• Keine Ergebnisse gefunden

TEIL I: Die Grundlagen

3 Die Situation Liechtensteins in Bezug auf den Aufbau der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

3.1 Wieso eine Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für Liechtenstein?

3.1.3 Finanzpolitische Gründe

Aus finanzpolitischer Sicht sprechen folgende Gründe für den Aufbau der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Liechtensteins:

• bessere Datengrundlage für Anpassungen des Steuersystems,

• genauere Abschätzung der zu erwartenden Steuererträge,

• gesamtwirtschaftliche Beurteilung der Finanzpolitik,

• genauere Aufteilung der Mehrwertsteuererträgnisse,

• Festlegung des Beitrags für die Entwicklungszusammenarbeit an-hand des Bruttosozialproduktes.

In der Geschichte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erwies sich der Wunsch nach einem gerechteren Steuersystem als einer der Hauptgründe für deren Entstehung und Weiterentwicklung. Im Vordergrund stand dabei

59 Verordnung (EG) Nr. 2223/ 96 des Rates vom 25. Juni 1996 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der Europäi-schen Gemeinschaft (ESVG 95), ABl. L 310 vom 30.11.1996, S. 1.

60 Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 13/ 1999 vom 29. Januar 1999 über die Änderung des Anhangs XXI (Statistik) des EWR-Abkommens. Kundmachung der Beschlüsse Nr. 1/ 1999 bis 14/ 1999 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses, LGBl. 1999 Nr. 77.

die Einführung einer allgemeinen Einkommenssteuer.61 Das liechtensteini-sche Steuersystem belegt die natürlichen Personen mit einer Vermögens- und Erwerbssteuer, lässt aber die Vermögenseinkommen aus Finanzanlagen und Immobilien steuerfrei. Der Schritt zu einer allgemeinen Einkommenssteuer ist noch nicht vollzogen. Da eine solche begrenzte Einkommensbesteuerung dem Postulat der Steuergerechtigkeit widerspricht, wurde den Stimmberech-tigten 1990 in einer Totalrevision des Steuergesetzes u.a. die Einführung der Einkommenssteuer vorgeschlagen. Die Gesetzesänderung wurde jedoch verworfen.62 Es ist damit zu rechnen, dass die Diskussion über die Einkom-mensbesteuerung zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden wird, da die grundsätzlichen Mängel weiterhin bestehen. Die Daten der VGR FL liessen sich dann verwenden, um das potentielle Steueraufkommen einer allgemeinen Einkommenssteuer abzuschätzen und die Steuersätze der politi-schen Zielsetzung entsprechend - z.B. aufkommensneutral - auszugestalten.

Dies gilt ebenso für andere Anpassungen des Steuersystems, nicht nur für die Einführung einer allgemeinen Einkommenssteuer.63

Auch für den jährlichen Landesvoranschlag und die Finanzplanung des Lan-des ist es notwendig, das zukünftige Steueraufkommen zu schätzen. Da die Einnahmenentwicklung einer Reihe ergiebiger Steuerarten (Vermögens- und Erwerbssteuer, Kapital- und Ertragssteuer, Mehrwertsteuer) relativ eng mit der Entwicklung der volkswirtschaftlichen Aggregate verbunden ist, können Prognoserechnungen im Rahmen der VGR FL mithelfen, die zu budgetieren-den Steuereinnahmen abzuschätzen.64 Gerade in den letzten Jahren haben

61 Sowohl William Petty wie Boisguilbert und Vauban benutzten ihre Berechnungen, um für die Einführung einer allgemeinen Einkommenssteuer zu plädieren und das mögliche Steuerauf-kommen zu berechnen. Vgl. Studenski (Income), S. 29, 53 und 55 sowie Abschnitt 2.3 dieser Arbeit.

62 Volksabstimmung vom 19./ 21. Oktober 1990.

63 Vgl. Kaldor (White Paper), S. 181: „It is impossible to judge intelligently the system of taxa-tion ... without a quantitative record of the total economic activity of the nataxa-tion, which forms its backgrond.“

64 So dient z.B. in Österreich die VGR auf Bundesebene als „... das Budgetierungshilfsmittel par excellence...“. Franz (Daten), S. 126.

sich in Liechtenstein - bedingt durch die Umstellung auf die Mehrwertsteuer und den überproportionalen Anstieg der Einnahmen aus der Kapital- und Ertragssteuer - die Abweichungen zwischen den budgetierten und den tat-sächlichen Einnahmen des Landes verstärkt.65 Letztlich können derartige Ab-weichungen dazu führen, dass der Landesvoranschlag und die Finanzplanung in ihrer Funktion als finanzpolitische Steuerungsinstrumente geschwächt werden.66

Die Berechnung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ermöglicht, die Finanzpolitik des Staates nicht nur anhand der finanzpolitischen Grundsätze im engeren Sinne auszugestalten und zu beurteilen, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung der Gesamtwirtschaft.67 Wachsen z.B. die Staatsaus-gaben rascher als die Gesamtwirtschaft, so wird sich früher oder später die Frage nach einer Erhöhung der Steuersätze oder zusätzlicher Kreditaufnahme stellen. Mithilfe von Staatsquoten wie der Realausgabenquote und der Abgabenquote68 lassen sich die Beziehungen zwischen Staatshaushalt und Gesamtwirtschaft zahlenmässig darstellen und entsprechende Ziele formu-lieren.69

Ein weiterer Grund für die Berechnung der VGR FL ergibt sich im Zusam-menhang mit der Aufteilung der gemeinsamen Mehrwertsteuererträgnisse mit der Schweiz. Gemäss der Vereinbarung zwischen Liechtenstein und der

65 Während für den Zeitraum von 1990 bis 1994 eine durchschnittliche Abweichung der budge-tierten Steuereinnahmen von den realisierten Steuereinnahmen in der Höhe von 3.2 % zu be-obachten war, betrug die Abweichung für die Jahre 1995 bis 1998 durchschnittlich 12.4 %.

66 Vgl. zur Budgetierung der Steuereinnahmen und zur Steuerungsfunktion des Landesvoran-schlages Heeb (Staatshaushalt), S. 187 und 219.

67 Vgl. Heeb (Staatshaushalt), S. 228, und Kaldor (White Paper), S. 181.

68 Die Realausgabenquote stellt das Verhältnis der Ausgaben des Staates für die Erstellung öffentlicher Güter zum Bruttonationaleinkommen dar, während die Abgabenquote die gesamten Steuerzahlungen und sonstigen Abgaben (inkl. Sozialversicherung) in Beziehung zum Bruttona-tionaleinkommen setzt. Vgl. Blankart (Öffentliche Finanzen), S. 135f.

69 Bei der Interpretation der Staatsquoten ist allerdings genau darauf zu achten, was gemessen wird, um Fehlschlüsse zu vermeiden. Vgl. zur Problematik von Staatsquoten Gantner (Mess-probleme), S. 25ff.

Schweiz betreffend die Mehrwertsteuer im Fürstentum Liechtenstein werden die in den beiden Hoheitsgebieten eingenommenen Mehrwertsteuererträg-nisse einem gemeinsamen Pool zugeführt.70 Der Pool wird jährlich (nach Ausscheidung der Einnahmen aus dem Bereich Banken, Versicherungen, Immobilien und Beratung) gemäss der Bevölkerungszahl und dem Volksein-kommen beider Staaten aufgeteilt. Für Liechtenstein berechnet die Stabs-stelle Finanzen das Volkseinkommen gemäss der Gliederung des Kontos

„Volkseinkommen nach Einkommensarten“.71 Gegenüber dieser Berech-nungsweise - derzeit die einzig mögliche - hat die Berechnung des Volksein-kommens im Rahmen der VGR FL den Vorteil, dass das Kontensystem zu-sätzliche Kontrollmöglichkeiten eröffnet. Mit dem Aufbau der Volkswirt-schaftlichen Gesamtrechnung müssen zudem die Datengrundlagen verbessert werden, was ebenfalls zu einer besser abgestützten Berechnung des Volks-einkommens beiträgt.

Von finanzpolitischer Bedeutung ist die Volkswirtschaftliche Gesamtrech-nung schliesslich bei der Festlegung des staatlichen Beitrages für die wicklungszusammenarbeit. Anlässlich der Konferenz für Umwelt und Ent-wicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro, an welcher Liechtenstein ver-treten war, haben sich die Industrieländer darauf geeinigt, ihre Mittel für Entwicklungszusammenarbeit so rasch wie möglich auf 0.7 % des Brutto-sozialproduktes zu erhöhen. Wie bei den staatlichen Beiträgen an internatio-nale Organisationen stellt sich hier das Problem, dass die zu verwendende Schlüsselgrösse für Liechtenstein nicht vorliegt.72

70 Vereinbarung zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweizerischen Eidgenossen-schaft zum Vertrag betreffend die Mehrwertsteuer im Fürstentum Liechtenstein, LGBl. 1995 Nr. 31, Art. 7.

71 Das Konto „Volkseinkommen nach Einkommensarten“ wurde in der ehemaligen Nationalen Buchhaltung der Schweiz verwendet und entspricht in seiner Untergliederung dem Volksein-kommenskonto im Standardsystem der OECD von 1958. Vgl. Eidgenössisches Statistisches Amt (Konzeption), S. 134, und OECD (System 1958), S. 42.

72 Bis zur Berechnung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung hat die Regierung beschlos-sen, für den staatlichen Beitrag an die Entwicklungszusammenarbeit 1 % der budgetierten Ge-samtausgaben des Landes einzusetzen. Regierung (Aussenpolitik), S. 71, und Regierung