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4. Relevante soziokulturelle Merkmale Chinas und die korrespondie-

4.1 Relevante kulturelle Merkmale Chinas aus westlicher Sicht

4.1.6 High-context -Kommunikation

Im Hinblick auf die Kommunikationsart wird bei E.T. Hall (1990) zwischen low-context-culture und high-context-culture unterschieden. Bei low- oder high-context handelt es sich um die Menge des nicht-sprachlichen Kontextes in einer Kommunikation. Im Wesentli-chen sind die beiden Kulturarten durch folgende Merkmale voneinander zu unterschei-den:261

high-context-culture

1. Explizite non-verbale Informationen spielen bei der Kommunikation keine große Rol-le;

2. die wesentlichen Informationen werden gut durch die kontextuellen Hinweise vermit-telt;

3. bei der Kommunikation wird großer Wert auf Harmonie gelegt;

4. man verhält sich diskret und verwendet häufig ambigue Ausdrücke;

5. direkter Widerspruch wird vermieden.

low-context-culture

1. Kontextuelle Hinweise spielen keine große Rolle;

2. die Informationen werden verbal klar vermittelt;

3. man legt viel Wert auf Selbstausdruck und eloquentes Sprechen;

4. Meinungen und Absicht werden frei formuliert und man versucht den Gesprächspart-ner von seiGesprächspart-ner eigenen Meinung zu überzeugen.

Im Vergleich zu den Deutschen oder Personen aus anderen westlichen Ländern zeigen die Chinesen bei der kommunikativen Handlung eine starke Neigung zur high-context-Kommunikation. Diese Eigenschaft der kommunikativen Handlung kann dabei nicht voll-ständig von den oben dargestellten Faktoren wie Partikularismus, Kollektivismus, der Ori-entierung am zugeschriebenen Status und einer diffusen Gesellschaft getrennt werden und ist darüber hinaus kulturhistorisch verankert. In den klassischen chinesischen Schriften ist viel über die Kunst der Debatte niedergeschrieben worden. Der high-context-Kommunikationsstil in der chinesischen Kultur lässt sich auf das grundlegende Prinzip der Höflichkeit, also ⼐ lǐ, in der kommunikativen Handlung zurückzuführen, daher drückt man sich entsprechend vorsichtig aus. Sprichwörter wie z. B.

261 Vgl. Layes (2003:64); Chen (2004:339f).

㿔໮ᖙ༅ yánduōbìshī

‚Zuviel Reden führt unweigerlich zu vielen Fehlernˈ

⽌Ңষߎ huòchóngkǒuchū

‚Ein unbedachtes Reden kann bald Schaden mit sich bringen‘

ܜᗱ㗠ৢ㿔 xiānsīérhòuzán

‚Jedem Reden muss eine sorgfältige Überlegen vorausgegangen sein‘

drücken unmittelbar die Grundeinstellung zum Reden in der chinesischen Kultur aus, wo-bei sich diese nicht nur auf inhaltliche, sondern auch auf soziale Aspekte des Gesprächs beziehen.262

In der chinesischen Sprache zeigen sich ebenfalls einige Phänomene, die dazu beigetra-gen haben, den chinesischen Kommunikationsstil als high-context einzuordnen. Dies be-trifft z. B. auf der kommunikativen Ebene eine Reihe von Auslassungen von Satzgliedern oder Informationen. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Eliminierung von Nomi-nalphrasen (Subjekten, Objekten) oder auch Verbalphrasen und von Satzkonnektoren wie Günthner (1993) anhand der Sätze (25) und (26) demonstriert263 oder wie auch durch die Kopulaᰃ shì (sein) in (27) dargestellt. Die Auslassungen sind jeweils durch @ gekenn-zeichnet.

(25) བ ᵰ ៥ Ӏ䇋 ϔ Ͼ Ҏ ೼ ៥ ӀП䯈䗝ϔϾˈ䙷 Мʳ㚃ᅮᰃ 䗝ʳԴDŽ

(Rúguǒ wǒmen qǐng yí ge rén zài wǒmen zhījiān xuǎn yī ge, nàme kěndìng shì xuǎn nǐ.)

Wenn wir jemanden bitten würde, einen von uns beiden zu wählen, dann würde ja @ natürlich DICH wählen.

(26) 㗠 Ϩ ҹ ៥ Ӏ ෼ ೼ ⱘ ᖋ 䇁 ∈ ᑇˈࠄ ᖋ೑এᄺ㖦ˈৃ㛑 ೄ 䲒ᕜ໻

(Érqiě yǐ wǒmen xiànzài de Déyǔ shuǐpíng, dào Déguó qù xuéxí, kěnéng kùnnán hěndà.)

262 Vgl. Liang (1998:171).

263 Günthner (1993:163, 166).

Außerdem mit unserem jetzigen Deutsch-Niveau, @ @ nach Deutschland gehen stu-dieren, @ vielleicht Schwierigkeiten sehr groß.

(27) Ҟ໽᯳ᳳѨDŽ

(Jīntiān xīngqīwǔ.) Heute @ Freitag.

In (25) wird die Nominalphrase jemanden getilgt, die im ersten Satzteil als Objekt und gleichzeitig im zweiten Satzteil als Subjekt fungiert. Diese Tilgung der Nominalphrase, die auch als ‚Zero-Pro-Form‘ oder ‚Zero-Anaphora‘ bezeichnet wird, ist im Chinesischen ein unmarkierter Normalfall und keinesfalls ein spezieller.264 Die Tilgung des Subjekts im Chinesischen führt häufig zu Verständnisschwierigkeiten bei deutschen Kommunikations-partnern. Denn anderes als die europäischen Sprachen, in denen das getilgte Subjekt noch an der mit ihm in Verbindung stehenden Verbflektion zu erkennen ist, ist dies im Chinesi-schen nicht der Fall. Dies kann es dazu führen, dass Subjekt oder Topik im ChinesiChinesi-schen ambivalent zu sein scheinen.265

In (26) werden im zweiten Satzteil sowohl das Subjekt wir als auch der Satzkonnektor, die Konjunktion wenn…dann, also བᵰ…ˈህrúguǒ…jiù ausgelassen. Da die von dem ausgelassenen Subjekt und der Konjunktion getragenen Informationen kontextuell ein-schlossen sind, sind diese expliziten Markierungen im Chinesischen nicht erforderlich. Die Auslassung der Konjunktion wird darüber hinaus als ein wesentlicher Bestandteil der Ko-häsionsbildung im chinesischen Diskurs betrachtet.266

In (27) handelt es sich um eine Null-Kopula-Konstruktion, in der die Kopula ᰃ shì

‚sein‘ in der Regel nicht auftritt. In Fällen, in denen die Kopula ᰃ shì ‚sein‘ explizit aus-gedrückt wird, hat diese eine Verstärkungsfunktion und bringt im Gegensatz zu den Fällen ohne Kopula einen Kontrast zum Ausdruck. Im Chinesischen tritt die Auslassung der Satz-glieder oder Informationen in der Regel auf, wenn die entsprechenden Informationen im jeweiligen Gesprächskontext bereits bekannt sind, oder wenn die Informationen durch das Beziehungsverhältnis der Kommunizierenden zu erschließen sind (vgl. das Beispiel der

264 Vgl. Günthner (1993:163f).

265 Ebd. S. 161.

266 Ebd. S. 166.

Verwandtschaftsbezeichnungen in 2.3.3). Hier spricht man auch von ‚impliziter‘ Kommu-nikation.267

Diese implizite Kommunikationsart ist für Menschen aus den low-context-Kulturen, in denen die Informationen klar und explizit geäußert werden, sehr verwirrend und wirkt für sie relativ unlogisch und zusammenhanglos. Im Gegensatz dazu wird die explizite Kom-munikationsart vom Deutschen, in dem prinzipiell fast jeder Satzbestandteil explizit aus-gedrückt werden muss, häufig von Chinesen als langwierig und überflüssig wahrgenom-men,268 da dies die deutschen Sätze in der Regel viel länger macht als die chinesischen.