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Teil I – Zentrale Herausforderungen in der Kindertagesbetreuung

1 Kinder- und Jugendhilfe und Bedarfsplanung in der Kindertagesbetreuung

1.7 Kindertagesbetreuung Bestand und Herausforderung – ein Fazit

1.7.3 Kommunale und gesamtgesellschaftliche Standortfaktoren

Unter kommunalen Standortfaktoren ist mehr zu verstehen, als lediglich aktuell finanzrelevante As-pekte (vgl. Abschnitt 1.5.5). Aber auch diese lassen sich im Rahmen des Ausbaus von Kinderta-gesbetreuungsangeboten in den Blick nehmen. So betrug im Jahr 2016 der Anteil der Einkom-menssteuer 39 Prozent an der Gemeindefinanzierung und war damit die zweitwichtigste Finanzie-rungsquelle nach den Gewerbesteuereinnahmen (abzüglich der Gewerbesteuerumlage), die im selben Jahr 42 Prozent ausmachten (vgl. Die Kommunen und ihre Einnahmen 2017, S. 11). Damit haben finanzkräftige Einwohner eine wichtige Bedeutung für den Haushalt der Kommunen. Und diese lassen sich über eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung „entwickeln“ beziehungs-weise ansiedeln.

Exemplarisch für die Umsetzung von Beschlüssen im Bereich der frühkindlichen Bildung soll hier der Neubau einer Kindertageseinrichtung für Kleinkinder erwähnt werden. Hier kann die Planungs-phase bis zum Bau einige Jahre betragen. Bis die ersten Kinder die Einrichtung verlassen, können dann teils mehr als fünf Jahre vergehen. In die Grundschule werden sie dann nach weiteren drei Jahren eintreten. Bis sie dann die weiterführende Schule erreichen, gehen weitere vier Jahre vo-rüber. Erst nach weiteren fünf bis zehn Jahren werden sie die weiterführende Schule verlassen.

Bis zum Abschluss der Ausbildung und/oder dem Studium werden noch viele weitere Jahre verge-hen. Kurzum, es kann rund zwischen fünfzehn bis zwanzig Jahren dauern, bis ein Beschluss zum Bau einer weiteren KITA in derselben Gemeinde aus den einstigen Kindern „potente“ Steuerzahler macht. Erst dann können diese über die Einkommenssteuer eine finanzielle Gegenleistung erbrin-gen. Zudem stellt sich die Frage, ob die Kinder, die einst die frühkindliche Bildung im Ort genossen haben, der betreffenden Kommune im Rahmen der Mobilität überhaupt später als künftige Bürge-rinnen und Bürger erhalten bleiben.

Vor diesem Hintergrund stellt sich daher durchaus die Frage, was für die einzelne Kommune jen-seits der Investitions- und Betriebskosten zum Bau beziehungsweise der Förderung einer Kinder-tageseinrichtung auf der Habenseite bleibt. Insbesondere wenn die Rechnung scheinbar auf eine so weit entfernte Zukunft abzielen müsste, um überhaupt einen monetären, unmittelbaren Nutzen zu beschreiben. Vor allen Dingen, wenn der aktuelle Nutzen, der aus Gebäudesanierungen ande-rer öffentlicher Gebäude oder Instandhaltung und Erweiterung der bestehenden Infrastruktur und sonstiger gemeinnütziger Projekte viel schneller sichtbare Effekte des Handelns der Kommune zei-gen könnte als der Bau einer KITA. Die Verantwortlichen der Kommune teilen solche einfachen Sichtweisen nicht. Im Dialog mit der ansässigen Wohnbevölkerung, die möglicherweise keinen Nachwuchs direkt oder indirekt haben, muss im Zweifel dennoch eine Argumentation gefunden werden. Denn die Öffentlichkeit sollte nachvollziehen können, weshalb in „unsichtbare“ Dinge in-vestiert wird, die sich, wenn überhaupt, erst in einigen Jahrzehnten ihren Nutzen für die Gemeinde erweisen. Es muss folglich im Dialog mit den Entscheidungsträgern für „Investitionen in die Zu-kunft“ geworben werden.

In Abschnitt 1.5 wurde ausführlich dargelegt, weshalb ein intensiver Ausbau der frühkindlichen Bil-dungsangebote gesamtgesellschaftlich betrachtet alternativlos sind. Aber was bedeutet „gesamt-gesellschaftlich“ für die einzelne Kommune, für den einzelnen Kostenträger? Und was ist ein kom-munaler Standortfaktor, also inwiefern kann die einzelne Kommune überhaupt vom Ausbau der örtlichen Kindertagesbetreuung profitieren, abgesehen davon, dass sie als familienfreundlich

wahrgenommen wird? Um diese Fragen zu beantworten, muss zunächst geklärt werden, was un-ter Familienfreundlichkeit überhaupt verstanden werden kann. Das Attribut „familienfreundlich“ hat sicherlich mehrere Dimensionen. Vor dem Hintergrund der Idee des kommunalen Standortfaktors bedeutet sie aber vor allen Dingen eines: Lebensqualität für Familien und Kinder der Kommune.

Und diese Lebensqualität für Familien und Kinder hat nicht nur Effekte für die aktuell Ansässigen, sondern eben auch für (werdende) Familien, die ein „neues“ Zuhause suchen. Das bedeutet wie-derum, dass diese Familien Wohnraum benötigen. Um aber eine Wohnung finanzieren zu können, benötigt es einen bestimmten finanziellen „Mindeststatus“ beziehungsweise eine bestimmte berufli-che Qualifikation, die mit einem entspreberufli-chenden Gehalt einhergeht. Gut qualifizierte Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer sind genau die Klientel, die Kommunen gerne für sich gewinnen möch-ten. Denn die Ansiedlung dieser ist auch für Gewerbetreibende und Unternehmen höchst interes-sant, da dadurch die Kommune als Standort mit qualifizierten Fachkräften attraktiver werden kann.

In gleicher Weise ist es für Kommunen selbstverständlich interessant in der „Bestandsbevölke-rung“ keine Abwärtsspirale zu erzeugen. Das heißt, dass es ähnlich wie bei den in Abschnitt 1.5.4 skizzierten Effekten auf Einrichtungsebene, sicherlich nicht im Interesse der Kommunen liegen kann, in eine sogenannte „Pfadabhängigkeit“ zu geraten. Dieser Gedanke lässt sich am besten am Beispiel der Segregation beziehungsweise Gentrifizierung von Stadtteilen beziehungsweise gan-zen Ortschaften beschreiben. Ein prominentes Beispiel ist hier die Entwicklung von Berliner Sze-nestadteilen, die nach und nach von „konservativeren“ aber finanzkräftigeren Personen für sich entdeckt wurden. Mit jedem weiteren gut sanierten Haus beziehungsweise jeder weiteren gut sa-nierten Wohnung stieg der Preis auf dem Wohnungsmarkt sukzessive an. Damit wurden die Stadt-eile auch für Investoren interessant, die zuvor vielleicht nicht dort investiert hätten. Schritt für Schritt entwickelt sich ein neuer Markt für immer potentere Investoren, die „native“ Bevölkerung wird sukzessive verdrängt und der Charakter der betreffenden Stadtteile verändert sich nachhaltig.

Dieser Prozess, der einseitig betrachtet aus Bildungs- und Finanzperspektive positiv erscheinen mag, kann aber andererseits bei anderen Bevölkerungsgruppen negative Folgen zeitigen. Ent-scheidend ist, dass sich in solchen Prozessen eine Stigmatisierung entlang entsprechender Merk-male vollzieht, die Folgewirkungen erzeugt. In anderer Richtung kann dieses Phänomen so be-schrieben werden, dass sich mit Steigen der Zahl bildungs- und einkommensschwacher Familien die die Attraktivität für wirtschafts- und bildungsstarke Personen absenkt. Auch hier können viel-fach sich gegenseitig verstärkende Effekte beobachtet werden, die nachhaltige und nachteilige Auswirkungen auf den Sozialraum haben können.

Mit Blick auf den Aspekt der kommunalen Standortfaktoren bedeutet das, dass mit steigender Zahl der finanz- und bildungsschwächeren Personen, die sich ansiedeln, zum Beispiel das allgemeine Mietniveau absinkt. Die zu erzielende Grundsteuer sinkt und auch das Signal für künftig anzusie-delnde Gewerbetreibende und bildungsstarke Familien geht in eine Richtung, die sich die Kom-mune nicht wünscht. Gegenteile Effekte sind von Infrastrukturprojekten zu erwarten, die einerseits solchen Effekten vorbeugen und andererseits Signalwirkung erzeugen können für die relevanten und fiskalische betrachtet „interessanten“ Zielgruppen. Diese neu geschaffene beziehungsweise erhaltene Infrastruktur kann dann auch entsprechend mit Bildungseffekten auf die ansässige Be-völkerung wirken und eine möglicherweise drohende Abwärtsspirale aufbrechen. Für die Kommu-nen ist das wünschenswert, weil damit auch eine vitale Jugendkultur erhalten werden kann (vgl.

Abschnitt 1.5.5) und zudem die Grundlagen gelegt sind, künftig gut (aus-)gebildete junge Men-schen für den hiesigen Arbeitsmarkt gewinnen und anbieten zu können. Das wiederum sorgt nicht

nur für aktuelle positive Wirkungen auf den Sozialraum, sondern kann dann wieder darauf hinwir-ken, in der Folge eine Positivspirale zu erzeugen. Des Weiteren können damit möglicherweise auch Kosten im Bereich der erzieherischen Hilfen eingespart werden sowie Kosten für das Ge-sundheitswesen (Mielck 2012). Und an dieser Stelle werden nur die fiskalisch relevanten Größen in den Blick gerückt. Bezieht man dann noch die Aspekte „lebenswertes Stadtklima“ und „vitales Gemeinwesen“ in die Überlegungen ein, wird deutlich, dass die Wirkungen eines guten Kinderta-gesbetreuungsangebotes vielschichtig sind.

Die kommunalen Standortfaktoren, die aus einer guten Kindertagesbetreuungsinfrastruktur resul-tieren, lassen sich aus diesen Ausführungen wie folgt zusammenfassen:

1. Steigerung der Einnahmen durch höhere Einkommenssteuer:

a. kurzfristig durch die Anziehungskraft für junge Familien mit entsprechender Qualifikation; diese sind auf eine gute Infrastruktur angewiesen, damit ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingen kann

b. langfristig durch den Erhalt der Qualifikation der nachwachsenden Generationen beziehungs-weise jungen Menschen in qualitativ hochwertigen frühkindlichen Bildungsangeboten

2. Steigerung beziehungsweise Sicherung der Gewerbesteuereinnahmen:

c. kurzfristig durch die Sicherstellung, dass die örtlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht aufgrund der Elternschaft längerfristig ausfallen; das erhöht die Planbarkeit der Fachkräf-teversorgung für Gewerbetreibende und Unternehmen

d. langfristig durch die Förderung der Nachwuchskräfte, damit die Standortsicherheit auch für Gewerbetreibende und Unternehmen auf Dauer gewährleistet ist

3. Steigerung beziehungsweise Erhalt der Attraktivität und Vitalität der Kommune insgesamt:

e. kann sich positiv sowohl auf 1. als auch auf 2. Auswirken

f. maßgeblich Faktor für die Lebensqualität, welche die Kommune ihren Bürgerinnen und Bür-gern zu bieten hat und damit eigentlich „nicht verhandelbar“

4. Erhalt und Stabilisierung des gesamtgesellschaftlichen Systems:

g. ohne Sicherstellung der künftigen Fachkraftressourcen kann das gesamtgesellschaftliche Sys-tem nicht in der bisherigen Form funktionieren, was selbstverständlich für jede einzelne Kom-mune nachhaltig negative Folgen hätte

Diese Zusammenfassung der Standortfaktoren macht deutlich, dass es eine Vielzahl von Aspekten gibt, die darüber entscheiden, wie zukunftsfähig und lebenswert eine Kommune ist und sein kann.

Mit dieser Zusammenstellung endet auch Teil I dieses Kitaberichts.

Teil II – Entwicklungen in der Kindertagesbetreuung und

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