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Auswahl der Selbsthilfeorganisationen

Im Dokument DISSERTATION / DOCTORAL THESIS (Seite 133-138)

3 Forschungsfragen und methodische Vorgangsweise

3.3 Forschungsgegenstand: Selbsthilfeorganisationen

3.3.1 Auswahl der Selbsthilfeorganisationen

Die Auswahl der Selbsthilfeorganisationen impliziert einen bestimmten Zugang zum Verständnis des Feldes (Flick 2007). In der vorliegenden Arbeit bestimmten die Fragstellungen der Arbeit, die theoretischen Vorüberlegungen und das Vorwissen über das Untersuchungsfeld, aber auch die verfügbaren Ressourcen die Auswahl (vgl. Kelle und Kluge 2010). Die Auswahl mittels qualitativen Stichprobenplans ermöglicht es, sowohl die Heterogenität des Selbsthilfefeldes als auch die begrenzten Ressourcen einer Dissertation zu berücksichtigen. Auch in anderen einschlägigen Studien, wie der rezenten deutschen Studie „Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland – Entwicklungen, Wirkungen und Perspektiven (2012-2017)“ (Kofahl, Schulz-Nieswandt, et al. 2016) wurde ein Stichprobenplan zur Fallauswahl herangezogen (Seidel et al. 2016).

Bei einem qualitativen Stichprobenplan werden relevante Merkmale und Kontextbedingungen der Fallauswahl, Merkmalsausprägungen und Größe des qualitativen Samples vorab definiert (Kelle und Kluge 2010). Die Auswahl und Anzahl der Fälle wird vom Bestreben geleitet, einen Überblick über das heterogene Feld der gemeinschaftlichen Selbsthilfe zu erhalten. Entsprechend wird der Breite (Fallanzahl) Vorrang vor der inhaltlichen Tiefe geben (vgl. auch Seidel et al. 2016). Die Anzahl der Merkmalskombinationen darf im Stichprobenplan allerdings nicht zu groß sein, um bearbeitbar zu bleiben. Anhand einer ersten groben Aufwandsschätzung wurden zwölf Fälle in Absprache mit dem Betreuer für angemessen und realisierbar befunden.

Ausgewählt wurden nur Selbsthilfeorganisationen, die gemäß ihrer Selbstbeschreibung auf ihrer Homepage Mitgestaltungsaktivitäten setzen (=Kontextbedingung). Dies sollte sicherstellen, dass in den ausgewählten Selbsthilfeorganisationen Erfahrungen mit Mitgestaltung und entsprechenden Voraussetzungen und Anforderungen vorliegen. Organisationen ohne Mitgestaltungsaktivitäten wurden bewusst ausgeschlossen, wenngleich sich darunter auch Selbsthilfeorganisationen befinden können, die eine Mitgestaltung anstreben, dies aber aufgrund von zu hohen Anforderungen oder anderen Ursachen (momentan) nicht realisieren können.

Um die Heterogenität des Selbsthilfefeldes abzubilden, wurden die Auswahlmerkmale Wirkungsbereich und Organisationsstruktur herangezogen (Abbildung 13). Grund für diese Auswahl ist die Strukturierung des österreichischen Selbsthilfefeldes anhand dieser Merkmale.

Abbildung 13: Auswahlmerkmale für Stichprobenplan

Wirkungsbereich bezieht sich auf die Reichweite der Aktivitäten der Selbsthilfeorganisationen und wird unterteilt in Selbsthilfeorganisationen, deren Aktivitäten sich auf ein Bundesland beschränken und jene, die auf Bundesebene aktiv sind. Das Bundesland wurde in der Fallauswahl nicht konstant gehalten, da nicht davon auszugehen ist, dass alle Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene mitgestaltungsstarke Selbsthilfedachverbände im selben Bundesland aufweisen. Gleichzeitig bedeutete dies aber auch eine schlechtere Vergleichbarkeit der Fälle. Daher wurde in Absprache mit dem Betreuer festgelegt, die Variable Bundesland weder als Auswahlkriterium noch als angestrebte Vergleichsdimension in die vorliegende Arbeit einzubeziehen.

Organisationsstruktur adressiert die Unterscheidung zwischen indikationsspezifischen und indikationsübergreifenden Selbsthilfeorganisationen. Angemerkt sei, dass es sich bei indikations-übergreifenden Selbsthilfedachverbänden auf Landesebene (zumeist) um die Selbsthilfedach-verbände (Selbsthilfeunterstützungseinrichtungen) handelt. Indikationsspezifische Selbsthilfe-organisationen wurden weiter untergliedert in die Indikationsbereiche Soma, Psyche und Behinderung. Gemäß Daten der ersten österreichischen Bestandsaufnahme des Selbsthilfefeldes (Forster und Nowak 2011; Nowak 2011) sind Vereinigungen zu somatischen Problemen in ihren Aktivitäten tendenziell stärker nach außen gerichtet, während jene zu psychischen Problemen eine stärkere Innenorientierung aufweisen. Entsprechend sollten Selbsthilfeorganisationen zu somatischen und psychischen Indikationsbereichen in die Fallauswahl einbezogen werden sowie Selbsthilfe-organisationen aus dem Bereich Behinderung. Von letzteren konnte angenommen werden, dass sie stärker auch Aktivitäten im Grenzbereich zum Sozialsystem setzen.

Ein weiteres allerdings nachrangiges Auswahlmerkmal stellte die Prävalenz der Erkrankung dar, der sich die Selbsthilfeorganisation widmet. Der Prävalenz wird ein Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit der Organisation von Patient/inn/en und ihr Gehört werden von der Politik zugeschrieben (Allsop et al. 2004; Epstein 2008). Im Unterschied zu Selbsthilfeorganisationen zu „häufigen“ Erkrankungen

Ausprägungen Auswahlmerkmal

Selbsthilfeorganisationen mit

Mitgestaltungsaktivitäten

Wirkungsbereich

▪ Bundesebene

▪ Landesebene

Organisationsstruktur

▪ Indiaktionsspezifisch

▪ Indikationsübergreifend

Überlegungen (Allsop et al. 2004). Entsprechend werden Vereinigungen zu seltenen Erkrankungen es schwerer haben, Einfluss zu üben (=höhere systemintegrative Anforderungen). Zahlenmäßig spricht man von einer seltenen Erkrankung (in der Europäischen Union), wenn die Prävalenz weniger als fünf von 10.000 Einwohnerinnen/Einwohnern beträgt (Bundesministerium für Gesundheit 2015).

Wirkungsbereich und Organisationsstruktur als Hauptauswahlmerkmale strukturieren nicht nur das Selbsthilfefeld in Österreich (vgl. Kapitel 2.5.3), sondern werden auch in empirischen Studien Einfluss auf Aktivitäten und Ziele der Organisationen zugeschrieben (u.a. Hatzidimitriadou 2002; Kamphuis et al. 2012)34. Auch theoretische Überlegungen legen unterschiedlich hohe Anforderungen bei Mitgestaltung nahe: Aufgrund der Vielzahl der zu vereinenden Indikationen sind indikationsübergreifende Selbsthilfeorganisationen vermutlich höheren sozialintegrativen Anforderungen ausgesetzt als indikationsspezifische. Systemintegrative Anforderungen scheinen für Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene höher aufgrund der größeren Allgemeinheit der zu treffenden Entscheidungen, auf welche bei Interessenvertretung Einfluss genommen wird (vgl.

Rabeharisoa und O’Donovan 2013). Entsprechend kann man sich die Auswahl der Selbsthilfeorganisationen in folgendem „Vier-Felder-Schema“ vorstellen (Abbildung 14).

Abbildung 14: Selbsthilfeorganisationen und Ausmaß ihrer Anforderungen

hoch Indikationsspezifische

Wie von Yin (1989) vorgeschlagen, wurden die Fälle so gewählt, dass von einem Teil der Fäll ähnliche Ergebnisse zu erwarten sind, während sich ein anderer Teil der Fälle von diesen unterscheidet. Eine gleichmäßige Verteilung auf die vier Fallgruppen (indikationsspezifische Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene, indikationsübergreifende Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene, indikations-spezifische Selbsthilfeorganisationen auf Landesebene, indikationsübergreifende organisationen auf Landesebene) war aufgrund der wenigen indikationsübergreifenden Selbsthilfe-organisationen auf Bundesebene nicht möglich. Daher wurden mehr indikationsspezifische Selbsthilfeorganisationen einbezogen. Der Stichprobenplan sah jeweils vier indikationsspezifische Selbsthilfeorganisationen auf Bundes- und Landesebene vor. Diese vier verteilten sich auf die Bereiche Soma, Psyche und Behinderung im Verhältnis 2:1:1. Dies orientierte sich an der

Häufigkeitsverteilung der Bereiche im österreichischen Selbsthilfefeld. Von den Selbsthilfeorganisationen (auf Bundes- und Landesebene) aus dem Bereich somatischer Erkrankungen sollte eine gleichzeitig eine seltene Erkrankung repräsentieren. Die verbleibenden vier Fälle sollten sich gleichmäßig auf indikations-übergreifende Selbsthilfeorganisationen auf Landes- und Bundesebene verteilen.

Die konkrete Auswahl der Selbsthilfeorganisationen erfolgte in einem dreistufigen Prozess: Auswahl von Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene, auf Landesebene und Selbsthilfegruppen. Dieses Vorgehen stellte sicher, dass Selbsthilfeorganisationen auf Bundes- und Landesebene vorhanden sind und Mitgestaltungsaktivitäten setzen. Ein umgekehrtes Vorgehen, wie in einer rezenten deutschen Studie (Kofahl, Schulz-Nieswandt, et al. 2016), hätte das Risiko beinhaltet, Selbsthilfeorganisationen auf Landesebene oder gar Selbsthilfegruppen einzubeziehen, die nicht höher organisiert sind (d.h. kein Mitglied in einer Bundesorganisation sind) (Seidel et al. 2016) und/oder keine Mitgestaltungs-aktivitäten setzen. Zunächst wurden daher Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene ausgewählt, gefolgt von Selbsthilfeorganisationen auf Landesebene (basierend auf den Empfehlungen der Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene) und Selbsthilfegruppen (basierend auf den Empfehlungen von Selbsthilfeorganisationen auf Landesebene).

In einem ersten Schritt wurde zur Auswahl der Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene im Internet nach mitgestaltenden Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene gesucht. Folgende Informationen wurden herangezogen:

 Mitgliederliste der ARGE Selbsthilfe Österreich35 (Stand Jänner 2014), welche eine Aufstellung bundesweittätiger Selbsthilfeorganisationen (=ihrer Mitglieder) enthält

 Internetrecherche und Suche nach Selbsthilfeorganisationen auf

 Recherche von sozial- und gesundheitspolitischen Gremien auf Bundesebene (insbesondere auf den Webseiten der Gesundheit Österreich GmbH36, des Bundesministeriums für Gesundheit37 und des Rechtsinformationssystems des Bundeskanzleramtes38), ob eine Beteiligung von Selbsthilfeorganisationen vorgesehen ist und um welche es sich dabei handelt

 Mitgliederliste des Österreichischen Arbeitskreises Rehabilitation39 (Oktober 2014) zur Auswahl einer Selbsthilfeorganisation aus dem Indikationsbereich Behinderung

Im Forschungsprozess stellte sich heraus, dass sich Behindertenorganisationen nicht notwendigerweise als Selbsthilfeorganisationen verstehen müssen, auch wenn sie dieselben Charakteristika (u.a. Betroffene in Leitungsfunktionen) aufweisen. Daher wurde zusätzlich die ARGE Selbsthilfe Österreich kontaktiert zur Auswahl einer Behindertenorganisation, welche sich auch als Selbsthilfeorganisation versteht.

34 Diese Studien belegen auch Einflüsse von Mitgliederzahl und Prävalenz der Erkrankung auf Handlungen und Ziele der Selbsthilfeorganisationen.

35 http://www.selbsthilfe-oesterreich.at/

36 http://www.goeg.at/

Hinweise auf Mitgestaltungsaktivitäten wurden den Webseiten der identifizierten Selbsthilfeorganisationen und den darauf veröffentlichten Dokumenten entnommen. Da nicht immer verifiziert werden konnte, ob es sich bei den Informationen um Ziele (Intentionen) oder realisierte Aktivitäten handelt, wurde zunächst nicht zwischen beiden unterschieden. Des Weiteren war es unerheblich, ob die Mitgestaltungsaktivitäten als erfolgreich oder weniger erfolgreich beschrieben wurden.

In einem nächsten Schritt wurden die Webseiten jener Selbsthilfeorganisationen, die sowohl Kooperations- als auch Interessenvertretungsaktivitäten anstreben/setzen, erneut konsultiert, um Informationen über ihre Mitglieder, d.h. Selbsthilfeorganisationen auf Länderebene, zu erhalten.

Sofern Hinweise/Verweise gefunden wurden, wurden diese Webseiten aufgerufen und nach Hinweisen auf Mitgestaltungsaktivitäten der Selbsthilfeorganisationen auf Landesebene gesucht.

Hier wurde festgestellt, dass nur wenige Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene Informationen über die Mitgliederorganisationen bereitstellen und nur wenige Mitgliederorganisationen außenorientierte Aktivitäten setzen. Ausgewählt wurden Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene, welche neben der Kontextbedingungen „Setzen von Mitgestaltungsaktivitäten“ und

„Hinweise auf mitgestaltende Landesorganisationen“, die primären Auswahlkriterien (Wirkungsbereich, Organisationsstruktur) sowie die sekundären Auswahlmerkmale (Indikationsbereich, Prävalenz) erfüllten. Die finale Auswahl wurde mit dem Dissertationsbetreuer abgestimmt.

Zunächst wurden alle ausgewählten Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene per Mail kontaktiert.

Der Anfragetext kann im Anhang (Kapitel 7.2.3) eingesehen werden. Die Auswahl der Selbsthilfeorganisationen auf Landesebene erfolgte auf Basis der Befragung von Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene. Die Interviewpartner/innen auf Bundesebene wurden gebeten, jeweils die zwei mitgestaltungsaktivsten Landesorganisationen unter ihren Mitgliedern zu benennen. Aufgrund der teilweise begrenzten Informationen über die Landesorganisationen auf den Webseiten der Bundesorganisationen war es hier erforderlich, auf die Einschätzung der befragten Vertreter/innen der Bundesorganisationen zurückzugreifen. Nach Möglichkeit wurde die erstgenannte und damit aktivste Landesorganisation einbezogen. Lehnte diese eine Teilnahme ab, wurde die zweitgenannte Selbsthilfeorganisation angefragt. Bei der Auswahl der Selbsthilfedachverbände auf Landesebene wurde nicht auf die Empfehlung der Bundesorganisation zurückgegriffen, da durch Vorarbeiten (Rojatz 2011) bereits Kenntnisse über die Mitgestaltungs-aktivitäten der Selbsthilfedachverbände vorlagen. Es wurden nach Möglichkeit jene mit den meisten Mitgestaltungsaktivitäten ausgewählt. Dabei wurde aber darauf geachtet, dass Personen durch das Innehaben mehrerer Funktionen im Selbsthilfefeld, nicht mehrfach angefragt werden. Die indikations-spezifischen Selbsthilfeorganisationen auf Landesebene wurden im Rahmen der dortigen

39 http://www.oear.or.at/

Interviews wiederum gebeten, eine Selbsthilfegruppe und ihre Kontaktperson zu benennen, die interviewt werden kann. Wurde keine Selbsthilfegruppe empfohlen, wählte die Autorin selbst aus den auf der Homepage der befragten Landesorganisation angegebenen Selbsthilfegruppen.

Im Rahmen der Rekrutierung der Interviewpartner/innen und damit der Selbsthilfeorganisationen kam es zu einigen Abweichungen vom Stichprobenplan, die Thema des nächsten Abschnittes sind.

3.3.2 Realisierter Stichprobenplan und erste Charakterisierung der

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