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Jupiter-Raketen und NATO-Alliierte

Im Dokument Kennedys rechte Hand (Seite 151-155)

4 KUBAKRISE: BUNDY ALS „ADVOCATUS DIABOLI“ UND

4.1 Washington im Spätsommer 1962

4.2.4 Jupiter-Raketen und NATO-Alliierte

Die Euphorie von Kennedys Beratern vom Freitag Abend war allerdings am nächsten Morgen, dem später „Black Saturday“ genannten, heikelsten Tag der Kubakrise, wie weggeblasen. Radio Moskau veröffentlichte nämlich eine zweite Botschaft Chruscht-schows, worin dieser neben dem Invasionsverzicht der USA auch einen Abzug der amerikanischen NATO-Raketen in der Türkei forderte. Kennedy zeigte sich in der ExComm-Sitzung ziemlich perplex über diese Entwicklung: „That wasn’t in the letter we received, was it?“447 Kennedy erkundigte sich bei seinen Beratern, ob eine Lösung der Krise aufgrund von Chruschtschows neuem Vorschlag möglich wäre. Doch Nitze wies darauf hin, dass das Thema eines Abzugs der Jupiter-Raketen für die Türkei ein Tabu und eine Prestigesache darstelle. Ball ergänzte, dass zuerst im Rahmen komple-xer NATO-Konsultationen ein neues Abkommen mit der Türkei ausgehandelt werden müsste, wonach die Jupiter-Raketen durch Polaris-U-Boote im Mittelmeer ersetzt werden könnten.448 Bundy brachte kurz nach dem Bekanntwerden der zweiten Forde-rung Chruschtschows folgende Idee in die Diskussion ein, gegen die sich Kennedy allerdings zuerst zu sträuben schien:

Bundy: „It’s very odd, Mr. President. If he [Khrushchev]’s changed his terms from a long letter to you [...] only last night, set in a purely Cuban context, [...] there’s noth-ing wrong with our posture in sticknoth-ing to that line. [...] I would answer back say-ing that ‘I would prefer to deal with your interestsay-ing proposals of last night.’“

JFK: „Well now, that’s what we ought to think about. We’re going to be in an insup-portable position on this matter if this becomes his proposal. In the first place, we last year tried to get the missiles out of there because they’re not militarily useful,

446 Die Möglichkeit einer politischen Lösung der Krise war am selben Tag auch vom KGB-Agenten Alexander Fomin-Feklisov eigenmächtig gegenüber dem amerikanischen Journalisten John Scali ausgelotet worden. Vgl. dazu John Scali, „I Was the Secret Go-Between in the Cuban Crisis“, Family Weekly (25.10.1964): 4f., 12ff.; Debra Gersh Hernandez, „An ‘Accident’ of History Re-membered“, Editor and Publisher 124, No. 47 (19.11.1994): 18f.; Aleksandr V. Fursenko and Timothy Naftali, „Using KGB Documents: The Scali-Feklisov Channel in the Cuban Missile Cri-sis“, CWIHP Bulletin 5 (Spring 1995): 5, 58, 60-62.

447 ExComm-Sitzung vom 27.10.62, 10:00 Uhr, Kabinettraum, JFK Tapes, 494. Zu den Jupiterrake-ten vgl. Barton J. Bernstein, „Reconsidering the Missile Crisis: Dealing with the Problems of the American Jupiters“, in The Cuban Missile Crisis Reconsidered, ed. James A. Nathan (New York:

St. Martin’s Press, 1992), 55-130; Philip Nash, The Other Missiles of October: Eisenhower, Ken-nedy, and the Jupiters, 1957-1963 (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1997);

448 ExComm-Sitzung vom 27.10.62, 10:00 Uhr, Kabinettraum, JFK Tapes, 496f.

number one. Number two: To any man at the United Nations or any other rational man, it will look like a very fair trade.“449

Danach entspann sich eine lange Diskussion über das weitere Vorgehen. Bundy empfahl erneut, auf Chruschtschows langen privaten Brief vom Vorabend einzugehen und Bereitschaft zu signalisieren, auf die darin anvisierte Lösung einzugehen.450 Kennedy hingegen betonte, auf dem Verhandlungsparkett liege zur Zeit nur der öffentliche Vorschlag eines Abzugs sowohl der sowjetischen Raketen auf Kuba als auch der türkischen Jupiter-Raketen der NATO. Er sah zudem auch im privaten Vorschlag ein Problem darin, die Souveränität Kubas zu garantieren. Kennedy wollte sich offensichtlich die Option offenhalten, in Zukunft militärisch gegen die Castrore-gierung vorzugehen.451

Die Diskussion im ExComm kreiste danach um eine Erklärung der zwei widersprüchli-chen sowjetiswidersprüchli-chen Vorschläge. Bundy spekulierte:

I think there must have been an overruling in Moscow. [...] We reached an informal consen-sus [...] that this last night’s message was Khrushchev’s. And this one is his own hard-nosed people overruling him, this public one. They didn’t like what he said to you last night. Nor would I, if I were a Soviet hard-nose.452

Als sich Kennedy erkundigte, wie die USA auf die verschiedenen Vorschläge der UdSSR reagieren sollten, schlug Bundy erneut vor, auf das günstigere Angebot Chruschtschows in dessen Brief vom Vorabend einzugehen:

I myself would send back word by phone, for example, that last night’s stuff was pretty good. This [The withdrawal of the Jupiter missiles from Turkey] is impossible at this stage of the game. And that time is getting very short.453

Eine amerikanische Erklärung wurde nach Entwürfen Bundys, Gilpatrics und Soren-sens noch im Verlauf des Morgens veröffentlicht. Darin wiesen die USA darauf hin, dass in den letzten 24 Stunden mehrere inkonsistente und widersprüchliche Vorschläge der UdSSR gemacht worden seien. Die soeben publizierte Forderung involviere allerdings die Sicherheit von Nationen ausserhalb der westlichen Hemisphäre. Im Moment sei aber nur diese direkt von den heimlich nach Kuba transportierten offensi-ven sowjetischen Waffen betroffen. Bevor irgendwelche Verhandlungen begonnen

449 Ibid., 497f.

450 Ibid., 499: „I don’t see why we pick that track [Raketentausch] when he’s offered us the other track within the last 24 hours.“

451 Ibid., 499.

452 Ibid., 509-13.

453 Ibid., 514. Vgl. Gesprächsprotokoll, Bromley Smith, NSC ExComm Sitzung No. 7, 27.10.62, 10:00 Uhr, p. 3, NSA-CMC, No. 1540.

würden, müsse zuerst die Arbeit an den offensiven Raketenstellungen eingestellt werden.454

Im weiteren Verlauf der Diskussionen im ExComm trat allerdings deutlich zutage, dass Kennedy nicht bereit war, wegen veralteten Raketen in der Türkei einen Krieg in Kuba und Berlin zu riskieren. Er wiederholte seine Ansicht, dass die amerikanischen Alliierten gegen amerikanische Luftangriffe wären, da viele unter ihnen den Kuba-Türkei-Handel als gute Lösung anschauten. Was die Türkei betraf, so betonte Kennedy zwar, dass die USA nicht auf die sowjetische Forderung eingehen konnten, NATO-Raketen aus der Türkei abzuziehen; doch die Türkei könnte eine solche Lösung von sich aus anbieten. Deshalb fand Kennedy, die USA sollten den Türken bewusst machen, welch grosse Gefahr ihnen in der nächsten Woche bei einem amerikanischen Vorgehen gegen Kuba drohen würde, damit sie von sich aus auf eine vernünftige Lösung eingingen.455

Als sich das ExComm um 16:00 Uhr erneut traf, setzte sich die Diskussion über dieselben Probleme fort. Wie sollten die USA auf Chruschtschows widersprüchliche Vorschläge reagieren? Wie konnten sie verhindern, dass aus der Krise um sowjetische Raketen auf Kuba plötzlich eine „Türkeikrise“ würde? McNamara berichtete von mehreren militärischen Zwischenfällen: Erstens war eine U-2, welche Informationen zu den sowjetischen Nukleartests in der Nähe des Nordpols sammelte, nahe Alaskas als vermisst gemeldet worden. Zweitens war eine U-2, welche am Morgen eine Mission über Kuba geflogen hatte, seit einigen Stunden überfällig. Drittens berichteten amerikanische Piloten tieffliegender Aufklärungsflugzeuge, dass sie von kubanischen Maschinengewehrstellungen beschossen worden seien. In dieser Stimmung diskutierte das ExComm, wie auf Chruschtschows Briefe und Eskalationen zu reagieren sei.

Präsident Kennedy sorgte sich um die Weltmeinung, wenn die USA starr darauf beharren würden, dass die Türkeiraketen nichts mit der Kubakrise zu tun hätten. Er schlug daher vor, der UdSSR ein Ultimatum zu stellen: Innerhalb der nächsten 24 Stunden müsse die Arbeit an den Raketenstellungen auf Kuba eingestellt werden, dann seien die USA zu Diskussionen bereit, auch über die Türkeiraketen. Kennedy war innerhalb des ExComm der einzige, welcher den öffentlichen Raketentausch ernst nahm und bereit war, darauf einzugehen.456 Bundy hingegen wehrte sich mit all seiner Autorität gegen Kennedys geplantes Vorgehen:

454 Presseerklärung vom 27.10.62, Larson, Cuban Crisis, 186f.

455 ExComm-Sitzung vom 27.10.62, 10:00 Uhr, Kabinettraum, JFK Tapes, 517f.

456 ExComm-Sitzung vom 27.10.62, 16:00 Uhr, Kabinettraum, JFK Tapes, 528.

Well, there are two different audiences here, Mr. President. There really are. And I think that if we sound as if we wanted to make this trade, to our NATO people and to all the peo-ple who are tied to us by alliance, we are in real trouble. I think that we’ll all join in doing this if it is the decision. But I think we should tell you that that is the universal assessment of everyone in the government that’s connected with these alliance problems.457

Mit diesem Hinweis, dass viele Berater Kennedys gegen eine Integration des Prob-lems der Jupiterraketen in eine Lösung der Kubakrise waren, traf Bundy den Präsiden-ten, dem viel an einem Konsens innerhalb des aussenpolitischen Teams lag, an einer verwundbaren Stelle. Bundy hatte gleich zu Beginn der Morgensitzung seine Befürch-tungen geäussert, wie die NATO darauf reagieren würde, falls die USA auf Chruscht-schows Vorschlag eines Raketentauschs eingehen würden:

In our own terms it would already be clear that we were trying to sell our allies for our in-terests. That would be the view in all of NATO. Now, it’s irrational and it’s crazy, but it’s a terrible powerful fact.458

Bundys Strategie, Chruschtschows zweite, öffentliche Forderung zu ignorieren und den Vorschlag seines ersten Briefs vom Vorabend zu akzeptieren, wurde am Nachmit-tag auch von Vizeaussenminister George Ball, Robert Kennedy, dem Sowjetexperten Llewellyn Thompson und Sorensen gutgeheissen.459 Präsident Kennedy blieb bis zuletzt skeptisch und glaubte nicht, dass Chruschtschow auf einen Handel eingehen würde, der nur mit Kuba zu tun hatte, nachdem er öffentlich den Einbezug der Türkei in eine Lösung gefordert hatte. Dann formulierte das ExComm den Entwurf einer Antwort an Chruschtschow gemäss Bundys Idee. Dabei wies vor allem Robert Kenne-dy darauf hin, in der Antwort an Chruschtschow sowohl die Jupiterraketen als auch die NATO auszuklammern und nur auf Kuba einzugehen.460 Damit hatte sich Bundys Idee durchgesetzt. Später wurde diese Taktik Trollope-Ploy genannt, nach einem häufig gebrauchten Sujet des britischen Schriftstellers Anthony Trollope. Während seiner Präsidentschaftskandidatur von 1968 beanspruchte Robert Kennedy das Urheberrecht für diese Idee für sich selbst, und McNamara lobte ihn in einem TV-Werbespot für die

457 Ibid., 529.

458 Ibid., 500.

459 Ibid., 540 (Ball), 544 (Robert Kennedy), 545f. (Thompson), 546 (Ball), 550 (Sorensen), 554 (Thompson). Kurz vorher hatte Bundy diese Idee, die er bereits am Morgen mehrmals angesprochen hatte, zweimal zur Sprache gebracht: „It seems to me that Turkey and Cuba are all very well for us to discuss. Turkey and Cuba are not relevant for us except in the context of our doing a violent thing. And after we’ve done a violent thing we, none of us, know where to go.

The one chance to avoid that is to impress Khrushchev and get him back where he was last night.“

(Ibid., 535) - „Then I think that we ought to go back to our track and draft - what I think of as the department draft of the letter to Khrushchev of last night while we do this. That’s the pattern that makes sense to me.“ (Ibid., 537). Vgl. für eine spontane Analyse der beiden sowjetischen Vor-schläge: Memorandum, Komer, 27.10.62, Box 214, LOT File 69 D 121, RG 59, NARS.

460 Ibid., 555-563.

geniale Idee, auf den ersten Brief Chruschtschows zu antworten. Bundy war so grosszügig, in Danger and Survival Robert Kennedys und McNamaras „historische Lügen“ weiterbestehen zu lassen.461 Die Tonbandaufnahmen des 27. Oktobers 1962 machen allerdings klar, dass das geistige Urheberrecht für den Trollope-Ploy allein Bundy zusteht, der diese Idee unmittelbar nach Bekanntwerden von Chruschtschows Türkei-Forderung vorgeschlagen und später mehrmals wieder aufgenommen hatte.

Der Einfluss Bundys auf Präsident Kennedy war am 27. Oktober ziemlich gross.

Bundy wies das ExComm vermehrt auf die Konsequenzen amerikanischer Aktionen für die amerikanisch-europäischen Beziehungen hin und gab Kennedy -zusammen mit Ball- zu verstehen, dass die Option eines Raketentauschs völlig inakzeptabel sei.

Bundy gelang es mit der Hilfe Robert Kennedys, Balls und Thompsons, den Präsiden-ten von einem öffentlichen RakePräsiden-tentausch abzubringen und somit die NATO-Glaubwürdigkeit zu bewahren. Bundy hatte sich durchgesetzt, was die offizielle Antwort der USA an Chruschtschow betraf. Doch Kennedy blieb bei seiner Meinung, dass er keinen Nuklearkrieg riskieren wolle wegen fünfzehn militärisch wertloser Raketen, welche die USA seit über einem Jahr sowieso hatten abziehen und durch Polaris-U-Boote im Mittelmeer ersetzen wollen. Nach den langen Sitzungen des

„Black Saturday“ im ExComm, während denen die Stimmung vor allem durch die Nachricht des Abschusses der vermissten amerikanischen U-2 über Kuba durch eine sowjetische SAM-Stellung verschlechtert wurde und man vermehrt über amerikanische Vergeltungsangriffe und eine Invasion zu diskutieren begann, rief Kennedy seine engsten aussenpolitischen Vertrauten zu sich. Er suchte immer noch dringend nach einer Möglichkeit, anstelle einer militärischen Eskalation auf den seiner Meinung nach fairen Raketentausch einzugehen, ohne die Glaubwürdigkeit der USA vor der NATO und der Weltöffentlichkeit aufs Spiel zu setzen.

Im Dokument Kennedys rechte Hand (Seite 151-155)