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1.1.1 Globalisierung

Auf der Grundlage von Prognosen zur Entwicklung gesamtwirtschaftlicher Eckdaten über die nächsten Jahrzehnte für die Welt insgesamt und für Deutschland (Prognos, 1998) kann der Globalisierungsprozess in einigen ausgewählten Facetten beschrie-ben werden:

r Der relative Anteil der Industrieländer am Weltprodukt wird ausgehend von 79%

in 1996/97 über 73% in 2010 auf 67% in 2020 sinken.

r In Deutschland wächst die Gesamtwirtschaft im gleichen Zeitraum mit rd. 2%

deutlich langsamer im Vergleich zum Weltdurchschnitt von 3%.

r Der weltweite Handel (Export und Import) wird bis 2020 deutlich schneller wach-sen als das Weltprodukt. Analog hierzu wird die deutsche Exportquote am Brutto-inlandsprodukt (BIP) ebenfalls schneller wachsen als das BIP selbst.

r Die Anteile des produzierenden Gewerbes und der Industrie am deutschen BIP werden von rd. 34% (Industrie: 25%) in 1996/97 auf rd. 27% (Industrie: 20%) in

2020 sinken, während die Dienstleistungsanteile im gleichen Zeitraum von rd.

63% auf ca. 72% steigen werden.

Die Globalisierung in Form der internationalen Verflechtung nimmt also weltweit und in Deutschland zu. Der innerdeutsche Strukturwandel in Richtung einer industriali-sierten Dienstleistungsgesellschaft schreitet voran (Volkholz, Kiel, Wingen, 2002;

Deutscher Bundestag, 2001).

Wie wirkt sich nun der fortschreitende Globalisierungsprozess auf die Flexibilisierung der Unternehmen und der Arbeitswelt aus? Wenngleich es sich hier um multikausale Ursache-Wirkungszusammenhänge handelt, sind doch einige hervorstechende Aus-wirkungen beobachtbar (Pröll u. Gude, 2003; Friedrich, 2002). Die einzelnen Unter-nehmen sehen sich einem zuUnter-nehmend verschärften Konkurrenzdruck ausgesetzt, der durch eine dynamisch wachsende Angebotsvielfalt von Produkten und Dienstlei-stungen sowie entsprechend wachsende Zugriffsmöglichkeiten seitens der Kunden - stark beschleunigt durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommuni-kationstechnologien - begründet ist (Kinkel u. Lay, 2000). Gleichzeitig führen zuneh-mende Turbulenzen der globalen Weltwirtschaft (starke konjunkturelle Schwankun-gen, finanzielle, politische und militärische Krisen) zu einem dynamisierten mensumfeld. Hieraus resultieren deutlich höhere Anforderungen an die Unterneh-men hinsichtlich Produkt- und Servicequalität, -vielfalt und -preis, Schnelligkeit in al-len markt- und kundenbezogenen Aktivitäten (Innovation, Leistungserstellung, Liefe-rung, Reaktionszeiten, etc.) und flexibler Anpassung an sich ständig wandelnde Kundenwünsche und Marktbedingungen (Lay u. Kinkel, 2000).

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden und damit langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, reagieren insbesondere größere Unternehmen mit verschiedenen Strate-gien zur Restrukturierung ihrer Geschäftsfelder wie der Konzentration auf Kernkom-petenzen (über downsizing, outsourcing, Fusionierung, Übernahmen), der Ver-schlankung (lean production), der Diversifizierung und der Kooperation (Kinkel u.

Lay, 2003). Während die Konzentration auf das Kerngeschäft und die Verschlankung auf der These basieren, dass Voraussetzung für die langfristige Überlebensfähigkeit in globalen Märkten die Marktführerschaft im eigenen Segment ist, gehen Vertreter der Diversifizierung davon aus, dass eine heterogene Unternehmensstruktur am be-sten geeignet ist, um Schwankungen in verschiedenen Geschäftsfeldern

kompensie-ren zu können. Kleine und mittlere Unternehmen setzen demgegenüber häufiger auf Unternehmenskooperationen im Wege der Bildung strategischer Allianzen und virtu-eller Organisationen oder der Beteiligung an Netzwerken, die zeitlich und räumlich flexibel am Markt agieren können (Pröll u. Gude, 2003; Eggers u. Kinkel, 2002).

Auf der innerbetrieblichen Ebene zeigen sich Reaktionen auf die Globalisierung der-art, dass zunehmend mehr flexible Arbeits- und Organisationsformen eingesetzt werden (Gerlmaier u. Kastner, 2001). So werden z.B. flexible Arbeitszeitmodelle, Nacht-, Schicht- und Wochenendarbeit sowie Mehrarbeit eingesetzt, um jederzeit für den „globalen“ Kunden erreichbar zu sein. Prekäre Beschäftigungsformen (befristete Arbeitsverhältnisse, geringfügige Beschäftigung und Leiharbeit) nehmen zu (Knuth et al, 2002), um flexibler auf Auftragsschwankungen reagieren zu können, virtuelle Team- und Projektarbeit dient zur gemeinsamen Aufgabenbearbeitung bei Überwin-dung räumlicher Grenzen mittels IuK-Technologien.

1.1.2 Wissensgesellschaft

Der sich seit den 60er Jahren in Deutschland abzeichnende sektorale Strukturwan-del von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft erfährt mit der rasanten Ver-breitung und Durchdringung der Informations- und Kommunikationstechnologien in nahezu alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche eine neue Dynamik. So ist der Anteil der Informationstechnik am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von ca. 3,5% zu Beginn der 80er Jahre auf rd. 11% Ende der 90er Jahre angestiegen (Nefiodow, 1999). Die Diffusion computergesteuerter Arbeitsmittel hat nach den Er-werbstätigenbefragungen von BiBB/IAB von einem Nutzeranteil von 14% im Jahr 1979 auf 62% in 1999 zugenommen (Volkholz et al, 2002).

Bei einer Aufspaltung des Dienstleistungssektors in „traditionelle“ Dienstleistungen und Informationsdienstleistungen nach dem Vier-Sektoren-Modell war eine seit ca.

Mitte der 60er Jahre anhaltende Stagnation des Anteils der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor von 20-25% bei gleichzeitig stark ausgeprägtem Wachstum des Informationssektors auf über 45% bis Anfang der 90er Jahre zu beobachten (BMBF 1998). Auch auf der Ebene von beruflichen Tätigkeiten ist eine deutliche Zu-nahme wissensintensiver sekundärer Tätigkeiten wie z. B. Forschen, Entwickeln,

Or-ganisation, Management, Beratung u.a. zu erwarten. Nach Projektionen von Prognos und IAB werden sich die Erwerbstätigenanteile an diesen Tätigkeiten von 26,3% in 1995 auf 31,6% in 2010 deutlich erhöhen (Dostal u. Reinberg, 1999).

Die skizzierten Entwicklungen verweisen auf die zunehmende Bedeutung des Pro-duktionsfaktors Wissen unter Nutzung der IuK-Technologien mit erheblichen Folge-wirkungen auf die Beschäftigung und die Arbeitswelt in der Wissensgesellschaft.

Während Wachstumspotenziale bei der Beschäftigung eher in wissensintensiven Tä-tigkeiten und im Informationssektor erwartet werden, ist im Produktionssektor sowie bei produktionsorientierten Tätigkeiten ein weiterer Rückgang anzunehmen. Aus die-sen Verschiebungen resultierende Flexibilisierungsanforderungen an Unternehmen und Beschäftigte lassen sich anhand ausgewählter Aspekte wie folgt skizzieren:

r Die zeitliche Dimension rückt bei allen wirtschaftlichen und arbeitsbezogenen Ab-läufen immer stärker in den Vordergrund: während die Beschleunigung jeglicher Prozesse mit dem Ziel der Zeitverkürzung bzw. -einsparung zum system-immanenten Steuerungsprinzip moderner Produktions- und Dienstleistungsunter-nehmen in globalisierenden Märkten gehört (Reheis, 1996), erfährt diese Dyna-mik neue Impulse durch die mit der Nutzung von IuK-Technologien verbundenen immensen Zeiteinsparpotenziale z.B. bei der Beschleunigung von Informations-verarbeitungs-, Kommunikations- und Geschäftsabwicklungsprozessen durch den Einsatz von Computern, globalen Datennetzen und e-business-Methoden sowie bei der Verringerung von Produktentwicklungs- und Produktionszeiten mit Hilfe computergesteuerter Simulationstechnik, Maschinen und Anlagen. Diesem Be-schleunigungssog können sich die meisten Unternehmen angesichts einer zu-nehmenden Relevanz des Wettbewerbsfaktors Schnelligkeit – ausgedrückt in verschiedenen Prozesskennzahlen wie z.B. Durchlauf- und Lieferzeit, Reaktions-und Servicezeit, „time to market“, Reklamationsbearbeitungszeit – kaum entzie-hen.

r Eine kontinuierlich abnehmende Halbwertzeit des Wissens aufgrund beschleu-nigter Innovationszyklen führt dazu, dass Unternehmen ihre Wissensbestände zur Erzeugung neuer wissensintensiver Produkte und Dienstleistungen ständig erneuern müssen. Hieraus resultieren neue Anforderungen an die Organisation und das Management von Wissen angefangen von der Wissensgenerierung über die Wissenskodifizierung bis zum Wissenstransfer (Z_Punkt, 2001).

r Im Zuge dieser Anforderungen an die Unternehmen bildet sich zunehmend ein neuer Arbeitstypus der sogenannten Wissensarbeit heraus (Cernavin, 2001; Will-ke, G., 1998), der Tätigkeiten umfasst, „die dadurch gekennzeichnet sind, [...]

dass das [für ihre Ausübung] relevante Wissen (1) kontinuierlich revidiert, (2) permanent als verbesserungswürdig angesehen, (3) prinzipiell nicht als Wahrheit sondern als Ressource betrachtet wird und (4) untrennbar mit Nichtwissen ge-koppelt ist, so dass mit Wissensarbeit spezifische Risiken verbunden sind“ (Will-ke, H., 1998).

Welche Auswirkungen die skizzierten Trends der Globalisierung und der Wissens-gesellschaft auf die Beschäftigten haben, wird nachfolgend skizziert.

1.1.3 Neue Anforderungen und Folgen für Beschäftigte

Die resultierenden neuen Anforderungen an die Beschäftigten sind vielfältiger Natur und lassen sich nicht in eindeutigen Kausalzusammenhängen beschreiben. Aller-dings werden ein höheres Qualifikationsniveau, eine höhere Mobilität, vermehrte Auslandserfahrungen, Sprach-, Kultur- und IT-Kompetenz, Selbständigkeit, Team-fähigkeit, Einsatzflexibilität, Lern- und Veränderungsbereitschaft, Belastbarkeit und Erreichbarkeit von zunehmend mehr Beschäftigten erwartet (Bundesverband der Unfallkassen, 2001; Willke, G., 1998). Demgegenüber sinkt tendenziell die Beschäf-tigungssicherheit und es bilden sich stärker fragmentierte Berufs- und Erwerbsbio-grafien aufgrund häufiger Arbeitsplatz-, Tätigkeits-, Arbeitgeber- und Berufswechsel heraus (Kastner u. Vogt, 2001; Sennett, 1998; Willke, G., 1998). Einer Prognose des Instituts Wirtschaft und Gesellschaft zufolge wird sich der Anteil der freiberuflich täti-gen Beschäftigten an der Erwerbsbevölkerung bis 2009 verdoppeln (Z_Punkt, 2001).

Zudem entkoppeln sich zunehmend Arbeit, Arbeitszeit und Arbeitsort – z.B. über den vermehrten Einsatz von Telearbeit und flexiblen Arbeitszeitmodellen –, was diverse Auswirkungen auf Kommunikations- und Interaktionsprozesse in beruflichen und pri-vaten Kontexten mit sich bringt wie z.B. die Reduzierung direkter „face-to-face“-Kommunikation, erhöhte Abstimmungsbedarfe bei individuell verschiedenen Anwe-senheitszeiten am Arbeitsplatz u.a. (ebd.).

Die Bewertung dieser Anforderungen und deren Folgen für die Erwerbstätigen kann sowohl positiv als auch negativ verlaufen. So wird einerseits ein höherer Autonomie-grad von Beschäftigten in flexiblen Arbeits- und Beschäftigungsformen hinsichtlich

r der größeren Handlungs- und Entscheidungsspielräume in der Arbeit,

r der Möglichkeit zur besseren Selbstverwirklichung und

r der Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben

von den Betroffenen überwiegend positiv beurteilt. Andererseits wird häufig kritisch hinterfragt, ob der unterstellte Autonomiezuwachs real eintritt oder nicht vielmehr statt dessen eine Vermarktlichung und indirekte Steuerung der Mitarbeiter sowie ei-ne Entgrenzung von Arbeit die Folge flexibler Arbeitsformen ist (Glißmann u. Peters, 2001, Pickshaus et al, 2001, Kastner u. Gerlmaier, 2001; Z_Punkt, 2001). Diese Tendenzen können bei mangelnden biologischen und psycho-sozialen Ressourcen auf Seiten der Erwerbstätigen – flankiert durch Mechanismen der Selbsttäuschung und Selbstausbeutung – zu

r psychischen Problemen wie Selbstzweifel und Verunsicherung, Verlust- und Ver-sagensängsten, Fatalismus und Resignation, Identitätsproblemen, Überfor-derung, Distress, Burnout,

r sozialen Störungen wie Solidaritätsabbau und Konkurrenz- und Konfliktzunahme zwischen Kolleg/innen, Mobbing, gestörter Work-Life-Balance sowie zu

r vielfältigen negativen gesundheitlichen Auswirkungen wie erhöhte Müdigkeit, Rückenbeschwerden, Muskelschmerzen, Schlafstörungen, Suchtanfälligkeit u.a.

bis hin zur Erholungsunfähigkeit

führen (Pröll u. Gude, 2003, Hochschild, 2002, Bundesverband der Unfallkassen, 2001, Glißmann u. Peters, 2001, Kastner u. Gerlmaier, 2001, Pickshaus et al, 2001,, Sennett, 1998, Reheis, 1996).