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Auswertung der Experteninterviews nach Meuser und Nagel

Im Dokument DISSERTATION / DOCTORAL THESIS (Seite 155-159)

3 Forschungsfragen und methodische Vorgangsweise

3.4 Datenerhebungsmethoden

3.5.2 Auswertung der Experteninterviews nach Meuser und Nagel

Für die Auswertung der Experteninterviews wurde der von Meuser und Nagel (1991, 2005) vorgeschlagenen Auswertungsmethode gefolgt. Diese hat im Unterschied zur ebenfalls möglichen Auswertung nach Mayring den Vorteil, dass sie speziell für Experteninterviews entwickelt wurde und das gesamte Interviewmaterial in die Analyse einbezieht und nicht nur die im Rahmen der Datenextraktion selektierten Textauszüge. Methodisch kann der feine Unterschied zwischen beiden Auswertungsmethoden darin verortet werden, dass bei der Inhaltanalyse die Informationen in Kategorien zusammengefasst werden, die sich auf die Forschungsfrage beziehen. Währenddessen handelt es sich bei der Themenanalyse und damit der Auswertungsmethode von Meuser und Nagel

(1991, 2005), um eine Form der induktiven Mustererkennung. Damit ist die Themenanalyse im Zugang induktiver als eine Inhaltsanalyse (vgl. Bowen 2009).

Bei der Auswertung nach Meuser und Nagel geht es um Wissensbestände „im Sinne von Erfahrungsregeln, die das Funktionieren von sozialen Systemen bestimmen“ (Meuser und Nagel 2005, S. 91). Damit geht diese Auswertungsmethode über die Einzelfallinterpretation hinaus, welches durch den eingesetzten Leitfaden ermöglicht wird. Da die Expert/inn/en als Zielgruppe fungieren, hat die Auswertung die Aufgabe,

„die entsprechenden Wissensstrukturen und Handlungsstrukturen, Einstellungen und Prinzipien theoretisch zu generalisieren, Aussagen über Eigenschaften, Konzepte und Kategorien zu treffen, die den Anspruch auf Geltung auch für homologe Handlungssysteme behaupten können bzw. einen solchen theoretisch behaupteten Anspruch bestätigen oder falsifizieren.“ (Meuser und Nagel 2005, S.

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Meuser und Nagel (1991, 2005) unterscheiden ausgehend von der Funktion der Expert/inn/en im Befragungskontext zwischen zwei Auswertungszugängen. In den Experteninterviews mit Vereins-funktionär/inn/en sollen diese als Zielgruppe über ihr Handlungsfeld Auskunft geben. In diesem Fall steht nach Meuser und Nagel „Betriebswissen“ im Zentrum. Demgegenüber bilden die befragten Selbsthilfegruppenkontaktpersonen eine zur Zielgruppe komplementäre Einheit, die Informationen zum Handlungskontext der Zielgruppe liefern sollen. Damit steht „Kontextwissen“ im Zentrum der Interviews mit Selbsthilfegruppenkontaktpersonen. Die Erforschung von Betriebswissen wird von theoretisch-analytischen Konzepten (einem Kategoriengerüst) geleitet, welche auch als Prüfinstanz für die erhaltenen Ergebnisse dient (Meuser und Nagel 1991, 2005). Bei der Erhebung von Kontextwissen ist weniger das Erfahrungswissen der Interviewpartner/innen im Fokus als ihre Funktion. Es soll helfen, den zu untersuchenden Sachverhalt näher zu beleuchten. Entsprechend besteht bei der Analyse von Betriebswissen nicht die Möglichkeit der Generalisierung wie bei der Analyse von Kontextwissen. Die Auswertung sieht folgende potentiell rekursive Schritte vor (Meuser und Nagel 2009, S. 56f) (vgl. Abbildung 17):

Abbildung 17: Auswertung von Experteninterviews nach Meuser und Nagel (2009)

Schritt1 •Transkription

Schritt 2 •Paraphrasierung

Schritt 3 • Überschriften bilden (Kodieren)

Schritt 4 •Thematischer Vergleich

Schritt 5 •Soziologische Konzeptualisierung

Schritt 6 •Theoretische Generalisierung

Durchgeführt wurden zunächst die ersten drei Schritte. Die folgenden Schritte 4-6 werden im nächsten Kapitel 3.5.3 abgehandelt, da diese auch im Rahmen der Auswertung der Dokumentendaten durchgeführt wurden.

Transkription

Die Audiodateien wurden wörtlich transkribiert, außer die Interviewpartner/innen merkten an, gewisse Textstellen nicht oder nur paraphrasiert freizugeben. Im Rahmen der Transkription erfolgte gleichzeitig das Anonymisieren des Namens der befragten Person auf ihre Funktion48. Aufwändige Notationssysteme, wie bei anderen Interviewformen angebracht, wurden nicht verwendet, da Pausen und Stimmlagen hier nicht von Interesse waren (vgl. Meuser und Nagel 2005).

Sofern vereinbart, wurden die Transkripte an die Interviewpartner/innen gesandt mit der Möglichkeit, Richtigstellungen und Ergänzungen vorzunehmen sowie der Bitte um Freigabe. In einem Fall wurde von den Befragten daraufhin hingewiesen, dass viele unvollständige Sätze (wie sie in einem Gespräch üblich sind) vorkamen und das Transkript so nicht verständlich sei und eine Aufbereitung erwartet wird. Um die Freigabe des Interviewmaterials nicht zu gefährden, wurde das Interviewtranskript in ein Protokoll umgewandelt und der Selbsthilfeorganisation erneut zugesandt.

Die erfolgte mit einer zeitlichen Frist bis zu welcher Rückmeldungen möglich waren. Nachdem keine Rückmeldung kam, wurde das Protokoll in die Auswertung einbezogen. In drei anderen Fällen wurde das zugesandte Transkript leicht modifiziert von den Interviewpartnerinnen/-partnern zurückgesandt und diese Version für die Auswertung berücksichtigt. Zusätzlich wurde in zwei dieser Fälle vereinbart, keine wörtlichen Zitate wiederzugeben. In einem Fall verweigerten die Interviewpartner/innen die Freigabe, so dass das Interview nicht in die Datenauswertung einbezogen wurde. Insbesondere dadurch, aber auch durch die modifizierten bzw. nicht-zitierbaren Interviewtranskript-Passagen gingen Informationen verloren. Aus forschungsethischen Gründen und aufgrund der Verpflichtung, den Befragten nicht zu schaden, wurde dies respektiert.

Paraphrasierung

Die freigegebenen Transkripte und Interviewprotokolle wurden, wie bereits zuvor die Dokumentextraktionen, in Atlas.ti 7.0 importiert und dort paraphrasiert, d.h. textgetreu in eigenen Worten wiedergegeben. Die Sequenzierung, d.h. die Analyseeinheiten, orientierten sich am

„Alltagsverstand“ (Meuser und Nagel 2005, S. 84) entlang des Gesprächsverlaufs. Dabei wurde auch der propositionale Gehalt der Äußerung (die/der Interviewte glaubt, verweist auf …) wiedergegeben.

Dies ermöglichte es beispielswiese zu erfassen, ob sich eine befragte Person auf ihre Meinung oder

48 Der Name der Selbsthilfeorganisation wurde in den Transkripten nicht anonymisiert, sofern die Zustimmung einholt wurde, den Namen der Organisation zu veröffentlichen. Versuchsweise wurde dennoch auch der Organisationsname sowie der Name der über-/untergeordneten Organisationseinheit anonymisiert, welches aber zur Folge hatte, dass das Transkript unverständlich wurde (insbesondere, wenn mehrere Mitgliedsvereine in einem Bundesland vorhanden sind), so dass es bei dem Versuch blieb.

eine vereinsintern abgestimmte Position beruft. Über den Grad der Detailliertheit wurde in Abhängigkeit der Relevanz des Themas für die Forschungsarbeit entschieden:

„Eine gute Paraphrase zeichnet sich durch ihr nicht-selektives Verhältnis zu den behandelten Themen und Inhalten aus; sie sollte – ausführlich oder abkürzend – jedenfalls protokolarisch auf den Inhalt gerichtet sein, so dass nicht antizipierte Themen und Aspekte nicht verloren gehen.“ (Meuser und Nagel 2005, S. 84)

Dabei stellte die Reduktion von Komplexität eine Herausforderung dar (ebd.). Um die Vergleichbarkeit zu garantieren, wurden die ersten Paraphrasen am Ende des Prozesses nochmals durchgesehen und wo nötig revidiert. Wie auch schon bei der qualitativen Inhaltsanalyse der Dokumentendaten wurde den Paraphrasen ein „Kürzel“ voran- bzw. nachgestellt, um die Datenauswertung und die Nachvollziehbarkeit der Quelle zu erleichtern. Im Unterschied zur Dokumentenanalyse mit einer selektiven Paraphrasierung, wurde das gesamte Interviewmaterial paraphrasiert. Damit wurden nicht nur vordefinierte Themen(-bereiche) berücksichtigt, sondern auch neue, die sich im Interviewverlauf ergaben.

Überschriften bilden (Kodieren)

Die Paraphrasen wurden in einem zweiten Verdichtungsschritt in Microsoft Word mit Überschriften (Codes) versehen, wobei noch materialnahe an der Terminologie der Interviewten verblieben wurde49. Durch die im Rahmen der Paraphrase vorangestellten Kurzbezeichnungen wurde dieser Schritt enorm erleichtert, weil es eine erste Textsortierung ermöglichte. Die Sequenzialität des Textes hob sich dadurch (notwendigerweise) auf. Dies war möglich, da nicht die „Eigenlogik des Einzelfalls“ den Auswertungsgegenstand bildete (vgl. Meuser und Nagel 2005). Es erfolgte damit eine Trennung von Person und Text – die Expert/inn/en fungierten in diesem Schritt als Medium der Informations-beschaffung.

Ähnliche Paraphrasen wurden zusammengestellt und mit einer Hauptüberschrift versehen, welches eine Übersicht über den Text ermöglichte. Wo es angebracht schien, wurden anschließend mehrere Überschriften erneut unter einer neuen Hauptüberschrift zusammengefasst. Dieses Vorgehen wiederholte sich für alle Fälle.

Gedanken, Ideen und Assoziationen, die der Autorin während der Paraphrasierung und Kategorisierung der Dokumenten- und Interviewdaten kamen, wurden in Memos festgehalten und am Ende systematisiert und als Interpretationshilfe (z.B. Erkennen von größeren Zusammenhängen) herangezogen.

Im nächsten Auswertungsschritt erfolgte eine Zusammenführung mit den Dokumentendaten.

49 Die Paraphrasen sicherten einen transparenten Transfer von Atlas.ti in Microsoft Word und ermöglichten jederzeit bei Bedarf den Schritt zurück zu den Originalzitaten in Atlas.ti.

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