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TEIL II: Die Konzeption

5 Das Konzept der Volkswirtschaftlichen Gesamtrech- Gesamtrech-nung Liechtensteins

5.1 Anforderungen an die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung Liechtensteins

5.1.1 Anpassung an die liechtensteinische Situation

In Kapitel 3 wurden die Schwierigkeiten dargestellt, die sich aus der Klein-heit Liechtensteins und der offenen Zollgrenze zur Schweiz für den Aufbau der VGR FL ergeben. Mit den kleinstaatlichen Verhältnissen hängt auch zu-sammen, dass statistische Daten über den Konsum, die Investitionen und den Aussenhandel weitgehend fehlen.

Angesichts dieser Ausgangssituation und der eingeschränkten personellen Kapazitäten in der amtlichen Statistik wäre es unrealistisch, eine Volkswirt-schaftliche Gesamtrechnung aufbauen zu wollen, die alle Teilrechnungen umfasst. Auch grössere Länder beschränken sich auf Teilbereiche der Volks-wirtschaftlichen Gesamtrechnungen.139 Ich schlage deshalb vor, für die VGR FL ein reduziertes Kontensystem zu verwenden, das auf die besonderen Er-fassungsschwierigkeiten im Bereich des Konsums, der Investitionen und des Aussenhandels Rücksicht nimmt und nur bestimmte Teilrechnungen um-fasst.

Dabei muss die VGR FL nicht nur an die besonderen Erfassungsschwierig-keiten angepasst, sondern auch so ausgestaltet werden, dass sie

139 So verzichtet z.B. die Schweiz bis anhin auf die Finanzierungsrechnung, die Bestandesrech-nung und das Input-Output-System. Vgl. Bundesamt für Statistik (Methoden), S. 18.

mässig für einen Kleinstaat wie Liechtenstein bewältigbar bleibt. Möglich-keiten zur Vereinfachung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen liegen in:

• der Beschränkung auf institutionelle Einheiten,

• dem Verzicht auf ein Input-Output-System,

• der Beschränkung auf Stromgrössen,

• dem Verzicht auf den gesonderten Ausweis bestimmter Untertrans-aktionen,

• der Berechnung zu laufenden, nicht zu konstanten Preisen,

• dem Verzicht auf die Erfassung von betragsmässig unbedeutenden Einzeltransaktionen und Teilsektoren,

• der Beschränkung auf die Ebene der Gesamtwirtschaft.

Bei der Anpassung der VGR FL an die kleinstaatlichen Verhältnisse kann allerdings nicht allein danach gestrebt werden, die besonderen Erfassungs-schwierigkeiten zu vermeiden und das Kontensystem so weit als möglich zu vereinfachen. Denn mit dem Entscheid für eine reduzierte und vereinfachte Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gehen naturgemäss bestimmte Infor-mationen und Analysemöglichkeiten verloren. Es muss im Hinblick auf die spätere Nutzung der VGR FL abgewogen werden, welche Bereiche der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen im reduzierten Kontensystem be-rücksichtigt werden sollen und auf welche Bereiche vorderhand oder über-haupt zu verzichten ist. Dabei sind folgende Anforderungen an die VGR FL zu beachten:

1. Die Ergebnisse der VGR FL müssen international vergleichbar sein.

2. Die VGR FL muss trotz der Reduzierung des Kontensystems für die möglichen Nutzer relevant bleiben.

3. Das Kontensystem muss konsistent sein und Kontrollmöglichkeiten eröffnen.

4. Die Datenbeschaffung für die VGR FL muss relativ einfach sein.

5. Die VGR FL muss ausbaufähig sein.

Diese Anforderungen an die Ausgestaltung der VGR FL werden in den fol-genden Abschnitten erläutert.

5.1.2 Internationale Vergleichbarkeit

Häufig interessiert nicht die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes als solche, sondern der Quervergleich mit der Entwicklung in anderen Ländern.

Will man volkswirtschaftliche Grössen wie das Bruttoinlandsprodukt heran-ziehen, um die finanziellen Beiträge der Mitgliedstaaten internationaler Organisationen zu berechnen, müssen die volkswirtschaftlichen Grössen ebenfalls miteinander verglichen werden können.140 Die Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erhalten erst dann ihre volle Be-deutung, wenn sie international vergleichbar sind.

Für die VGR FL bedeutet die Anforderung internationaler Vergleichbarkeit, dass die Konten, Transaktionen, Wirtschaftseinheiten und Sektoren der VGR FL möglichst so zu definieren sind, wie dies in den internationalen Richtli-nien festgelegt ist. Gleichzeitig erleichtert dies den Aufbau der VGR FL und hilft, durch Vergleiche mit den Resultaten anderer Länder mögliche Fehler-quellen zu eruieren.

Vergleicht man die Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen von Kleinstaaten mit jenen anderer Länder, ist allerdings besondere Sorgfalt geboten. Für internationale Vergleiche werden häufig Pro-Kopf-Werte he-rangezogen, ohne dass in jedem Fall darauf geachtet wird, ob eine Grösse konzeptionell gesehen zur Bevölkerung oder zur Anzahl Erwerbstätiger in Beziehung gesetzt werden müsste. Solange das Verhältnis zwischen Bevöl-kerung und Erwerbstätigen in den zu vergleichenden Ländern praktisch gleich ist, führt die Verwendung der falschen Zahl im Nenner zu keiner Ver-zerrung. Da Liechtenstein aufgrund der grossen Anzahl Zupendler aber einen überdurchschnittlichen Anteil Erwerbstätiger an der Bevölkerung auf-weist,141 ist es bei Ländervergleichen besonders wichtig, die

140 Bereits in der ersten Richtlinie der Vereinten Nationen über Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen im Jahre 1947 wurde die Bedeutung internationaler Vergleichbarkeit heraus-gestrichen und die Problematik des Beitragsschlüssels für internationale Organisationen angesprochen. Vgl. United Nations (Social Accounts), S. 9, 18 und 113.

141 Der Anteil der in Liechtenstein Beschäftigten an der Wohnbevölkerung belief sich am 31.

Dezember 1998 auf 74 %. Vgl. Amt für Volkswirtschaft (Arbeitsplätze 1998), S. 7.

bezogenen Transaktionen und Aggregate pro Erwerbstätigen und nicht pro Einwohner zu berechnen. Es würde zu einem falschen Bild führen, wenn das liechtensteinische Bruttoinlandsprodukt, das eine Produktionsgrösse dar-stellt, pro Einwohner berechnet und dann mit dem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in anderen Ländern verglichen würde.

5.1.3 Relevanz und Konsistenz

Die Reduzierung des Kontensystems muss dort ihre Grenze finden, wo we-sentliche Verwendungszwecke gefährdet würden oder die VGR FL nicht mehr konsistent wäre.

Für die meisten Nutzer steht die Berechnung des Bruttoinlandsproduktes und des Bruttonationaleinkommens im Zentrum des Interesses. Diese Grössen ermöglichen es, die Produktions- und Einkommensentwicklung zu beobachten und die wirtschaftliche Situation Liechtensteins mit jener anderer Länder zu vergleichen. Sie liefern Grundlagen für die Beurteilung des Wirtschaftsver-laufs, die Konzipierung und Beurteilung wirtschaftspolitischer Massnahmen, die Finanzpolitik sowie die Bemessung der staatlichen Beiträge an interna-tionale Organisationen und an den liechtensteinischen Entwicklungsdienst.

Ihre Relevanz würde die VGR FL meines Erachtens erst dann verlieren, wenn sie weder das Bruttoinlandsprodukt noch das Bruttonationaleinkom-men ausweisen würde.142

Wenn die VGR FL die Wertschöpfung zusätzlich auch branchenmässig aus-weist, bietet sie den Gewerbeunternehmen die Möglichkeit, die eigene Wett-bewerbsposition und deren Entwicklung mit den liechtensteinischen Mitbe-werbern zu vergleichen und so die eigenen Stärken und Schwächen zu analysieren. Im Fall einer Rezession ermöglichen die Wertschöpfungsdaten, den Produktionsrückgang branchenmässig zu quantifizieren und die beson-ders betroffenen Branchen zu eruieren. Dies würde helfen, die Ursachen der

142 Ein derart reduziertes Kontensystem liesse sich auch kaum mehr als Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung bezeichnen.

Rezession zu analysieren und langfristig orientierte Massnahmen zur Vor-beugung oder Abschwächung zukünftiger Einbrüche zu ergreifen.143

Die VGR FL wäre aber auch in Frage gestellt, wenn das Kontensystem nicht konsistent wäre. Konsistenz bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Kontensystem keine konzeptionellen Widersprüche aufweisen darf, die je nach Rechenansatz zu anderen volkswirtschaftlichen Aggregaten führen.

Wenn das Kontensystem nicht konsistent ist, sind auch die berechneten Er-gebnisse nicht vertrauenswürdig. Ob das reduzierte Kontensystem der VGR FL in diesem Sinne widerspruchsfrei ist, kann überprüft werden, wenn man für die einzelnen Transaktionen der VGR FL die Daten einer vollständigen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung einsetzt, die keine statistische Diffe-renz aufweist. Bei der anschliessenden Berechnung der Kontensalden nach mindestens zwei Rechenansätzen sollten identische Zahlenwerte für die Kontensalden resultieren. Ein konsistentes Kontensytem ermöglicht auch, die statistischen Basisdaten auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. Nähere Ausführungen hierzu finden sich in Abschnitt 5.3.3 über die Abstimmung des Kontensystems.

5.1.4 Effizienz durch Nutzung administrativer Datenquellen

Wie die Forderungen nach Reduzierung und Vereinfachung des Kontensys-tems hängt die Forderung, in erster Linie administrative Datenquellen zu nutzen, mit den kleinstaatlichen Verhältnissen zusammen. Schriftliche Be-fragungen der Wirtschaftsakteure zur Beschaffung von Basisdaten für die VGR FL können aus mehreren Gründen nur in einem beschränkten Rahmen durchgeführt werden.

143 Für die Planung kurzfristiger, konjunkturpolitischer Stimulierungsmassnahmen lassen sich die Zahlen der VGR FL kaum verwenden, da die Ergebnisse erst ca. eineinhalb Jahre nach Ende des jeweiligen Kalenderjahres vorliegen werden. Die Möglichkeiten konjunkturpolitischer Steuerung dürfen in einem Kleinstaat generell nicht allzu hoch eingeschätzt werden.

Angesichts der Zahl von rund 3'000 in Liechtenstein tätigen Unternehmen, staatlichen Institutionen und privaten Organisationen sowie der breiten Di-versifizierung der Wirtschaftsstruktur ist es aus Gründen der statistischen Repräsentativität kaum möglich, mit Stichproben zu arbeiten. Bei einer Voll-erhebung mittels Fragebogen dürfte die Rücklaufquote aber zu gering sein, um eine verlässliche Hochrechnung machen zu können. Aus Sicht der be-fragten Unternehmen schliesslich ist es wenig nachvollziehbar, wieso sie der staatlichen Verwaltung in einem zusätzlichen Fragebogen buchhalterische Angaben zu ihrer Geschäftstätigkeit machen sollten, nachdem sie der Steuer-verwaltung jährlich gemeinsam mit der Steuererklärung ihre Bilanz und ihre Erfolgsrechnung einreichen. Fraglich ist weiters, wie vollständig und zuver-lässig die Angaben einer solchen Befragung wären, wobei zu berücksichti-gen ist, dass die Angaben von den Gesamtrechnern nur rechnerisch sowie auf ihre Plausibilität, nicht aber inhaltlich geprüft werden könnten. Ungüns-tig ist die Anzahl der zu befragenden Wirtschaftsakteure zudem im Hinblick auf die Art und Weise der Auswertung der Fragebogen. Sie ist einerseits zu gross für eine rein manuelle Auswertung, andererseits zu klein für eine auf-wändige Informatiklösung. Die Durchführung einer breitangelegten Befra-gung wäre deshalb mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden.

Als Alternative drängt sich die Nutzung von bestehenden administrativen Datenquellen auf, die EDV-mässig ausgewertet werden können. In den vor allem von der Steuerverwaltung, der Landeskasse, den Gemeindesteuerkas-sen, den Sozialversicherungen und dem Landwirtschaftsamt gepflegten Da-tenbeständen finden sich Basisdaten der meisten Wirtschaftsakteure. Die Stichprobenproblematik entfällt, da es sich um Vollerhebungen oder zumin-dest um so umfassende Erhebungen handelt, dass Hochrechnungen auf der Basis des Unternehmensregisters möglich sind. Die Qualität der Daten dürfte besser sein als bei einer Befragung, weil sie nicht allein für statistische Zwe-cke erhoben und einer inhaltlichen Kontrolle unterzogen werden. Als weite-rer Vorteil der Nutzung administrativer Datenquellen kommt hinzu, dass für die Wirtschaftsakteure kein zusätzlicher administrativer Aufwand entsteht und auch auf der Seite des Staates der Aufwand für die Erhebung von Basis-daten für die VGR FL insgesamt geringer ausfällt. Doppelspurigkeiten kön-nen vermieden werden.

Damit die administrativen Datenquellen für die Volkswirtschaftliche Ge-samtrechnung genutzt werden können, müssen sie jedoch zum Teil angepasst und erweitert werden. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass der Datenschutz gewährleistet bleibt.

5.1.5 Ausbaufähigkeit

Als Pendant zur Reduzierung des Kontensystems ist zu fordern, dass die VGR FL in einer späteren Phase ausgebaut werden kann, falls dies erforder-lich sein sollte. Die Bedürfnisse der Nutzer der VGR FL können sich ebenso wie die Datengrundlagen im Laufe der Zeit ändern. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Aufbau und die regelmässige Berechnung einer Volkswirt-schaftlichen Gesamtrechnung sowohl für die Nutzer wie die Gesamtrechner einen Lernprozess darstellt, der Wünsche nach einer Erweiterung der ur-sprünglichen Konzeption mit sich bringen kann. Das Kontensystem der VGR FL ist deshalb so zu konzipieren, dass es ohne konzeptionelle Schwierigkei-ten und in Übereinstimmung mit den internationalen Richtlinien ausgebaut werden kann.

5.2 Das Europäische System Volkswirtschaftlicher