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Gesundheitssystem: Gesundheitspolitik und Gesundheitsversorgung

Im Dokument DISSERTATION / DOCTORAL THESIS (Seite 46-49)

2 Konzeptuelle Grundlagen und empirische Vorarbeiten

2.1 Gemeinschaftliche Selbsthilfe und Gesundheitssystem

2.1.1 Gesundheitssystem: Gesundheitspolitik und Gesundheitsversorgung

„Gesamtheit des organisierten gesellschaftlichen Handelns als Antwort auf das Auftreten von Krankheit und Behinderung und zur Abwehr gesundheitlicher Gefahren.“ (Schwartz und Busse 2003, S.

519)

Vorausgeschickt sei, dass wenngleich in der Folge auf das Gesundheitssystem fokussiert wird, dieses nur zu einem geringen Teil die Gesundheit beeinflusst (10-30%). Bereiche wie Arbeitsmarkt, Wohnverhältnisse, Lebensstil und sozialer Status, üben ebenfalls einen Einfluss auf die Gesundheit aus (Dahlgren und Whitehead 2007; Offermanns 2011). Bereits in der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO 1986) wurde aufgezeigt, dass Gesundheit ein Thema aller Politikbereiche sein sollte. Konkretisiert wird dies im „Health in All Policies“-Ansatz der

das Gesundheitssystem fokussiert, dieses aber weit gefasst, um in der Folge abbilden zu können, dass Selbsthilfeorganisationen nicht nur auf das Gesundheitssystem ausgerichtete Patienten-organisationen sind (vgl. Kapitel 1.2.1).

Angesichts des engen Systembegriffs bei Habermas ist das Gesundheitssystem kein System. Dieses stellt, wie Erziehung und Wissenschaft, in seiner Perspektive „reflexive institutionelle Ebenen der symbolischen Reproduktion der Lebenswelt“ (Neves 2009b, S. 376) dar. Anders ausgedrückt handelt es sich dabei um Institutionen, die in der Lebenswelt verortet werden (Neves 2009a). Allerdings wird in der vorliegenden Forschungsarbeit argumentiert, dass das Gesundheitssystem wesentlich durch Staat und Ökonomie gesteuert wird und daher auch anlehnend an Habermas als System betrachtet werden kann (vgl. Scambler 2001; Kelleher 2006):

Das Gesundheitssystem und die Gesundheitspolitik orientieren sich primär an Gesundheit/Krankheit (Rosenbrock und Gerlinger 2004) und behandeln zwei fundamentale Probleme: Das persönliche Leid durch Erkrankung/Behinderung und die damit verbundene (zumindest teilweise) Unfähigkeit soziale Rollen auszufüllen (Field 1989). Nachdem das Recht auf Gesundheit ein fundamentales Recht darstellt (WHO 1946), sind Regierungen verpflichtet, Gesundheitsdienstleistungen für Bürger/innen zugänglich zu machen (Fitzpatrick 2003). Damit liegt die Verantwortung für das Gesundheitssystem beim Staat (der Politik).

Zur weiteren Verdeutlichung des Einflusses von Staat und Ökonomie sei auf eine in der Literatur häufig anzutreffende Typologie von Gesundheitssystemen hingewiesen (Field 1973, 1989; Schwartz et al. 2003; Rosenbrock und Gerlinger 2004; Rothgang 2006). Diese basiert auf den drei Hauptakteuren im Gesundheitssystem – Leistungserbringer, Finanzierer und Konsument/inn/en bzw.

Patient/inn/en (Fitzpatrick 2003; Rothgang 2006) – und deren Beziehung zueinander. Idealtypisch lässt sich unterscheiden, ob die Regulierung, Finanzierung und Leistungserbringung im Gesundheitssystem vorrangig durch den Staat, die Gemeinschaft (Sozialversicherung) oder durch den Markt bzw. mehrere Akteure erfolgt (Field 1973, 1989; Schwartz et al. 2003; Rosenbrock und Gerlinger 2004; Rothgang 2006). Im staatlichen Modell besitzt und finanziert der Staat die Gesundheitsversorgung. Im Marktmodell sind Gesundheitseinrichtungen im Besitz von Unternehmen und privat von den Patient/inn/en zu bezahlen. Im Sozialversicherungsmodell hat ebenfalls der Staat die Macht inne, delegiert die Steuerung (Leistungsverteilung) aber an Verbände. Damit wird eine dritte Partei für die Verteilung der Leistungen eingeschalten. Diese sammeln Geld von einer Gruppe von Menschen und setzen es im Leistungsfall (bei einer Erkrankung) für die Versorgung ein. Man kann von „Selbstorganisation im Schatten des Staates“ (Scharpf 2000 zit.n. Rosenbrock und Gerlinger 2004, S. 17) sprechen.

Das Gesundheitssystem kann analytisch in Gesundheitsversorgungssystem, Gesundheitspolitik und in das vorerst nicht weiterbehandelte, lebensweltlich verortete Gesundheitsverhalten der Bevölkerung unterteilt werden (Rega 2006).

Gesundheitspolitik: Steuerung des Gesundheitssystems

„Gesundheitspolitik soll analytisch verstanden werden als die Gesamtheit der organisierten Anstrengungen, die auf die Gesundheit von Individuen oder sozialen Gruppen Einfluss nehmen – gleich ob sie die Gesundheit fördern, erhalten, (wieder-)herstellen oder auch nur die individuellen und sozialen Folgen von Krankheit lindern.“ (Rosenbrock and Gerlinger 2004, S. 12)

Die Gesundheitspolitik in Wohlfahrtsstaaten bewegt sich im Spannungsfeld unterschiedlicher Ziele, darunter die Bereitstellung der bestmöglichen Versorgung bei gleichzeitiger Kosteneindämmung (Geißler 2004). Geißler (2004, S. 48) hebt drei Problemdimensionen hervor: Die Frage nach dem Umfang der Leistungen, nach der individuellen Zuteilung von Leistungen und den entstehenden gesellschaftlichen Kosten. Daher sind Entscheidungen bezüglich Ressourcenallokation und Bedingungen der Leistungserbringung in der Gesundheitspolitik unumgänglich (Geißler 2004).

Gesundheitspolitische Entscheidungen fallen auf allen Ebenen an und involvieren unterschiedlichste Stakeholdergruppen. Sie sind damit in ein komplexes, horizontales und vertikalen Beziehungsgeflecht eingebettet (Rosenbrock und Gerlinger 2004). Für die beteiligten Akteure sind jeweils andere Relevanzkriterien handlungsleitend: Im politischen System ist es Macht, in Unternehmen die Gewinnsteigerung. Krankenbehandlungseinrichtungen agieren im Feld unterschiedlicher Interessen (Handeln zum Wohle der Patient/inn/en, ökonomische Interessen, soziale Interessen) (Rosenbrock und Gerlinger 2004). Neben der Durchsetzungsmacht der Akteure spielen auch andere Faktoren bei der Frage mit eine Rolle, welche Themen es auf die politische Agenda schaffen. Darunter sind Wissen über Erkrankungen (z.B. neue Studien) und Vermeidungs-/Behandlungsmöglichkeiten, aber auch politische und ökonomische Entwicklungen (z.B. Einsparungsnotwendigkeit) (Rosenbrock und Gerlinger 2004).

Neben der Gesundheitspolitik ist die Gesundheitsversorgung der zweite Bereich des Gesundheits-systems, der für die vorliegende Dissertation näher betrachtet wird.

Gesundheitsversorgung: Strukturen im Gesundheitsversorgungssystem Gesundheitsversorgung lässt sich definieren als

„systems of individual arrangements and social institutions through which health services of a personal nature are provided, organized, financed and controlled“ (Myers 1986 zit.n. Schwartz und Busse 2003, S. 519).

Um die beiden fundamentalen Probleme – persönliches Leid und soziale Risiken durch Erkrankung/Behinderung – zu bewältigen, werden Prävention, Diagnose, Behandlung, Rehabilitation und Gesundheitsbildung eingesetzt (Field 1989). Das Gesundheitsversorgungssystem dient daher immer sowohl der Produktion (Gesundheitsförderung, Rehabilitation) als auch der Erhaltung von Gesundheit (Krankenbehandlung, -vermeidung, Gesundheitsschutz) (Schwartz und Janus 2006).

Die Gesundheitsversorgung lässt sich anhand ihrer Institutionen weiter untergliedern in stationäre Versorgung (Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen), ambulante Versorgung (niedergelassene Ärztinnen/Ärzte, nicht-ärztliche Erbringer wie Logopäd/inn/en) sowie Arzneimittelversorgung und weitere Bereiche (u.a. öffentlicher Gesundheitsdienst, Krankenpflege, extramurale psychiatrische Versorgung) (Schwartz und Busse 2003). Letztere sind nicht nur der Gesundheitsversorgung zuzurechnen. Andere Bereiche wie Wohlfahrtsverbände und Rettungsdienste (vgl. Schwartz und Busse 2003) werden hier nicht weiterbehandelt, da sie der Lebenswelt zugerechnet werden, genauso wie das Laiensystem (individuelle und familiäre Selbstversorgung einschließlich der gemeinschaftlichen Selbsthilfe), welches den größten Teil der Behandlungsleistungen abdeckt (Borgetto und von dem Knesebeck 2009).

Historisch betrachtet hat sich die Gesundheitsversorgung stark gewandelt. War sie ursprünglich eng begrenzt und kostengünstig, hat sie sich zu einer komplexen, arbeitsintensiven „Industrie“

entwickelt (Fitzpatrick 2003). Scambler (1987) und Kelleher (2006) zeigen, wie medizinische Versorgung durch Geld und Macht gesteuert wird und machen damit den Systembegriff auch für die Gesundheits-versorgung anschlussfähig.

In der Folge werden die zunehmenden Steuerungsprobleme im Gesundheitssystem thematisiert.

Dies erfolgt anhand von Habermas These von der Entkopplung von System und Lebenswelt.

2.1.2 Handlungskoordinierung in Gesundheitssystem und Lebenswelt als

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