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Identität und Selbstthematisierung

Im Dokument Lern en i m S oci al Web (Seite 50-53)

3 Theoretische Annäherung

3.3 Individuum und vernetzte Welten

3.3.3 Identität und Selbstthematisierung

Werden bestehende Kommunikations- und Vernetzungsformen auf Soziale Online Netzwerke ausgedehnt, so wird dieses Auswirkungen auf die Person selbst haben, auf die Art und Weise miteinander in Kontakt zu treten, sich mitzuteilen und zu interagieren. Mit der Nutzung von Sozialen Online Netzwerken bilden sich u. a. durch ähnlich gelagertes Interesse und geteilte Erwartungen hinsichtlich des Nutzens virtuelle Gemeinschaften heraus, innerhalb derer das Individuum nun vor der Herausforderung steht, seinen Platz und seine Rolle zu finden und dies in Einklang mit seiner realen (offline) Lebenswelt zu bringen (vgl. Schmidt 2006).

Da, wie zuvor beschrieben, Lernen mit Kommunikation und Vernetzung einhergeht, kann nicht unberücksichtigt bleiben, ob und welchen Veränderungen sich ein Individuum durch stärker vernetzte Welten und insbesondere die Nutzung Sozialer Online Netzwerke ausgesetzt sieht.

Unsere heutige Gesellschaft hat deutlich an Flexibilität und Dynamik zugenommen. Medien sind im Alltag gegenwärtig und beschleunigen Information und Kommunikation. Lernen, Arbeiten und Leben (hier ist mit Leben die Zeit außerhalb von Lernen und Arbeit gemeint) entgrenzen sich zunehmend und der Einzelne ist gefordert, hier Schritt zu halten und Vielfalt und Veränderung eher als Chance denn als Bedrohung zu sehen. In dieser Welt wechselt das Individuum beständig von einem Lebenskontext in einen anderen, einhergehend mit der Aktivierung unterschiedlicher Rollen in diesen Kontexten und dem Versuch, trotz allem ein kongruentes ICH aufzubauen.

War Identität in der Vergangenheit noch definiert durch Individualität (sich von anderen zu unterscheiden), Kontinuität (über einen Zeitraum hinweg) und Konsistenz (in verschiedenen Situationen derselbe zu bleiben) und war es das Ziel, in der Auseinandersetzung mit sich selbst und den Wahrnehmungen und Reaktionen aus der Umwelt zu einem stabilen und einheitlichen Selbst zu finden, so sieht sich das Individuum gegenwärtig einer Vielzahl von (Teil-)Identitäten ausgesetzt (vgl. Döring 2003, S. 325). Vormalige Regeln und Traditionen werden in Frage gestellt oder gar ausgesetzt und zwingen dazu, innerhalb bestehender Strukturen und Gegebenheiten einen eigenen Platz zu finden und eine unverwechselbare Identität aufzubauen. Gleichzeitig nimmt die Individualisierung des Selbst zu bei steigender Pluralität von Lebenswelten (vgl. Schmidt 2009, S. 74).

Dieses Dilemma lässt sich mit Schroer so ausdrücken: „Das Ideal moderner Identitätsvorstellungen ist […] ein starkes, stabiles und einheitliches Selbst, das allen Herausforderungen und Gefahren seiner Fragmentierung oder gar Auflösung zum Trotz stets mit sich identisch bleibt.“ (Schroer 2006, S. 49). Damit wird der Aufbau von Identität zu einem lebenslangen Prozess, in dem Medien eine zunehmend wichtige Rolle spielen, bieten sie doch Möglichkeiten zur Selbstreflektion und Selbstthematisierung, ermöglichen Aufmerksamkeit und regen eine kreative, ja gleichsam spielerische, Auseinandersetzung mit den (Teil-)Identitäten des Selbst an. Und – sie nehmen Einfluss auf die Ausgestaltung der (Teil-)Identitäten, wie Döring feststellt, wenn sie ausführt: „Welche Identitäten wir entwickeln […]hängt […]davon ab, in welchen medialen Umgebungen wir auf welche Weise mit anderen Menschen in Kontakt treten.“ (Döring 2003, S. 337).

Massenmedien bieten mit ihren Angeboten Raum für individuelle und kollektive Identitätskonstruktionen, Individualmedien ermöglichen Kommunikation und Vernetzung, in denen wiederum (Teil-)Identitäten zum Ausdruck gebracht werden können. Und schaut man näher auf Online-Medien, so wird deutlich, wie vielfältig die Handlungsmöglichkeiten sind, die dem Individuum hier zur Verfügung stehen, um die eigene Person im Netz zu präsentieren und zu thematisieren: von eigenen Webseiten, Blogs, Foren und Wikis über Online-Rollenspiele bis hin zur Nutzung Sozialer Online Netzwerke u. a. m. Es werden eigene Inhalte bereitgestellt, Informationen über das Selbst, andere Personen und Ereignisse weitergegeben, bewertet und in neuen Zusammenhängen dargestellt. Geschehnisse aus der realen (offline) Welt finden ihren Ausdruck im Netz ebenso wie neue, im virtuellen Raum entstandene Beziehungen, Ereignisse u. a. m. War die Thematisierung von Personen, Ereignissen und insbesondere des Selbst zuvor nur abgegrenzten Personengruppen vorbehalten (u. a. aufgrund sozialer, gesellschaftlicher und auch technischer Rand-bedingungen), so ist sie heute in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden und hat einen festen Platz im Alltag eingenommen, was sich beispielweise an den Studien zur Nutzung des Internets und besonders der Sozialen Online Netzwerke festmachen lässt. Stand früher eher die Frage „wer man ist“ oder „wer man sein will“ im Vordergrund, so ist heute entscheidend

„wie man wirkt“ oder „wie man gesehen werden will“.

Das Individuum ist gefordert, das Streben nach größtmöglicher Individualität in Einklang zu bringen mit dem Wunsch nach kollektiver Zugehörigkeit, wie es auch in der Theorie der Sozialen Identität zum Ausdruck gebracht wird. Die sich nun konstituierenden Online-(Teil-)Identitäten verlangen nach Kongruenz mit den (Teil-) Identitäten aus der realen Welt. Eine bewusste Aktivierung der Online-(Teil-) Identitäten kann die Ausdrucksmöglichkeiten des Individuums erweitern, das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit und Anerkennung unterstützen, Informationen ermöglichen und zu einer realistischeren Selbsteinschätzung und Selbstwerterhöhung beitragen. Jedoch bleibt festzuhalten, dass es das Individuum selbst ist, welches sich entscheidet die medialen Möglichkeiten in zuvor beschriebenem Sinne zu nutzen oder, wie es Döring formuliert: „Welche Identitäten ein Mensch [letztlich]entwickelt, und wie er sie mit anderen Teilidentitäten verknüpft, hängt von seinen Handlungsfeldern und sozialen Kontakten ab.“ (Döring 2003, S. 400) und sie führt an anderer Stelle weiter aus: „Weder bei Identitäten noch bei sozialen Beziehungen und […] Gemeinschaften stehen sich Online- und Offline-Varianten diametral gegenüber. Vielmehr verändern sich bestehende Identitäten, soziale Beziehungen und Gemeinschaften durch Integration von Online-Kontakten.

Umgekehrt expandieren Online-Kontakte aus dem Netz heraus.“ (Döring 2010, S. 179) (vgl.

Döring 2003, 2010; Schmidt 2009; Schroer 2006).

Da Lernen, wie an anderer Stelle ausgeführt, nun längst nicht mehr auf eine Welt außerhalb von Medien beschränkt ist – und hier sei noch einmal verwiesen auf die soziale Ebene von Lernen und das Ineinanderübergehen von realen und virtuellen vernetzten Welten, auf die individuelle Ebene, der Informationen, Motivationen und Emotionen als Ausprägung zugeordnet werden und auf die inneren Bedingungen, beschreibbar durch Wissen, Fähigkeiten, Motive und emotionale Disposition – ist es unumgänglich, die Aktivitäten einer Person im Netz im Zusammenhang mit Lernprozessen zu betrachten, gleich ob sie der unmittelbaren Lösung von Lernaufgaben dienen oder erst später als Fragment zu einem größeren Ganzen zusammengesetzt werden. Als Mitglied einer Gruppe in einem sozialen Netzwerk können andere Personen mit Informationen, der Weitergabe von Wissen oder auch motivational unterstützen werden, was selbstwertsteigernd und anerkennend wirken kann.

Anwendungen, die eine aktive Partizipation erfordern (wie Wikis u. a.) ermöglichen es, sichtbar Wissen zum Ausdruck zu bringen. Kommentare und vernetzte Informationen fordern zu Auseinandersetzung mit Inhalten und/oder Personen auf usw. usf.

Die Aktivitäten eines Individuums und die Thematisierung der eigenen Person im Netz, einhergehend mit dem ständigen Bemühen, die (Teil-)Identitäten der realen und virtuellen Welten in Einklang zu bringen, haben somit durchaus Einfluss auf Lernprozesse oder zumindest auf Teile davon, sei es die Art und Weise der Informationsbeschaffung, das Eingebundensein in (reale oder virtuelle) Gemeinschaften oder das Zurückwirken von Aktivitäten auf Motivationen und Emotionen.

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