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Bedarfsplanung – „nicht belegte Plätze“ und Bedarfsabschätzung

Teil I – Zentrale Herausforderungen in der Kindertagesbetreuung

1 Kinder- und Jugendhilfe und Bedarfsplanung in der Kindertagesbetreuung

1.6 Herausforderungen der Bedarfsplanung und ihre rechtliche Grundlage

1.6.3 Bedarfsplanung – „nicht belegte Plätze“ und Bedarfsabschätzung

In den vorausgegangenen Abschnitten wurden bereits vielfältige Herausforderungen der Bedarfs-planung thematisiert. In diesem Abschnitt werden weitere Aspekte der quantitativen Bedarfspla-nung aufgegriffen, die bislang noch nicht im Fokus dieses Berichts standen. So werden unter an-derem die unterschiedlichen Ab- und Zugangszeitpunkte der Systeme Kleinkind- und Kindergar-tenkinderbetreuung betrachtet und Möglichkeiten zur Ermittlung künftiger Bedarfe skizziert. Einlei-tend ist festzuhalten, dass die Befunde zu den Stichtagsdaten zeigen werden, dass sich die gestie-genen Herausforderungen der Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebotes an Kindertages-betreuungsplätzen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe durch mindestens vier quantitative Ent-wicklungen kennzeichnen lassen. Hierunter sind die stetige Zunahme der Zahlen aller zu betreuen-den Kinder (Abschnitt 1.2 und 2.3.1), die steigende Inanspruchnahme von Betreuungsangeboten für unter dreijährige Kinder (Abschnitt 1.2 und 3.1), die steigenden Betreuungsumfänge schnitte 1.2, 3.2 und 4.2) und die damit einhergehende immer größere Personalknappheit (Ab-schnitte 1.2, 1.3.2 und 8) zu nennen.

Hinzu kommt das Thema Schulkinderbetreuung, das zwar nicht primär zum Aufgabenbereich der Kinder- und Jugendhilfe gehört (aktuell kein durch das § 24 SGB VIII gesicherter Rechtsanspruch:

„(4) Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Absatz 1 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 gelten entsprechend.“), jedoch aufgrund aktuel-ler politischer Entwicklungen mit Blick auf den möglichen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreu-ung für Grundschulkinder ab 2025 an Relevanz gewinnt. Folglich ergibt sich damit eine fünfte zent-rale Herausforderung für die Träger von Kindertagesbetreuungsangeboten. Dem Grunde nach handelt es sich bei diesem Themenbereich um ein zumindest in der Berichterstattung des KVJS-Landesjugendamtes lange Zeit randständig behandeltes Thema. Vor dem Hintergrund volkswirt-schaftlicher Interessen sowie der Interessen von Eltern mit Blick auf Vereinbarkeit von Familie und

Beruf muss dieser Aspekt aber dringend in das Blickfeld genommen werden (Abschnitt 1.5 bezie-hungsweise Abschnitt 5).

Bedarfsplanung und „nicht belegte Plätze“

Nicht immer sind alle in der Betriebserlaubnis einer Gruppe festgehaltenen Betreuungsplätze auch belegt. Das hängt unter anderem mit verschiedenen weiteren Herausforderungen bei der Platzver-gabesteuerung und dabei auch saisonalen Bedarfsschwankungen im Verlauf des Kindergartenjah-res zusammen. Eine besondere Herausforderung ist in der unterschiedlichen Aufnahme- und Ab-gabelogik der Systeme Kleinkind- und Kindergartenkinderbetreuung begründet. Während das Sys-tem der Kleinkindbetreuung auch unterjährig Kinder an das SysSys-tem Kindergartenkinderbetreuung abgibt, gibt die Kindergartenbetreuung lediglich zum Ende des Kindergartenjahres Kinder an die Schulen ab. Das bedeutet, dass im Kindergartensystem eigentlich unterjährig „Puffer“ eingeplant werden müssten. Verständlicher Weise gibt es der hohen Kosten der Kindergartenbetreuung we-gen in den Kommunen in der Regel wenig Verständnis für einen solchen systembedingten „Teil-leerstand“. Einen gewissen Anteil daran hat sicherlich auch die Art und Weise, wie die Jahressta-tistik zum jeweiligen 01.03. bis zum Berichterstattungsjahr 2016 interpretiert wurde (etwa zum Stichtag 01.03.2015). Diese suggerierte, dass in Baden-Württemberg jährlich zwischen rund 50.000 und 65.000 genehmigte Plätze nicht belegt sind, was de facto nicht der Fall ist. Hauptfaktor ist, dass die Berichterstattung nur über Daten zu besagtem Stichtag 01.03. verfügt und dieses Da-tum lediglich die Hälfte des Kindertageseinrichtungsbetreuungsjahres abbildet. Sämtliche Aufnah-men von Kindern, die erst nach diesem Datum und bis zum 31.08. erfolgen, werden nicht abgebil-det. In der Folge wird dadurch die Zahl der im betreffenden Jahr benötigten Plätze unterschätzt.

Zudem werden auch vorgemerkte, aber noch nicht aufgenommene Kinder nicht registriert.

Aufgrund der Systemunterschiede zwischen Klein- und Kindergartenkinderbetreuung kann der zweitweise Leerstand als systemimmanent bezeichnet werden. Entsprechend kann er Bestandteil guter Bedarfsplanung sein. Die Frage ist, ob hier nicht auch im Rahmen der FAG-Vergabe Nach-justierungen erforderlich sind, denn die Kalkulation zur Ausschüttung betreffender Finanzmittel ori-entiert sich daran, dass alle Plätze (fast) immer belegt sind. Neben dem zuvor beschriebenen sys-tembedingten „Teilleerstand“ von Plätzen gilt dies in ähnlicher Weise auch für Angebote, die neu in Betrieb gehen und gerade im U3-Bereich nicht von Anfang an vollständig belegt sind (siehe Ab-schnitt 10.1). Je weiter dann die Inbetriebnahme vor dem jeweiligen 01.03., oder noch gravieren-der unmittelbar nach dem 01.03., liegt, umso höher ist die von den Kommunen zu tragende Vor-leistung bei der Finanzierung beziehungsweise umso höher sind die Kosten, die sie alleine zu be-streiten hat.32 Während dieser Aspekt lediglich für das erste Jahr (nach) der Inbetriebnahme gilt, bringt der Stichtag zum 01.03. für Kommunen einen Teilausfall von Mitteln.33 Denn wie zuvor er-wähnt, steigen die Zahlen der in den Gruppen betreuten Kinder im Verlauf des Kindergartenjahrs, also nach dem 01.03., in der Regel und insbesondere im kostenintensiven Kleinkindbereich teil-weise deutlich an. Entsprechend wird in Gemeinde- und Trägerforen und auch bei anderen Ge-sprächsanlässen thematisiert, dass der Stichtag mit Blick auf Finanzierungsfragen suboptimal sei.

32 Die FAG-Mittel werden entsprechend der zum 01.03. über das statistische Landesamt ermittelten Kinderzahlen ausgeschüttet. Das Datum ist in § 101 Abs. 2 Nr. 10 SGB VIII festgelegt.

33 Da das Datum der Inbetriebnahme aber von vielen Faktoren abhängt, welche die Kommune zumeist nicht in der Hand hat (Bauträger, Gesundheitsamt, Aufsichtsbehörde KVJS et cetera), sind bei der Finanzierung der Kosten zumindest im ersten Jahr gewisse Unwäg-barkeiten vorhanden.

Das Stichtagsdatum wurde nicht vom KVJS-Landesjugendamt festgelegt, sondern ist in § 101 Abs.

2 Nr. 10 SGB VIII geregelt. Von den planungsverantwortlichen Akteuren in den Kommunen wird vermehrt gefordert, Leerstand aus den zuvor genannten Gründen, zu tolerieren und als erforderlich für die Vergabesteuerung und die Bedarfsplanung zu akzeptieren. Wie dies auch im Hinblick auf die Finanzierung geschehen kann, ist unter den beteiligten Akteuren zu diskutieren.

Dass die Belegungszahlen zum Ende des Kindergartenjahres teils deutlich steigen, führt zu zwei weiteren Planungsherausforderungen. Zum einen müssen gegen Ende des Kindergartenjahres die meisten Kinder versorgt werden, zum anderen kommt nach Beginn des Kindergartenjahres und mit Schuleintritt muss eine teils nicht unerhebliche Zahl an Kindern aufgrund einer (nachträglichen) Zu-rückstellung wieder im Kindertagesbetreuungssystem integriert werden. Durchschnittlich ist das über die letzten Jahre betrachtet zwischen neun und zehn Prozent der Kinder des zu diesem Zeit-punkt sechsjährigen Jahrgangs. Die Schwankungen reichen in den Kreisen im Schuljahr

2016/2017 von rund fünf Prozent bis rund 15 Prozent. Da diesbezüglich auch noch Schwankungen zwischen den kreisangehörigen Kommunen vorliegen, kann die daraus resultierende Herausforde-rung sehr stark von Kommune zu Kommune und von Jahr zu Jahr variieren. Dieses Thema wird aufgrund der geplanten stufenweisen Verschiebung des Einschulungsstichtags auf den 30.06. zum Schuljahr 2020/21 ohnehin nochmals deutlich an Brisanz gewinnen.

Abschätzung künftiger Bedarfe

Für die Bedarfsplanung ist neben diesen vielen Herausforderungen auch eine weitere Problemstel-lung zu nennen, nämlich die korrekte Abschätzung künftiger Bedarfe. Diese ist umso schwieriger, da bereits die aktuellen faktischen Bedarfe nur schwer bestimmt werden können. Denn allein die Inanspruchnahme bestehender Angebote aufzulisten, gibt nur Auskunft darüber, wie diese beste-henden Angebote in Anspruch genommen werden. Daraus lässt sich aber weder ableiten, ob das bestehende Angebot bedarfsgerecht ist, noch wohin die „Reise“ in Sachen Bedarfsentwicklung ge-hen wird. Das hängt damit zusammen, dass in der Regel nirgends systematisiert festgehalten wird, inwiefern die ursprünglich seitens der Eltern angemeldeten Bedarfswünsche auch tatsächlich bei der Platzvergabe angemessen berücksichtigt werden konnten oder ob die Eltern ein Angebot an-nehmen mussten, dass nicht ihrem Bedarf entsprochen hatte. Beispielhaft sei hier der Fall ge-nannt, bei dem Eltern sich auf einen Ganztagesbetreuungsplatz haben vormerken lassen, bei der Vergabe aber letztlich nur einen Platz mit verlängerter Öffnungszeit erhalten haben. Bei der übli-chen Bestandsanalyse würde nicht zu Buche schlagen, dass Eltern einen anderen Platz als ge-wünscht erhalten haben. Das hat wiederum möglicherweise nicht nur Folgen für die Eltern, die dann anders planen müssen, sondern auch für die Arbeitgeber, deren Fachkräfte nicht wie geplant wieder zur Verfügung stehen (zum Beispiel anderer Zeitpunkt, anderer Stundenumfang – siehe auch Abschnitt 1.3). Mit einer systematischen Erfassung der Differenzen lässt sich beobachten, wie stark diese aktuell sind und in welche Richtung sie sich entwickeln. Dies ist unter anderem mit dem KVJS-Bedarfsplanungs- und Vergabesteuerungsinstrument „Zentrale Vormerkung“ möglich (siehe Abschnitt 1.7.2 und 9.3.).

Eine andere Möglichkeit Daten bezüglich künftiger Bedarfe zu erheben, besteht in der Durchfüh-rung einer Elternbefragung. Bei der Gestaltung eines entsprechenden Fragebogens ergeben sich jedoch mehrere Schwierigkeiten. In der Hauptsache ist hier anzumerken, dass es von großer Be-deutung ist, dass man im Fragebogen bereits die Kosten(spanne) für die Betreuungsangebote mit angibt (ergänzend sollte man einen Link zur Entgeltordnung platzieren, damit sich die Eltern

vollständig informieren können). Denn wie vielfach aus den Kommunen berichtet wird, geben El-tern in der Regel „vorsorglich“ einen Wunsch nach Ganztagesbetreuung an, den sie, insbesondere in Anbetracht der teils deutlich höheren Kosten gegenüber geringfügigeren Betreuungsumfängen, dann doch nicht in Anspruch nehmen. Eine dezidierte Bedarfsumfrage bei den Eltern bringt aber noch einen zweiten Nachteil mit sich. Ist eine Erhebung erst einmal lanciert und durchgeführt, er-zeugt sie seitens der Befragten eine sehr hohe Erwartungshaltung. Folglich empfiehlt sich das im Abschnitt zuvor beschriebene Verfahren.

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