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Integrationstheorien als Ansatz- und Ausgangspunkt

Im Dokument Europa als ein Club voller Clubs W S W (Seite 127-135)

III. Das politische System der Europäischen Union

III.1. Integrationstheorien als Ansatz- und Ausgangspunkt

List (1999) beschreibt Europa als eine „Baustelle“, auf der seit mittlerweile mehr als 50 Jahren gearbeitet wird. Dies gilt sowohl für die Vertiefung als auch die Erweiterung der Europäischen Union (vgl. Bieling/Lerch 2005): Zwischen 1980 und 2008 hat sich die Zahl der Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union verdreifacht (von 9 auf 27)164. Zudem werden weiterhin Beitrittsver-handlungen mit Bewerberländern (aktuell: Kroatien, Türkei und Ehemalige Ju-goslawische Republik Mazedonien) geführt. Neben der stetigen Erweiterung sind bis heute insgesamt vier Vertragsreformen (Einheitlich Europäische Akte 1986 sowie die Verträge von Maastricht 1992, Amsterdam 1997 und Nizza 2000) mit umfassenden institutionellen Veränderungen und Kompetenzerweite-rungen durchgeführt worden, die aus einer ursprünglichen Wirtschaftsgemein-schaft eine politische Union mit staatsähnlichen Befugnissen in vielen Politikbe-reichen haben entstehen lassen. Zieht man die Debatte über eine Verfassung für Europa und den daraus resultierenden Vertrag von Lissabon (2007), der nach seiner Ratifizierung im Jahr 2009 vor den Wahlen des Europäischen Parlaments in Kraft treten soll, hinzu, so wird der stetige Entwicklungsprozess innerhalb der Union mehr als deutlich. So reichen diese kurzen Angaben aus, um vor Augen zu führen, dass die Europäische Union und ihr politisches System stetigen Ver-änderungen und einem fortdauernden Auf- und Ausbau unterliegen. Dies macht eine wissenschaftliche Analyse des Systems sehr schwierig, da sich der Gegen-stand der Analyse gleichzeitig in mehrere Richtungen verändert. Aus diesem Grund wird das Forschungsobjekt EU auch als „moving target“ (Bieling/Lerch 2004, S. 9) bezeichnet. Trotz der fortlaufenden Entwicklung des Europäischen Integrationsraums ist es sinnvoll, sich anhand wissenschaftlicher Theorien mit diesem Prozess auseinanderzusetzen. Dazu muss man sich jedoch kurz vor Au-gen führen, was Theorien leisten können bzw. sollten: Dazu beschreibt Haftendorn (1977, S. 298) Theorien wie folgt: „Formal sind Theorien Sätze von Aussagen, die in einem logischen Zusammenhang stehen und die beanspruchen, der Wirklichkeit in überprüfbarer oder nachvollziehbarer Weise strukturell zu entsprechen. Sie dienen einer wissenschaftlichen Untersuchung als analytischer Bezugsrahmen, ermöglichen eine begrifflich-systematische Ordnung der Daten und befähigen dazu, aus den gewonnen Ergebnissen Schlüsse zu ziehen.“ Dabei erfüllen Theorien folgende Funktionen (vgl. Meyers 2000, S. 422):

164 Die Mitglieder sind: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Nieder-lande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spani-en, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern.

- Interpretationsfunktion: Strukturierung von Teilbereichen der (erfahrbaren) Realität,

- Orientierungsfunktion: Reduktion komplexer Sachverhalte auf vermeintlich einfache bzw. idealtypische Einsichten,

- Zielbeschreibungsfunktion: Anleitung zum praktischen Handeln in der „Rea-lität“,

- Handlungslegitimationsfunktion: Legitimierung praktischen Handelns in der

„Realität“ bzw. nach Wiener/Diez (2004, S. 17) „critique and normative in-tervention“,

- Epistemologische Funktion: Anleitung für die Formulierung wissenschaftli-cher Aussagen über den von der Großtheorie konstituierten Realitätsaus-schnitt sowie Bestimmung von Kriterien für deren Geltung.

Um den Integrationsraum Europa anhand einer wissenschaftlichen Theorie be-schreiben zu können, muss hier zudem festgelegt werden, was unter dem Begriff der Integration verstanden wird. Nach Kohler-Koch/Schmidberger (1996, S.

152) kann „Integration“ wie folgt definiert werden: „Integration ist die […]

friedliche und freiwillige Zusammenführung von Gesellschaften, Staaten und Volkwirtschaften über bislang bestehende nationale, verfassungspolitische und wirtschaftspolitische Grenzen hinweg“. Diese Definition eignet sich vor allem deshalb, da sie grundlegende Parallelen mit der in dieser Arbeit verwendeten Definition eines ökonomischen Clubs im Sinne Buchanans (1965) und Sand-ler/Tschirharts (1980) aufweist. Auch hier stellt der freiwillige Zusammen-schluss von Wirtschaftssubjekten – wenn nötig auch über langfristig bestehende Grenzen hinweg – zur eigenen Bereitstellung eines Clubgutes die entscheidende Grundlage dar.165 Es muss dem Leser jedoch an dieser Stelle deutlich vor Augen geführt werden, dass wissenschaftliche Theorien nicht in der Lage sind, die Rea-lität in ihrer gesamten Komplexität abzubilden. Die Erkenntnis über einen Untersuchungsgegenstand hängt unter anderem entscheidend davon ab, wie man sich ihm nähert. Dies hat Puchala (1971) in seiner hierzu lehrreichen Geschichte

„Of Blind Men, Elephants and International Integration“ deutlich gemacht, die zur Metapher für die Schwierigkeit geworden ist, die europäische Integration zu begreifen (vgl. Kohler-Koch/Conzelmann/Knodt 2004, S. 26): „Einige Blinde begegnen einem Elefanten. Jeder befühlt ihn, um zu begreifen, wie dieses Tier aussieht. Der eine ertastet den Rüssel und schließt daraus, dass es groß und schlank sein müsse; ein anderer befühlt ein Ohr und stellt sich eine flache und dünne Gestalt vor. Jeder hat sorgfältig das Studienobjekt untersucht und doch kommt jeder zu einem anderen Schluss. Jeder hat genug empirische Evidenz gesammelt, um den Beschreibungen der anderen widersprechen und damit eine lebhafte Debatte über die Natur des Tieres zu entfachen. Doch die

165 vgl. Kap. II.2.1.

gen erfassen weder einzeln noch in ihrer Addition die gesamte Gestalt des Ele-fanten.“ Der Leser muss somit für das weitere Vorgehen verstehen, dass jede Herangehensweise an einen Untersuchungsgegenstand nur selektiv erfolgt und immer nur Teilaspekte erfasst werden können.

Giering/Metz (2007) stellen heraus, dass sich seit dem Beginn der europäischen Integration zunächst vor allem drei Theorieansätze166 in der Diskussion eine zentrale Rolle gespielt haben: der Föderalismus, der Intergouvernementalismus und der (Neo-)Funktionalismus. Die Leitidee des Föderalismus ist eine auf der Basis gemeinsamer Grundrechte und –werte vertikale und horizontale Gewalten-teilung demokratischer Institutionen, in der die Kompetenzzuordnung nach dem Prinzip der Subsidiarität auf allen beteiligten politischen Ebenen erfolgt. Diese Prinzipien sollen zudem in einer Verfassung festgeschrieben sein, so dass letzt-lich ein europäischer Bundesstaat entstehen würde. Der Intergouvernementalis-mus hingegen betont aufbauend auf der Tradition des (Neo-)RealisIntergouvernementalis-mus das Pri-mat der Nationalstaaten, so dass deren Kooperationen nicht über den Status

166 Übersichten über die Integrationstheorien bieten u.a.: Bache/George (2006), Bieling/Lerch (2005), Cini (2003), Giering/Metz (2007), Kohler-Koch/Conzelmann/Knodt (2004), Meyers (2000), Wallace/Wallace/Pollack (2005) und Wiener/Dietz (2004).

nes Staatenbundes oder einer Konföderation hinausgehen. Der Integrationspro-zess wird so bestimmt durch eine enge bi- und multilaterale Abstimmung zwi-schen den Nationalstaaten. Intergouvernementale Institutionen und Instrumente bestimmen die Entscheidungsverfahren und üben die Kontrolle über die Ge-meinschaft und die GeGe-meinschaftsinstitutionen aus. Dabei wird im „liberalen Intergouvernementalismus“ zudem die Bedeutung der innenpolitischen Ent-scheidungsprozesse auf die Interessensbildung der jeweiligen Nationalstaaten betont, so dass notfalls der kleinste gemeinsame Nenner nationaler Interessen den Stand des Integrationsprozesses bestimmt. Der (Neo-)Funktionalismus hin-gegen fußt auf ökonomischen Integrationskonzepten und verfolgt eine schritt-weise Integration. Die institutionelle Gestalt folgt der wirtschaftlichen oder poli-tischen Aufgabe („form follows function“). Erste Einigungen in wenig kontro-versen Politikfeldern zwischen integrationsoffenen Politikern erzeugen so ge-nannte Spill-Over-Effekte auf andere Sachgebiete und bauen so die supranatio-nale Integration stetig aus. Die steigende Interdependenz der Staaten untereinan-der führt letztlich dazu, dass das autonome nationale Handeln immer ineffektiver wird und die Staaten nahezu gezwungen sind, ihre Souveränität durch Kompe-tenzübertragungen auf die supranationale Ebene einzuschränken. Gleichzeitig durchlaufen die betreffenden Politikfelder eine europäische Sozialisierung, so dass ein sowohl in Breite als auch Tiefe politischer Integrationsraum entsteht. In der Abb. 20 werden die kurz umrissenen Integrationstheorien zur Veranschauli-chung gegenübergestellt (vgl. Giering/Metz 2007, S. 288).

„In der Theoriendebatte hat sich nie ein Ansatz allein durchgesetzt. Es wur-den immer mehrere Alternativen diskutiert, variiert und an die tatsächliche Ent-wicklung in Europa angepasst. Jeder Ansatz erlebte Höhen und Tiefen oder wur-de gar vorübergehend fallengelassen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass keines der vorgestellten Konzepte den komplexen Integrationsprozess allein erklären, geschweige denn vorhersagen kann“ (Giering/Metz 2007, S. 289 – 290). Dabei verweisen Bache/George (2006) darauf, dass zwischen den Theorien große Un-terschiede bestehen, wer die entscheidenden Größen im Integrationsprozess sind. In der einen Perspektive sind die jeweiligen Regierungen der Nationalstaa-ten die herrschenden Akteure, während aus der anderen Sichtweise sich der In-tegrationsprozess aus den Händen der Nationalstaaten löst und sich immer mehr verselbständigt, so dass in der Literatur eine umfangreiche „intergovernmental – supranational debate“ (Bache/George 2006, S. 18) entstanden ist.167 Der aktuelle

167 Diese Debatte spielt nach wie vor auch für die aktuelle Tagespolitik eine bedeutende Rolle. So kommentiert der „Economist“ (Volume 387, Number 8586, June 28th 2008, S. 44) die Ablehnung der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon durch die irischen Bürgerinnen und Bürger im Juni 2008: “Devout federalists have their answer: unanimity is the enemy of progress in an EU of 27 countries. Under current law, all members must ratify every new treaty. Federalists angrily accuse Ireland of taking the other 26 ‚hos-tage’ by locking Lisbon. Some have called for future treaties to be ratified by

Europe-Forschungsstand hat sich darüber hinaus aber noch in vielfältiger Art und Weise weiterentwickelt: „…theorizing about the EU has in many ways moved beyond the intergouvernemental – supranational dichotomy […]. Moreover, a number of the debates’s key themes – state power, the role of organized interests, the influ-ence of supranational institutions – remain prominent in other approaches to the EU“ (Bache/George 2006, S. 18). Diese können nach Wessels (2008, S. 29) in folgender Darstellung (Abb. 21) zusammengefasst werden:

(Politik-)Wissenschaftliche Ansätze Klassische Ansätze

("grand theories")

umfassendere Ansätze, Strömungen und Schulen

Neuere Leitbegriffe der (integrations-) wissenschaftlichen Debatte (Neo-)Föderalismus

(Neo-)Funktionalismus (Realistischer)

Intergouver-nementalismus

Neo-Institutionalismus Sozialkonstruktivismus

(Marxistische) Politische Ökonomie Feministische Perspektiven

Soziologische Ansätze Historische Analysen (Staats- und europa-) rechtliche Analysen

(New) modes of gover-nance Multi-Level-Governance

Supranationalismus (liberaler) Intergouvernementalisums

Europäisierung Policy Networks

Fusion

Abb. 21: Strömungen der (politik-)wissenschaftlichen Theoriebildung Doch wie schon bei den „grand theories“ stellt auch Wessels (2008) das hier be-kannte Dilemma der (politik-)wissenschaftlichen Theorien erneut fest: „Bei aller Vorsicht und mancher Selbststilisierung einiger Autoren und Schulen ist auch gegenwärtig nicht eine Theorierichtung als ‚herrschende Schule’ zu erkennen, die als dominierendes Paradigma Leitbegriffe und Referenzpunkte abschließend

wide referendums held on a single day. These, they suggest, could be carried by a dou-ble majority of EU citizens, living in a majority of the 27 countries. But it is not going to happen, for it would mean overturning the established principle that EU treaties are agreements between sovereign states. And a large majority of national governments are just not ready for that.” Vgl. auch Wessels (2008, S. 39 – 41).

setzen würde. Vielmehr sind Vielfalt und Vielklang allein der politikwissen-schaftlichen Arbeiten auch ohne umfassendere Berücksichtigung anderer Diszip-linen […] kaum noch zu erfassen oder zeitnah zu ordnen“ (Wessels 2005, S.

428). Unter anderem arbeitet er zwei Aspekte heraus, die aus seiner Sicht bei den oben aufgeführten Theoriebildungen zu sehr in den Hintergrund geraten:

Zum einen fordert Wessels, bei der Untersuchung des politischen Systems der Europäischen Union zwischen der „geschriebenen“, „gelebten“ und „gewollten“

Verfassung zu unterscheiden (Wessels 2005, S. 431). So gilt es in seinen Augen, die Wechselwirkungen der Normen und Werte zwischen den geschriebenen Ver-trags- bzw. Verfassungstexten und der täglichen Praxis der Politik herauszuar-beiten. Dies liegt vor allem daran, dass die erlassenen Vorschriften von den Ak-teuren in der Regel interpretiert und weiterentwickelt werden. „Bei den zentra-len Verfahren des Vertragswerks ist den geschriebenen Bestimmungen keine de-finitive und eindeutige Interpretation als strikte Handlungsanweisung zu ent-nehmen“ (Wessels 2008, S. 38). Zum andern bemängelt er, dass sich die wissen-schaftliche Theorie bei der Analyse eines Untersuchungsgegenstands zu statisch verhält. „Der Nachteil vieler dieser Charakterisierungen liegt in der Statik einer Momentaufnahme; sie ermöglicht nicht, die Evolution der EU in einer dynami-schen Perspektive über die Zeit zu erfassen. Als Desiderat bleibt die Suche nach Fundamentalfaktoren einer ‚Bewegungsgesetzlichkeit’; gibt es eine ‚allgemeine Integrationstheorie’, die - über orts- und zeitgebundene Ansätze mittlerer Reichweite hinaus – Formen und Kräfte der Integrationsdynamik kausal erklä-ren hilft?“ (Wessels 2005, S. 438). Dass die Berücksichtigung der Dynamik des Integrationsprozesses der Europäischen Union eine unabdingbare Notwendigkeit ist, zeigt allein ein kleiner Auszug der Präambel des noch zu ratifizierenden Ver-trags von Lissabon, in der bereits sehr deutlich detaillierte Forderungen für die Weiterentwicklung der Union enthalten sind:

„[Die Staatsoberhäupter der Europäischen Union…],

ENTSCHLOSSEN eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu verfolgen, wozu nach Maßgabe des Artikels 42 auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungs-politik gehört, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte […],

ENTSCHLOSSEN, den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Euro-pas, in der die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden, weiterzuführen,

IM HINBLICK auf weitere Schritte, die getan werden müssen, um die europäische Integrati-on voranzutreiben,

HABEN BESCHLOSSEN, eine Europäische Union zu gründen […].“

Dabei betont Wessels (vgl. 2005 und 2008), dass zur Erfassung der Praxis und der Dynamik durchaus auch Fallstudien, Erzählungen von Akteuren und Be-obachtungen herangezogen werden können, die auf spezifische Verhaltensmus-ter hinweisen. Letztlich entsteht so eine umfangreiche Informationssammlung,

deren Inhalte keineswegs in Wessels Augen aufgrund einer durchzusetzenden

„grand theory“ weggewischt werden dürfen. Wie der Auszug der Präambel zeigt, sind auch zukünftig stufenweise Veränderungen der Vertragstexte zur Europäi-schen Union zu erwarten. Um darstellen zu können, welche Anforderungen zu-künftig an wissenschaftliche Theorien bei der Untersuchung der Europäischen Union gestellt werden müssen, entwickelt Wessels (2008, S. 44) das Modell ei-ner Integrations- bzw. Fusionsleiter, in der die genannten Elemente eines mögli-chen Ablaufs des zukünftigen Integrationsprozesses berücksichtigt und darge-stellt werden.168

Abb. 22: Fusionsleiter nach Wessels (2008)

Auf der vertikalen Achse wird die Zuständigkeitsverteilung auf die supranatio-nale Ebene beschrieben. Die horizontale Achse drückt das Ausmaß der geschaf-fenen supranationalen Organe aus. Die Inhalte der Vertragstexte zur Europäi-schen Union werden durch die stufenförmige Linie beschrieben. Jeder Vertrags-änderung führt entsprechend zu einer neuen Stufe, so dass sich ein stufenförmi-ger Ablauf ergibt. Die gelebte Praxis des politischen Entscheidungsprozesses hingegen muss eher als graduelle Linie bzw. als kontinuierliche

168 Dabei betont Wessels (2008, S. 44) ausdrücklich, dass die Abbildung seine Argumente in der Diskussion über die Inhalte wissenschaftlicher Theorien beschreiben soll. Keines-falls ist hier ein Automatik oder Pfadabhängigkeit in eine bestimmte Entwicklungsrich-tung für die EU in der Realität vorgegeben.

Horizontale Dimension:

supranationale Organe Vertragsänderung

Vertragstext (de facto) Praxis Vertikale

Dimension:

Zuständigkeits-verteilung

lung verstanden werden. Auf diese Weise beschreibt Abb. 22 deutlich, dass sich die gelebte Praxis von dem geschriebenen Vertragstext in einem bestimmten Ausmaß entfernt, bis es zu einer Vertragsänderung bzw. –anpassung kommt.169

Die Argumentation und Sichtweise Wessels (2005, 2008) wird hier deshalb besonders betont, da auch die vorliegende Arbeit in diesen Kontext einzuordnen ist. Dem Leser muss für die weitergehende Analyse bewusst sein, wie der mög-liche Nutzen und Aussagewert der ökonomischen Clubtheorie in Bezug auf das politische System der Europäischen Union einzuordnen ist. Sicher ist, ohne im Vorfeld Analyseergebnisse vorweg nehmen zu wollen, dass auch die Clubtheorie in ihrer Analysewirkung Aspekte der den wissenschaftlichen Theorien zugeord-neten Funktionen gewinnbringend bedienen kann. In welchem Ausmaß und mit welchen der in Kapitel II vorgestellten Elemente der Clubtheorie dies gelingen kann, ist der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Sicher ist im vornherein aber ebenso, dass durch die hier angewandte ökonomische Theorie nur ein klei-ner Beitrag zur Gesamtanalyse des Integrationsraums Europa geleistet werden kann. Behält man dies stets in Erinnerung, so können die Analyseergebnisse ent-sprechend bewertet werden. Der Argumentation Wessels weiter folgend können in der folgenden Analyse auch nur Fallbeispiele untersucht werden. Dabei wird der Anspruch erhalten, neben dem geschriebenen Regelwerk auch die Praxis der gelebten Auslegung der Verträge zu berücksichtigen. Wie die Vorstellung der Clubtheorie bereits deutlich gemacht hat, ist darüber hinaus sowohl eine stati-sche aber auch dynamistati-sche Sichtweise möglich. Eine alles umfassende Darstel-lung des politischen Raums Europas kann jedoch nicht geleistet werden. So sol-len im weiteren Vorgehen zum einen drei „formelle Clubs“ (die Europäische Union, das Schengener Abkommen und die Eurozone) und zum anderen drei

„informelle Clubs“ (die Großregion SaarLorLux, die Arbeitsgemeinschaft Al-penregion und die Euregionale Academie) im politischen System der Europäi-schen Union analysiert werden. Die Bezeichnung „formell“ bzw. „informell“ ist hier selbständig gewählt und bezieht sich auf den Rechtsstatus des jeweiligen Clubs. Die „formellen“ Zusammenschlüsse haben durch völkerrechtliche Ver-träge einen Rechtsraum geschaffen und Hoheitsrechte an supranationale Institu-tionen übertragen.170 Bei den „informellen“ Bündnissen fehlt die Abgabe von Hoheitsrechten an supranationale Ebenen. Die gewählte Form der Zusammenar-beit bzw. Kooperation funktioniert meist auf Basis des „Erfinderreichtums“ der

169 Eine solche Anpassungsreaktion muss jedoch keinesfalls die Regel sein. Der Fall wird hier nur zu Darstellungszwecken entsprechend beschrieben.

170 Das Schengener Abkommen stellte hier einen Sonderfall dar. Die Verträge bildeten eine zum Gemeinschaftsrecht der EU konkurrierende Rechtsmaterie, galten jedoch mit dem Ziel der Überführung in das Gemeinschaftsrecht als Übergangsrecht mit Eignung zur Rechtsfortbildung (vgl. Foerster 1996, S. 19 – 44). Durch den Vertrag von Amsterdam (1999) wurde der Schengen-Besitzstand in den Rechtsrahmen der EG überführt (Art. 61 – 69 EGV, Protokoll zum EUV). Vgl. hierzu Hillenbrand (2007) sowie Kap.III.3.3.

jeweils Beteiligten - wenn auch mittlerweile mit Unterstützung aus Brüssel zur Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für verschiedene Formen von Kooperationsmöglichkeiten (vgl. Kohlisch 2008, S. 21 – 22).171 Zunächst folgt jedoch ein Exkurs, in dem die bereits in Abb. 21 benannte wissenschaftliche In-tegrationstheorie der „multi-level-governance“ mit einer Ausfächerung der Clubtheorie, nämlich dem Konzept der FOCJ, verknüpft wird. Es findet hier al-lein durch die Spezifizierung von politik- und wirtschaftswissenschaftlichen An-sätzen eine sich gegenseitig untermauernde Verbindung statt, die vor Augen füh-ren soll, welche Möglichkeiten die Clubtheorie in Ergänzung zu politikwissen-schaftlichen Ansätzen bieten kann. Somit stellt der Exkurs gleichfalls ein einlei-tendes Beispiel für das Ziel dieser Arbeit dar.

Im Dokument Europa als ein Club voller Clubs W S W (Seite 127-135)