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Zur Interviewtechnik

4.5 Das eigene Zimmer aus der Sicht von Heranwachsenden in der

5.1.2 Zur Interviewtechnik

Meinem aktuellen Einblick in die Bedeutung des Kinderzimmers liegen vier-zehn Interviews zugrunde, die im Zeitraum von 1997 bis 2001 zun¨achst mit Abiturientinnen und Abiturienten, sp¨ater mit Zivildienstleistenden, Berufs-einsteigern und Studentinnen und Studenten gef¨uhrt wurden. Der lange Zeit-raum zwischen den einzelnen Interviews ist auf Unterbrechungszeiten durch Abitur, Auslandsaufenthalte und Ortswechsel zur¨uckzuf¨uhren.

Zum ¨außeren Rahmen – dem Interviewort – ist anzumerken, daß die In-terviews bis auf wenige Ausnahmen im Zimmer meines Sohns stattfanden.

Den Raum habe ich unter zwei Gesichtspunkten ausgew¨ahlt: einerseits weil der untere Raum Einblicke in die Wohnumgebung eines ¨alteren Schulkindes gew¨ahrte, andererseits weil die dar¨uberliegende Empore einen Blick auf Re-likte einer fr¨uheren Spielwelt gew¨ahrte. Die meiner Vorgehensweise zugrunde liegende ¨Uberlegung war, das Erinnerungsverm¨ogen meiner Interviewpart-ner durch eine anregende Umgebung zu stimulieren, um den Befragten den Zugang zu einem eher ungewohnten Gespr¨achsthema zu erleichtern.

Die von mir gew¨ahlte Erhebungsmethode bestand aus Interview und Grund-rißzeichnung. Sie ist eine Kombination aus offenem Interview mit einer in geringen Maßen strukturierten Frageordnung. Diese Form der Befragung l¨aßt sich vergr¨obert zur Gruppe der Intensivinterviews rechnen.

”Ziel eines Inten-sivinterviews im Rahmen soziologisch orientierten Forschung ist, genauere Informationen vom Befragten mit besonderer Ber¨ucksichtigung seiner Per-spektive, Sprache und Bed¨urfnisse zu erlangen. [. . . ] Das Interview wird nur anhand eines grob strukturierten Schemas gef¨uhrt (Leitfaden). Der Inter-viewer geht st¨arker auf den Befragten ein“365. Zu dieser Gruppe z¨ahlt auch das hier verwendete fokussierte Interview366, welches auch unter dem Namen themenzentriertes bzw. problemzentriertes Interview bekannt ist und damit zu den qualitativen Forschungsverfahren geh¨ort.

”Das Interview l¨aßt den Be-fragten m¨oglichst frei zu Wort kommen, um einem offenen Gespr¨ach nahezu-kommen. Es ist aber zentriert auf eine bestimmte Problemstellung, die der Interviewer einf¨uhrt, auf die er immer wieder zur¨uckkommt. Die Problem-stellung wurde vom Interviewer bereits vorher analysiert; er hat bestimmte Aspekte erarbeitet, die in einem Interviewleitfaden zusammengestellt sind und im Gespr¨achsverlauf von ihm angesprochen werden“367. Der Interviewer kann auf zwei unterschiedliche Arten versuchen, die Befragten zu Kommenta-ren zu veranlassen:

”Er bittet um Beschreibungen dessen, was die Befragten in einer Stimulussituation beobachtet haben oder er bittet sie, dar¨uber zu berichten, was sie bei dem Inhalt empfanden“368.

Ergebnisse dieser unterschiedlichen Methoden sind entweder objektive, je-doch selektive Berichte oder eine Fokussierung auf Gef¨uhle, wenn Interview-er Fragen wie folgende formuliInterview-eren:

”Was empfanden Sie als . . . ?“ oder

”An was erinnern Sie sich im Zusammenhang mit . . . ?“369 Des weiteren k¨onnen Techniken der Gespr¨achsf¨uhrung, wie sie in Beratungsgespr¨achen ¨ublich sind, verwendet werden. Merton und Kendall empfehlen die Wiederholung impli-zierter oder ge¨außerter Gef¨uhle.

”Diese von Carl Rogers entwickelte psycho-therapeutische Gespr¨achstechnik hat eine zweifache Funktion. Indem der In-terviewer emotionalisierte Einstellungen nochmals formuliert, gibt er implizit

365Friedrichs 1973, S. 224

366s. Merton/Kendall 1955

367Mayring 1993, S. 46

368Merton/Kendall 1979, S. 199

369Merton, Kendall 1979, S. 199

zu verstehen, daß der Informant fortfahren soll, seine Gef¨uhle zu ¨außern. An-dererseits haben solche Reformulierungen auch einen g¨unstigen Einfluß auf die Interviewatmosph¨are, weil der Interviewer zu erkennen gibt, daß er den Befragten voll versteht und ihm folgt370. Da die Voraussetzungen f¨ur diese Form der Befragung gegeben waren und Nachteile durch eine ausrei-chende qualitative Absicherung der Untersuchung korrigiert werden k¨onnen, erschien mir diese Vorgehensweise am geeignetsten. Im einzelnen bedeutet dies:

1. Subjektorientierung, die die Ber¨ucksichtigung der Ganzheit des Sub-jekts, seiner Historizit¨at und seiner konkreten Probleme zur Folge hat und eng mit einer st¨arker kindorientierten Perspektive zusammenh¨angt.

2. Genaue Deskription des Forschungsgegenstandes und Offenheit f¨ur Un-erwartetes durch Erg¨anzung oder Revision des Forschungsprozesses;

durch einzelne Beispiele wird die Ad¨aquatheit von Verfahrensweisen und Ergebnisinterpretation ¨uberpr¨uft.

3. Beim Erschließen des Untersuchungsgegenstandes durch Interpretation muß das Vorverst¨andnis des einzelnen Forschers oder der Forscherin offengelegt werden.

4. Die einzelnen Verfahrensschritte m¨ussen methodisch kontrolliert und

¨uberpr¨ufbar sein.

Neben der Entwicklung eines Interviewleitfadens habe ich mich besonders mit der Frage auseinandergesetzt, wie man Heranwachsende motiviert, ¨uber ein Thema zu reden, das einen Lebensbereich betrifft, der nicht zum ¨ublichen Erz¨ahlrepertoire im Alltagslebens geh¨ort. Als nat¨urliche Konsequenz einer ph¨anomenologisch orientierten Untersuchungsphilosophie,

”n¨amlich das Sub-jekt, seine Bedeutungen, seine Lebenswelt, sind f¨ur jedes Verstehen fundie-rend“371, beschreiben T. Beekman und V. Polakow die untersuchungsleitende Grundeinstellung der neuen Utrechter Schule. Deshalb gilt mein besonderes Interesse der personalen Bedeutung von Raumerfahrungen Heranwachsender und speziell den eigenen selbstentworfenen Deutungen meiner Interviewpart-ner. Es ging mir in erster Linie darum, ein vertrauensvolles

Interviewkli-370Rogers 1945 gem¨aß Merton/Kendall 1979, S. 200

371Beekmann/Polakow in: Danner/Lippitz 1984, S. 73

ma herzustellen, um in die subjektive Welt der Befragten mitgenommen zu werden, was sich dann f¨ur mich ersichtlich in ihrer Erz¨ahlfreude und ihrem Interesse daran, ernst genommen zu werden, ¨außerte. Das bedeutete, daß sie selbst bestimmen konnten, wor¨uber gesprochen und was gezeigt werden sollte.

”So lassen wir uns von derSacheher f¨uhren und sehen, welche The-men sich in unserer Analyse melden“372, an dieser von Beekman und Polakow bereits erprobten Vorgehensweise habe ich mich in der Erhebungs- und Aus-wertungsphase orientiert. Mein Leitfaden besteht des weiteren aus Fragen, die das Erinnerungsverm¨ogen aktivieren sollten, also Techniken beinhalten wie Brainstorming, Ansprechen markanter Erlebnisse und Unterschiede, die den Spielraum der Befragten weder einengten noch so unstrukturiert ließen, daß sie sich ¨uberfordert f¨uhlen konnten. Der Spielraum meiner Interviewpart-ner sollte sowohl gr¨oßere Erz¨ahleinheiten umfassen, als auch Hilfestellungen meinerseits bei geringer Aktivierung des Erinnerungsverm¨ogens erm¨oglichen.

Aus diesem Grund habe ich drei Fragen formuliert, die ich in jedem Inter-view gestellt habe – eine Eingangsfrage und zwei weitere Fragen- - die in der Reihenfolge allerdings variabel waren:

1. Wenn Du an Dein Kinderzimmer denkst, was f¨allt Dir da ganz spontan ein?

2. Was empfindest Du, wenn Du morgens in einem anderen Raum als Deinem Zimmer aufwachst?

3. Kannst Du Dich an besondere Situationen in Deinem Zimmer erinnern, in denen Du Dich zum Beispiel besonders wohl oder unwohl gef¨uhlt hast?

Durch die hier formulierten Leitfragen werden die Befragten angeregt, pers¨ on-liche Sichtweisen und Stellungnahmen darzulegen. Es geht nicht um falsche oder richtige, erlaubte oder nicht erlaubte Meinungen, sondern darum ihre individuelle Erinnerungen zum Thema zu aktivieren. Weitere Fragen wurden individuell je nach Situation oder Notwendigkeit gestellt, d.h. wenn jemand sich sehr gut erinnerte und viel zu erz¨ahlen hatte, habe ich mich auf kurze Ermunterungen wie

”Hmm“ oder

”Ja“ beschr¨ankt. In anderen F¨allen, wo jemand sehr schnell mit seinem Statement zu einem Ende kam, habe ich

372Beekman/Polakow 1984, S. 73

dann Nachfragen bzw. weitere Fragen gestellt. In einigen F¨allen wurde von den Interviewpartnern allerdings eine Befragung gew¨unscht.

Jeweils zwei Vorgespr¨ache habe ich im allgemeinen zur Vorbereitung gef¨uhrt.

Zur Nachbefragung bzw. zur Befragung wurde ein Punktekatalog vorbereitet, der die Bereiche Zimmerlage, Zimmereinrichtung, Spielzeug, Farbe, Aussicht, Wanddekoration, Technik und Computer umfaßte. Fragen zu diesen Themen-bereichen und f¨ur die Erhaltung des Gespr¨achsfadens bedeutsame Fragen wurde dann je nach Interviewverlauf als spontane Fragen w¨ahrend des Inter-views formuliert. In den ersten drei InterInter-views habe ich eine zus¨atzliche vierte Frage zur Aktivierung des Erinnerungsverm¨ogens und der Sensibilisierung f¨ur ein r¨aumliches Thema gestellt, in den darauffolgenden Interviews aber durch die Aufforderung, eine grobe Grundrißzeichnung anzufertigen, ersetzt. Diese Zeichnungen wurden lediglich in Einzelf¨allen zur Kl¨arung von offenen Fra-gen herangezoFra-gen. Eine gesonderte Auswertung erschien mir nicht sinnvoll, da mehrere Befragte sehr vage Grundrisse erstellten und sich nicht mehr deutlich an einzelne Gegenstandspositionen in der fr¨uhen Kindheitsphase er-innern konnten. H¨aufiges Umstellen von M¨obeln und Umr¨aumen insgesamt erschwerte vielen eine eindeutige Festlegung. Die Grundrisse m¨ussen in den meisten F¨allen als Ann¨aherungen an die fr¨uheren Zimmerverh¨altnisse ein-gesch¨atzt werden. In zwei F¨allen erinnerten sich die Befragten sehr gut an st¨andige Umr¨aumaktionen, sahen sich aber nicht in der Lage, spontan ei-ne Grundrißzeichnung zu erstellen. Eiei-ne dritte Option, der der Lippitzschen Untersuchung ¨uber kindliche R¨aume entlehnte Vorschlag, Heranwachsende ihre eigenen R¨aume fotografieren zu lassen, konnte nicht umgesetzt werden, da eine Reihe von Zimmern bereits bei den ersten Interviewterminen in der beschriebenen Form nicht mehr bestanden.

Schließlich wurden die Interviews im Einverst¨andnis mit den Interviewten auf Kassettenrecorder aufgezeichnet, eine Kassettenaufnahme angefertigt und sp¨ater transkribiert. (s. Anhang)