• Keine Ergebnisse gefunden

Teil I – Zentrale Herausforderungen in der Kindertagesbetreuung

1 Kinder- und Jugendhilfe und Bedarfsplanung in der Kindertagesbetreuung

1.3 Bedarfsvorausrechnung Plätze und Personal

1.3.2 Bedarfsvorausrechnung Personal

In diesem Abschnitt werden zum einen die Ausgangslage der Fachkräfte in der Kindertagesbetreu-ung erläutert und zum anderen die HerausforderKindertagesbetreu-ungen beschrieben, die sich bei einer wissen-schaftlichen Fachkraftbedarfsvorausrechnung ergeben. Es wird aber keine konkrete Zahl genannt werden, wobei schon aufgrund der Entwicklung der vergangenen 13 Jahre eine ungefähre Rich-tung erkennbar wird, denn für die in dieser Zeit zusätzlich entstandenen circa 55.000 Plätze wur-den 45.000 zusätzliche Fachkräfte eingestellt. Im Abschnitt zuvor wurde dargelegt, dass mit

89.000 weiteren Plätzen bis 2025 zu rechnen ist, weshalb auf der Hand liegt, dass ein Zuwachs an zum Beispiel 20.000 Fachkräften wohl nicht ausreichend sein wird.

Die folgende Abbildung veranschaulicht die Entwicklung seit 2005. Die Höhe der Säulen gibt dabei Auskunft über die absolute Zahl der tätigen Fachkräfte, die farblichen Segmente spiegeln die ab-soluten Werte der Fachkräfte im jeweiligen Alterssegment. Diese reichen von den unter 25-Jähri-gen (in Blau) zu den über 54-Jähri25-Jähri-gen (in Türkis). Neben dem massiven absoluten Zuwachs an Fachkräften gehen auch die demografischen Veränderungen eindeutig aus der Abbildung hervor.

Betrachtet man die Verschiebung der Altersanteile wird ersichtlich, dass im Jahr 2005 lediglich 5,7 Prozent der tätigen Fachkräfte über 54 Jahre alt waren. Im Jahr 2018 sind es bereits 17,4 Prozent.

Dies macht deutlich, dass hier allein für die Bestandssicherung massive Ersatzbedarfe10 auf den Bereich der Kindertagesbetreuung zukommen. Die Entwicklungen der Angebotsformen und ihre Inanspruchnahme über die letzten dreizehn Jahre lassen erkennen, dass eine Bestandssicherung wohl nicht ausreichen wird (siehe Abschnitt 1.2 und Abschnitt 1.3.1). Hinzu kommt, dass der künf-tige Fachkraftbedarf aufgrund des Ausbaus in Angeboten der Kleinkindbetreuung viel Personal er-fordert. In gleicher Weise wirkt der Ausbau von Ganztagesangeboten, bezüglich derer ebenfalls ein rechtsverbindlicher Anspruch in § 24 SGB VIII formuliert ist. In der Folge ist mit erheblichen Mehrbedarfen an Fachkräften zu rechnen, weil für jedes weitere zu betreuende Kind mehr Perso-nal zur Betreuung erforderlich sein wird als zuvor.11

Abbildung 4: Entwicklung der Fachkraftentwicklung in Kindertageseinrichtungen von 2005 bis 2018 in Altersbin-nendifferenzierung

Die Gewinnung und Ausbildung von Fachkräften wird aber durch die demografischen Entwicklun-gen zusätzlich erschwert. So werden sich im kommenden Jahrzehnt die Zahlen der potentiell Er-werbstätigen (21- bis 64-Jährige) in Baden-Württemberg von 6,49 Mio. im Jahr 2020 auf 6,05 Mio.

10 Die Ersatzbedarfe ergeben sich aus dem endgültigen Austritt aus dem Berufsfeld aufgrund der Beendigung der Berufstätigkeit oder dem Wechsel in ein anderes Feld und dem zeitlich befristeten Austritt aus der Erwerbstätigkeit, zum Beispiel aufgrund von Mutter-schutz, Elternzeit, Pflege von Angehörigen, länger andauernde Krankheiten, Sabbatjahr etcetera sowie der Reduzierung der Arbeitszeit aufgrund oben genannten Gründe.

11 Das hängt damit zusammen, dass der Ausbau in den Angeboten der Kleinkindbetreuung viel Personal erfordert, da in den Kleinkind-gruppen 10 beziehungsweise maximal 12 Kinder entsprechend Betriebserlaubnis betreut werden dürfen. Dennoch liegt der Mindestper-sonalschlüssel aus pädagogischen Gründen lediglich um rund 15 Prozent unter dem durchschnittlichen Wert von Kindergartengruppen, in denen aber maximal bis zu 25 beziehungsweise 28 Kinder betreut werden können. In gleicher Weise wirkt nun der Ausbau von Ganz-tagesangeboten, da in diesen Angeboten maximal nur 20 Kinder betreut werden können (vgl. Broschüre Angebotsformen der Kinderta-gesbetreuung in Baden-Württemberg). Der Ausbau dieser Angebote führt dazu, dass auch bei gleichbleibender Kinderzahl mehr Perso-nal erforderlich wird, um die Kinder in den betreffenden Angeboten zu betreuen.

im Jahr 2030 (circa -7 Prozent) und der künftigen Arbeitskräfte (20- bis 25-Jährige) von 664.000 im Jahr 2020 auf 576.000 im Jahr 2030 sehr stark reduzieren (circa -13 Prozent). Diese spürbare Ver-knappung des Arbeitskräftepotentials wird zu einer verschärften Konkurrenz um Fachkräfte in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen führen (vgl. Bürger 2015, S. 8). In der Konse-quenz müssen Ausbildung und Beruf in der Kindertagesbetreuung attraktiver werden beziehungs-weise dürfen auf keinen Fall an Anziehungskraft verlieren.

Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass die in Abschnitt 1.4 thematisierten, besonderen An-forderungen für den pädagogischen Alltag große Relevanz haben. Aber auch das Thema Überbe-legung spielt hier eine große Rolle. Diese erfordert nämlich deshalb eine Einzelfallprüfung, damit neben dem Wohl des zusätzlich aufzunehmenden Kindes, das der übrigen Kinder ebenso in den Blick genommen werden kann, wie die Situation des Personals, welches in den betreffenden Ein-richtungen beziehungsweise Gruppen tätig ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Zweifel daraus re-sultierende steigende Fluktuation und Fehlzeiten zur Reduktion von Öffnungszeiten oder gar vor-rübergehenden Gruppenschließungen führen.12

Um eine dezidierte Vorausrechnung beziehungsweise Prognose zu erstellen und zu prüfen, was das vor dem Hintergrund der bestehenden Ausbildungsinfrastruktur bedeutet, müssen bestimmte Größen ermittelt und wissenschaftlich-analytisch weitere Annahmen bestimmt werden. Die nach-folgenden drei Faktoren sind als eine Art Minimalanforderung für eine Vorausrechnung des betref-fenden Personalbedarfs zu verstehen. Unter diese Faktoren fallen: 1. die Ersatzbedarfe, 2. die Mehrbedarfe und 3. die Größe des Personenkreises, der für eine entsprechende Ausbildung in-frage kommt13.

Auf Grundlage der oben genannten Bestandszahlen zur Angebotsentwicklung, zur Personalent-wicklung und zur EntPersonalent-wicklung der Inanspruchnahme von 2005 bis 2018 ist es mittels statistischer Verfahren möglich die Bedeutung jedes einzelnen Parameters für den erforderlichen Mehrbedarf an Fachkräften zu ermitteln. Im konkreten Fall ist eine lineare Regressionsanalyse gemeint, die li-neare Zusammenhänge zwischen den betrachteten Merkmalen unterstellt. Diese Annahme ist in der Wirklichkeit oft nicht exakt zutreffend, dennoch ermöglichen die darauf gründenden Vorhersa-gen zumeist gute AnnäherunVorhersa-gen an die tatsächlich zu erwartenden Werte beziehungsweise die Bestimmung eines Korridors innerhalb dessen die Werte liegen werden.

Für das Regressionsverfahren könnten nun verschiedene Modellschätzungen vorgenommen wer-den, die den Einfluss unterschiedlicher Variablen auf den Fachkräftebedarf im Zeitraum von 2005 bis 2018 abschätzen. Das statistische Modell wäre dann nach Maßgabe statistischer Gütekriterien zu prüfen und im Fachgespräch auf seine sachliche Umsetzbarkeit auf die Realität zu bestätigen.

So könnten beispielsweise die Koeffizienten des Modells mit der besten Gesamtpassung

12 Prinzipiell ist eine Analyse solcher Entwicklungen mit der Software Kita-Data-Webhouse möglich. Es müsste aber geprüft werden, ob die Datenpflege seitens der Träger sorgfältig genug durchgeführt wird, um verlässliche Schlüsse aus den vorliegenden Informationen ziehen zu können.

13 Für die Bestimmung des Personenkreises, der für eine entsprechende Ausbildung infrage kommt, bedarf es einerseits einer präzisen Ermittlung der Altersgruppen, aus denen die Anwärterinnen und Anwärter stammen. Das sind einerseits junge Menschen, die erstmalig eine Ausbildung beginnen beziehungsweise ein Studium aufnehmen. Andererseits spielen hier Berufswechsler sowie zugewanderte Fachkräfte eine Rolle. In beiden Fällen ist zu klären, inwieweit hier zusätzliche Qualifikationen erworben werden müssen oder eine Anerkennung über Ausnahmezulassung zumindest prinzipiell möglich ist (siehe hierzu https://www.kvjs.de/jugend/tagesbetreuung-von-kindern/fachkraefte/#c24690). Gerade bezüglich der Ausbildungseinsteigerinnen und Ausbildungseinsteiger müssen demographische Faktoren in den Blick genommen werden, etwa wie sich die Bevölkerungszahlen im Bereich der potentiellen neu auszubildenden Fach-kräfte verändern (siehe oben).

(statistisch wie sachlich) etwa mit den Variablen „Betreuungsquote bei den Kleinkindern“, „Anteil an ganztags betreuten Kindern“ und „Zahl der insgesamt betreuten Kinder“ bestimmt werden. Um unter Verwendung der in diesem Verfahren ermittelten Regressionskoeffizienten einen Personal-bedarfskorridor bestimmen zu können, ist es dann noch erforderlich, Entwicklungsprognosen für jeden einzelnen Faktor zu bestimmen. Auch diese könnte mittels regressionsanalytischer Verfah-ren bestimmt werden. Einigt man sich im Rahmen eines geeigneten Forums auf eine verlässliche Abschätzung der künftigen Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung, können die Fachkräf-tebedarfsvorausrechnungen vorgenommen werden.

Aufgrund der hohen Komplexität der Bestimmung der erforderlichen Parameter ist für die Erstel-lung einer belastbaren Vorausrechnung folglich die Einbindung der Praktiker vor Ort erforderlich.

Entsprechend wurde der KVJS bei der Sitzung des LJHA vom 10. Juli 2019 beauftragt, einen Fachtag durchzuführen, bei welchem die Experten der jeweiligen Felder der Kinder- und Jugend-hilfe solche Vorausrechnungsszenarien gemeinsam ermitteln können. Klar ist, dass gerade im Be-reich der Kindertagesbetreuung aufgrund des „harten“ Rechtsanspruchs der mit Abstand größte Ausbaudruck im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe besteht. Denn anders als in den übrigen Fel-dern ist die Gesamtzahl der Beschäftigten deutlich höher und es sind nicht nur „akademische“

Kräfte tätig (wobei deren Zahl auch hier deutlich steigt siehe unten).

Ein Teil der Kommunen versucht derzeit Personal über finanzielle Zusatzanreize anzuwerben (siehe Stuttgarter Zeitung vom 19.8.2019: „Wettbieten um Erzieherinnen“). Das strukturelle Ge-samtproblem wird jedoch nicht gelöst, sondern nur verlagert, denn der Personalmarkt wird dadurch nicht vergrößert. Wenn alle Kommunen nach und nach ähnlich handelten, käme es zu einem Do-minoeffekt, der möglicherweise eine Fachkraftwanderung zwischen den Einrichtungen auslösen und damit eine unstete Phase auf dem Arbeitsmarkt einleiten würde. Im Ergebnis wäre damit ledig-lich eine Gehaltssteigerung der bestehenden Fachkräfte umgesetzt. Diese könnte den Beruf je-doch zumindest aus finanzieller Perspektive attraktiver machen und dann gegebenenfalls im Nach-gang dazu führen, dass sich mehr Menschen für ihn interessieren. Daher könnte es durchaus im Sinne aller Städte und Gemeinden liegen, hier eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Damit lie-ßen sich die Wanderungsbewegungen vermeiden. In der Folge würden keine zusätzlichen Kosten im Bereich der Bewerbungsverfahren anfallen, könnten temporäre Gruppenschließungen bezie-hungsweise Öffnungszeitverringerungen vermieden werden und es würden auch die bestehenden Mitarbeitersysteme nicht zusätzlich belastet.

Vor dem Hintergrund dieser Eindrücke ist die Ermittlung des tatsächlichen Bedarfs und insbeson-dere der Abgleich mit der bestehenden Ausbildungsinfrastruktur sowohl im schulischen Bereich, als auch an den Hochschulen umso dringlicher. Letztere spielen deshalb eine besondere Rolle, da sich der Anteil studierter Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen von circa 800 im Jahr 2005 bis heute auf circa 5.100 mehr als versechsfacht hat (siehe Abschnitt 8.2). Entsprechend muss auch deren akademische Ausbildung in der Hochschul- und Universitätslandschaft mitgedacht werden.

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE