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Wie wird eine Fremdsprache erlernt?

2. Klassifizierung interkultureller Kommunikationssituation und Be-

3.1 Die Rolle der Kognition im Erstspracherwerb und im Fremdspracher-

3.1.2 Kognition und Fremdspracherwerb

3.1.2.1 Wie wird eine Fremdsprache erlernt?

Die Forschungstheorien bzw. die Debatten über den Fremdspracherwerb knüpfen zum Teil an die Kognitionsansätzen des Erstspracherwerbs an.160 Die grundlegenden Hypothesen und Auseinandersetzungen über den modularen bis hin zum holistischen Kognitionsansatz, die von der Frage ausgehen, ob die Sprachfähigkeit genetisch determiniert ist, spielen an dieser Stelle eine eher untergeordnete Rolle, da bislang unbekannt ist, wie und wo das mentale Lexikon der Lernsprache im Kognitionssystem gespeichert wird. Darüber hinaus wird der Schwerpunkt in der Forschung zum Fremdspracherwerb hauptsächlich auf die Beschreibung der Erwerbsprozesse und ihre Einflussfaktoren gelegt, die mit der kognitiven Entwicklung sprachlichen Wissens verknüpft sind. Sowohl die Verarbeitungsprozesse des sprachlichen Wissens als auch die Sprachproduktionsprozesse stehen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Hierbei wird das Augenmerk vor allem auf den Erwerb der Gram-matik und lexikalischer Bedeutungen gelegt.

Zur Erklärung des Fremdspracherwerbs sind Rohmann und Aguado (2002) zufolge in der einschlägigen Literatur sechs Hypothesen zu unterscheiden, die von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus postuliert werden. Im Folgenden eine Skizzierung dieser sechs Hy-pothesen, von denen die ersten beiden in der Forschung eine große Rolle spielen:161

1. Die Kontrastiv-Hypothese basiert auf einem behavioristischen Theorieansatz und be-sagt, dass das menschliche wie auch das sprachliche Verhalten von Gewohnheiten de-terminiert werden. Aus diesem Grund zeigen Spracherlernende häufig eine Tendenz, die bereits ausgebildeten Gewohnheiten in ihrer Erstsprache auf die Fremdsprache zu übertragen. Dies besagt weiterhin, dass je ähnlicher eine Fremdsprache der Erstspra-che ist, es dem Lernenden desto leichter fällt, sie zu erwerben.162 Auf der Grundlage des Transfers lässt sich die Interferenz (der negative Transfer) womöglich vorhersa-gen. Da sich nicht alle beim Fremdspracherwerb auftretenden sprachlichen Phänome-ne und Fehler mithilfe des Transfers bzw. der Gewohnheiten in der Erstsprache erklä-ren lassen können, wie z. B. Übergeneralisierungen, der Ersatz unregelmäßiger durch regelmäßige Formen (wie er bei Deutschlernenden oft vorkommt) oder die innerhalb

160 Wie Multhaup ebenfalls andeutet „[…] nur L1-Lerner auf die UG Zugriff haben, L2-Lerner aber nicht, letztere jedoch im Sinne eines strategischen Transfers auf ihr L1-Wissen zurückgreifen.“ (Multhaup 2002:78f).

161 Vgl. Rohmann/Aguado (2002) Kap. 2.1.

162 Beim Erwerb der chinesischen Sprache tritt der Transfer meiner praktischen Beobachtung nach am häu-figsten auf syntaktischer und semantischer Ebene auf. Denn sowohl die syntaktischen Strukturen als auch die semantischen Konzepte der chinesischen Sprache weichen von denen der deutschen Sprache stark ab.

der Strukturen des Fremdsprachensystems entstehenden Simplifizierungen und Redu-zierungen, wird diese Hypothese in Frage gestellt.163

2. Die Identitäts-Hypothese betrachtet den Vorgang des Fremdspracherwerbs parallel zu dem des Erstspracherwerbs, d. h. er ist natürlich und ungesteuert, daher spielt die Muttersprache hierbei keine bedeutende Rolle. Sie erklärt die oben genannten Fehler als Ausdruck einer Stufe der Erwerbssequenz, die auch beim Erstspracherwerb zu be-obachten ist. Aufgrund der methodischen Mängel der diesbezüglich empirischen Un-tersuchungen steht die Identitäts-Hypothese stark in der Kritik.164

3. Die Interlanguage-Hypothese geht von einem psycholinguistischen Blickwinkel aus und versucht das Phänomen Interlanguage durch Analyse der beim Fremdsprachen-erwerb vorkommenden gesammelten lernsprachlichen Daten zu erklären. Es wird da-bei festgestellt, dass ein Sprachlernender im Laufe seines Fremdspracherwerbs eine individuell Lern- oder Interimsprache entwickelt, die einerseits unter dem Einfluss der Erst- und der Fremdsprache steht und andererseits auch Merkmale aufweist, die nicht mit diesen beiden Sprachen im Zusammenhang stehen. Für die Vertreter dieses Ansat-zes sind die Faktoren dafür nicht allein auf den Transfer aus der Muttersprache zu-rückzuführen, sondern auch aus dem Transfer der Lernumgebung oder anderen zuvor bzw. gleichzeitig erworbenen Sprachen. Fehler wie Übergeneralisierungen, Regularisierungen, Simplifizierungen und Reduzierungen werden hierbei als Kommu-nikationsstrategien angesehen.165

4. Die Input-Hypothese legt Wert auf die Gesamtheit des sprachlichen Materials, wel-ches hier als Input bezeichnet wird. Die Fähigkeit zur Sprachproduktion wird nicht durch das Lehren bzw. die Lernmethode erworben, sondern durch die Entwicklung ei-nes in ausreichender Menge bereitgestellten verständlichen Inputs. Das Verstehen des Inputs erfolgt dann mithilfe des Weltwissens und des sprachlichen sowie außersprach-lichen Kontextes.166 Weiterhin wird streng zwischen Lernen und Erwerben unter-schieden, wobei Lernen als ein durch gezielte Maßnahmen gesteuerter, zur Erlangung des Regelwissens dienender bewusster Vorgang zu verstehen ist. Hingegen ist Erwer-ben ein unbewusster, ungesteuerter Vorgang, bei dem in erster Linie der Inhalt und die

163 Vgl. Rohmann/Aguado (2002:273f)

164 Ebd. S. 274f.

165 Diese Auffassung vertritt vor allem Selinker, vgl. ebd. S.275ff.

166 Diese Ansicht trifft jedoch nur zum Teil zu, denn mithilfe bestimmter Lehrmethoden wie z. B. struktu-rierter Erklärungen oder Sprachproduktionstraining können meiner Erfahrung nach faktisch die produktiven Fähigkeiten gesteigert werden.

Vermittlung von Informationen im Vordergrund stehen, und nicht die sprachliche Form.167

5. Die Interaktions-Hypothese besagt, dass das Verstehen einer Fremdsprache mittels interaktiver Abstimmungen des Inputs erleichtert werden kann.168 (z. B. klärende Rückfragen, die Bitte um Wiederholungen, Bestätigungen, Verständigungsüberprü-fungen, Ergänzungen, Korrekturen oder Paraphrasen). Da diese Hypothese den Fremdspracherwerb allein auf das Sprachverstehen reduziert, ist sie vielfach kritisiert worden. Wie in der folgenden Diskussion noch zu sehen sein wird, können Sprachver-stehen und Sprachproduktion nicht gleichgesetzt werden.

6. Die Output-Hypothese betont im Gegensatz zur Input-Hypothese nicht nur die Rele-vanz des Inputs beim Fremdspracherwerb, sondern auch die des sprachlichen Outputs.

Sie geht davon aus, dass sich beim Fremdspracherwerb die produktiven Fähigkeiten nicht weiter entwickeln können, wenn die Sprache in der Praxis nicht angewendet wird, da die Sprachverarbeitung nur durch aktive Anwendung der Sprache von der rein semantischen auf die syntaktische Ebene gelangen kann.169

Der Grammatikerwerb nimmt beim Fremdsprach- und ebenso beim Erstspracherwerb ei-nen dominierenden Stellenwert ein. Fremdsprachenerwerb bedeutet im Allgemeiei-nen das Erlernen der Grammatik der Fremdsprache. Es ist daher zunächst erforderlich, den Begriff der Grammatik in diesem Kontext zu erklären. In Edmondsons (2002) Ansatz wird der Fremdspracherwerb als kognitive Datenverarbeitung betrachtet und die Grammatik nach drei verschiedenen Interpretationen, einer konzeptuellen, psycholinguistischen und einer textuelle Interpretation differenziert:170

x Mit der konzeptuellen Interpretation von Grammatik sind die spezifischen, inhärenten Merkmale einer Sprache gemeint, die sie von anderen Sprachen unterscheidet. Eine konzeptuelle Grammatik wird im Rahmen dieses Ansatzes funktional mit Nowhere charakterisiert.

x Nach dem psycholinguistischen Verständnis von Grammatik geht man von einer ‚in-ternen‘ Grammatik aus, die kognitiv ausgestattet ist und auf deren Basis sich der Spre-cher bei Verwendung einer bestimmten Sprache beziehen kann. In diesem Sinne ist eine interne Grammatik nicht nur von psycholinguistischer Gestalt, sondern auch von

167 Die Input-Hypothese ist von Krashen (1985) aufgestellt. Vgl. Rohmann/Aguado (2002:277f).

168 Ebd. S. 278.

169 Ebd. S. 279.

170 Vgl. Edmondson (2002:53).

psychologischer und neurologischer. Sie variiert daher von Individuum zu Individuum etwas. Die interne Grammatik wird hierbei funktional mit Brainware beschrieben.

x Die textuelle Interpretation bezieht sich auf eine ‚externe‘ Grammatik in Form von Materialen, wie ein Buch, Heft, Lehrwerk oder einen Datenträger, in denen die betrof-fene Sprache systematisch beschrieben wird. Die externe Grammatik wird in diesem Zusammenhang funktional mit Hardware charakterisiert.171

Die hier erwähnte interne Grammatik ist nicht mit Chomskys Universalgrammatik gleich-zusetzen, wie Edmondson selber betont:

„[…] Auch der Anspruch Chomskys, Merkmale einer Universalgrammatik zu liefern, bedeutet nicht, dass eine grammatische Beschreibung eine G1 widerspiegelt, sondern eher, dass eine grammatische Beschrei-bung auf einer Ebene loziert sein müsste, auf der alle natürlichen Sprachen (im Sinne von G0) miterfasst werden können.“ (Edmondson 2002:54)

Die Bezeichnungen G1 und G0 im obigen Zitat beziehen sich jeweils auf die interne und die konzeptuelle Grammatik. Die aus dem Aspekt des Fremdspracherwerbs illustrierte Dif-ferenzierung der Interpretationen von Grammatik halte ich für sinnvoll, da mit diesem In-strumentarium die sprachlichen Probleme beim Spracherwerb genau analysiert und gezielt behandelt werden können. Beispielsweise verfügt ein Muttersprachler oft über eine höchst förderliche interne Grammatik, ohne sich der Regeln (also der externen Grammatik) be-wusst zu sein. Hingegen kann eine Person, die die expliziten Kenntnisse über eine externe Grammatik besitzt, diese jedoch in der sprachlichen Handlung nicht unbedingt umset-zen.172 Mit anderen Worten: Die interne und externe Grammatik stehen in keinem unmit-telbaren Zusammenhang, dennoch sind sie für den Fremdspracherwerb gleich relevant, da die externe Grammatik, die mittels linguistischer Untersuchung erarbeitet wurde, unter-stützende Grundlage bei der Sprachvermittlung zur Entwickelung der internen Grammatik ist.

171Vgl. Edmondson (2002:53f).

172 Ebd. S. 54.