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Idee der Betreuungsgutscheine

2.1.1 Besonderheiten des Marktes für familienergänzende Kinderbetreuung

Im Grundsatz entspricht die familienergänzende Kinderbetreuung einem klassischen privaten Gut. Auf der Angebotsseite stehen diverse Anbieter mit unterschiedlichen Produkten (Kindertagesstätten, Horte, Tagesfamilien etc.), auf der Nachfrageseite die Eltern mit unterschiedlichen Präferenzen und finanziellen Möglichkeiten. Auf den ersten Blick unterscheidet sich der Markt für Kinderbetreuung nicht vom Markt für Mobiltelefone und die Allokation könnte dem Markt überlassen werden. Trotzdem wird der Markt für familienergänzende Kinderbetreuung weltweit durch den Staat reguliert. Dafür gibt es zwei Gründe:

Marktversagen aufgrund fehlender Information: Auf dem Markt für Kinderbetreuung wird ein Marktversagen aufgrund fehlender bzw. asymmetrischer Information erwartet.

Marktversagen aufgrund fehlender Information deshalb, weil – falls die Entwicklung des Kindes durch schlechte Kinderbetreuung negativ beeinflusst wird (z.B. bezüglich Chancengleichheit) – zu erwarten ist, dass einzelne Eltern die Konsequenzen der Wahl einer qualitativ schlechten Kinderbetreuung nicht richtig einschätzen können und nicht bereit sind, entsprechende Mehrkosten für bessere Qualität zu bezahlen. Somit werden im Preis bzw. der Zahlungsbereitschaft nicht alle Effekte (Externalitäten) berücksichtigt, was zu einem falschen Gleichgewicht führt (zu tiefe Zahlungsbereitschaft führt zu tieferer Qualität).15 Aber auch wenn Eltern die Folgen von zu tiefer Qualität richtig einschätzen können, ist davon auszugehen, dass es für sie schwierig und wenn überhaupt nur unter grossem Zeitaufwand möglich ist, die Qualität der Betreuung richtig zu bestimmen und

15 Blau (2001), The child care problem, S.11

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zwischen einzelnen Angeboten zu vergleichen. Dies kann zu „adverse selection“16 führen und gilt als wichtigstes Argument der Befürworter einer starken Regulierung des Marktes durch den Staat.17

Übergeordnete gesellschaftspolitische Ziele: Mit der familienergänzenden Kinderbetreuung werden zudem übergeordnete gesellschaftspolitische Ziele verfolgt.

Einerseits soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert werden um das gesamte Arbeitskräftepotenzial dem Arbeitsmarkt zugänglich zu machen (Arbeitsmarktziel) und Humankapitalverlust zu verhindern. Hierzu ist ein möglichst grosses Angebot an familienergänzender Betreuung notwendig. Andererseits sollen die Entwicklung des Kindes (elementare Schlüsselqualifikationen) sowie eine bessere Integration von Kindern unterschiedlicher Herkunft (Forderung nach Startgerechtigkeit) gefördert werden (pädagogisches Ziel).18 Hierzu ist eine hohe Qualität bei der Kinderbetreuung erforderlich.

Die beiden übergeordneten Ziele stehen somit in einem Zielkonflikt, da die Kosten für eine qualitativ hochstehende Kinderbetreuung ohne zusätzliche staatliche Subventionierung nur von bestimmten Gesellschaftsschichten getragen werden können.

Der Markt der Kinderbetreuung mit seinen Besonderheiten sowie die Notwendigkeit von Staatsinterventionen aufgrund von Marktversagen wurden in der ökonomischen Literatur bereits ausführlich diskutiert.19

2.1.2 Objektfinanzierung versus Subjektfinanzierung

Obige Überlegungen zeigen, dass im Marktgleichgewicht (d.h. ohne staatliche Regulierungen) weder bezüglich Qualität der Betreuung noch Quantität der angebotenen Plätze ein Niveau erreicht wird, das den gesellschaftspolitischen Vorstellungen entspricht.

Dadurch kann sowohl die staatliche Regulierung der Qualität als auch die Subventionierung von Betreuungsplätzen begründet werden.

Die Subventionierung der Betreuungseinrichtungen erfolgt entweder über eine Objektfinanzierung oder eine Subjektfinanzierung. In der Objektfinanzierung sind die Subventionen an ein Angebot bzw. an ausgewählte Anbieter gebunden (Angebotsfinanzierung). Dabei können die Institutionen entweder durch den Staat direkt

16 Adverse Selection ist die ökonomische Bezeichnung für ein Marktversagen aufgrund einer Informationsasymmetrie zwischen Käufer und Verkäufer, wobei der Käufer die Qualität des Angebots aufgrund unvollständiger Information nicht richtig beurteilen kann. Dadurch besteht die Gefahr, dass Personen für ein Angebot, welches nicht ihren Bedürfnissen entspricht, zu viel bezahlen. Anbieter mit überdurchschnittlicher Qualität werden hingegen tendenziell vom Markt verdrängt (vgl. hierzu Akerlof (1970), The Market for „Lemons“).

17 Stutzer/Dürsteler (2005), Versagen in der staatlichen Krippenförderung – Betreuungsgutscheine als Alternative, S.3.

18 Beide übergeordneten Ziele können auch als Massnahme zur Integration von positiven Externalitäten aufgefasst werden, die die Kinderbetreuung mit sich bringen (vgl. hierzu Althammer (2000), Ökonomische Theorie der Familienpolitik).

19 Als Standartwerk mit einer guten Übersicht zum Markt der Kinderbetreuung gilt Blau (2000), The child care problem.

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bereitgestellt werden oder es werden Leistungsverträge mit privaten Institutionen erstellt. Die Subventionen für die Kinderbetreuung fliessen direkt an die Betreuungsinstitution (Objekt), entweder in Form einer Defizitgarantie oder als Deckungsbeitrag für subventionierte Plätze (Platzpauschale). Die Subventionen erlauben es den Betreuungseinrichtungen, die Betreuungsplätze unterhalb der Vollkosten anzubieten. Dadurch können die Subventionen letztlich mittels reduzierter Preise den Eltern (Subjekt) weitergegeben werden. Dies ist jedoch nicht zwingend notwendig. Die Subventionen können auch dazu verwendet werden, um bspw. eine Unterauslastung zu finanzieren. Die Preise, die qualitativen Anforderungen an die Betreuung sowie die Ausgestaltung der Angebote (Öffnungszeiten, Spezialangebote etc.) können durch die Leistungsverträge gesteuert werden. Im System mit Objektfinanzierung kann einerseits das Qualitätsniveau gemäss Vorstellungen des Staates sichergestellt und andererseits tieferen Einkommen der Zugang zu Kindertagesstätten gewährleistet werden.

Aus ökonomischer Sicht hat das System aber auch gewichtige Nachteile. Erhalten nicht alle Kindertagesstätten den gleichen Zugang zu Subventionen, wird der Markt für Kinderbetreuung in einen Markt für subventionierte und in einen Markt für nicht-subventionierte Betreuungsplätze zweigeteilt.

 Der Markt für nicht-subventionierte Betreuungsplätze (private Plätze) folgt den üblichen Regeln von Angebot und Nachfrage, wobei das Angebot den staatlichen Qualitätsstandards entsprechen muss (Bewilligungsvoraussetzung). Die Qualitätsstandards wirken sich auf die Preise der Angebote aus. Dadurch wird die potenzielle Nachfrage stark eingegrenzt, da sich nur Eltern mit entsprechenden Einkommen das Angebot leisten können. Es ist zu erwarten, dass sich der private Markt in einem Gleichgewicht befindet, d.h. das Angebot der Nachfrage entspricht. Aufgrund der Regulierungen befindet sich das Marktgleichgewicht jedoch auf relativ hohem Preisniveau. In diesem Preissegment ist die Nachfrage begrenzt und zwischen den Anbietern besteht ein Wettbewerb, der insbesondere über die Qualität und Differenzierung ausgetragen wird.

 Im Markt für die subventionierten Betreuungsplätze ist die Zahl der Anbieter eingeschränkt. Die bestehenden Anbieter sind gegenüber neuen Konkurrenten durch eine bestehende Markteintrittshürde (Leistungsvertrag mit der Stadt) geschützt. Ob ein Marktgleichgewicht erreicht wird, ist davon abhängig, wie rasch der Staat auf eine veränderte Nachfrage reagieren kann und neue subventionierte Plätze bereitstellen bzw.

überzählige Plätze abbauen kann. Aufgrund der Markteintrittshürden ist im Marktgleichgewicht mit einem geringen Wettbewerb zu rechnen, da keine neuen Anbieter im Markt auftreten können. Die Qualitätsvorgaben werden zwar durch die staatlichen Vorgaben garantiert, es besteht für den Anbieter aber nur dann ein Anreiz die Qualitätsvorschriften zu übertreffen, wenn das Angebot der subventionierten Betreuungsplätze höher ist als die potenzielle Nachfrage.

In der ökonomischen Literatur wird die Objektfinanzierung generell eher kritisch beurteilt.

Stattdessen wird in mehreren Studien als Alternative eine Subjektfinanzierung mittels

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Gutscheinsystem vorgeschlagen.20 Bei der Subjektfinanzierung werden die Subventionen direkt an die bedürftigen Zielpersonen ausbezahlt, sofern diese bestimmten Grundvoraussetzungen erfüllen. Die Eltern können anschliessend auf dem Markt die Betreuungsleistungen nachfragen, welche am besten zu ihren Bedürfnissen passen. Die künstliche Trennung zwischen Markt für subventionierte und nicht-subventionierte Plätze wird aufgehoben. Die Wahlfreiheit der Eltern führt zudem dazu, dass die Anbieter verstärkt auf die Bedürfnisse der Eltern eingehen müssen. Insgesamt wird dadurch ein besseres Marktergebnis erwartet.

Das Finanzierungssystem im Kanton Bern (ASIV) ist eine Mischform zwischen Objekt- und Subjektfinanzierung. Im Kern handelt es sich um eine Objektfinanzierung, da die Subventionen an einen bestimmten Anbieter gebunden sind. Die Subventionen werden allerdings in Form von Platzpauschalen pro tatsächlich benutzten Platz ausbezahlt. Die Höhe der Pauschale ist abhängig von Eigenschaften des Nachfragers. Somit ist das kantonale Finanzierungssystem ebenfalls nachfrageorientiert. Die Stadt Bern tritt zusätzlich auch als Anbieter von Betreuungseinrichtungen auf. Innerhalb der Stadt Bern findet somit zusätzlich eine Objektfinanzierung statt.

2.1.3 Erwartete Wirkung des Berner Modells (Wettbewerb trotz Tariflimite)

Die Subjektfinanzierung über ein Gutscheinsystem kann unterschiedlich ausgestaltet werden.

Je nach Design entstehen andere Auswirkungen auf den Markt. Das System der Stadt Bern wird im Abschnitt 1.4.3 detailliert beschrieben. Für die Beurteilung der erwarteten Wirkung auf den Markt sind insbesondere folgende zwei Ausgestaltungsmerkmale von zentralem Interesse:

 Die Zahl der Betreuungsgutscheine ist nicht eingeschränkt.

 Es ist eine Tariflimite vorgesehen: d.h. der Gutschein gilt für ein Angebot mit fixem Gegenwert («quasi egalitäre Gutscheine»).

Dadurch, dass die Betreuungsgutscheine nicht auf eine bestimmte Menge limitiert sind, wird der Markt der Kinderbetreuung für zusätzliche Kunden zugänglich gemacht und die Nachfrage erhöht, bzw. die bestehende Nachfrage nach subventionierten Plätzen wirkt nun auf den gesamten Markt. Sofern die bestehenden Anbieter noch über freie Plätze verfügen, wird durch die gesteigerte Nachfrage eine bessere Auslastung erreicht. Sind die Angebote jedoch bereits zum Zeitpunkt der Einführung gut ausgelastet, dürfte die ausgeweitete Nachfrage kurzfristig zu längeren Wartelisten führen. Allerdings wird der Markt für neue Anbieter attraktiver, da sich diese nicht nur auf das obere Marktsegment beschränken

20 Grundlagen für dieses Gutscheinmodell für Kinderkrippen bilden die Vorschläge ausgehend von Friedman (1955) für das Bildungssystem (Bildungsgutscheine) (für eine Übersicht siehe Sawhill & Smith, 2000) und von Baumol (1979) für Kulturgutscheine.

Das Gutscheinsystem wird in der Wissenschaft allerdings auch kritisch diskutiert. Vgl. bspw. Betz/Diller et al.

(2010), Kita-Gutscheine. Ein Konzept zwischen Anspruch und Realisierung.

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müssen. Daher ist mittelfristig mit einem Ausbau des Angebots zu rechnen und der Wettbewerb wird zunehmen.

Der Wettbewerb zwischen den Betreuungseinrichtungen wird durch die Tariflimite beeinflusst. Die Tariflimite führt dazu, dass die Zahlungsbereitschaft bzw. das Einkommen der Haushalte nur noch einen geringen Einfluss auf die Wahl der Kindertagesstätte haben.

Der Wettbewerb über den Preis ist somit stark eingeschränkt. Zwar ist es für die Kindertagesstätten denkbar, Tarife unterhalb der Tariflimite anzubieten, im Hinblick auf die aktuelle Höhe der Tariflimite und die Kostenstruktur der Kindertagesstätten in der Stadt Bern wird das Potenzial diesbezüglich jedoch als sehr klein eingestuft. Über die Wirkung der Tariflimite, deren Notwendigkeit und die optimale Höhe der Tariflimite wird in Kapitel 3 ausführlich diskutiert. Unter den gegebenen Umständen ist zu erwarten, dass sich die Anbieter wie bei einer staatlichen Preisfestsetzung verhalten.21 Um im Wettbewerb zu bestehen müssen die Kindertagesstätten bei gegebenem Preis versuchen das Angebot so zu gestalten, dass es möglichst den Präferenzen der Eltern entspricht. Der Wettbewerb erfolgt demnach über die Qualität und die Differenzierung des Angebots.

Zusammenfassend sind mit dem Systemwechsel folgende Auswirkungen auf den Berner Kita-Markt zu erwarten, wobei die Wirkung auch von der heutigen Marktsituation abhängig ist:

Angebot: Das Angebot wird langfristig ausgebaut. Kurzfristig ist mit einer höheren Auslastung bzw. längeren Wartelisten zu rechnen, bis das Angebot auf die gesteigerte Nachfrage reagiert hat (d.h. neue Einrichtungen entstanden sind). Das Angebot wird stärker differenziert und passt sich vermehrt den Bedürfnissen der Eltern an.

Nachfrage: Die bestehende Nachfrage nach subventionierten Plätzen kann sich voll entfalten (keine Beschränkung der Nachfrage auf einzelne Anbieter). Dies kommt einer Erhöhung der Nachfrage gleich.

In den nachfolgenden Abschnitten werden diese Erwartungen empirisch geprüft und die Marktveränderungen sowohl aus Sicht der Anbieter als auch der Nachfrager kritisch beurteilt.

Da für die Evaluation eine relativ kurze Zeitspanne von einem Jahr zur Verfügung steht, werden die Ergebnisse aus dem Kanton Bern jeweils mit den Ergebnissen aus dem Pilotprojekt in Luzern verglichen.

21 Vgl. hierzu auch Kreyenfeld/Wagner (2000), Working Paper: Die Zusammenarbeit von Staat und Markt in der Sozialpolitik, S. 13ff.

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