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Kennedy, Chruschtschow und die Teststoppverhandlungen

Im Dokument Kennedys rechte Hand (Seite 184-188)

5 FREUNDE UND ALLIIERTE: BUNDY ALS

5.2 Détente mit der UdSSR

5.2.1 Kennedy, Chruschtschow und die Teststoppverhandlungen

Als Kennedy und Chruschtschow nach der Kubakrise in privater Korrespondenz die Wiederaufnahme von Teststoppverhandlungen beschlossen, schien die Zeit endlich reif für eine Einigung der beiden Supermächte.547 Chruschtschow schrieb am 28. Oktober 1962 an Kennedy:

547 Zur „kleinen“ Détente von 1963 vgl. Costigliola, „Pursuit of Atlantic Community“, 24-56;

Costigliola, „Kennedy, the European Allies and the Failure to Consult"“ 105-123; Schertz, Deutschlandpolitik; Winand, Eisenhower, Kennedy, and the United States of Europe, Firestone, Quest for Nuclear Stability, Oliver, Kennedy, Macmillan, and the Nuclear Test-Ban Debate;

Trachtenberg, Constructed Peace. Siehe auch: Andreas Wenger and Jeremi Suri, „The Nuclear

We should like to continue the exchange of views on the prohibition of atomic and thermo-nuclear weapons, general disarmament, and other problems relating to the relaxation of in-ternational tensions.548

Kennedy antwortete gleichentags: „I agree [...] Perhaps now, as we step back from danger, we can together make real progress in this vital field.“549 Bundys Mitarbeiter erkannten die Chancen, die sich aus dem veränderten Umfeld ergaben: Bob Komer empfahl, parallel zu den Kubagesprächen in New York die Initiative zu Verhandlungen über andere Ost-West-Themen zu ergreifen.550 Carl Kaysen schlug Berlin- und Abrüstungs-Gipfelgespräche vor:

The only way to test the assumption that the events of the last week have created the poten-tial for a major chance in US-Soviet relations and consequently in the international political scene is to act on it. We can act in two directions - Berlin and disarmament. There is reason to believe that these are complementary not competing issues. [...] With disarmament, as with Berlin, the conclusion seems to be that a radical change is unlikely. Thus, the final question is: Is there enough in the limited program in two spheres to justify the risks of summit failure and alliance alienation? This writer votes „yes“, loudly.551

Die Verhandlungen über einen atomaren Teststopp waren bereits unter Eisenhower begonnen worden. Die USA und die UdSSR waren zwar übereingekommen, dass ein solcher Vertrag mit einem Inspektionssystem überprüft werden müsse, doch über die Details bestanden noch viele Differenzen zwischen den beiden Verhandlungspartei-en.552 Unter Kennedy wurde eine kohärentere Position als unter Eisenhower erreicht, und zwar vor allem aus drei Gründen: Erstens engagierte sich Präsident Kennedy persönlich sehr stark für eine Beseitigung der Gefahr eines Nuklearkriegs. Zweitens wählte er für die Schlüsselpositionen in Abrüstungsfragen Persönlichkeiten aus, welche ein Interesse an der Erforschung einer neuen Richtung der Ost-West-Beziehungen hatten, zum Beispiel Carl Kaysen und Jerome Wiesner vom Weissen

Revolution, Social Dissent, and the Evolution of Détente: Reevaluating the Patterns of Interac-tions“, Unpublished Draft, May 1999.

548 Brief, Chruschtschow an JFK, 28.10.62, FRUS 6, No. 67.

549 Brief, JFK, an Chruschtschow, 28.10.62, FRUS 6, No. 68.

550 Memorandum, Komer an MB, 29.10.62, Box 36, Countries, NSF, JFKL.

551 Memorandum, Kaysen an MB, „Summits and All That“, 31.10.62, Box 320, SM, M&M, NSF, JFKL.

552 Firestone, Quest for Nuclear Stability, 71-78. Zu den Teststoppverhandlungen vgl. Arthur H.

Dean, Test Ban and Disarmament: The Path of Negotiations (New York: Harper&Row, 1966);

Harold K. Jacobson and Eric Stein, Diplomats, Scientists and Politicians: The United States and the Nuclear Test Ban Negotiations (Ann Arbor: University of Michigan Press, 1966); Ronald J.

Terchek, The Making of the Test Ban Treaty (Den Haag: M. Nijhoff, 1970); W. Averell Harriman, America and Russia in a Changing World: A Half Century of Personal Observation (Garden City, NY: Doubleday, 1971); Norman Cousins, The Improbable Triumvirate: John F. Kennedy, Pope John, Nikita Khrushchev (New York: W. W. Norton, 1972); Robert A. Divine, Blowing on the Wind: The Nuclear Test Ban Debate 1954-1960 (New York: Oxford University Press, 1978).

Haus, John McNaughton vom Pentagon oder Glenn Seaborg, der McCone Ende 1961 als Vorsitzender des AEC ablöste. Drittens schuf Kennedy mit der ACDA eine zentrale Behörde für Abrüstungsfragen und erannte William Foster zu ihrem Direktor. 1961/62 scheiterten aber sämtliche Versuche, ein Teststoppabkommen auszuhandeln, an den Spannungen zwischen den beiden Supermächten, vor allem wegen der Berlinkrise, den Nukleartestserien und der Kubakrise.553

Nach der Kubakrise wuchs das Bedürfnis Kennedys und Chruschtschows nach einem Teststoppvertrag. Nebst der akut erlebten Gefahr einer ungewollten Eskalation einer Krise zum globalen Nuklearkrieg trug auch die chinesische Invasion Indiens im Oktober 1962 zur Förderung des Nonproliferations-Gedankens bei. Nach dem Aus-bruch des chinesisch-indischen Grenzkriegs wies Bundy Kennedy bereits am 8.

November 1962 auf die Gefahr Chinas für den Weltfrieden hin: „A Red China nuclear presence is the greatest single threat to the status quo over the next few years.“554 In den Gesprächen mit Macmillan auf den Bahamas wiederholte Bundy seine Angst vor China: „The problem of Chinese nuclear weapons development is the most dangerous element in the situation from now on.“555 Präsident Kennedy erläuterte in seiner traditionellen Jahresrede vor dem NSC Ende Januar 1963, die von Bundy verfasst worden war, das Motiv der USA in Teststoppverhandlungen:

Our primary purpose in trying to get a treaty with Russia is to halt or delay the development of an atomic capability by the Chinese Communists.556

Auch aus den Notizen Glenn Seaborgs einer Sitzung von Anfang Februar 1963 wird deutlich, weshalb Präsident Kennedy 1963 die Teststoppverhandlungen forcieren wollte:

The President said that, in his opinion, the whole reason for having a test ban is related to the Chinese situation. Otherwise, it wouldn’t be worth the disruption and fighting with Congress, etc.557

553 Ibid., 82-86.

554 Memorandum, MB an JFK, „Test Ban: Black Boxes, Khrushchev, and China“, 8.11.62, FRUS 7, No. 243. Zur Idee eines gemeinsamen amerikanisch-sowjetischen Angriffs auf chinesische Nuk-leareinrichtungen vgl. Gordon H. Chang, Friends and Enemies: United States, China, and the Soviet Union, 1948-1972 (Stanford: Stanford University Press, 1990), 241-244 sowie National Security Archive, „The United States, China, and the Bomb“, Electronic Briefing Book No. 1, http://www.seas.gwu.edu/nsarchive/NSAEBB/NSAEBB1/nsaebb1.htm.

555 Gesprächsprotokoll, JFK und Macmillan, Bahamas, 21.12.62, zit. Oliver, Kennedy, 150.

556 Rede JFK’s vor dem NSC, 22.1.63, Box 314, M&M, NSF, JFKL. Zum Zusammenhang zwischen dem chinesisch -sowjetischen Konflikt und der sowjetischen Verhandlungsposition in Abrüstungs-fragen vgl. Christer Jönsson, Soviet Bargaining Behavior: The Nuclear Test Ban Case (New York: Columbia University Press, 1979).

557 Sitzungsprotokoll (Seaborg), 8.2.63, FRUS 7, No. 262 (Kommentar).

Offenbar war auch in Moskau durch die Erfahrung der Kubakrise und der chinesischen Aggression der Bedarf nach einem Abrüstungsvertrag mit den USA gewachsen. Am 19. Dezember 1962 machte Chruschtschow in einem privaten Brief an Kennedy in der kontroversen Frage der Inspektionen eine wichtige Konzession, indem er erklärte, die UdSSR seien bereit, drei Inspektionen pro Jahr zuzulassen.558 Kennedy war eupho-risch, obwohl die USA grundsätzlich auf einer Anzahl von acht bis zehn Inspektionen beharrten. Dennoch war er optimistisch, dass man damit in Verhandlungen einen Kompromiss in der Inspektionsfrage erreichen könnte.559 Die Frage, wie eine Test-stopperklärung der UdSSR verlässlich kontrolliert und überprüft werden konnte, war für den amerikanischen Kongress nach dem Bruch des Atomtest-Moratoriums im Herbst 1961 und dem Verwirrspiel mit den Kubaraketen, als die USA von Chruscht-schow öffentlich und privat belogen und getäuscht worden waren, elementar wichtig.

Im Januar 1963 begann eine neue Runde von trilateralen Verhandlungen der USA, Grossbritanniens und der UdSSR, doch es konnte keine Lösung gefunden werden.

Weil Bundy fand, dass amerikanische unterirdische Nukleartests nicht unbedingt zu einem günstigen Verhandlungsklima beitragen würden, setzte er sich als Vorsitzender einer Mitte Dezember 1962 etablierten Arbeitsgruppe „Unterirdische Nukleartests“ im Januar 1963 erfolgreich dafür ein, dass Kennedy die geplanten Tests hinausschoben.

Erst als die UdSSR die Gespräche in New York abbrachen, nahmen die USA im Februar ihre Testserie wieder auf.560

Bundy hatte nach der Kubakrise vor allem wegen des chinesisch-indischen Grenz-kriegs und der Gefahr, die von einem nuklearen China ausgehen würde, nach Möglic h-keiten gesucht, um die Nuklearproliferation an China zu verhindern. Aus diesem Grunde interessierte er sich 1963 stark für ein Teststoppabkommen mit der UdSSR, das sich allenfalls mit einem Nonproliferationsvertrag koppeln lasse würde. Weil Bundy sich im Januar und Februar 1963 nicht besonders stark für die MLF-Initative begeistert hatte, fiel es ihm umso leichter, sie in dem Zeitpunkt zu kritisieren, als sie den Abrüstungsbemühungen mit der UdSSR in die Quere zu kommen schien.

558 Brief, Chruschtschow an JFK, 19.12.62, FRUS 6, No. 84.

559 Schlesinger, Thousand Days, 764. Vgl. Brief, JFK an Chruschtschow, 28.12.62, FRUS 6, No. 86.

560 Gesprächsprotokolle, 9./10.1.63, „Nuclear Tests“, FRUS 7, No. 255, 256; Oliver, Kennedy, 148ff.

Zur Arbeitsgruppe „Unterirdische Nukleartests“, etabliert am 12.12.62 mit NSAM 210, vgl.

FRUS 7, No. 259 (Kommentar).

Im Dokument Kennedys rechte Hand (Seite 184-188)