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Fall-orientierter und variablen-orientierter Ansatz

Im Dokument DISSERTATION / DOCTORAL THESIS (Seite 128-132)

3 Forschungsfragen und methodische Vorgangsweise

3.2 Qualitatives Forschungsdesign

3.2.1 Fall-orientierter und variablen-orientierter Ansatz

Die Arbeit möchte sowohl einen (fallübergreifenden) Überblick über die mitgestaltungsbezogenen Voraussetzungen von Selbsthilfeorganisationen ermöglichen als auch Unterschiede zwischen verschiedenen Formen von Selbsthilfeorganisationen aufzeigen können. Die erfordert zwei Perspektiven: Eine orientierte und eine fall-orientierte Perspektive. Der variablen-orientierte Zugang ermöglicht einen Überblick über alle identifizierten Voraussetzungen und damit die Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen von Mitgestaltung für gemeinschaftliche Selbsthilfe (Forschungsfrage 1). Der fall-orientierte Zugang erlaubt es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Formen von Selbsthilfeorganisationen zu untersuchen und damit die Frage nach den unterschiedlichen Bewältigungsmöglichkeiten zu beantworten (Forschungsfrage 2).

In diesem doppelten Zugang könnte man auch die von Habermas vorgeschlagene Doppelperspektive von Beobachter- und Teilnehmerperspektive wiedererkennen (vgl. Abbildung 11): Der variablen-orientierte Zugang ermöglicht eine Abbildung des Handlungshintergrundes von Selbsthilfe-organisationen („Gesamtüberblick“ aus einer Beobachterperspektive). Die Zuspitzung der Fragen auf die Handlungsvoraussetzungen und Anforderungen für bestimmte Selbsthilfeorganisationen (fall-orientierte Auswertung) ermöglicht die Beschreibung aus einer Teilnehmerperspektive. Für das gewählte Design hat dies zur Folge, dass je nach Auswertungszugang von einem qualitativen Forschungsdesign mit Dokumentenanalyse und Experteninterviews (variablen-orientierter Ansatz) oder einem multiplen, holistischen Fallstudiendesign gesprochen wird.

Abbildung 11: Doppelperspektive auf das Forschungsdesign

Bei Charles Ragin (1989) werden die Unterschiede von variablen- und fall-orientierten Ansätzen näher ausgeführt: Variablen-orientiertes Vorgehen bezieht sich auf den Vergleich einzelner Variablen bzw. Bündeln von Variablen, während ein fall-orientiertes Vorgehen den Fall (hier: Selbsthilfe-organisationen) in seiner Gesamtheit analysiert. Eine nähere Charakterisierung der Unterschiede orientiert sich an Generalisierungs-/Detailliertheitsgrad, Stichprobengröße und dem Stellenwert der Theorie (Ragin 1989):

Im variablen-orientierten Ansatz geht es, um die Bewertung von Zusammenhängen. Entsprechend ist Generalisierung wichtiger als das Verstehen von Komplexität. Damit sind auch die Stichproben größer als beim fall-orientierten Ansatz. Der variablen-orientierte Ansatz eignet sich für die Bewertung der wahrscheinlichen Beziehung zwischen Eigenschaften der sozialen Struktur (betrachtet als Variablen), über die größtmögliche Population von Beobachtungen. Theoriegeleitete Thesen sollen getestet werden. Die Schwäche dieses Ansatzes liegt in möglichen nichtssagenden Generalisierungen. In der vorliegenden Arbeit ermöglicht der Ansatz einen Überblick über die Voraussetzungen von Selbsthilfeorganisationen bei Mitgestaltung.

Im fall-orientierten Ansatz dient die Kontrastierung von einzelnen Fällen in ihrer Gesamtheit dem Gewinnen eines tieferen Einblicks, hier von den unterschiedlichen Formen von Selbsthilfe-organisationen. Der Komplexität eines Falles wird Vorrang vor einer Generalisierung der Ergebnisse gegeben. Entsprechend ist dieser Ansatz für kleine Stichproben geeignet und zur Identifizierung invarianter Muster. Größere Stichproben sind hier nicht möglich. Theorien und Konzepte dienen als Orientierung und Interpretationshilfe, um wichtige kausale Faktoren zu identifizieren. Allerdings neigt dieser Ansatz zur Partikularisierung.

Fallstudien gelten als ein klassisches Design in der qualitativen Forschung (Flick 2007). Dieses eignet sich besonders, wenn ein gegenwärtiges Phänomen innerhalb seines Kontextes untersucht werden soll (vgl. Green und Thorogood 2014) und vor allem dann, wenn die Grenzen zwischen Phänomen

Multiples, holisisches

Fallstudiendesgin Qualitatives

Forschungsdesgin mit Dokumentenanalyse und leitfadengestützten Interviews

Teilnehmerperspektive: Selbsthilfeorganisation Systemperspektive:gemeinschaftlicheSelbsthilfe

und Kontext nicht offensichtlich sind (Yin 1989). Aus der vorangegangenen Darstellung lässt sich ableiten, dass es sich bei den Mitgestaltungspraktiken von Selbsthilfeorganisationen um ein gegenwärtiges – sich in Entwicklung befindliches – Phänomen handelt, welches kaum kontrolliert werden kann. Entsprechend scheint ein Fallstudiendesign geeignet. In der Forschungsarbeit werden gemäß der Fragestellung mehrere Selbsthilfeorganisationen miteinander verglichen, so dass das Design als multiple holistic case study (Yin 1989) zu bezeichnen ist.

Fallstudien zeichnen sich durch Tiefe und Genauigkeit (vgl. Green und Thorogood 2014) sowie den Einsatz einer Vielfalt an Datenerhebungsmethoden und Perspektiven (vgl. Yin 2010) aus. Für die vorliegende Arbeit werden Dokumentenanalyse und Experteninterviews als Datenerhebungs-methoden gewählt und die Perspektiven von Vorstandsmitgliedern, Geschäftsführung (hauptamtlichen Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern) und Selbsthilfegruppenkontaktpersonen einbezogen.

Mit Dokumentenanalyse und Experteninterviews werden sowohl prozess-produzierte als auch selbstgenerierte Daten erhoben. Beide ermöglichen ein vertieftes Verständnis der Voraussetzungen von Selbsthilfeorganisationen bei Mitgestaltung. Ein Vorteil der Dokumentenanalyse besteht in der Nutzung von „prozessproduzierten Daten“ der Selbsthilfeorganisationen, welche unbeeinflusst von der Forscherin generiert wurden. Die Experteninterviews wiederum haben den Vorteil, gezielter nach den Anforderungen bei Mitgestaltung und dem Umgang mit diesen fragen zu können und somit Daten zu erhalten, die möglicherweise sonst nicht öffentlich zugänglich sind. Zudem ermöglichen die Experteninterviews, flexibel auf die jeweiligen Gesprächspartner/innen und ihre Erfahrungen und Ansichten zu reagieren und – wo angebracht – vertiefend nachzufragen. Dies erwies sich auch aufgrund des begrenzten bisherigen Wissens über die Voraussetzungen von Selbsthilfeorganisationen bei Mitgestaltung als zweckmäßig.

Der Einsatz weiterer Erhebungsmethoden schien nicht durchführbar oder zweckmäßig: Gegen eine quantitative Erhebung sprach die geringe Anzahl an befragbaren Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene (Annahme: n<50) und die unzureichende Flexibilität standardisierter Fragebögen angesichts eines heterogenen Feldes. Die Durchführung von Fokusgruppen hätte vertiefte Einblicke in die Interaktionen von Selbsthilfevertreterinnen/-vertretern ermöglicht. Dagegen sprachen aber die begrenzten Zeitressourcen von Vertreterinnen/Vertretern der Selbsthilfeorganisationen sowie deren räumliche Verteilung (insbesondere für Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene).

Beobachtungen als weitere Erhebungsmethode hätten ebenfalls vertiefende Einblicke ermöglicht – insbesondere in die Interaktionen zwischen Mitgliedern von Selbsthilfeorganisationen, Vorstandsmitgliedern und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern. Allerdings standen der Umsetzung Zugangsprobleme (z.B. zu Gremien, zum Teil zu Privaträumen von Funktionär/inn/en der Selbsthilfeorganisationen mangels Büroräumlichkeiten) entgegen.

Die Einbeziehung der Perspektiven von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführung (hauptamtlichen Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern) von Selbsthilfeorganisationen sowie Selbsthilfegruppenkontakt-personen ermöglicht es, die Wahrnehmungen jener Personen zu erheben, die unmittelbar mit den Mitgestaltungshandlungen befasst sind. Vorstandsmitglieder und Geschäftsführung (hauptamtliche Mitarbeiter/innen) sind es, die die Selbsthilfeorganisation nach außen vertreten. Die Befragung von Selbsthilfegruppenkontaktpersonen erlaubt Einblicke in deren Funktion bei Mitgestaltung und in die Relevanz, die die Mitgliederbasis (Selbsthilfegruppenmitglieder) dem Thema Mitgestaltung beimessen.

Die Einbeziehung unterschiedlicher Erhebungsmethoden und Perspektiven ermöglicht es, ein umfassendes Datenmaterial zu generieren.

„Triangulation beinhaltet die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand oder allgemeiner: bei der Beantwortung von Forschungsfragen. […] Diese Perspektiven sollten so weit als möglich gleichberechtigt und gleichermaßen konsequent behandelt und umgesetzt werden. Durch die Triangulation (etwa verschiedener Methoden oder verschiedener Datensorten) sollte ein prinzipieller Erkenntniszuwachs möglich sein, dass also bspw. Erkenntnisse auf unterschiedlichen Ebenen gewonnen werden, die damit weiter reichen, als es mit einem Zugang möglich wäre.“ (Flick 2008, S. 12)

In der vorliegenden Dissertation wurde durch Einbeziehung von Dokumenten- und Interviewdaten eine Methoden- sowie durch Einbeziehung von Funktionär/inn/en von Selbsthilfeorganisationen (Vorstandsmitgliedern, Geschäftsführung) und Selbsthilfegruppenkontaktpersonen eine Daten-triangulation vorgenommen (vgl. Abbildung 12).

Abbildung 12: Methoden- und Datentriangulation

Im Vordergrund stand dabei die Methodentriangulation. Eine Methodentriangulation bietet sich an, wenn die Kombination unterschiedlicher methodischer Zugänge den erwartbaren Erkenntnisgewinn im Vergleich zur Einzelmethode erweitert und auch wenn komplementäre Ergebnisse erzielt werden (Flick 2008). Die beiden methodischen Zugänge dienen zum einen der umfassenderen Gegenstandskonstituierung, andererseits aber auch der Steigerung der Reliabilität, da die potentiell individualistisch geprägte Perspektive der Interviewpartner/innen zumindest ein Stück weit durch die veröffentlichten Dokumente und Webseiten objektiviert werden kann.

Datentriangulation Methodentriangulation

Forschungsfragen

Dokumenten-analyse Webseiten und darauf

veröffentlichte Doumente

Interviews Vereinsfunktionäre

auf Bundes- und Landesebene

Selbsthilfegruppen- kontaktpersonen

Ob die herangezogenen Methoden und Perspektiven ausreichen, um vom Einsatz einer Vielfalt an Datenerhebungsmethoden und Perspektiven (vgl. Yin 2010) zu sprechen, der Fallstudien auszeichnet, kann kritisch hinterfragt werden. Da Fallstudien nach Auffassung der Autorin auch eine Frage des gewählten Ansatzes (variablen- versus fall-orientierter Ansatz) sind, wird hier von einem an einer multiplen Fallstudie orientierten Design gesprochen.

Im Dokument DISSERTATION / DOCTORAL THESIS (Seite 128-132)

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