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Interkulturelle Kommunikation aus linguistischer Sicht

1. Einleitung

1.2 Forschungsstand zur interkulturellen Kommunikation

1.2.2 Interkulturelle Kommunikation aus linguistischer Sicht

Schon Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden die Probleme in den verbalen und nonverbalen interkulturellen Interaktionen in einigen linguistischen Artikeln diskutiert.

Allerdings ist das Thema IK bis zum Ende des letzten Jahrhunderts in der Linguistik – an-ders als in der Kommunikationswissenschaft, Kulturwissenschaft, Soziologie und Pädago-gik – noch relativ wenig behandelt worden. Aufgrund der intensiven internationalen

20 Vgl. Lüsebrink (2005:26); Hall/Hall (1990:15ff).

21 Dabei fokussiert er hauptsächlich auf ein Verhaltenstraining für diejenigen, die in ihrer Arbeit mit unter-schiedlichen Kulturen in Berührung kommen. Mehr dazu siehe Krämer/Quappe (2006).

22 Kumbier/ Schulz von Thun (2006).

sammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich wurde der Wunsch größer, Missverständnisse in der verbalen interkulturellen Interaktion zu vermeiden, so dass in den vergangenen Jahr-zehnten immer mehr Linguisten dieses Thema aufgriffen und als neues Forschungsfeld in die Linguistik eingeführt haben. Da keine einheitliche bzw. anschauliche Definition von IK vorliegt, wird das Thema meistens von einem allgemeinen Verständnis von Interkulturali-tät aus angegangen. Dabei setzt man eine Kommunikationssituation voraus, in der die Kommunikationsteilnehmer Angehörige aus mindestens zwei unterschiedlichen Kulturen sein müssen. Somit kann man die Untersuchungen hinsichtlich der Anzahl der Sprachen zwischen einsprachig und mehrsprachig unterscheiden. Bezüglich der ‚deutschsprachigen (einsprachigen) Interaktionen‘ im interkulturellen Kontext werden die Probleme in ver-schiedenen Forschungsrichtungen in der linguistischen Pragmatik, der Konversations- und Gesprächsanalyse und der Ethnographie der Kommunikation analysiert.23 Hingegen wer-den Phänomene der ‚Mehrsprachigkeit‘ in der kontrastiven Linguistik und Kontaktlinguis-tik analysiert.

Im Folgenden ist ein Überblick über die wesentlichen Untersuchungsmethoden und den Diskussionsstand zu methodologischen Problemen. Die Interpretative bzw. Interaktionale Soziolinguistik,24 in der sich ethnographische, konversationsanalytische und kognitionsse-mantische Komponenten vereinen,25 hält an dem Prinzip fest, lediglich auf die Interakti-onsprozesse zu fokussieren.26 Die Kommunikationssituation und die dazu gehörigen Kon-texte werden hierbei nicht als vorgegeben, sondern eher als interaktive und interpretative Leistungen der Interaktionsteilnehmer angesehen. Das bedeutet, dass sich die Interaktanten bei der Interaktion durch Kontextualisierungshinweise (contextualization cues)27 bemerk-bar machen, mittels derer bei den Kommunikationspartnern ein sogenanntes Schema des Hintergrundwissens produziert wird, welches sowohl beim Hörer als auch beim Sprecher einen gemeinsamen Interpretationsrahmen schafft.28 Dieser Ansatz von Kontextualisierung (contextualization) lässt sich auf Gumperz zurückführen.29 Mit Kontextualisierungshinwei-sen sind die diverKontextualisierungshinwei-sen in der Interaktion auftretenden Phänomene wie z. B. prosodische oder paralinguistische Mittel (Tonhöhenverlauf, Lautstärke, Geschwindigkeit, Rhythmus und

23 Vgl. Rost-Roth (1994:10); Ehlich (1996:925).

24 Soziolinguistik hat sich aus der Ethnographie der Kommunikation heraus entwickelt und die Interpretati-ve bzw. Interaktionale Soziolinguistik spielt eine zentrale Rolle bezüglich der Forschung zur interkulturel-len Kommunikation. Vgl. Casper-Hehne (1999:95).

25 Vgl. Hinnenkamp (1994b:55); Günthner (1994:97).

26 Zum Beispiel die Beträge „Interkulturellen Kommunikation“ in der Fachzeitschrift für Literaturwissen-schaft und Linguistik (LiLi) 24/1994 Heft 93. Siehe Kreuzer (1994).

27 Ausführlich dafür siehe Levinson (2003).

28 Vgl. Hinnenkamp (1994b:55f).

29 Vgl. Luzio (2003:4). Auf der Grundlage des Ansatzes ist mittlerweile eine Schule entstanden.

Gliederung in Tongruppen, Akzent), Codeswitching, zeitliche Platzierung (Pause, Simul-tansprechen), Blickverhalten, Varietäts-/Sprachwahl, lexikalische Variation als auch eine bestimmte Idiomatik gemeint.30 Ursache interkultureller Missverständnisse bzw. Fehl-kommunikation sind somit nach Gumperzs Ansicht unterschiedliche, in der eigenen Kultur erworbene und konventionalisierte Kontextualisierungshinweise und ihrer unterschiedli-chen Interpretation.31

Im Gegensatz zum Kontextualisierungsansatz der interpretativen bzw. interaktionalen Soziolinguistik gehen die meisten Untersuchungen aus der Kontrastiven Pragmatik32, in der pragmatische Kontraste zwischen Sprachen aufgezeigt und interlinguale Differenzen im jeweils gegebenen Verhältnis zwischen Struktur und Funktion der Sprache anschaulich gemacht werden, von folgenden Thesen aus:

1. Sprechakte, Interaktionsstile und rhetorische Muster unterschiedlicher Ortsgesellschaf-ten oder nationalsprachlicher (Sub-)Kulturen sind vergleichbar.

2. Es kommt im muttersprachlichen/nicht-muttersprachlichen (im Folgenden native/non-native) Kontakt zu pragmatischen Interferenzen.

3. Diese sind verantwortlich für die interkulturelle Fehlkommunikation.33

Die Ursachen für Missverständnisse bzw. Fehlkommunikationen sollen hierbei auf die Ebene von pragmatischen Interferenzen, die kulturell inadäquat sind, zurückgeführt wer-den. Mit anderen Worten: Die Kommunikationsteilnehmer übertragen die ihnen vertrauten verbalen und nonverbalen Kommunikationsweisen aus der eigenen Kulturkonvention auf Situationen, zu denen diese nicht passen, da Sprechakte an sich zu unterschiedlich sind und eine differente ‚illokutive Kraft‘ haben.34 Aufgrund dieser Betrachtungsweise bezieht sich die Kontrastive Pragmatik methodologisch auf die Kontrastiv- und Interferenzhypothese.35 Das heißt, die Realisierung bestimmter Sprechakte mit ähnlichen Hintergründen und Kon-texten werden unter Zugrundlegung verschiedener Sprachen und Kulturen verglichen (Bei-spiel dafür s. den Fall I in 2.2.1 dieser Arbeit). Die Kontrastive Pragmatik unterscheidet sich im Hinblick auf die Erforschung der interkulturellen Kommunikation vom Ansatz der

30 Vgl. Luzio (2003:4); Hinnenkamp (1994b:56).

31 Vgl. Hinnenkamp (1994b:56f); Luzio (2003:4).

32Relevante Arbeiten sind Hinnenkamp zufolge z. B. Thomas (1983), Blum-Kulka/House/Kasper (1989);

Riley (1989). Vgl. Hinnenkamp (1994b:53).

33 Vgl. ebd. S.53.

34 Die Sprechakttheorie wurde von Austin (1962) illustriert und von Searle (1969) weiter entwickelt. Vgl.

hierzu auch Searle (1994) Kap. 3.

35 Vgl. Hinnenkamp (1994b:53).

Kontextualisierung zudem dadurch, dass es sich bei der Kontrastiven Pragmatik zumeist um eine native/non-native speaker-Gesprächssitutation handelt, wohingegen es bei der Kontextualisierung darum geht, dass einer der Kommunikationsteilnehmern die Zweitspra-che als ‚Ethnolekt‘36 spricht.37

Eine weitere Forschungsrichtung, die sich mit IK beschäftigt, ist die funktionale Prag-matik.38 Dabei sind für sie nicht nur die einzelnen Sprechakte Gegenstand der Analyse, sondern auch das Musterhandlungswissen in den interkulturellen Gesprächen. Da mit den Kontextualisierungshinweisen die Rekonstruktion von Wissensdifferenzen in den Hand-lungsabläufen nicht abgedeckt werden kann, versucht die funktionale Pragmatik dies unter Einbeziehung des Bereiches institutionellen Handelns diese Lücke zu schließen. Auf dem Fundament des Vergleichs wird das typische Handlungsmuster für die bestimmte Instituti-on untersucht, wie Rehbein (1994) in seinem Beitrag gezeigt hat.39 Von diesem Ausgangs-punkt aus konzipiert die funktionale Pragmatik einen Ansatz für institutionell-bezogene interkulturelle Kommunikation und fokussiert ihre Untersuchungen stark auf die Interakti-onsprobleme zwischen Immigranten und deutschen Behörden.40

Darüber hinaus werden in der Kontaktlinguistik41 Migrationsphänomene in der interkul-turellen Kommunikation untersucht. Dabei werden neue Sprachphänomene thematisiert, die durch den beim Kontakt mit den Immigranten ausgelösten sozialen Wandels erzeugt wurden.42 Hierbei werden die Phänomene der Sprachkontakte unter Berücksichtigung von soziologischen bzw. sozialpsychologischen Aspekten diskutiert, wie Hartig (1996) in sei-nem Beitrag ausführt:

„Sprachkontakte stellen als soziale Kontakte Erscheinungen dar, die gerade auf dem Hintergrund der Intention der beteiligten Individuen geschrieben werden können. Sprachkontakte kommen zustande, weil die beteiligten Individuen Handlungsinteressen verfolgen, die sie zwingen, mit anderssprachigen Individuen Verbindungen herzustellen.“ (Hartig 1996:30).

Ehlich, der Gründer der funktionalen Pragmatik, erörtert in diesem Zusammenhang die Aufgabe der IK wie folgt:

36 Ethnolekt ist ein Sammelbegriff für sprachliche Varianten bzw. Sprechstile, die von Sprechern einer eth-nischen (sprachlichen) Minderheit verwendet werden. Dazu gehören bspw. Sprecharten, die durch diverse Besonderheiten die nicht-deutsche Abstammung des Sprechers ausweisen. Vgl. Hinnenkamp/Meng (2005).

37 Vgl. Hinnenkamp (1994b:57).

38 Die funktionale Pragmatik wurde von J. Rehbein und K. Ehlich gegründet. Vgl. Casper-Hehne (1999:94)

39 Rehbein (1994:124f).

40 Rehbein (1994: 124); Casper-Hehne (1999:94f)

41 Der Terminus Kontaktlinguistik wurde zum ersten Mal von Nelde (1980) verwendet. Siehe Clyne (1996:12).

42 Diskussionen darüber siehe Goebl/Nelde/Stary (u. a.) (1996).

„ […] „IkK“ ist insofern alles andere als einfach nur eine attraktive und persönlichkeitserweiternde Option, wie dies manche politische Programmatiken nahelegen. Sie ist vielmehr vor allem eine gesell-schaftliche Aufgabe.“ (Ehlich 1992:928)

Untersuchungsgegenstand im Bereich der IK sind außer der face-to-face Kommunikati-on auch schriftliche KommunikatiKommunikati-onsformen. In der Textlinguistik werden angesichts ihrer Bedeutung sowohl die schriftliche Wirtschaftkommunikation als auch die wissenschaftli-che Kommunikation im interkulturellen Kontext thematisiert. Methodologisch werden hier z. B. von Clyne (1993) pragmatische und textlinguistische Forschungen herangezogen, um Textstrukturen von grammatisch orientierter Sprachwissenschaft loszulösen und sie von ih-rer kulturellen Basis aus zu analysieren, um pragmatische und textstrukturelle Unterschie-de in Unterschie-den verschieUnterschie-denen Sprachgebieten begrünUnterschie-den zu können.43 An weiteren Diskussio-nen zur Methodik bei der Untersuchungen der IK wären Karlfried Knapp und Hans Jürgen Lüsebrink zu nennen. Karlfried Knapp (1995, 2004a, 2004b) betrachtet das Thema aus dem Blickwinkel der Angewandten Linguistik im Zusammenhang mit dem Fremdspra-chenunterricht, Hans-Jürgen Lüsebrink (2005) verfolgt einen interdisziplinären Ansatz.

Beide zogen allerdings bei ihren Untersuchungen die IK zwischen Deutschen und Chine-sen nicht ein und werden daher von mir nicht näher ausgeführt.