihr Herz, aus Eisen auch die Brücke424. Die aromunischen Varianten weisen eine Kontamination beider Grundtypen auf : Die Eingangsmotive sind hier stark ausgebaut : Sieben Jahre soll der Brückenbau der drei Brüder dauern (Todes-drohung), bis ein Vogel die Lösung verkündet : Die schöne Frau des jüngsten Bruders soll eingemauert werden. Das Kindesmotiv ist stark erweitert und sentimentalisiert : Die Maurer sollen die Brüste der Frau freilassen, damit sie den kleinen Konstantin stillen kann, denn sonst wird er verhungern. Daran knüpft auch der Fluch : Der Fluß soll heu-len wie der Kleine, die Arta-Brücke beben wie ihr Leib, und wie ihr die Milch quillt, soll strömen der Fluß und jeden Monat soll er sich laben an einem Ertrunkenen425. Trotz aller Rationalisierungen und Sentimentalisierungen, der übernatürlichen Ver-mittlung der Opferbotschaft und der Vortäuschung eines spezifischen Grunds, um die Meistersfrau dazu zu bewegen, ins Innere des Gebäudes hinabzusteigen, schimmert die Basisvorstellung des freiwilligen Opfers in vielen Versionen durch, was durchaus der ar-chaischen Opfervorstellung entspricht, heute noch bei den Tieropfern ; das Drei-Schwe-stern-Motiv der griechischen Varianten erhebt das schmerzhafte Menschenopfer sogar zum Regelfall und der Fluch der Eingemauerten, der zum Segensspruch umgewandelt wird, akzeptiert letztlich das animistisch-archetypische Weltbild der »Beseelung« : Das Beben der Eingemauerten überträgt sich nach den Gesetzen der Analogie-Magie auf die Brücke, und das Herz aus Stein oder Eisen wird Garant für die Stabilität des Bauwerkes.

Das Motiv vom heimkehrenden Bruder ist bloß ein sekundärer Psychologisierungsver-such ; Aufgabe und Sinn des Opfers ist es, das Bauwerk zusammenzuhalten.

Im Dokument Böhlau Verlag Wien Köln Weimar (Seite 46-50)