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Abgeleitete Handlungsempfehlungen zur Ausgestaltung des zukünftigen Systems

Im Dokument Betreuungsgutscheine in der Stadt Bern (Seite 109-112)

Die Evaluation zeigt, dass das eingeführte Gutscheinsystem in Bern in mehreren Belangen zu den gewünschten Effekten geführt hat. Allerdings wurden auch mehrere klare Schwachpunkte aufgezeigt. Die wichtigsten Kritikpunkte sind:

 Der administrative Aufwand ist für alle Beteiligten zu gross.

 Das Antrags- und Auszahlungssystem ist komplex und langwierig. Die damit verbundenen Unsicherheiten führen zu einer höheren Planungsunsicherheit bei den Kindertagesstätten.

 Die Koppelung an die Erwerbstätigkeit wird zwar grundsätzlich im Sinne der Vereinbarkeit gelobt, dadurch wird aber die Chancengleichheit in den Hintergrund gedrängt. Dies liegt auch daran, dass die Schnittstellen zur den Fachstellen noch zu wenige etabliert sind.

 Ein weiterer Nachteil der Kopplung der Betreuungsgutscheine an die Erwerbstätigkeit besteht in der Zunahme der Kleinpensen. Aus pädagogischer Sicht empfehlen Experten eine Mindestanwesenheit von 40% in einer Kindertagesstätte, damit sich das Kind an die Umgebung gewöhnen und eine Beziehung zum Betreuungspersonal und den anderen Kindern aufbauen kann. Gerade für Kinder mit höheren Betreuungspensen ist es zudem wichtig, dass sie in einer möglichst konstanten Gruppe sind. Um mit dieser Problematik umzugehen sind einige Kindertagesstätten bereits daran neue Modelle zu entwickeln wie z.B. separate Gruppen für Kinder mit Kleinpensen und mit höheren Pensen.

 Die Tariflimite wird als zu tief eingestuft. Die Tarife reichen nicht aus, um die Kosten zu decken und verhindern wichtige Innovationen. Durch die tiefe Tariflimite besteht auch heute noch ein zweigeteilter Kita-Markt, wobei heute die Marktzutrittsbeschränkung mehr bei den Eltern als bei den Kitas liegt.

Um die identifizierten Probleme zu beheben, empfehlen wir im Wesentlichen Folgendes:

Antrag für Betreuungsgutschein unabhängig von Platzzusage

Da heute zuerst eine Platzbestätigung vorliegen muss, bevor ein Betreuungsgutschein beantragt werden kann, kann es zu kurzfristigen Platzwechseln und dadurch zu einer höheren Planungsunsicherheit für die Kindertagesstätten. Diese Unsicherheit kann vermieden werden, wenn für den Antrag und die Prüfung der Anspruchsberechtigung sowie die Ermittlung eines provisorischen Gutscheinbetrags auf das Vorliegen einer Zusage für den Betreuungsplatz verzichtet wird. Bei der Suche nach einem Betreuungsplatz haben die Eltern eine Gewissheit über die zu erwartenden Kosten. Die definitive Verfügung kann aber erst nach Abschluss des Betreuungsverhältnisses ausgestellt werden, da die effektive Gutscheinhöhe von den Öffnungszeiten des gewählten Betreuungsangebots abhängig ist. Da sich die wirtschaftliche Situation der Eltern ändern kann, muss der provisorische Gutschein zudem befristet ausgestellt werden (z.B. auf drei Monate). Kann die Antragstellung unabhängig von einer Platzzusage erfolgen, hat dies folgende positiven Konsequenzen:

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– Höhere Planungssicherheit für Eltern und Kitas: Eltern wissen bereits bei der Suche, wie hoch die Subventionen sind. Kitas wissen bei einer Platzzusage, dass die entsprechende Nachfrage auch effektiv eintreffen wird.

– Kindertagesstätten sind nicht mehr die erste Anlaufstelle für Eltern bei Fragen zur Beantragung der Betreuungsgutscheine. Dadurch ist eine administrative Entlastung der Kindertagesstätten zu erwarten.

Hingegen ist zu erwarten, dass dadurch der administrative Aufwand bei der ausstellenden Behörde etwas höher anfällt. Dies einerseits, da die Hilfestellung der Kindertagesstätten für die Eltern zumindest teilweise wegfällt und von der Behörde übernommen werden muss, da nun nicht mehr die Kindertagesstätten erste Anlaufstelle der Eltern sind.

Andererseits ist aufgrund der Ausstellung der provisorischen Verfügung mit etwas Mehraufwand zu rechnen. Dies insbesondere dann, wenn zwischen provisorischer Verfügung und definitiver Verfügung zu viel Zeit vergeht und die wirtschaftliche Situation der Eltern neu geprüft werden muss.

Vereinfachung der Antragsstellung

Die Antragsstellung wird heute als komplex und aufwendig erachtet. Ideen zur Vereinfachung sind:

– Für Informationsschreiben und auch Verfügung grundsätzlich möglichst einfache und verständliche Sprache verwenden. Technische und juristische Anmerkungen als Beilage mitgeben. Unterlagen sollten in mehreren Sprachen zur Verfügung gestellt werden (z.B. Französisch und Englisch)

– Ein direkter Link zu Steuerdaten würde hingegen gemäss Eischätzung der Experten nur eine geringfügige Verbesserung bringen.

– Zentrale Anlaufstelle bei Kanton oder Stadt für Fragen (beibehalten resp. ausbauen).

Da die Stadt jedoch eigene Kitas betreibt, muss bei einer städtischen Anlaufstelle sichergestellt werden, dass die eigenen Einrichtungen nicht bevorzugt werden (Interessenskonflikt). Die Kindertagesstätten würden wiederum bei der Hilfe der Eltern entlastet.

Anpassung der Mindestbetreuungsdauer beim Betreuungsgutschein auf 20%

Heute besteht bei Betreuungsgutscheinen ein minimales Betreuungspensum von 10%.

Allerdings verlangen Kindertagesstätten heute aufgrund von Überlegungen der Betreuungsqualität und des Kindeswohls grundsätzlich ein Mindestpensum von 20% oder mehrheitlich gar 40%. Auch Tageseltern sind gegenüber einer Betreuung von unter 20%

sehr kritisch eingestellt. Deshalb empfehlen wir eine Anpassung der Mindesthöhe der Betreuungsgutscheine an das Mindestpensum von 20%. Entsprechend müssen die Voraussetzungen für die Eltern bezüglich des Erwerbspensums angepasst werden.

Zukünftig sollen nur noch Eltern mit einem gemeinsamen Erwerbspensum von 120%

beziehungsweise Alleinerziehende ab 20% einen Gutschein erhalten. Dies entspricht dem System der Stadt Luzern. Betroffen von dieser Änderung wären nur wenige Eltern. 2015 haben gemäss Angaben der Stadt Bern von beinahe 2000 Antragsstellern nur 13 Eltern einen Gutschein von unter 20% beantragt. Aufgrund der Erwerbstätigkeit effektiv einen Anspruch auf unter 20% hatten gar nur fünf Antragssteller.

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Um den Eltern mehr Flexibilität bei der Organisation von Familie und Erwerbsleben einzuräumen wäre zudem prüfenswert, die im Gutschein zugestandenen Betreuungspensen generell 10% höher auszustellen, als den Eltern aufgrund des Erwerbspensums zusteht.

Anpassung des Finanzierungssystems

Keine eindeutige Empfehlung ist zur Ausgestaltung des Finanzierungssystems möglich:

Zur Reduktion des administrativen Aufwandes für Kindertagesstätten wäre eine direkte Zahlung des Betreuungsgutscheinbetrags an die Eltern eine plausible Lösung. Die Kindertagesstätten stellen allen Eltern immer den Volltarif in Rechnung. Zudem entfallen die Abrechnungen mit den Gemeinden, es besteht lediglich noch eine Auskunftspflicht gegenüber den Gemeinden. Der Nachteil liegt darin, dass die Kitas so ein höheres Debitorenrisiko tragen. Zurzeit ist das Debitorenrisiko gemäss Einschätzung der Kindertagesstätten gering. Das Debitorenrisiko kann reduziert werden, indem bei wiederholtem Zahlungsausfall oder bei Sozialhilfebezug der Gutscheinbetrag direkt den Kindertagesstätten bzw. an den Sozialdienst ausbezahlt wird. Die Erfahrungen in der Stadt Luzern zeigen jedoch, dass das Debitorenrisiko sehr gering ist. In der Stadt Luzern werden bei weniger als 2% der Familien mit Betreuungsgutscheine die Gutscheine direkt an die Kindertagesstätten ausbezahlt.

Mit einer Direktzahlung müssen die Eltern zudem ihr Einkommen gegenüber der Kita nicht mehr offenlegen. Dadurch kann eine allfällige Diskriminierung bei der Vergabe von Kita-Plätzen vermieden werden. Allerdings hat die Evaluation keine Probleme diesbezüglich aufgezeigt. Zudem hat die Stadt Bern bereits angekündigt, die heute doch eher umfassenden Informationen auf der Verfügung auf das notwendigste zu reduzieren.

Ein Wechsel des Finanzierungssystems hätte in erster Linie negative Folgen für die Ausstellungsbehörde. Die Abrechnung müsste neu mit allen Eltern statt wenigen Kitas durchgeführt werden und daher mehr Aufwand verursachen.

Aufhebung oder zumindest Anhebung der Tariflimite

Die Tariflimite auf dem aktuellen Niveau ist zu tief. Eine Anhebung der Tariflimite würde den Kostendeckungsgrad verbessern und die Zweiteilung des Kitamarktes verhindern.

Aus unserer Sicht ist es auch möglich, die Tariflimite ganz aufzuheben. Sie kann aber eingesetzt werden, um zu verhindern, dass «Luxus-Angebote» mitsubventioniert werden.

Bis heute sind allerdings keine Anzeichen in diese Richtung erkennbar. Zudem kann der Kanton im Rahmen der Gesetzgebung gewisse Steuerungsmechanismen einbauen, die ihm erlauben, korrigierend auf eine für Eltern untragbare Preisentwicklung einzugreifen.

Beispielsweise kann im Sinne einer Ventilklausel die erneute Einführung einer Tariflimite im Gesetz vorgesehen werden. Weiter dienen die Bewilligungsvoraussetzungen als Steuermechanismus. Insbesondere können aufgrund der Bewilligungsvoraussetzungen Dumpingangebote oder Billig-Kitas verhindert werden.

Unterschiedliche Preise von Kindertagesstätten könnten sich negativ auf die soziale Durchmischung auswirken. Die Gefahr ist jedoch gering. Die positiven Effekte bezüglich sozialer Durchmischung bei der Einführung des Betreuungsgutscheins hat sich insbesondere deshalb manifestiert, weil bisher rein private Einrichtungen neu auch

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„subventionierte“ Plätze anbieten können. Dieser Effekt wird durch eine Preisfreigabe nicht rückgängig gemacht. Für die Wahl der Kindertagesstätten sind Faktoren wie die Nähe zum Wohn- und Arbeitsort sowie die Verfügbarkeit der Plätze entscheidender als der Preis.

Keine Preisdiskriminierung zwischen Gutscheinplätzen und privaten Plätzen innerhalb einer Kindertagesstätte

Heute bestehen in mehreren Kindertagesstätten unterschiedliche Tarifsysteme für Plätze mit Betreuungsgutscheinen und Plätzen ohne Betreuungsgutscheine. Mitunter ein Grund dafür ist die Tariflimite. Die Tariflimite führt dazu, dass die Kitas die Betreuungsgutscheinplätze unterhalb der Vollkosten anbieten müssen. Um das entstehende Defizit zu decken, sehen sie sich gezwungen, unterschiedliche Tarife für Eltern mit Gutscheinen und Eltern ohne Gutscheine festzulegen. Auch andere Vorgaben zu den Tarifen können zu Unterschieden führen (bspw. Geschwisterrabatt).

Mit der Aufhebung der Tariflimite ist es auch möglich, dass die Gutscheinplätze verwendet werden, um die Tarife für private Plätze zu senken und damit Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Um Quersubventionierungen und Preisdiskriminierung zwischen Gutscheinplätzen und privaten Plätzen in beide Richtungen zu vermeiden, muss innerhalb einer Kindertagesstätte ein einheitliches Tarifsystem gelten. Dabei müssen aber Geschwisterrabatte und auch andere Rabatte möglich sein, da diese gerade bei Personen, die den vollen Tarif bezahlen, sehr wichtig sind. Die Tarifgestaltung darf daher nicht vollständig eingeschränkt sein.

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