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Definition und Elemente von Vertrauensarbeitszeit

3.1 Eingrenzung von Vertrauensarbeitszeit

3.1.1 Definition und Elemente von Vertrauensarbeitszeit

Eine präzise Definition von „Vertrauensarbeitszeit“ existiert bisher nicht (Adamski, 2000, Pietsch, 2000, Erlewein, 2000). Vielmehr werden unter der Bezeichnung „Ver-trauensarbeitszeit“ extrem flexible Arbeitszeitmodelle in unterschiedlichen Varianten zusammengefasst, die in den 90er Jahren im Kontext betrieblicher Strategien zur Arbeitszeitflexibilisierung entstanden sind (Hoff u. Priemuth, 2001). Folgende zent-rale Elemente von Vertrauensarbeitszeit sind maßgeblich in den verschiedenen theoretischen und betrieblichen Modellen enthalten (Hamm, 2002, Haipeter et al, 2002, Hoff, 2002a, 2000b, Hoff u. Priemuth, a.a.O.):

16 Erkenntnisse aus folgenden laufenden und abgeschlossenen Projekten wurden als relevanter Stand der Forschung zur Thematik identifiziert und im Rahmen der Analyse verwertet. Übersichten zu den berücksichtigten Projekten und Fallstudien befinden sich in den Anhängen 7 und 8.

Wegfall von personenbezogener Arbeitszeit- und Anwesenheitsvorgaben

Grundsätzlich vertrauen Unternehmensleitung und Vorgesetzte in Vertrauensarbeits-zeit darauf, dass die Beschäftigten ihre Arbeitsaufgaben in der vorgesehenen Ar-beitszeit eigenverantwortlich erfüllen. Vom Unternehmen festgelegte ArAr-beitszeiten mit starrem Beginn und Arbeitsende gibt es in diesem Modell nicht, die Beschäftigten haben die Möglichkeit, die Verteilung ihrer Arbeitszeit weitgehend selbst zu bestim-men. Nichtsdestotrotz sind meist Absprachen mit Kollegen und Vorgesetzten zur Anwesenheitsplanung nötig, um die Erreichbarkeit und den Service gegenüber inter-nen und exterinter-nen Kunden sicherzustellen.

Verzicht auf formale Arbeitszeiterfassung und -kontrolle durch Arbeitgeber Eine formale Erfassung der Arbeitszeiten durch das Unternehmen über den Einsatz von Stechuhren, Stempelkarten oder zentralen EDV-Systemen entfällt ebenso wie die Anwesenheitskontrolle der Beschäftigten durch die Vorgesetzten.

Erweiterte Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Beschäftigten

Mit der eigenverantwortlichen Verteilung der Arbeitszeiten geht eine Erweiterung des Handlungsspielraums der Beschäftigten einher, was bspw. die selbständige Organi-sation, Verteilung und Reihenfolge der Arbeitsaufgaben und die Festlegung der Pau-sen betrifft.

Einhaltung und Vergütung der tariflich bzw. vertraglich vereinbarten Arbeitszeit Trotz der starken Betonung der Eigenverantwortlichkeit bei der Verteilung der Ar-beitszeiten bleiben Arbeitnehmer als abhängig Beschäftigte formaljuristisch in einem Dienstvertragsverhältnis analog zu §§ 611ff. BGB; der Arbeitszeitrahmen, der sich aus dem Arbeitsvertrag und eventuell geltenden tarifvertraglichen Regelungen ergibt, bleibt damit erhalten. Grundlage der Entlohnung bleibt also nach wie vor die (tarif-) vertragliche Arbeitszeit im Unterschied zur „Arbeitszeit-Freiheit“, bei der die Arbeits-zeit als Leistungsmaßstab auch auf vertraglicher Ebene kaum mehr eine Rolle spielt und die Beschäftigten – ähnlich wie in einem Werkvertrag – ausschließlich an der Er-zielung eines Ergebnisses gemessen werden. Insofern ist Vertrauensarbeitszeit prin-zipiell auch für tarifgebundene Beschäftigte geeignet (vgl. Hoff, 2002a). Allerdings sind die Beschäftigten selbst für den zeitlichen Ausgleich von geleisteten Über-stunden verantwortlich.

Zielvereinbarung und Ergebnisorientierung

Bei Vertrauensarbeitszeit tritt die Anwesenheit des Beschäftigten im Betrieb als Be-wertungsmaßstab zur angemessenen Leistungserbringung des Arbeitnehmers ge-genüber anderen Bewertungsmaßstäben in den Hintergrund. Statt dessen erfolgt häufig die Steuerung der zu erbringenden Leistung durch Zielvereinbarungen bzw.

Zielsetzung und eine team- oder projektorientierte Arbeitsorganisation. Der vorherr-schende Leistungsmaßstab ist damit die Erbringung von definierten Arbeitsergebnis-sen.

Das konkrete, betriebsspezifische Vertrauensarbeitszeitmodell ist jeweils ein Konglo-merat spezifischer Ausprägungen diverser Elemente von Arbeitszeitmodellen. Die

„Extremform“ der Flexibilisierung und Deregulierung, wie sie in den Ausprägungen der Elemente auf der rechten Seite in der Abbildung 3.1 zum Ausdruck kommt, ist in der betrieblichen Vertrauensarbeitszeit-Praxis bislang aber nicht der Normalfall.

Vertrauensarbeitszeit

lange Verfallsfristen Urlaubszeit selbst kontrolliert Steuerung der Arbeit Vorgabe von Tätigkeiten,

fremdgesteuert

Vorgabe von Zielen Ö Vereinbarung von Zielen indirekt gesteuert Ö selbstgesteuert

Abb. 3.1 Elemente von Arbeitszeitmodellen nach Lenssen, 2003

Der „kleinste gemeinsame Nenner“ von Modellen der Vertrauensarbeitszeit ist der Wegfall der offiziellen Arbeitszeitvorgaben und -kontrollen, der Verzicht auf eine for-male Arbeitszeitdokumentation und der eigenverantwortliche Zeitausgleich durch die Beschäftigten.

Über die genannten Elemente hinaus werden Vertrauensarbeitszeit-Modelle in der betrieblichen Praxis um verschiedene zusätzliche Merkmale und Regelungen erwei-tert, die sich auch als „Kann-Elemente“ von Vertrauensarbeitszeit beschreiben las-sen (Hoff, 2002a). Üblicherweise wird nur eine Auswahl dieser nachfolgend be-schriebenen Elemente betriebsindividuell berücksichtigt und kombiniert.

Freiwillige Zeiterfassung durch Selbstaufschreibung

In einigen Vertrauensarbeitszeitmodellen erfassen die Beschäftigten eigenverant-wortlich auf freiwilliger Basis ihre Arbeitszeiten. Dies dient nur für sie selbst zur Kon-trolle, ob der Arbeitszeitrahmen wesentlich über- oder unterschritten wird, es besteht keine Vorlagepflicht gegenüber dem Unternehmen. Allerdings ist eine solche Rege-lung prinzipiell nur für leitende Angestellte zulässig, die nicht an die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes zur Aufzeichnungspflicht von Mehrarbeit gemäß § 16 Absatz 2 ArbZG gebunden sind (vgl. Kap. 5.4).

Entkoppelung von Arbeits- und Anwesenheitszeiten

In einigen Vertrauensarbeitszeitmodellen wird die Arbeitszeit nicht mehr als „Anwe-senheit im Betrieb“ definiert, d.h. während der Anwe„Anwe-senheit im Betrieb kann zwi-schendurch auch privaten Tätigkeiten nachgegangen werden. Ebenso kann Arbeit auch nach Hause verlagert werden, indem z. B. Telefonate mit Kunden von zu Hau-se aus geführt werden. Dies führt zu einer zunehmenden Verschmelzung von Ar-beits- und Lebenswelt.

Frei wählbarer Arbeitsort

Analog zur Entkopplung von Arbeits- und Anwesenheitszeiten ist die Arbeitsleistung nicht mehr ausschließlich im Betrieb zu erbringen, sondern kann teilweise an andere Orte verlagert werden, z.B. als alternierende Telearbeit an den heimischen Büro-arbeitsplatz.

Orientierung an betriebsinternen Funktions- oder Servicezeiten

Völlige individuelle Freiheit bei der Festlegung der Arbeitszeiten ist bei den gängigen Vertrauensarbeitszeitregelungen meist nicht realisierbar. Daher werden in der Regel Funktionszeiten mit definierten Besetzungsstärken festgelegt und Anwesenheitsab-sprachen getroffen, um die Erreichbarkeit für externe Kunden und auch für Kollegin-nen und Kollegen anderer Abteilungen innerhalb des eigeKollegin-nen Unternehmens sicher-zustellen.

Wahlarbeitszeit (d.h. variabel wählbare Vertragsarbeitszeit)

In einigen Fällen können die Beschäftigten variabel entscheiden, ob sie in Vollzeit-oder Teilzeitmodellen arbeiten möchten und haben hierbei gewisse Variations- und Wechselmöglichkeiten.

Regelungen zum Umgang mit Überlastsituationen

Häufig finden sich in praktizierten Vertrauensarbeitszeit-Modellen Regelungen zum Umgang mit Überlast-Situationen, die z.T. auch in Betriebsvereinbarungen festge-schrieben werden. Üblicherweise sind Vorgesetzte und Beschäftigte gleichermaßen aufgerufen, bei übermäßigem Anfall von Mehrarbeit gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Eine zusätzliche Maßnahme kann die Einrichtung einer „Clearing-Stelle“

sein, die paritätisch aus Vertretern des Betriebs- bzw. Personalrates und Vertretern der Unternehmensleitung/Personalabteilung besteht. Diese tritt dann zusammen, wenn Probleme mit Überlast-Situationen nicht mehr von den Betroffenen selbst bzw.

innerhalb der Abteilung gelöst werden können.

Bezahlte Mehrarbeit

Obwohl davon ausgegangen wird, dass in Vertrauensarbeitszeit in der Regel keine Mehrarbeit anfällt, weil die Beschäftigten ihre Arbeitszeiten eigenverantwortlich steu-ern und angefallene Überstunden entsprechend ausgleichen, gibt es in einigen prak-tizierten Modellen die Möglichkeit, dass bei begründeter Mehrarbeit und -belastung in Ausnahmefällen auch Überstunden mit entsprechender Zusatzvergütung gewährt werden. Solche Regelungen werden meist dann notwendig, wenn unvorhersehbare, aber zeitlich begrenzte Arbeitsspitzen auftreten, die nicht durch zusätzliches Perso-nal gedeckt werden können. In diesen Phasen arbeiten die Beschäftigten mehr, oh-ne Zeitausgleich in angemesseoh-ner Weise realisieren zu könoh-nen.

Langzeitkonto

Eine weitere Möglichkeit, mit geplanter Mehrarbeit, die nicht im Rahmen des indivi-duellen Zeitausgleichs kompensiert werden kann, umzugehen, ist die Einrichtung von Langzeitkonten, auf denen geleistete Mehrarbeit gut geschrieben wird. Die indi-viduellen Zeitguthaben können je nach betrieblicher Regelung für bezahlte Freistel-lungszeiträume (z. B. für Langzeiturlaube, Weiterbildung, Sabbaticals etc.) in An-spruch genommen werden oder als entsprechender Geldwert ausgewiesen und ausbezahlt werden.

Urlaubsplanung und „Vertrauensurlaub“

Zusätzlich zu den bisherigen Elementen von Vertrauensarbeitszeit gibt es ein weite-res Flexibilisierungselement, den „Vertrauensurlaub“. Hier wird auch die Regulierung der Inanspruchnahme und die Anzahl der Urlaubstage eigenverantwortlich von den Beschäftigten gesteuert und nicht durch das Unternehmen vorgegeben und kontrol-liert.