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Die Verbreitung des Kinderzimmers in allen gesellschaftlichen

Im Zuge der

”p¨adagogischen Kampagne“216 und der Aufkl¨arung bildete sich im 18. Jahrhundert neben der Kinderstube als Pflege- und sicherer Aufbewah-rungsort von Kleinkindern und S¨auglingen217 im Ansatz das eigene Zimmer heraus – zun¨achst in der Gestalt der Informatoren- und Studierstube oder des traulichen St¨ubchens. Wie die Abbildungen 13 und 14 zeigen, waren die Frauen des Haushalts in der Kinderstube haupts¨achlich mit h¨auslichen Ver-richtungen besch¨aftigt. Erstmals wurde nun ein von der Erwachsenenwelt abgesonderter kindlicher Eigenbereich geschaffen und erste Grundtypen an

212Arnold 1914, S. 61, B¨ucher 1919, S. 30/31, Carossa S. 109 ff., Haagen S. 64, Paulsen 1909 S. 18

213vgl. Lange S. 39, B¨aumer S. 49

214vgl. Hippel 1975, S. 88/89

215aumer S. 47, B¨ucher S. 31/32

216Schlumbohm 1983, S. 14

217Abb. 11 u. 12

Kinderm¨obeln, z.B. der Kinderhochstuhl, wurden gepr¨agt218. Im 19. Jahr-hundert ging besonders vom Biedermeier ein starker Einfluß auf die Ausge-staltung der Kinderstube aus. Das in den Bildern von Voltz eingefangene Milieu der Kinderstube hat lange Zeit als Leitbild fungiert. Der Erwachsene tritt wie bereits in Wolkes Denklernzimmer angedeutet in den Hintergrund, Spielzeug, Lesestoff und Bastelprogramme treten in den Vordergrund. Bis 1950 blieb das Kinderzimmer allerdings ein Raum, der selten in deutschen Wohnungen vorhanden war, wie zeitgen¨ossische Quellen belegen.

Um die Jahrhundertwende wurde die biedermeierliche Kinderstube durch das Neubiedermeier als p¨adagogischer Raum von Fachzeitschriften und Architek-ten wieder aufgegriffen. Die Betonung des wohnlichen Charakters durch Ein-fachheit, Schlichtheit und Gem¨utlichkeit pr¨agte nun wieder das Gesamtbild.

Architektonische Studien und Abhandlungen zeigen, daß das Kinderzimmer zu dieser Zeit lediglich im Villenbau realisiert wurde. In ihren 1908 und 1909 herausgegebenen beiden B¨anden

”Die Wohnung der Neuzeit“ und

”Das Ein-zelwohnhaus der Neuzeit“ beschreiben und bilden Haenel und Tscharman schlichte sachliche Entw¨urfe und Beispiele ab (Abb. 22), die einen gesonder-ten kindlichen Wohnbereich aus separatem Schlaf- und Spielraum (Abb. 23/

24) zeigen219. Die Zeitschrift

”Hohe Warte“ weist darauf hin, daß

”in be-zug auf Bauen und Wohnen Biedermann [. . . ] zur Sachlichkeit“220 erzieht, eine Sachlichkeit, die ebenso organisch wie anheimelnd sein kann (Abb. 25).

H. Ottomeyer zeigt in seinem Ausstellungskatalog

”Jugendstilm¨obel“ ¨ ahnli-che Kinderzimmerausschnitte und M¨obel221. Architekten wie J.L.M. Lauwe-rik222statteten Villen zunehmend mit Kinderzimmern aus. (Abb. 26)

”Dieser anspruchsvolle Wohnstil, ganz auf der Ebene der Kommerzienr¨ate angesie-delt, die sich die Sch¨onheit der Linie leisten konnten, findet keinen Nieder-schlag in der Gestaltung von Kinderzimmern“223, kritisiert Ottomeyer diese Raumbeispiele. Erst Ver¨offentlichungen ¨uber den sozialen Wohnungsbau f¨ur Familien aus unteren sozialen Schichten beispielsweise der Stadt Wien (1956) enthalten Wohnungstypen, die mit Kinderschlafr¨aumen ausgestattet sind.

218vgl. Ottomeyer 1987, S. 185

219vgl. Haenel/Tscharmann 1909, S. 157/159

220Lux 1904, S. 145

221Ottomeyer 1988, S. 122 Abb. 22, S. 103 Abb. 23

222Breuer 1987, S. 100

223Ottomeyer 1987, S. 190

Grundtypen um 1926 sind noch vollkommen undifferenziert, Wohnungstypen aus der 2. Periode dagegen mit einem kindlichen Wohnbereich versehen224.

”An der L¨osung dieser Unterbringungs- und Einrichtungsfragen, welche die Knappheitsarchitektur aufwirft, hat man seit den zwanziger Jahren, die nur f¨ur wenigegoldenwaren, gearbeitet und neue Dispositionen und M¨ obelty-pen gefunden. Um zwei oder drei Kinder in einem Raum unterzubringen, ließ man sich Raumteiler, Vorh¨ange, Schrankw¨ande und Trennw¨ande einfallen.

Um zwei Betten zu kombinieren, entsteht das Kinderetagenbett, das Klapp-bett und in genialer Kumulation das DoppelstockklappKlapp-bett. Dazu kommen Schrank, Tisch und Stuhl zur Erledigung der stetig ansteigenden Schular-beiten. Kleine Kinderm¨obel verschwinden: Zwergenm¨obel sind ein Luxus, wenn nicht mit st¨andigem ’Nachschub’ gerechnet wird225“, faßt Ottomey-er226 die charakteristischen Entwicklungsschritte des Kinderzimmers in der ersten H¨alfte des 20. Jahrhunderts zusammen. Die Inneneinrichtung der auf zehn Quadratmeter von der amtlichen Wohnbauf¨orderung festgeschriebenen Mindestgr¨oße des Kinderzimmers wird zur wahren Kunst. Das vielgelesene und aufgelegte Buch des M¨unchner Architekten Harber (1931) enth¨alt Mu-sterbeispiele, die zwischen spartanischer Einfachheit und n¨uchterner Sach-lichkeit angesiedelt sind. Mit H. Stolper spricht ein weiterer Autor einer Ein-richtungsfibel (1954) davon, daß

”die Entwicklung unserer Zivilisation“ es mit sich gebracht habe,

”daß wir immer enger zusammenr¨ucken und daß der Bereich der freien Entscheidung, in dem sich Pers¨onlichkeit auszuwirken mag, immer mehr beschr¨ankt wird“227 und erhebt die Kleinwohnung zum Schick-sal, das hingenommen werden muß. Sein Vorschlag, das gr¨oßere Elternschlaf-zimmer gegen das kleinere KinderElternschlaf-zimmer auszutauschen, wird noch heute in Mietwohnungen praktiziert, merkt Ottomeyer an. Daneben gibt es eine Min-derheit von besser gestellten Eltern, die ihren Kindern im Einfamilienhaus ein großz¨ugigeres Zimmer einrichten k¨onnen.

Doch die spartanischen aufs notwendigste reduzierten M¨obelprogramme stie-ßen bald auf Kritik, deshalb entwickelten in den f¨unfziger Jahren die Archi-tekten Breuer, Ditzel und Gugelot verschiedene Spielm¨obelprogramme aus kombinierbaren K¨asten. Das Kinderzimmer sollte nun insgesamt zum

Spiel-224Der soziale Wohnungsbau der Stadt Wien 1956, S. 55, S. 98/99

225vgl. Harbers 1931

226Ottomeyer 1987, S. 191

227Stolper 1954, S. 11

feld werden und

”M¨obel zu Elementen in Bauspielsystemen. Daß dies Archi-tektenphantasien vom Kindsein sind, wird recht deutlich – jedes Kind ist sei-nes Gl¨uckes Baumeister“228, faßt Ottomeyer diese Entwicklung zusammen.

Denn so puristisch, kubisch und pflegeleicht, bis auf den kleinsten Winkel genutzt wie in aktuellen Wohnprogrammen blieben Kinderzimmer nicht be-stehen.

”In Wirklichkeit quellen sie ¨uber von

”Großphotos, Bildern, Tier-und Menschenfiguren,lustigemOrnament, Plastikspielzeug in einer F¨ulle, die Raum und M¨obel nicht sinnvoll zu ordnen verm¨ogen“229, kommentiert Ottomeyer die aktuelle Entwicklung. Er beschreibt das Kinderzimmer als qualitativ getreues Abbild des konfektionierten Elternzimmers. Hier wie dort sind rationale Rahmenformen, Gem¨utskitsch und Bildgehalt mit technischem Ger¨at durchsetzt und bilden so

”das Konglomeratgeschiebe heutiger Zivili-sation“230.

Der eigene Wohnbereich, der teilweise aus separatem Kinderschlafraum und -spielzimmer bestand, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Kindern aus wohl-habenden Gesellschaftsschichten vorbehalten. Kinder aus unteren gesellschaft-lichen Schichten verf¨ugten, wenn ¨uberhaupt, nur ¨uber eine Spielecke, viele Fa-milien litten infolge des starken Bev¨olkerungswachstums und der Verst¨ adte-rung unter Raumnot. In den ein oder zwei Zimmerwohnungen kinderrei-cher Familien ließen sich nicht einmal kleinste Spielecken realisieren, viel-mehr galt ein eigenes Bett hier als Privileg. Bauernkindern

”erkannte die agrarische Gesellschaft [. . . ] keinen eigenen Kinderstatus zu“231.

”Kurzum:

das Bauernkind mußte auf die Kinderstube verzichten, nicht weil kein Platz im Bauernhaus gewesen w¨are, sondern weil sie in das geistige Gef¨uge des Dorfes nicht hineinpaßt“232. ¨Ubereinstimmend setzen Studien zur Geschich-te des Kinderzimmers den Zeitpunkt der Verbreitung des Kinderzimmers in allen Gesellschaftsschichten in der zweiten H¨alfte des zwanzigsten Jahrhun-derts an.

”Nach dem zweiten Weltkrieg mit dem endg¨ultigen Verschwinden einer ausgepr¨agten Klassengesellschaft, demokratisierten sich auch die Wohn-verh¨altnisse, und das Kinderzimmer blieb nun nicht mehr das Vorrecht

ei-228Ottomeyer 1987 , S. 193

229Ottomeyer 1987, S. 193

230Ottomeyer 1987, S. 193

231Weber-Kellermann 1991, S. 118

232Weber-Kellermann 1991, S. 120

ner besitzb¨urgerlichen Oberschicht“233, stellt Weber-Kellermann fest. Diese Angaben erg¨anzt A. Renonciat in ihrem franz¨osisch-englisch-deutschen Ver-gleich.

”Aber durch die Wohnungsnot, die in Europa herrschte, reduzierte sich die Anzahl der Zimmer in den Wohnungen und auch ihre Ausmaße. In der Stadt gew¨ahrt man dem Kind Raum nach Quadratmetern: . . . 2.50 m auf 3.50 m sind ausreichend, um ein Kindermobiliar unterzubringen“, best¨atigt

<L’Illustation>. In England reduziert sich das luxuri¨ose nursery auf einen mi-nimalen Raum. In Deutschland verschwindet das Kinderzimmer sogar: Die Kinder schlafen in Nischen und haben Eckenzum Spielen. Man mußte also die Standardbauten der Nachkriegszeit abwarten, bis das Kinderzimmer eine Realit¨at f¨ur die Kinder in Westeuropa wurde“234. Obwohl das Kinder-zimmer nun obligatorisch wird, traten neue Probleme auf. Hauptproblem im Nachkriegsjahrzehnt ist nach der vorangegangenen Raumknappheit nun das Kinderzimmer in zu kleinem Maßstab. Abhilfe schaffen heutzutage unter-einander geschobene Betten und Doppelstockbetten, so daß mehr Spielraum entsteht. Kinderzimmer werden von M¨obeldesignern

”als Spiel- und Phanta-siewelten entworfen mit vielen Variationsm¨oglichkeiten“235.

Der Anspruch des Kindes auf einen eigenen Wohnbereich sowie seine sich von denen des Erwachsenen unterscheidenden Wohnbed¨urfnisse werden erst relativ sp¨at im Normgeber (Din 18011) verankert, stellt U. Kanacher fest.

”Die Kinderzimmer sollen vielseitig m¨oblier- und nutzbar sein, um den sich wandelnden Interessen und Aufgaben der Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden. Kinderzimmer sollen deshalb so bemessen sein, daß sie nicht lediglich Schlafzimmer, sondern zugleich Aufenthaltsraum, Spiel- und Arbeitszimmer sind. Dazu m¨ussen Stellfl¨achen f¨ur Betten, Kleider-, W¨ascheschrank und Ar-beitsplatz als auch ausreichende Bewegungsfl¨achen vorgesehen werden. (DIN 18011)“236 Der vom Bundesminister f¨ur Familie, Jugend und Gesundheit in-itiierte Beirat (1975) hebt die Bedeutung einer kindgerechten Wohnungsge-staltung hervor und fordert ein kindliches ’Eigenterritorium’,

”das vor dem Zugriff anderer gesichert und von den Eltern respektiert werden sollte“237. Die Autorin weist darauf hin, daß die Diskussion der 70er Jahre um

kinder-233Weber-Kellermann 1991, S. 121

234Renonciat 1994, S. 160

235Weber-Kellermann 1991, S. 124

236Kanacher 1987, S. 235

237Kanacher 1987, S. 236

freundliche Wohnbedingungen dar¨uber hinaus zu einem Forderungskatalog f¨ur den Entwurf von kindgerechten Wohngrundrissen f¨uhrte und nennt in diesem Zusammenhang die Studien von Weeber/Herlyn, Pieperek, Rugh¨oft sowie Dessai238.

An dieser Stelle soll auch auf die bereits 1968 erschienene Untersuchung von G. Meyer-Ehlers

”Wohnung und Familie“ im Auftrag des Bundesministers f¨ur Wohnungswesen und St¨adtebau hingewiesen werden, die von Kanacher nicht erw¨ahnt wird. Diese Studie erforscht u.a. Raumgr¨oße und -nutzung, indem sie ausdr¨ucklich die Perspektive der Befragten einbezieht. Vielf¨altig genutzte R¨aume wie das Kinderzimmer sind viel zu klein im Vergleich zum wenig genutzten Elternschlafzimmer, ist ein Ergebnis ihrer Studie. Kanach-ers Studie der Grundrisse von Kinderzimmern in den letzten 150 Jahren zeigt durchg¨angig, daß

”sich Kinder mit dem kleinsten Zimmer begn¨ugen m¨ussen“239. Sie bem¨angelt vor allem die Enge der Kinderzimmer, denn bei wachsender Grundfl¨ache der Wohnung wird der Anteil des Kinderzimmers immer kleiner. Außerdem betont sie die Bedeutung des Kinderzimmers als Rahmenbedingung f¨ur die psychische und kognitive Entwicklung, insbeson-dere bei der Herausbildung einer stabilen Identit¨at. Zu den Folgen mangel-hafter Wohnverh¨altnisse rechnet sie die Retardierung der psychischen und motorischen Entwicklung, die F¨orderung von passiv-konsumptiven Verhal-tensweisen und Hemmungen in der Intelligenzentwicklung, die in einigen empirischen Untersuchungen u.a. von Baumann und Zinn240 nachgewiesen wurden. Kanacher kommt zu dem Schluß, daß Beeintr¨achtigungen nicht das alleinige Ergebnis von Wohnverh¨altnissen sein k¨onnen, sondern diese lediglich Verst¨arkerfunktion f¨ur Konflikte haben, die zwischen Familienmitgliedern im Wohnbereich immer wieder auftauchen. Sie bem¨angelt

”eine große L¨ucke [. . . ] zwischen dem anerkannten Anspruch auf einen ungest¨orten und unkontrol-lierten Induvidualbereich [. . . ] und der Realit¨at eines Kinderk¨afigs in der Wohlstandswohnung“241.

In ihrer Studie

”Kinderspiel im Wohnbereich: Ein vorprogrammierter Kon-flikt“ (1980) geht B. Pieper vom

”Prinzip der Absonderung der Kinder in

238Dessai 1986

239Kanacher 1987, S. 236

240vgl. Baumann/Zinn 1977, 1973 Zinn 1981

241Kanacher 1987, S. 234

Schonr¨aume242 aus, zu denen sie auch das Kinderzimmer z¨ahlt.

” Wi-derspr¨uchlich genug“, f¨ahrt sie fort,

”erweisen sich Schonr¨aume nicht nur als Fiktion sondern obendrein auch als Bumerang: Die Parzellierung von Lebenswirklichkeit in Wohnen und Arbeiten; in die Welt der Kinder und die der Erwachsenen; Werthaltungen wie erst die Arbeit – dann das Spiel; die Zeit- und Kosten¨okonomie unserer Lebensweise beinhalten Wider-spr¨uchlichkeiten, Unvereinbarkeiten und Gegens¨atze, die individuell d.h. von den Personen allt¨aglich und in ihrem Lebenszusammenhang verkraftet und ausbalanciert werden m¨ussen“243. Praxisschock und mutwillige Zerst¨orung k¨onnen die Folge sein. Auch die Wohnforscherin A. Flade weist in ihren 1994 ver¨offentlichten Aufsatz

”Das Kinderzimmer – ein Zimmer im Wandel“ auf die Folgen entwicklungsf¨ordernder und entwicklungshemmender Umweltein-fl¨usse wie der gebauten Umwelt hin. In ihrem Aufsatz geht es ausschließlich, wie sie bemerkt, um das Thema

”entwicklungsf¨ordernde Wohnungen“244; sie untersucht

”Minimal“-Kinderzimmer im Hinblick auf dieses Merkmal. Zim-mer m¨ussen der Ver¨anderung des Kindes vom S¨augling bis zum jungen Er-wachsenen Rechnung tragen, fordert die Autorin. Das Konzept der Lebens-aufgaben dient ihr als Vorlage f¨ur ihre Konzeption eines entwicklungsf¨ ordern-den Kinderzimmers245, in dem sie f¨ur jede Altersphase spezielle Anforderun-gen geltend macht: vom abgeschirmten Spiel- und Schlafbereich des S¨ aug-lings bis zum multifunktionalen Individualbereich des Schulkindes. ¨Außerst interessant ist ihr Fazit:

”Zweifelsohne ist also ein Kinderzimmer heute l¨angst nicht mehr nur ein Kinderzimmer im engeren Sinne, d.h. ein Zimmer f¨ur klei-nere Kinder“246. Dies ist sicherlich ein gravierender Aspekt, der den Wandel, den dieses Zimmer in den letzten f¨unfzig Jahren erfahren hat, verdeutlicht. In der gleichen Studie gibt Ch. Burghardt praktische Hinweise zu einer bed¨ urf-nisgerechten Gestaltung von Kinderzimmern von der optimalen Raumnut-zung bis zu baubiologischen Gesichtspunkten. Sie erarbeitet keine Richtli-nien, sondern r¨at zu der Devise ‘das Beste machen’. Nicht die Gr¨oße des Raumes oder der Preis der Einrichtung ist ausschlaggebend, sondern eigene

242Pieper 1980, S. 220

243Pieper 1980, S. 221

244Flade 1994, S. 137

245vgl. Flade 1994, S. 144

246Flade 1994, S. 145

Ideen, Individualit¨at und das Kind als

”sein eigener Herr“247garantieren den Aspekt der Kinderfreundlichkeit.

In den 80er Jahren wurde die Rivalit¨at zwischen Geschwistern als Thema in der Ratgeberliteratur entdeckt. In J. McDermotts

”Kain und Abel im Kinderzimmer“248 beschr¨ankt sich allerdings die Behandlung des Themas

‘Kinderzimmer’ auf die Titelzeile. Auch Bettina M¨ahlers Ratgeber

” Geschwi-ster: Krach und Harmonie im Kinderzimmer“249 benutzt den Raum nur als Aufh¨anger f¨ur ihr eigentliches Anliegen, das Kinderzimmer dient hier bloß als Rahmen, um das Thema Geschwisterrivalit¨at in Szene zu setzen. Dagegen enth¨alt die Studie

”Das Kinderzimmer. Historische und aktuelle Ann¨aherung an kindliches Wohnen“ von Buchner-Fuhs (1998) Daten zur Lage des Kin-derzimmers nach der Wiedervereinigung. Die Mehrheit der Heranwachsenden verf¨ugt heutzutage ¨uber ein eigenes Zimmer – 84 Prozent der Kinder im We-sten und 74 Prozent der Kinder im OWe-sten des Landes – ergab die Befragung des Projekts

”Kinderleben“. Trotz hoher Verbreitung gibt es deutliche Un-terschiede bez¨uglich der sozialen Ungleichheit. Ein Viertel der Kinder von Eltern mit einer niedrigen beruflichen Stellung besitzen kein eigenes Zim-mer. Besonders h¨aufig sind hiervon Kinder ausl¨andischer Herkunft betroffen.

”20 Prozent der Kinderzimmer unterschreiten die Mindestnorm von 11, 12 qm (DIN 18011)“, lautet das Untersuchungsergebnis von F¨olling-Albers/Hopf von 1995. Buchner-Fuhs bezweifelt die Feststellung Silbermanns (1991), daß Kinderzimmer

”keinerlei Repr¨asentationsfunktionen“ mehr haben und ver-mutet, daß kindorientierte Eltern sich heutzutage ¨uber ein kindgerechtes Kinderzimmer pr¨asentieren. Das Interesse von Heranwachsenden, ihr Zim-mer selbst zu gestalten, w¨achst ab dem zehnten Lebensjahr aufw¨arts stetig an, wie die Studie

”Kinderleben“ (1996) ergab. Auch der Konfliktfokus hat sich nach F¨olling-Albers und Hopf von der selbst¨andigen Gestaltung des ei-genen Zimmers auf die Ordnung im Kinderzimmer verlagert.

Wie bereits angedeutet, hat das Kinderzimmer in p¨adagogischen Werken des 20. Jahrhunderts kaum Beachtung gefunden. Die Aufmerksamkeit der P¨adagogen galt haupts¨achlich den kindlichen Außenr¨aumen und institutio-nellen R¨aumen, obwohl gerade in der Kindergartenp¨adagogik die r¨

aumli-247Burghardt in: Burghardt/K¨urner, 1994, S. 147

248McDermott 1991

249ahler 1992

che Ausgestaltung eine große Rolle gespielt hat. Montessori-, Waldorf- und staatliche Kinderg¨arten unterscheiden sich vornehmlich durch unterschiedli-che architektonisunterschiedli-che Konzepte und ihre Raumgestaltung. Welunterschiedli-che Impulse von diesen Entw¨urfen ausgingen und die Ausformung des Kinderzimmern nach-haltig beeinflußt haben, ist z.Z. noch nicht einsch¨atzbar. W. Pl¨oger weist darauf hin, daß

”beispielsweise Otto Scheibner, Maria Montessori und Peter Petersen, auch immer Aussagen zur Bedeutung des Raumes f¨ur schulisches Miteinanderleben und -lernen gemacht haben“250. Außerschulische R¨aume wie das Kinderzimmer werden bei ihren ¨Uberlegungen zur Kategorie Raum jedoch nicht einbezogen.

Die Ratgeberliteratur des 20. Jahrhunderts ist erheblich angewachsen. Von der geschlechtlichen Aufkl¨arung (1909) ¨uber den romantischen Blick auf die Kindheit in Reimform bis zur Erziehung zum Staatsb¨urger (1920) reicht das Spektrum der Erziehungsratgeber in der ersten H¨alfte des 20. Jahrhunderts.

Das Kinderzimmer dient h¨aufig nur als Forum, um moralisch-religi¨ose Aspek-te zu behandeln oder Erziehungsanleitungen zu geben251. Eine Ausnahme ist der Band

”Die Kinderstube“ von Nelly Wolffheim (1919) aus der Serie Deutsche Elternb¨ucherei. Die Autorin betrachtet den Raum unter dem Ge-sichtspunkt seiner Bedeutung f¨ur die k¨orperliche und seelische Entwicklung des Kindes und r¨aumt den erzieherischen Fragen ausdr¨ucklich Priorit¨at vor den hygienischen ein. Der Raum sollte weitl¨aufig sein, eine freundliche At-mosph¨are haben, zweckm¨aßig eingerichtet werden und ihres Erachtens der wichtigste Raum im Hause sein. N¨ahe zum Elternschlafzimmer, besonders nachts, gute Licht- und Sonnenverh¨altnisse und ausreichende L¨uftung soll-ten ber¨ucksichtigt werden. Die Aussicht auf den Garten oder die Straße ist ihrer Meinung nach ein guter Miterzieher. Ihr Themenkatalog umfaßt Atmo-sph¨are, Lage, Hygiene, Bewegung und außerdem ¨asthetische Gesichtspunkte wie Wandgestaltung und -bekleidung (Abb. 27).

Dem zur¨uckgezogenen Spiel in der Kinderstube mißt sie ebenso große Be-deutung zu wie dem Unterricht. Bei Wohnraummangel empfiehlt sie Eltern, ihrem Kind eine Ecke im Wohnzimmer einzur¨aumen und mit einem Wand-schirm oder Spielh¨auschen abzugrenzen, damit das Kind sein eigenes Reich hat. Hygiene und Ordnung sind wichtige Aspekte ihrer Empfehlungen,

aller-250Pl¨oger 1993, S. 271-284

251vgl. Peper 1911, Lensch 1920, Feesche 1928, Fides 1927

dings schreibt sie Geschmacksbildung und Gestaltungsm¨oglichkeiten einen

¨ahnlich hohen Stellenwert zu. In allem einen vern¨unftigen Mittelweg zu fin-den, fordert sie Eltern und Erzieher auf. Neu ist auch die Rolle des aktiven Mitgestalters, die sie f¨ur das Kind vorsieht.

”Lassen wir doch auch die Kin-der Mitsch¨opfer ihres Zimmers sein“252, ist eines ihrer Leitprinzipien. Die Eigenarten des Kindes m¨ussen bei der Ausgestaltung des Raumes einfließen, so daß das Kind das Gef¨uhl hat:

”hier ist mein Reich“253. Die Spielerinne-rungen von Kindern sind noch von Illusionen umschwebt und ihre sch¨ opferi-sche Freude sollte nicht durch Zwang untergraben werden. Gr¨oßere Sch¨uler und Backfische ben¨otigen ein eigenes Zimmer. Nun sollten Eltern vorwie-gend die Rolle der Ratgeber einnehmen und gemeinsam mit ihrem Kindern die Wahl der Einrichtung treffen. Lieblingssachen machen den Kindern den Raum heimischer, Turnger¨ate und Wandschmuck geh¨oren ihres Erachtens in Augenh¨ohe (Abb.28) der Kinder.

”Selber machen“ heißt ihre p¨adagogische Leitlinie, durch aktive Mitarbeit soll das Interesse des Kindes vertieft werden, sein Sinn f¨ur Farben und Form durch die Ausschm¨uckung des Zimmers mit selbstarrangierten Blumen und Zweigen geweckt werden. Auch die gemeinsa-me Kinderstube als Konfliktbereich wird von ihr angesprochen. Sie

”stellt die Aufgabe, das Individuelle zu pflegen und dabei die Grundlage f¨ur die soziale Gemeinschaft zu geben; damit schafft sie den Boden f¨ur eine staatsb¨ urger-liche Erziehung der Jugend“254, unterstreicht Wolffheim zusammenfassend.

Insgesamt erweitert ihre Studie den Themenkatalog der Ratgeberliteratur zum Thema Kinderzimmer um die aktive, mitgestaltende Rolle, die sie f¨ur das Kind vorsieht.

Die Ratgeberliteratur der 50er Jahre behandelt das Kinderzimmer als p¨ adago-gisch geforderte Errungenschaft der modernen Erziehung, res¨umiert Buchner-Fuhs. An exemplarischen Beispielen zeigt sie wesentliche Aspekte der Raum-gestaltung und der normativen Leitlinien auf und zieht R¨uckschl¨usse auf die Eltern-Kind-Beziehung. Das Zimmer diente zu allererst der Entlastung von M¨uttern und hatte des weiteren hygienische und sittliche, aber kaum spielp¨adagogische Funktionen.

”Auch in Handb¨uchern der P¨adagogik stehen nicht die spielerische Entfaltung, sondern die Erziehung zur Ordnung und

252Wolffheim 1919, S. 21

253Wolffheim 1919, S. 21

254Wolffheim 1919, S. 25

der sittliche Schutz der Kinder vorverfr¨uhter Sexualit¨at im Zentrum“255. Geschickte Raumnutzung, freie Spielfl¨ache und wenige sorgf¨altig angeordnete Spielsachen sind Leitlinien damaliger Kinderzimmerdarstellungen. (Abb. 29) Der Raum sollte den Anforderungen vom Spielplatz bis zum Arbeitsplatz entsprechen und mit wenigen

”geschmackvollen, aber stabilen, Schrammen und Kletterversuche nicht ¨ubelnehmende M¨obel“256 ausgestattet werden, le-diglich bei der Wandgestaltung wird Kindern von einigen Autoren und Au-torinnen ein Freiraum einger¨aumt. Die Ratgeberliteratur gibt nat¨urlich kein

”geschmackvollen, aber stabilen, Schrammen und Kletterversuche nicht ¨ubelnehmende M¨obel“256 ausgestattet werden, le-diglich bei der Wandgestaltung wird Kindern von einigen Autoren und Au-torinnen ein Freiraum einger¨aumt. Die Ratgeberliteratur gibt nat¨urlich kein