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4.2 Die einzelnen Elemente der Maßnahme „Arzneimittel sicher anwenden"

4.2.2 Konsilerstellung

Die Erstellung der Konsile war für das Expertenteam eine zeitintensive Aufgabe. Die Auswirkungen der Konsile konnten nur schwer gemessen werden, da ein adäquates Follow-up von Seiten der Krankenkasse nicht geplant und eine Ermittlung der Medikationsänderungen aus den von der Krankenkasse zur Verfügung gestellten Verordnungsdaten (s. Kapitel 4.7) nicht in ausreichender Detailliertheit möglich war. Die Vorgehensweise, proinitiativ über ein Arzneimittelkonsil Kontakt mit dem behandelnden Arzt herzustellen, stellte einen neuen Ansatz gegenüber bereits bestehenden Programmen zur Arzneimitteltherapiesicherheit dar.

| 121 Vorteile der Arzneimittelkonsile in dieser Maßnahme:

 die Ärzte mussten sich keine zusätzliche Zeit nehmen, um die Medikation selbst zu bewerten, diese eingehende Betrachtung wurde ihnen abgenommen. Sie erhielten eine komplette Zusam-menfassung der identifizierten Risiken und potentiellen Verordnungsfehler, von wissenschaft-lichen Experten zusammengetragen.

 die Ärzte mussten die komplette Medikation nicht bei ihren fachärztlichen Kollegen oder im Be-reich der Selbstmedikation durch Auskünfte des Patienten zusammentragen, es wurde ihnen ein zu diesem Zeitpunkt vollständiger Medikationsplan nach Angaben des Patienten mit Auswertung vorgelegt.

 es ist die Patientensicht der aktuellen Medikation und der Einnahme dargestellt, so lässt sich auf der Basis der tatsächlichen Einnahmen und Einnahmegewohnheiten des Patienten eine Aussage treffen.

Mögliche Schwachstellen eines Arzneimittelkonsils:

 eventuell wurden der behandelnde Arzt und/oder Patient verunsichert, da das Konsil unzutref-fende Risiken enthielt, die auf der Basis der dem Expertenteam vorliegenden Informationen er-mittelt worden waren.

 die Zeiträume zwischen Informationssammlung, Konsilerstellung und dem Zeitpunkt der Ankunft des Konsils bei dem behandelnden Arzt konnten sich über mehrere Tage oder Wochen erstreckt haben, für problematische Risiken müsste ein schnellerer Handlungsweg ermöglicht werden.

Mögliche Optimierungsansätze der Konsilerstellung und -übermittlung:

 eine direkte Ansprache der behandelnden Ärzte durch das Expertenteam wäre ein guter Schritt, um die identifizierten Risiken proaktiv weiterzuleiten. So bestünde die Möglichkeit, dem behan-delnden Arzt die Maßnahme zu erläutern und beispielsweise für eine erneute Absprache nähere Beschreibungen der Risiken per Post zu versenden.

 der gelegentliche Anruf eines Patienten bei dem Expertenteam auf die Maßnahme hin zeigte, dass es vereinzelt zu Verunsicherungen bei den Patienten gekommen war. Daher ist der eindeu-tige Verweis an die Gesundheitscoaches wichtig. Die Beratung der Patienten war nicht die Auf-gabe des Expertenteams, denn es ist die ausschließliche Bindung des Patienten an den behan-delnden Arzt notwendig, um Risiken durch eventuell den Patienten überfordernde Informa-tionen zu vermeiden.

 für den Versand des Konsils über den Patienten war die Variante des Kurzkonsils sinnvoll, so er-hielt der behandelnde Arzt ebenfalls den Anstoß, sich für eine ausführliche Beratung zurückzu-melden, ohne dass der Patient durch dargestellte Risiken verunsichert und eine zusätzliche

| 122 derung der Arzneimitteltherapiesicherheit durch fehlgeleitete Informationen vermieden wurde.

Andererseits stellt das Direktkonsil die informativere Variante für den behandelnden Arzt dar, mit der Freiheit, eine telefonische Beratung in Anspruch zu nehmen oder nicht.

4.3 Das Patientenkollektiv

Wie in Kapitel 2.2 bereits beschrieben umfasste das Patientenkollektiv 400 Versicherte der Kauf-männischen Krankenkasse, die sich in ambulanter Behandlung befanden und mindestens fünf Arzneimittel gleichzeitig einnahmen. Auf das zur Auswertung zur Verfügung stehende Patienten-kollektiv konnte kein Einfluss genommen werden, da die Krankenkasse die Versicherten ausgewählt hatte (105). Das Alter zur Teilnahme war nicht entscheidend.

4.3.1 Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index und Nierenfunktion

Das durchschnittliche Alter betrug 70 Jahre und entsprach einem älteren Patientenkollektiv. Dabei hatten 95 % der Patienten (378 von 400 Patienten) ein Alter von 60 bis 86 Jahren. Ein Vergleich mit der Bundesbevölkerung zeigt, dass im Jahr 2013 der Anteil der Deutschen, die älter als 60 Jahre waren, 27,1 % betrug (171). Dies bedeutet, dass das Patientenkollektiv in dem Altersintervall liegt, das mehr als ein Viertel der Bundesbevölkerung umfasst. Es handelte sich bei den Untersuchungen nicht speziell um die Betrachtung älterer Patienten, allerdings ist Polypharmazie in der Regel mit einem höheren Alter assoziiert (36). Da die Lebenserwartung der Bevölkerung steigt, wird der Anteil dieser Patienten in den nächsten Jahren zunehmen. Der Anteil der Bundesbürger über 60 Jahre nahm 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 1,2, der über 80 Jahre um 0,9 Prozentpunkte zu (172). Der Anteil männlicher Bundesbürger lag im Juni 2013 bei 49 % (172), die teilnehmenden Patienten waren zu 52 % männlich, dies entspricht einer ausgewogenen Zusammensetzung im Patientenkollektiv.

Der durchschnittliche Body-Mass-Index der Patienten lag bei 30,0 kg/m2 mit einer durchschnitt-lichen Körpergröße von 170 cm und einem durchschnittdurchschnitt-lichen Körpergewicht von 89 kg. Bei der bundesdeutschen Bevölkerung lag der durchschnittlicher BMI bei den über 60-Jährigen im Jahr 2013 bei 26,9 kg/m2 mit einer durchschnittlichen Körpergröße von 169 cm und einem durchschnittlichen Körpergewicht von 77 kg (173). Der Anteil an Patienten mit einer ausgeprägten Adipositas und einem BMI von über 30 kg/m2 war im Patientenkollektiv mit 48 % gegeben, im Vergleich dazu betrug der Bevölkerungsanteil im Jahr 2013 mit einem BMI über 30 kg/m2 21 % (173). An diesem Vergleich wird deutlich, dass der Anteil an Patienten mit einer ausgeprägten Adipositas deutlich höher war als derje-nige der bundesdeutschen Bevölkerung. Es lag somit ein Patientenkollektiv mit einer Tendenz zur Adipositas vor.

Bei 56 % der Patienten lag eine ausreichende Nierenfunktion mit einer GFR über 60 ml/min vor, bei 37 % der Patienten lag die GFR unterhalb von 60 ml/min. Bei diesen Patienten war eine

| 123 sung der Arzneimitteldosierung an die eingeschränkte Nierenfunktion erforderlich. Vergleichbare Zahlen sind in der Literatur nicht zu finden. In Deutschland waren im Jahr 2013 43.460 Patienten auf Grund einer chronischen Nierenerkrankung des ICD-10 Codes N18 durchschnittlich 8,3 Tage in statio-närer Behandlung (174). Die erforderliche Anpassung der Arzneimitteldosierung an die Nierenfunktion bei etwa einem Drittel des Patientenkollektivs stellt allerdings eine erhöhte Anforderung an die Arzneimittelverordnung und -therapie dar.

4.3.2 Diagnosen

Die durchschnittliche Anzahl Diagnosen, die bei den Patienten vorlagen, betrug 8,2. Besonders häufig litten die Patienten mit einem Anteil von 84 % des Kollektivs an essentieller (primärer) Hyper-tonie (ICD-10 Code I10), mit 51 % an KHK (ICD-10 Code I25) und mit 49 % an einem nicht primär insu-linabhängigem Diabetes mellitus (ICD-10 Code E11). Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien (ICD-10 Code E78) machten lediglich einen Anteil von 3 % aus.

Vergleichbare Werte wurden bei der kassenärztlichen Vereinigung in Sachsen gefunden. Demnach waren im 2. Quartal 2013 die drei häufigsten Diagnosen der niedergelassenen Hausärzte mit 49 % die essentielle (primäre) Hypertonie (ICD-10 Code I10), mit 21 % Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien (ICD-10 Code E78) sowie mit 19 % der nicht primär insulinabhängige Diabetes mellitus (ICD-10 Code E11) (175). Ähnliche Zahlen zeigte die kassenärztliche Vereinigung Nordrhein für das 2. Quartal 2013 für Allgemeinärzte mit einem Anteil von 34 % für die essentielle (primäre) Hypertonie (ICD-10 Code I10), 23 % für Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien (ICD-10 Code E78) und 17 % für Rückenschmerzen (ICD-10 Code M54) (176).

Somit weisen die Patienten im Kollektiv ein deutlich erhöhten Anteil an Patienten mit Diagnosen für eine essentielle Hypertonie auf, auch der Anteil der Patienten mit einem Diabetes Typ II war gegenüber den Zahlen der Literatur deutlich erhöht. Andererseits gehören diese beiden Diagnosen, wie bei den niedergelassenen Hausärzten in Sachsen und Nordhein, ebenso zu den häufigsten, doku-mentierten Diagnosen ambulanter Patienten. Der hohe Anteil an Diagnosen spiegelt auch die hohe Multimorbidität der Patienten wieder, die eine Voraussetzung zur Teilnahme an der Maßnahme darstellte.

Ein Zusammenhang zwischen dem Alter und der Anzahl an Diagnosen (s. Kapitel 3.1.4) war zwar zu erwarten, allerdings zeigte der Korrelationskoeffizient keine relevante Abhängigkeit der beiden Variablen. Ebenso verhielt es sich bei dem Zusammenhang zwischen der Anzahl eingenommener Arzneimittel und der Anzahl vorhandener Diagnosen. Im Idealfall werden auch bei einer Vielzahl an vorhandenen Diagnosen wenige, dafür aber gezielt Arzneimittel verordnet, die in der Verordnung so-wohl Risikofaktoren wie Alter und Komorbiditäten als auch die Nierenfunktion und Interaktionen be-rücksichtigen.

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4.3.3 Medikation

Die durchschnittliche Anzahl eingenommener Arzneimittel betrug 13,4 mit einem Anteil von 12,6 Arzneimitteln, die durch den Arzt verordnet oder empfohlen waren, sowie etwa einem Arznei-mittel, welches als Selbstmedikation ohne Kenntnis des Arztes eingenommen wurde. In einer Studie untersuchten Steinmann et al. 2006 in Iowa (USA), dass ältere ambulante Menschen mit einem durchschnittlichen Alter von 74,6 Jahren etwa 8,1 Arzneimittel einnahmen, davon lagen bei 65 % der Patienten inadäquate Medikationen vor, darunter nicht effektive, nicht indizierte oder auch doppel-verordnete Arzneimittel sowie Arzneimittel, die nach Angaben der Beers Liste zu vermeiden sind (177).

Im Jahr 2012 wurden jedem gesetzlich versicherten Patienten in Deutschland durchschnittlich 9,0 Arzneimittelpackungen verordnet (35). Allerdings erstreckt sich diese Anzahl auf einen Zeitraum von 12 Monaten, und stellt daher keinen passenden Vergleichswert zur Anzahl eingenommener Arzneimittel des Patientenkollektivs dar. Es zeigen sich Unterschiede bei den regelmäßig eingenom-menen Tagesdosen (Defined Daily Dose, DDD, definierte Tagesdosis), die eine theoretisch ermittelte, durchschnittliche tägliche Dosis eines Arzneimittels für die Hauptindikation darstellen und nicht der tatsächlich eingenommenen Dosis entsprechen müssen (140). Patienten über 65 Jahren nahmen dabei 2012 einen Anteil von 55 % aller DDD ein, durchschnittlich 3,7 DDD täglich (35). Im Vergleich mit dem Patientenkollektiv erscheint diese Zahl gering, auch wenn man davon ausginge, dass die Patienten nicht jedes der durchschnittlich 13 Arzneimittel täglich einnehmen. Jedoch liegt die minimale Anzahl eingenommener Arzneimittel im Kollektiv bei einer Anzahl von fünf, daher sind auch diese Werte nur bedingt vergleichbar.

Besonders häufig nahmen die Patienten des Kollektivs antithrombotische Mittel (ATC-Code B01), Mittel mit Wirkung auf das Renin-Angiotensin-System (ATC-Code C09) und Antidiabetika (ATC-Code A10) ein. Der Arzneiverordnungs-Report aus dem Jahr 2013 berichtet, dass im Jahr 2012 Renin-Angiotensin-Inhibitoren (ATC-Code C09) die am häufigsten zu Lasten der gesetzlichen Kranken-kasse (GKV) verordnete Arzneimittelgruppe darstellte (35), was sich in den Zahlen des Kollektivs widerspiegelt. Zu dieser Arzneimittelgruppe zählen ACE-Hemmer, AT1-Rezeptorantagonisten und Renin-Inhibitoren. Nachfolgend wurden den gesetzlich versicherten Patienten häufig nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR, ATC-Code M01), Antibiotika Code J01) und Betarezeptorblocker (ATC-Code C07) verordnet. Betarezeptorblocker stellten auch im Kollektiv die am sechsthäufigsten verord-neten Arzneimittel im dreistelligen ATC-Code-Bereich dar. Antibiotika gehören im ambulanten Be-reich zu den Akutmedikationen, und auch NSAR werden häufig für akute Beschwerden verordnet, so dass sie in den Polymedikationen des Kollektivs nicht so zahlreich auftraten.

Die am häufigsten eingenommenen Wirkstoffe des Kollektivs waren Acetylsalicylsäure zur Throm-bozytenaggegationshemmung, Simvastatin, Pantoprazol und Torasemid. Simvastatin und Torasemid

| 125 gehören dabei zu den Leitsubstanzen und werden daher besonders häufig verordnet. Die Verord-nungen von Protonenpumpeninhibitoren zu Lasten der GKV wie Pantoprazol stieg in den letzten Jahren kontinuierlich, in den Jahren von 2003 bis 2012 um das Vierfache (35).

4.4 Auswertungen der identifizierten potentiellen Verordnungsfehler

Die Identifikation der potentiellen Verordnungsfehler hing hauptsächlich von der Vollständigkeit der Daten ab, die dem Expertenteam für die Auswertungen zur Verfügung gestellt worden waren. Da die Daten nicht die ursprünglichen Informationen der verordnenden und behandelnden Ärzte dar-stellten, war es möglich, dass Verordnungsfehler als solche identifiziert wurden, so aber nicht in der Realität vorlagen, da entscheidende zusätzliche Informationen zur korrekten Einstufung fehlten. Es wurde bei der Identifikation der potentiellen Verordnungsfehler allerdings durch das Expertenteam bereits eine Vorentscheidung getroffen, ob die identifizierten Risiken nach Ansicht der Experten unter Berücksichtigung der Datenlage relevant waren. Ebenso wurde durch eine nachträgliche Be-wertung der Zuverlässigkeit (s. Kapitel 2.4 und 3.3) die Richtigkeit der Datenbasis eingestuft.

Die Grenze, ab welcher eine Medikation als Risikomedikation beziehungsweise potentieller Ver-ordnungsfehler eingestuft wurde, war von den Experten sehr niedrig gewählt. Der Grund dafür lag insbesondere in der Grundeinstellung der Experten, bevorzugter Weise ein Risiko zu viel zu identifi-zieren als ein Risikoarzneimittel zu übergehen, ebenso lag ein hochqualifiziertes Fachwissen im Be-reich der Arzneimitteltherapie vor, so dass eine Vielzahl an Risiken detektiert werden konnte.

4.4.1 Hauptkategorie Indikation

Im Bereich der Indikation war mit 84 % der größte Anteil des Patientenkollektivs von einem potentiellen Verordnungsfehler in einer Hauptkategorie betroffen. Der Wert zeigt, dass etwa 8 von 10 Patienten mindestens ein Arzneimittel verordnet bekommen hatten, für welches dem Experten-team keine Indikation vorlag. Dabei war allerdings durch das ExpertenExperten-team allen vier Unterkatego-rien nur eine bedingte Zuverlässigkeit der Datenqualität mit der Einstufung „B" (s. Kapitel 3.3 und 3.4.2) zugeordnet worden. Dies bedeutet, dass sich der tatsächliche Anteil an Patienten mit mindes-tens einem verordneten Arzneimittel ohne Indikation theoretisch geringer darstellen kann. Mögliche Erklärungen dafür sind beispielsweise fehlerhaft vorliegende oder gänzlich fehlende Diagnosen, die die Verordnung hätten erklären können. Ebenso könnten Diagnosen nicht mehr aktuell oder gar nicht vorliegend sein. Der zugehörige Risikoindex der Hauptkategorie (s. Kapitel 3.5.1) mit einem Wert von 2,6 bei einem Werteintervall [1,5; 3,1] zeigt zudem, dass die Experten das Risiko für den Patienten bei tatsächlich verordneten Arzneimitteln ohne Indikation hoch einschätzten.

In der Literatur fanden sich Ergebnisse von Steinman et al. 2006 (177), die bei älteren ambulanten Patienten mit einem Durchschnittsalter von 74,6 Jahren und einer durchschnittlichen Anzahl von

| 126 8,1  2,5 eingenommenen Arzneimitteln herausfanden, dass 57 % der Arzneimittel nicht wirksam, nicht indiziert oder auch doppelt verordnet waren. Besonders häufig handelte es sich dabei um Digoxin bei diastolischer Dysfunktion, Furosemid oder Ranitidin. Koper et al. 2013 (37) untersuchten Patienten mit einem mittleren Alter von 76,4 Jahren und einer vorliegenden Polymedikation mit mehr als fünf Arzneimitteln in österreichischen Hausarztpraxen. Sie fanden dabei bei einen Anteil von 93 % der Patienten, deren eingenommene Arzneimittel, durchschnittlich 2,7 Arzneimittel je Patient, eine nicht-evidenzbasierte Medikation nach peer-reviewed Kapiteln in UpToDate® dar-stellten (118). Am häufigsten handelte es sich dabei um Betablocker wie z.B. Metoprolol, ACE-Inhibi-toren wie Lisinopril und ProtonenpumpeninhibiACE-Inhibi-toren wie Pantoprazol. Bei Untersuchungen von österreichischen stationären Patienten fanden Schuler et al. 2008 (178) bei 36 % der Patienten min-destens ein Arzneimittel verordnet, welches keinen nachgewiesenen Langzeit-Benefit hatte, darunter am häufigsten Pentoxifyllin, Ginkgo und Allopurinol. Im Vergleich mit dem vorliegenden Patienten-kollektiv zeigen sich diese Literaturwerte in dem häufigen Auftreten innerhalb der Hauptkategorie bei Allopurinol (n=94), Pantoprazol (n=10+86) und Omeprazol (n=23).

Bei der nicht bestimmbaren Anzahl an Verordnungsfehlern, die tatsächlich so vorlagen und daher ein hohes Risiko bergen, können eine gezieltere Betrachtung von Laborparametern, wie beispiels-weise des Serum-Harnsäure-Wertes, oder auch die erneute Überprüfung der Indikation, ob eine Pharmakotherapie sinnvoll und angezeigt ist, Risiken rechtzeitig erkennbar und vermeidbar werden lassen. Die Adherence und auch das unbestimmte Risiko können durch eine Reduktion der Poly-pharmazie bei nicht erwiesener therapeutischer Wirksamkeit eines Arzneimittels verbessert werden.

Ebenso erhöht die Reduktion von Dauertherapien in diesem Sinne die Arzneimitteltherapiesicherheit.

Die wesentliche Grundlage für eine sichere und risikoverminderte Arzneimitteltherapie ist die richtige Indikationsstellung mit Berücksichtigung der aktuellen Studienlage.

4.4.2 Hauptkategorie Risikomedikamente

Die Verordnungsfehler im Bereich der Risikomedikamente betrafen 59 % der Patienten, 34 % aller Patienten waren von einem PRISCUS-Arzneimittel betroffen, dabei 29 % der Patienten über 65 Jahre.

Die häufigsten verordneten PRISCUS-Arzneimittel waren Amitriptylin, unretardiertes Nifedipin und Trimipramin. Diese Angaben sind vergleichbar mit den Ergebnissen von Koper et al. 2013 (37). Sie fanden bei den Patienten, die älter als 65 Jahre waren, einen Anteil von 37 %, die mindestens ein Arzneimittel der PRISCUS-Liste einnahmen, darunter zunächst tricyclische Antidepressiva, Benzodia-zepine, ebenso andere Hypnotika und Alpha-1-Blocker.

Die Datenqualität der drei Unterkategorien wurde vom Expertenteam zu 67 % mit „A" als ent-sprechend „zuverlässig“ gewertet, so dass die potentiellen Verordnungsfehler vermutlich so vor-lagen (s. Kapitel 3.3 und 3.4.2). Bei einem Schweregrad von 1,2 in jeder Unterkategorie und einem

| 127 hohen Risikoindex von 2,8 in der Hauptkategorie bedeutet dies, dass ein erhöhtes Risiko vorlag und ein Handlungsbedarf bestand angesichts des erhöhten Anteils an Patienten, die von diesem potentiellen Verordnungsfehler betroffen waren.

4.4.3 Hauptkategorie Interaktionen

Bei Interaktionen ist es notwendig, das gesamte klinische Bild des Patienten zu betrachten, um die klinische Relevanz einzuschätzen und so die geeignete Handlung auszuführen. Besonders wenn ver-schiedene Ärzte Arzneimittel verordnen, sollte in der ärztlichen Praxis das Wissen um die parallele Einnahme beider Arzneimittel bei einem der beiden Ärzte vorliegen, damit die Interaktion individuell bewertet werden kann.

Bei 74 % der Patienten lag mindestens eine Interaktion vor, die durch die Datenbanken Micromedex® (114), Lexi-Interact® (116), AiDKlinik® (115) oder UpToDate® (118) identifiziert oder in der Fachinfo® (119) aufgeführt war. Die Experten bewerteten vier der fünf Unterkategorien der Hauptkategorie „Interaktion" mit einem „B" als „bedingt zuverlässig“ (s. Kapitel 3.3 und 3.2.4). Nur eine Unterkategorie wurde von den Experten in ihrer Datenlage mit A als „zuverlässig“ eingestuft („kontraindizierte Interaktionen“). Der Schweregrad der eingestuften Unterkategorien lag zwischen 0,5 und 1,8, der Risikoindex war mit 3,1 sehr hoch und beschrieb den höchsten Risikoindex einer Hauptkategorie. Somit ergab sich ein sehr dringender Handlungsbedarf mit Absetzen oder Austausch eines oder beider beteiligten Arzneimittel durch den verordnenden Arzt.

Da die Datenbanken, außer AiDKlinik®, einem US-amerikanischen Hintergrund unterliegen, mussten einzelne Wirkstoffe, die sich nicht auf dem US-amerikanischen Arzneimittelmarkt befinden, gegen strukturverwandte oder in ihrem Wirkmechanismus vergleichbare Wirkstoffe ausgetauscht werden, um sie als Interaktionspartner in den hier verwendeten Datenbanken verfügbar zu machen.

Die drei Datenbanken Micromedex®, Lexi-Interact® und UpToDate® greifen vor allem auf Studien-ergebnisse zurück, die je nach Qualität der Studien (kontrolliert, nicht kontrolliert) oder Relevanz der Interaktionen die Grundlage für die Einstufung in die Kategorien darstellen. AiDKlinik® verwendet Fachinformationen, Standardliteratur und Studienergebnisse aus medizinischen Literaturdaten-banken, die Informationen werden wöchentlich durch einen qualifizierten Mitarbeiter aktualisiert und nach dem Vier-Augen-Prinzip freigegeben (179). Letzlich entschied die Einschätzung der Exper-ten, sowie am Ende der behandelnde Arzt, welche Empfehlung bzw. Handlung auf Grund der vorlie-genden Interaktion durchzuführen war.

Schuler et al. 2008 (178) fanden bei 66 % der stationären Patienten mindestens eine potentielle Arzneimittelinteraktion auf der Basis der ABDA-Datenbank, am häufigsten pharmakodynamische Interaktionen zwischen Benzodiazepinen und Opioiden, Amiodaron und Betablockern.

Koper et al. 2013 (37) beurteilten anhand der Datenbank Lexi-Interact® nur diejenigen Interaktionen,

| 128 die schwerwiegend (D, „consider therapy modification") oder kontraindiziert waren (X, „avoid combination"), und fanden einen Anteil von 58 % an Patienten mit einer D Interaktion und ein Anteil von 2,4 % mit einer X Interaktion. Diese Werte sind vergleichbar mit den Patienten dieses Kollektivs, hier war bei 49 % der Patienten eine schwerwiegende und bei 4 % der Patienten eine kontraindi-zierte Interaktion identifiziert worden. Dies bedeutet, dass das Patientenkollektiv eine realistische Zusammensetzung möglicher Interaktionen aufweist, und bei den vorliegenden hohen Werten und dem errechneten Risikoindex dringend eine Handlung folgen sollte. In der ambulanten Praxis ist es daher erforderlich, dass bei der Verordnung vermehrt auf Interaktionen geachtet wird. Idealerweise wird bei gleichzeitiger Verordnung der Arzneimittelkombination durch mehrere Ärzte bei der Abgabe der betroffenen Medikamente der verordnende Arzt durch die Apotheke informiert.

4.4.4 Hauptkategorie Kontraindikationen

Bei 5 % der Patienten lag die Applikation eines kontraindizierten Arzneimittels vor. Die Datenbasis wurde von den Experten als zutreffend („A") beschrieben. Der Schweregrad und der Risikoindex hatten jeweils einen hohen Wert von 2 beziehungsweise 2,6. Das Auftreten dieses Verordnungsfeh-lers war zwar vergleichsweise selten, allerdings lag ein hohes Risiko vor, was einen Handlungsbedarf signalisiert. Da in den meisten Studien nicht zwischen Arzneimitteln der PRISCUS- oder Beers-Liste und einer laut Herstellerangaben kontraindizierten Anwendung unterschieden wurde, konnten ver-gleichbare Zahlen zur Gegenüberstellung nicht herangezogen werden. Steinman et al. 2006 (177) fanden bei 73 von 196 Patienten (37 %) inadäquate Arzneimittel nach Kriterien der Beers-Liste, von 91 betroffenen Arzneimitteln waren 28 für den jeweiligen Patienten kontraindiziert.

4.4.5 Hauptkategorie Dosierungen

Bei 58 % der Patienten wurde ein Dosierungsfehler identifiziert. Von den elf Unterkategorien dieser Hauptkategorie wurden sechs (55 %) von dem Expertenteam mit einem Wert „A" als „zu tref-fend“ eingestuft. In den Unterkategorien lagen die Schweregrade zwischen 0,5 und 1,2, der Risiko-index der Hauptkategorie betrug 1,5. Das stellt im Verhältnis zu den anderen Kategorien einen geringen Wert und ein relativ geringes Risiko für den Patienten dar.

Schuler et al. 2008 (178) identifizierten bei 23 % der stationären Patienten mindestens eine Über-dosierung, wobei neben den Überdosierungen auf Grund einer eingeschränkten Nieren-funktion (s. Kapitel 4.4.6), insbesondere Protonenpumpeninhibitoren, NSAR und Herzglykoside involviert waren. Koper et al. 2013 (37) fanden bei 56,2 % der Patienten Dosierungsfehler, vor allem bei Betablockern, ACE-Hemmern und Protonenpumpeninhibitoren. Diese Zahl ist vergleichbar mit dem Anteil im vorliegenden Patientenkollektiv. In den vorliegenden Auswertungen war Pantoprazol das häufigste Arzneimittel, das bei 35 der 400 Patienten (9 %) nach Therapieempfehlungen