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TEIL II: Die Konzeption

5 Das Konzept der Volkswirtschaftlichen Gesamtrech- Gesamtrech-nung Liechtensteins

5.3 Das Kontensystem der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Liechtensteins

5.3.2 Integration von Entstehungsrechnung und Verteilungsrechnung

In der Theorie der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden drei verschiedene Rechnungsarten unterschieden, nach denen das gesamtwirt-schaftliche Einkommen ermittelt werden kann:

• Entstehungsrechnung (= Produktionsansatz),

• Verteilungsrechnung (= Einkommensansatz),

• Verwendungsrechnung (= Verwendungs- bzw. Ausgabenansatz).

Die drei Ansätze korrespondieren mit dem Bild des Wirtschaftskreislaufes, wonach durch die Produktion von Gütern Einkommen entstehen, die an-schliessend zwischen den Wirtschaftssubjekten verteilt und umverteilt wer-den, um im dritten Schritt wieder für Güter ausgegeben zu werden. Im ersten Ansatz, der Entstehungsrechnung, werden die erwirtschafteten Einkommen erfasst, im zweiten Ansatz die verteilten Einkommen und im dritten Ansatz

die ausgegebenen Einkommen.150 Theoretisch resultiert bei allen drei Ansät-zen dieselbe Einkommenshöhe. In der praktischen Berechnung zeigen sich aber Differenzen, wofür die unterschiedliche Qualität der verwendeten Ba-sisdaten verantwortlich ist.151

Im Kontensystem des ESVG 95 stehen die Entstehungsrechnung und die Verwendungsrechnung im Vordergrund, während der Verteilungsrechnung eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt. Der Stellenwert der Entste-hungsrechnung und der Verwendungsrechnung zeigt sich besonders deutlich beim Güterkonto des ESVG 95. Im Güterkonto werden die einzelnen Trans-aktionen der Entstehungs- und Verwendungsrechnung zusammengeführt, um die im ersten Rechengang ermittelten Ergebnisse aufeinander abzustimmen, während die Transaktionen der Verteilungsrechnung höchstens als zusätzli-che Kontrolle verwendet werden. Elemente der Verteilungsrechnung zeigen sich zwar im zweiten, dritten und vierten Konto des ESVG 95. Das traditio-nelle Volkseinkommen, welches Dreh- und Angelpunkt der Verteilungs-rechnung darstellt,152 wird im ESVG 95 aber nicht ausgewiesen, obwohl es ohne weiteres aus den erfassten Transaktionen hergeleitet werden kann.

In Abweichung vom ESVG 95 kombiniert die VGR FL die Entstehungs-rechnung nur mit der VerteilungsEntstehungs-rechnung, während die Transaktionen der Verwendungsrechnung (Konsumausgaben, Bruttoanlageinvestitionen, Vor-ratsveränderungen, Exporte abzüglich Importe) angesichts der besonderen Erfassungsschwierigkeiten betreffend Konsumausgaben und Aussenhandel nicht aufscheinen. Stattdessen führt die VGR FL die in den Konten 2 und 3 des ESVG 95 begonnene Verteilungsrechnung zu Ende, um auch ohne Ver-wendungsrechnung zu einem geschlossenen Kontensystem zu gelangen.

Mit der Fortführung der Verteilungsrechnung in den Konten 4 und 5 der VGR FL sind zwei Vorteile verbunden. Zum einen ist es auf diese Weise möglich, die ausgewiesenen Aggregate von zwei Seiten zu berechnen und die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung auch ohne Güterkonto

150 Reich (Sozialprodukt), S. 143, und Brümmerhoff (VGR), S. 44ff. Vgl. auch Hicks (Social Framework), S. 119f., und Stone (Functions), S. 1.

151 Vgl. Reich (Sozialprodukt), S. 188.

152 Reich (Sozialprodukt), S. 173.

men.153 Zum anderen erhält man mit dem Volkseinkommen jenes volkswirt-schaftliche Aggregat, das als Einziges bereits in den Vierzigerjahren für Liechtenstein berechnet wurde und somit für Vergleiche über einen längeren Zeitraum besonders interessant ist.

Um die Entstehungsrechnung mit der vollständigen Verteilungsrechnung zu kombinieren, ist es notwendig, das im ESVG 95 ausgewiesene Bruttonatio-naleinkommen mit dem Volkseinkommen zu verbinden. Die Verbindung wird im vierten Konto der VGR FL hergestellt und macht sich folgende Be-ziehung zwischen den beiden Aggregaten zunutze:

153 Wichtig ist dies deshalb, weil es wegen der geschilderten Erfassungsschwierigkeiten in der VGR FL nicht möglich ist, ein Güterkonto zu berechnen. Das Güterkonto wird üblicherweise zur Abstimmung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung herangezogen. Die Abstimmung im Kontensystem der VGR FL erfüllt nur dann ihren Zweck, wenn zumindest ein Teil der Transaktionen des Volkseinkommenskontos eigenständig berechnet wird.

Tabelle 5-4: Die Umrechnung vom Bruttonationaleinkommen zum Volkseinkommen

B.5 Bruttonationaleinkommen zu Marktpreisen154 1855

= Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen 1855 - D.2 Produktions- und Importabgaben155 - 235

+ D.3 Subventionen 44

- K.1 Abschreibungen156 -222

= Nettosozialprodukt zu Faktorkosten157 1442

= B.51 Volkseinkommen 1442

Die Zahlenangaben in der rechten Spalte sind dem Zahlenbeispiel des ESVG 95 entnommen.158 Verwendet wird diese rechnerische Verbindung zwischen Bruttonationaleinkommen und Volkseinkommen bereits im Sozialprodukts-konto des OECD-Systems von 1952.159 Sie ergibt sich unmittelbar aus den

154 Gemäss ESVG 95 ist „das Bruttonationaleinkommen (zu Marktpreisen) ... konzeptionell mit dem Bruttosozialprodukt (BSP) identisch, so wie es früher (einschliesslich dem ESVG, 2. Auf-lage) in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen allgemein üblich war.“. ESVG 95, 8.94.

Vgl. auch ESVG 95, 1.07, sowie SNA 93, 7.16.

155 Anstelle des Begriffs „Produktions- und Importabgaben“ wurde früher bei der Umrechnung vom Bruttosozialprodukt zum Volkseinkommen der Begriff „Indirekte Steuern“ verwendet.

Diese beiden Begriffe entsprechen sich inhaltlich. Vgl. SNA 93, 7.50.

156 Vgl. Reich (Sozialprodukt), S. 50.

157 Der Begriff Nettosozialprodukt zu Faktorkosten ist ein Synonym für Volkseinkommen. Vgl.

z.B. Stobbe (Vwl), S. 384.

158 Vgl. ESVG 95, Tabelle A.IV.1, S. 357ff. Die reinvestierten Gewinne aus/ an übrige Welt (D.43) sind bei der Umrechnung vom Bruttonationaleinkommen auf das Volkseinkommen eben-falls zu berücksichtigen. Sie wurden aber nicht in die Tabelle aufgenommen, um das Grundprin-zip hervorzuheben und den Bezug zu den älteren Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zu verdeutlichen.

159 Vgl. OECD (System 1952), S. 34. Diese Beziehung zwischen Bruttosozialprodukt zu Markt-preisen und Volkseinkommen findet sich in derselben Form auch in OECD (System 1958), S.

42, und in Eidgenössisches Statistisches Amt (Konzeption), S. 134.

Definitionen der Begriffe „Brutto“ und „Netto“ sowie der Begriffe „zu Marktpreisen“ und „zu Faktorkosten“. Brutto bedeutet in den Volkswirt-schaftlichen Gesamtrechnungen vor Abzug der Abschreibungen, während bei einer Nettogrösse die Abschreibungen abgezogen sind. Die Bewertung einer Grösse zu Marktpreisen beinhaltet per definitionem die Produktions- und Importabgaben und schliesst die Subventionen aus, während bei einer Bewertung zu Faktorkosten dies gerade umgekehrt ist.160

Nach Umrechnung des Bruttonationaleinkommens auf das Volkseinkommen wird die Integration von Entstehungsrechnung und Verteilungsrechnung im fünften Konto der VGR FL mit der Aufgliederung des Volkseinkommens auf die beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital abgeschlossen.

160 In der Bewertung der Güterproduktion zu Marktpreisen sind die Produktions- und Import-abgaben enthalten, da sie von den Unternehmen aus dem Erlös der Güterverkäufe auf dem Markt zu entrichten sind. Andererseits bewirkt die Ausrichtung staatlicher Subventionen an die Unternehmen, dass die Unternehmen ihre Verkaufspreise senken können und der Marktpreis tiefer ist, als er bei Ausbleiben von Subventionen wäre. In der Bewertung der Güterproduktion zu Marktpreisen findet sich deshalb kein Subventionsanteil.

Umgekehrt stellt sich die Situation bei der Bewertung zu Faktorkosten dar. Bewertung zu Fak-torkosten bedeutet, dass die Güterproduktion anhand der Entgelte für die eingesetzten Produkti-onsfaktoren (Arbeit, Boden, Kapital) bewertet wird. Den Produktions- und Importabgaben stehen keine solchen Faktorleistungen gegenüber, sie sind deshalb bei einer Bewertung zu Fak-torkosten nicht zu berücksichtigen. Andererseits wird ein Teil der Entgelte für die eingesetzten Faktorleistungen von den Unternehmen aus staatlichen Subventionen finanziert, sie dürfen des-halb nicht wie bei der Bewertung zu Marktpreisen abgezogen werden. Aus der unterschiedlichen Einbeziehung der Produktions- und Importabgaben und der Subventionen in der Bewertung zu Marktpreisen bzw. zu Faktorkosten folgt dann unmittelbar, dass die Produktions- und Importab-gaben vom Bruttonationaleinkommen abzuziehen sind, um zum Volkseinkommen zu gelangen, während die Subventionen hinzuzurechnen sind.