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Bundy am ersten Tag der Kubakrise

Im Dokument Kennedys rechte Hand (Seite 137-141)

4 KUBAKRISE: BUNDY ALS „ADVOCATUS DIABOLI“ UND

4.1 Washington im Spätsommer 1962

4.2.1 Bundy am ersten Tag der Kubakrise

Am Montag Abend, dem 15. Oktober 1962, klingelte bei Bundy zu Hause um 22:00 Uhr das Telefon. Bundy gab gerade eine Dinnerparty zu Ehren von Charles Bohlen, dem Sowjetkenner und neuen amerikanischen Botschafter in Frankreich, der am nächsten Tag nach Paris fliegen würde. Der Anrufer war Ray Cline von der CIA:

„Those things we’ve been worrying about in Cuba are there.“ Bundy erwiderte:

„You’re sure?“ Aufgrund der unsicheren Telefonleitung konnte Cline Bundy gegen-über nur vage Andeutungen der Neuigkeiten machen.391 Bundy wusste um die polit i-sche Brisanz dieser Entdeckung. Erst gerade am 14. Oktober hatte er im nationalen Fernsehen ABC in der Sendung Issues and Answers auf die ständigen Vorwürfe Keatings und anderer republikanischer Kongressmitglieder reagiert und Auskunft zu Kuba gegeben. Er hatte dabei deutlich gemacht, dass es zur Zeit keine Beweise für sowjetische Offensivwaffen auf Kuba gebe und dass dies auch in Zukunft nicht anders zu erwarten sei:

I know there is no present evidence, and I think there is no present likelihood that the Cu-bans and the Soviet government would, in combination, attempt to install a major offensive

390 Aktuelle Beiträge sind Trachtenberg, „The Influence of Nuclear Weapons in the Cuban Missile Crisis“, International Security 10, No. 1 (Summer 1985): 137-63; Raymond L. Garthoff, Reflec-tions of the Cuban Missile Crisis (Washington, Brookings Institution, 21989); James A. Nathan (ed.), The Cuban Missile Crisis Revisited (New York: St. Martin’s Press, 1992); Richard Ned Lebow and Janice Gross Stein, We All Lost the Cold War (Princeton: Princeton University Press, 1994), 19-143; Anatoli I. Gribkov and William Y. Smith, Operation ANADYR: U.S. and Soviet Generals Recount the Cuban Missile Crisis, ed. Alfred Friendly Jr., (Chicago: Edition Q., 1994);

Roger Hilsman, The Cuban Missile Crisis: Struggle Over Policy (Westport, CO: Praeger, 1996);

White, Cuban Missile Crisis; Gaddis, We Now Know, 260-279; Fursenko/Naftali, „One Hell of a Gamble“, 198-289; L. Scott and S. Smith, „Lessons of October: Historians, Political Scientists, Policy Makers and the Cuban Missile Crisis“, International Affairs 70, No. 1 (1994): 659-684.

Vgl. auch Robert Kennedy, Thirteen Days: A Memoir of the Cuban Missile Crisis (New York:

Penguin Books, 1969). In Publikation: L. V. Scott, Macmillan, Kennedy and the Cuban Missile Crisis: Political, Military, and Intelligence Aspects (New York: St. Martin’s Press, December 1999).

391 Cline, „Notification of NSC Officials of Intelligence on Missile Bases in Cuba“, 27.10.62, CIA-CMC, 150.

capability. [...] The United States is not going to be placed in any position of major danger to its own security by Cuba.392

Bundy entschied sich, Präsident Kennedy erst am nächsten Morgen über die Entde-ckung zu informieren. Dies zeigt, wie Bundys Kompetenzen seit Januar 1961 stetig zugenommen hatten. Am Abend des 15. Oktober war Bundy de facto der aussenpolit i-sche Enti-scheidungsmacher der Kennedy-Administration. Während die Neuigkeit innerhalb der CIA gemäss der Hierarchien verbreitet wurde, stoppte der Informations-fluss zum Präsidenten beim Nationalen Sicherheitsberater. Im Frühjahr 1963 wurde Bundy von Senatoren kritisiert, weil er so vitale Informationen wie die Entdeckung sowjetischer Nuklearraketen auf Kuba vor Kennedy zurückbehalten habe. Die Kritiker meinten, Bundy fehle die Autorität dazu, und fügten zynisch bei, Clines Anruf habe wohl Bundys Dinnerparty mitten im Dessert gestört.393 Bundy fühlte sich gezwungen, in einem Memorandum an Kennedy zu den Vorwürfen der Washingtoner Zeitung Stellung zu nehmen. Er begründete seinen Entscheid, den Präsidenten nicht umgehend informiert zu haben, im März 1963 wie folgt:

It was a hell of a secret and it must remain one until you had a chance to deal with it. There should be no hastily summoned meeting Monday night. [...] Finally, I had heard that you were tired. You had had a strenuous campaign week end [...]. So I decided that a quiet eve-ning and a night of sleep were the best preparation you could have in the light of what would face you in the next days.394

Am Morgen des 16. Oktober 1962 erhielt Bundy wie versprochen die fotografische Evidenz für die Entdeckung der CIA und machte sich sofort auf den Weg zu Kennedy.

Der Präsident und sein Sicherheitsberater sprachen kurz über eine mögliche amerikani-sche Reaktion auf diese Entwicklung und fanden spontan, die im Bau begriffenen Raketenstellungen müssten mit Luftangriffen bombardiert werden. Kennedy diktierte Bundy eine Liste von aussenpolitischen Beratern, mit welchen er über eine angemes-sene amerikanische Antwort auf die sowjetische Raketenstationierung diskutieren wollte. Danach wandte er sich seinen vorgegebenen Aufgaben zu, während Bundy

392 Elie Abel, The Missile Crisis (Philadelphia: Lillincott, 1966), 20; Roger Hilsman, To Move a Nation: The Politics of Foreign Policy in the Administration of John F. Kennedy (New York:

Doubleday, 1967), 180.

393 Hugh Sidey, John F. Kennedy: President (New York, Atheneum, 1963), 326f.

394 Memorandum MB an JFK, 4.3.63, FRUS 11, No. 16. Bundy erwähnte dazu: „If I had called him one of two results would have followed: Either he would have had a terrible night alone with the news, or he would have stirred up his administration by telephone calls and meetings that could easily have led to leaks. It seemed to me better to wait twelve hours and protect both his sleep and the secret.“ Bundy, Danger and Survival, 396.

diskret die vom Präsidenten gewünschten Berater kontaktierte und auf 11:45 Uhr ins Weisse Haus berief.395

In den ersten beiden geheimen Sitzungen der aussenpolitischen Berater -aussagekräftig

„Elite“ genannt- am Mittag und Abend des 16. Oktober 1962 kreiste die Diskussion vor allem um militärtechnische Details. Ein breiter Konsens favorisierte einen Luftan-griff gegen die sowjetischen Raketenstellungen auf Kuba.396 Ein diplomatisches Vorgehen befürworteten nur Charles Bohlen und UNO-Botschafter Adlai Stevenson.

Bundy hingegen warnte nach Rusks Präsentation von diplomatischen Optionen gleich zu Beginn der Sitzung vor den negativen Konsequenzen bündnisinterner Konsultation:

The difficulties of organizing the OAS and NATO. The amount of noise we would get from our allies saying that they can live with Soviet MRBMs, why can’t we? The division in the alliance. The certainty that the Germans would feel that we were jeopardizing Berlin be-cause of our concern over Cuba. The prospect of that pattern is not an appetizing one.397

Kennedy war gleicher Meinung, und damit war die Diskussion, ob man mit rein diplomatischen Mitteln reagieren sollte, bereits beendet. Als korrekter Protokollführer vergewisserte sich Bundy am Schluss der ersten Sitzung, ob Kennedy diplomatische Optionen wirklich explizit auszuschliessen gedachte:

You want to be clear, Mr. President, whether we have definitely decided against a political track. I, myself, think we ought to work out a contingency on that.398

Kennedy hielt eine Absprache mit der OAS für unablässig, wollte allerdings auf Konsultationen innerhalb der NATO verzichten.

Bundy überraschte die Berater immer wieder mit originären Fragen, welche den Gang der Diskussion abrupt änderten und auf ein neues Thema brachten. Beispielsweise fragte er in der abendlichen Sitzung plötzlich scheinbar zusammenhangslos nach den Auswirkungen der entdeckten Raketen auf das strategische Gleichgewicht zwischen den USA und der UdSSR:

Bundy: „But the question that I would like to ask is, quite aside from what we’ve said, and we’re very hard-locked on to it, I know: What is the strategic impact on the position of the United States of MRBMs in Cuba? How gravely does this change the strategic balance?“

McNamara: „Mac, I asked the chiefs that this afternoon, in effect. And they said: Substan-tially. My own personal view is: Not at all.“

Bundy: „Not so much.“399

395 Abel, Missile Crisis, 44; Bundy, Danger and Survival, 414, 686.

396 Mark J. White, „Belligerent Beginnings: JFK on the Opening Day of the Cuban Missile Crisis“, Journal of Strategic Studies 15, No. 1 (March 1992): 30-49.

397 Transkript, 16.10.62, 11:50 Uhr, Kabinettraum, in JFK Tapes, 62.

398 Ibid., 72.

Maxwell Taylor, seit Anfang Oktober 1962 Vorsitzender der JCS, fand hingegen, die Präsenz der Kubaraketen verändere das strategische Gleichgewicht substantiell.

Kennedy bestätigte die Meinung McNamaras und Bundys, wonach der psychologische Effekt der Raketenstationierung grösser sei als der militärische: „It makes them look like they’re co-equal with us.“400 Bundy bestätigte später, in der Kubakrise sei es vor allem um amerikanische Selbstperzeptionen und um die Angst gegangen, schwach zu erscheinen. Aus diesem Grund sei der Konsens der Kennedy-Administration darüber entstanden, dass die Raketen auf Kuba beseitigt werden müssten, obwohl sie das strategische Gleichgewicht nicht stark veränderten.401

In den 80er Jahren haben sich Bundy und McNamara stark gegen die strategische Aufrüstung der Reagan-Administration engagiert. In Konferenzen über die Kubakrise und ichre Lektionen betonten sie die Gefahren eines Nuklearkrieges während der Kubakrise sowie die Irrelevanz der damaligen amerikanischen strategischen Überle-genheit.402 Diese Haltung der gereiften Repräsentanten der Kennedy-Regierung entsprach aber keineswegs ihren Überlegungen während der Kubakrise. Die nuklear-strategische Parität zwischen den USA und der UdSSR, also die gegenseitige Abschre-ckung eines nuklearen Erstschlages durch beidseitig ausgebaute Zweitschlagsfähigkei-ten, war im Oktober 1962 aufgrund der krassen amerikanischen Überlegenheit nur theoretisch vorhanden. Aus diesem Grund unterstützte Bundy am 16. Oktober 1962 die

„Bomb-First-Talk-Later“-Position403 ohne allzu grosse Angst vor einer sowjetischen Vergeltungsaktion. Er setzte sich allerdings dafür ein, zwischen einem limitierten Luftangriff ausschliesslich gegen die offensiven Raketenstellungen und einem allge-meinen Luftkrieg gegen Kuba, wie dies die Militärs forderten, zu unterscheiden.

Bundy begründete seine Position wie folgt:

There’s an enormous premium on having a small, as small and clear-cut, an action as possi-ble, against the hazard of going after all the operational airfields becoming a kind of gen-eral war. [...] The political advantages are very strong, it seems to me, of the small strike. It corresponds to ‘the punishment fits the crime’ in political terms. We are doing only what

399 Transkript, 16.10.62, 18:30 Uhr, Kabinettraum, JFK Tapes, 89.

400 Chang/Kornbluh, Cuban Missile Crisis, 102f. Vgl. Nitze, From Hiroshima to Glasnot, 220-227.

401 Bundy, Danger and Survival, 452.

402 David Talbot, „And Now They Are Doves: Can the Men Who Brought Us Vietnam Bring Us Back From the Nuclear Brink?“, Mother Jones 9, No. 4 (May 1984): 26-33, 47-52, 60. Mark Kramer,

„Remembering the Cuban Missile Crisis: Should We Sallow Oral History?“, International Secu-rity 15, No. 1 (Summer 1990): 213. Vgl. dazu die Replik von James G. Blight, Bruce J. Allyn and David A. Welch, „Kramer vs. Kramer: Or How Can You Have Revisionism in the Absence of Orthodoxy?“, CWIHP Bulletin 3 (Fall 1993): 41, 47-51.

403 Ronald Steel, „Endgame“, New York Review of Books (13.3.1969), 16.

we warned repeatedly and publicly we would have to do. We are not generalizing the at-tack.404

McNamara brachte kurz vor Ende der abendlichen Sitzung eine zusätzliche Option in die Diskussion ein, die wie Bundys Vorschlag als Kompromiss zwischen Diplomatie und Luftkrieg zu verstehen war: Eine Blockade Kubas, gekoppelt mit einem Ultima-tum an Chruschtschow. McNamara begründete seine Idee wie folgt:

I don’t think there is a military problem here. [...] This is a domestic political problem. [...]

We said we’d act.405

Bundy wiederholte diese These in Danger and Survival und erklärte den Handlungsbe-darf Kennedys nach der Entdeckung der Kubaraketen wie folgt:

If they must come out [...], it is because we found them politically intolerable, and not be-cause we must somehow remove a usable Soviet asset.406

Am Abend des ersten Tages der Kubakrise wurde folgendes deutlich: Erstens hielten McNamara und Bundy die sowjetischen Raketen in Kuba für ein hauptsächlich innenpolitisches Problem, weil Kennedy in seinen beiden Presseerklärungen an die UdSSR davor gewarnt hatte, die USA würden offensive Waffen auf Kuba nicht dulden.

Weil nun dieser unerwartete Fall tatsächlich eingetreten war, mussten die USA militärisch handeln, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. Zweitens gab es unter den Beratern grundsätzlich drei unterschiedliche Szenarien: Bohlens diplomatisches Vorgehen, einen Luftangriff (wobei Bundys Vorschlag eines limitierten Luftangriffs mit dem generellen Luftangriffskonzept der JCS kontrastierte) oder McNamaras

„Blockade plus Ultimatum“-Vorschlag. Drittens schien Kennedys spontane Präferenz einem Luftangriff zu gehören.

Im Dokument Kennedys rechte Hand (Seite 137-141)