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Teil I – Zentrale Herausforderungen in der Kindertagesbetreuung

1 Kinder- und Jugendhilfe und Bedarfsplanung in der Kindertagesbetreuung

1.5 Rechtsanspruch und demographischer Wandel – wie Individualperspektive und

1.5.2 Individualperspektive, Gesamtgesellschaft und demographischer Wandel

Wie Dr. Ulrich Bürger (2015 und 2020) in der KVJS-Berichterstattung zur Bedeutung des demogra-fischen Wandels für die Kinder- und Jugendhilfe darlegt, hat die angemessene Berücksichtigung der individuellen Perspektive massive Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche, sozialpolitische und volkswirtschaftliche Ebene (Kinder- und Jugendhilfe im demografischen Wandel, hier insbe-sondere Kapitel 1).23 Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich sehr stark an den Kernaus-sagen des Berichts, stellen aber eine Fokussierung vor allen Dingen mit Blick auf die Kindertages-betreuung dar. Die weitaus umfassenderen Analysen in diesem Werk gehen auf die übrigen von der Kinder- und Jugendhilfe erfassten Altersbereiche ein und beleuchten auch vielfältige Themen-felder darüber hinaus. Nachfolgend wird zunächst das Grundprinzip der Auswirkungen des demo-grafischen Wandels auf die Volkswirtschaft erläutert.

Abbildung 5 zeigt die Entwicklung der Bevölkerung in Baden-Württemberg für sechs Zeitpunkte zwischen 2017 und 2060 (dem Anhang können diese Entwicklungen bis 2035 für die 44 Stadt- und Landkreise entnommen werden). Für einen Teil der Landkreise vollziehen sich die nachfolgend be-schriebenen Entwicklungen nicht innerhalb der nächsten 43 Jahre, sondern innerhalb der nächs-ten 18(!) Jahre. Für diese sind in sechs Säulen die prozentualen Verteilungen zu den vier verschie-denen ausgewiesenen Altersgruppen der Bevölkerung in Baden-Württemberg ausgewiesen. In der ersten Säule sind die Werte der Bevölkerung für das Jahr 2017 enthalten. In dieser wie in den an-deren Säulen ist in Mintgrün der Anteil der Menschen unter 21 Jahren aufgeführt. Im Jahr 2017 be-trug dieser 20,4 Prozent. Darüber in Rosa findet sich der Anteil der Menschen zwischen 21 und unter 65 Jahren. Die zu diesem Zeitpunkt noch fast 60 Prozent betragende Gruppe (59,6 Prozent) setzt sich aus den Menschen zusammen, die man als produktives Segment bezeichnen könnte.

Diese Personengruppe hat ihre Berufsausbildung größtenteils bereits abgeschlossen und ist in der Hauptsache noch nicht altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. In diesem Segment sind jedoch nicht alle Menschen tatsächlich auch berufstätig. Personen, die sich gegenwärtig in Elternzeit befinden, Angehörige pflegen, krankheitsbedingt nicht arbeiten können, in Umschulungs-maßnahmen befinden, aufgrund fehlender Qualifikation oder aus sonstigen Gründen nicht er-werbstätig sein können, sind zwar von Alterswegen Bestandteil dieser Gruppe, können aber fak-tisch nicht der Gesamtheit, der für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen, zuge-rechnet werden. Daher könnte man hier auch vom „potenziell produktiven Segment“ sprechen.

Über dieser Altersgruppe finden sich in Gelb die Menschen zwischen 65 und unter 85 Jahren. Die-ses 17,4 Prozent umfassende Segment setzt sich in der Hauptsache aus Menschen zusammen, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und sich größtenteils noch guter Gesundheit er-freuen. Diese Anmerkung ist deshalb wichtig, da es sich hier um eine volkswirtschaftliche Betrach-tung handelt. Was damit gemeint ist, wird deutlich, wenn man das darüber befindliche letzte Seg-ment betrachtet. Der in Hellblau gehaltene Teil besteht aus der Bevölkerungsgruppe, die 85 Jahre und älter ist. Dieses Segment besteht vor allen Dingen aus Menschen, die eine erhöhte Wahr-scheinlichkeit haben, Pflegeleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, was wiederum für die Volkswirtschaft hohe Kosten verursacht.

23 Der Bericht zur Kinder- und Jugendhilfe wird voraussichtlich im kommenden Jahr in seiner zweiten Fortschreibung veröffentlicht werden.

Er ist dann wie gewohnt über diese Seite zu beziehen beziehungsweise kann dann auch in Druckfassung bestellt werden.

Analysiert man die Alterszusammensetzung der Bevölkerung nun insgesamt aus volkswirtschaftli-cher Perspektive, lassen sich folgende Aussagen treffen. Für rund 20 Prozent der Bevölkerung müssen im Jahr 2017 Renten- beziehungsweise Pensionsansprüche und davon für 2,6 Prozent anteilig Pflegeleistungen finanziert werden. Für ein weiteres Fünftel der Bevölkerung resultieren Kosten für Leistungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und sonstiger Bildungsausgaben.

Die Sozialsteuerleistungen, die für die Finanzierung erforderlich werden, werden prinzipiell aber von lediglich drei Fünfteln der Bevölkerung erbracht (der rosa Bereich). Dazu ist anzumerken, dass von diesem Anteil eigentlich noch einmal jene Personen abzuziehen sind, die aktuell nicht er-werbstätig sind beziehungsweise sein Können und die dauerhaft nicht erwerbsfähig sind. Im Ab-satz zuvor wurde exemplarisch bereits eine Vielzahl von Personengruppen genannt, die diesem Kreis zuzurechnen ist. Für die nachfolgenden Betrachtungen sind vor allem die unzureichend Qua-lifizierten hervorzuheben (siehe unten), die in diesem Zusammenhang als nicht beziehungsweise vermindert erwerbsfähig bezeichnet werden; dazu später mehr.

Das Verhältnis zwischen Einzahlern (rosa Bereich) und Leistungsempfängern (übrigen Bereiche) wird auch als der Versorgungsquotient bezeichnet. Dieser betrug im Jahr 2017 rund 68 Prozent.24 Verfolgt man die Vorausrechnung von links nach rechts, wird eines der Hauptprobleme deutlich.

Das potentiell produktive Segment schrumpft nämlich in der Zeit von 2017 bis 2060 um rund acht Prozentpunkte. Gleichzeitig legt der Anteil der 65-jährigen und älteren Bevölkerung in der Summe um fast 10 Prozentpunkte zu. Entsprechend steigt der Versorgungsquotient überproportional um 26 Prozentpunkte und wächst damit auf 94 Prozent an. Die Quintessenz ist, dass dem potentiell produktiven Segment aufgrund der strukturellen Verknappung eine immer größere Bedeutung bei der Leistungserbringung zukommt und das sowohl volkswirtschaftlich als auch mit Blick der Auf-rechterhaltung der sozialen Sicherungssysteme. Umso wichtiger ist es dafür Sorge zu tragen, dass die in diesem Segment befindlichen Personen möglichst vollständig erwerbsfähig sind und die

„Ausfallzeiten“ möglichst geringgehalten werden.

Hier setzt unter anderem die Kindertagesbetreuung an, welche die aufgrund von Elternschaft be-dingten „Ausfallzeiten“ minimieren und auch den Grundstein für erfolgreiche Bildungsbiographien der Kinder legen kann. Bereits mit dieser Betrachtung geht man über die einfachen Verhältnisrech-nungen hinaus, was deutlich macht, dass sich bei einem zweiten Blick die Problemlagen nochmals aus mehreren Gründen verschärfen. Es ist offensichtlich, dass gerade der massive Anstieg bei den sogenannten „Hochbetagten“ ab 85 Jahren aufgrund der erforderlichen Pflegeleistungen beson-ders kostenintensiv ist. Entsprechend ist deren Verdreifachung fast noch bedeutsamer, als das An-wachsen des Versorgungsquotienten um 35 Prozent. Des Weiteren schrumpft nicht nur das poten-tiell produktive Segment, sondern auch das Segment der jungen Menschen, die mit der Zeit in das darüber liegende Segment hineinwachsen. Hier reduziert sich der Anteil der Menschen, die jünger als 21 Jahre sind, von 2017 bis 2060 um 2,6 Prozentpunkte. Entsprechend wird es immer wichti-ger, diesen jungen Menschen möglichst gute Bildungschancen zur Verfügung zu stellen. Dies wird umso dringlicher, da der Arbeitsmarkt aufgrund der weiter voranschreitenden Automatisierung (vgl.

OECD 2019) immer qualifiziertere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer benötigen wird. Kurzum, die Qualifikation der jungen Menschen müsste eigentlich mit der Zeit zunehmen, um dem Bedarf

24 Die 68 Prozent erhält man, indem man 40,4 Prozent der potentiellen Leistungsempfänger, durch die 59,6 Prozent der potentiellen Einzahler dividiert.

der Unternehmen und damit der Volkswirtschaft gerecht zu werden. Je weniger junge Menschen aber die erforderliche Qualifikation erwerben, um mit dem „Eintreten“ ins potentiell produktive Seg-ment auch tatsächlich berufstätig werden zu können, desto stärker sinkt der Anteil der faktisch er-werbsfähigen Personen. Das bedeutet, dass sich dieses Segment dann nicht nur absolut, sondern zusätzlich auch relativ verringern könnte, womit sich der tatsächliche Versorgungsquotient noch-mals reduzieren würde. Der nachfolgende Abschnitt gibt einen Einblick in die Situation zu dieser Gruppe, um die Bedeutung der frühkindlichen Bildung in der volkswirtschaftlichen Gesamtbetrach-tung noch genauer einordnen zu können.

Abbildung 5: Bevölkerungsvorausrechnung für Baden-Württemberg 2017 bis 2060 in Altersbinnendifferenzie-rung (Daten: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Hauptvariante mit WandeAltersbinnendifferenzie-rungsbewegungen)

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