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4. DISKUSSION DES HEIMATBEGRIFFS

4.1. Geschichte der Heimatforschung

Die Geschichte des Heimatbegriffes und damit die Geschichte der Heimatbewegung ist nicht nur ein Thema der europäischen Ethnologie oder Soziologie, sondern auch der Geschichtswissenschaft. Gerade in den neunziger Jahren erschienen eine Reihe historischer Studien, die Heimat als einen zentralen Aspekt der deutschen Geschichte verstehen.134 Historische Studien machen außerdem deutlich, dass der Begriff Heimat unterschiedlich definiert und instrumentalisiert wurde. Dies hat auch für die Analyse des heutigen Begriffs eine große Bedeutung, da das heutige Heimatverständnis immer auch eine Interpretation seiner Geschichte ist.135

Eng mit dem Begriff Heimat verbunden war im 18. und 19. Jahrhundert der Begriff Heimatrecht. Dieses Recht bezog sich zunächst auf einzelne Gemeinden und gewährte die Ausübung eines Gewerbes bzw. die Unterstützung aus örtlichen Kassen; allgemein gesprochen bedeutete das Heimatrecht das Recht, sich an einem bestimmten Ort niederzulassen. Der Versorgungsanspruch, den das Heimatrecht also darstellte, war allerdings auf bestimmte Teile der Bevölkerung beschränkt, nämlich auf diejenigen, die einen gewissen Besitz vorzuweisen hatten und Steuern und Abgaben zahlen konnten. So waren z.B.

Tagelöhner und andere Besitzlose vom Heimatrecht ausgeschlossen.136

Das Heimatrecht war zunächst eng verbunden mit einem festen Wohn- und Arbeitsort, der in den meisten Fällen mit dem Geburtsort zusammenfiel. Im Laufe des 19. Jahrhunderts erforderte die wirtschaftliche Entwicklung jedoch eine immer größere Mobilität; das alte Heimatrecht entsprach immer weniger der gesellschaftlichen Realität. Es wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch das Prinzip des Unterstützungswohnsitzes abgelöst, nach dem man von der Wohngemeinde, in der man sich mehr als zwei Jahre aufgehalten hatte, unterstützt wurde und nicht mehr von der Gemeinde des Geburtsorts.

Dieser Aspekt von Heimat, nämlich die sozialen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen, unter denen Menschen überhaupt erst eine Heimat zusteht, spielt in den heutigen

134 Siehe für eine kurze Übersicht Applegate 2000: S. 110.

135 Die heutige Nutzung und Definition des Heimatbegriffs stellt somit auch eine „Geschichte von Deutungen“

dar (Köstlin 1996b: S. 321.)

136 Siehe für einen Überblick über die Geschichte des Heimatrechts Bausinger 1984: S. 12ff.

Diskussionen um den Begriff kaum eine Rolle. Ein Heimatbegriff, der die gegenwärtige gesellschaftliche Situation berücksichtigt und beschreibt, spiegelt auch Wohn- und Arbeitsbedingungen von Menschen wider. Die erhöhte Mobilität, die im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung einsetzte und heute das gesellschaftliche Leben stark prägt, bringt es z.B. mit sich, dass Menschen zwei oder mehr Heimaten für sich definieren. Voraussetzung dafür, das macht der Blick auf die Geschichte des Heimatrechts deutlich, sind politische Rahmenbedingungen, die solch eine Bildung mehrerer Heimaten erst ermöglichen. Auch heute ist dies mit der wirtschaftlichen Situation von Menschen verbunden, hängt aber auch von anderen Faktoren ab.

Die Erforschung der Geschichte des Heimatrechts spielt innerhalb der Volkskunde auch eine Rolle bei der Analyse des heutigen Heimatbegriffes; hier sucht man teilweise Parallelen in der Geschichte. So wird das Heimatbewusstsein, das sich in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gebildet hat und mit „Demokratie vor Ort“ beschrieben werden kann, als eine Neuformulierung des Heimatrechts interpretiert, wie es im 18. und 19. Jahrhundert bestand.

Der Begriff Heimat wurde u.a. innerhalb verschiedener gesellschaftskritischer Bewegungen populär; Heimat wurde als Aufgabe, als Anspruch und als Heimatrecht neu verstanden.137 Nach der Umformulierung des Heimatrechts wurde dieses im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr Menschen zugesprochen und bildete kein Privileg mehr für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Der Begriff Heimat wurde so immer weniger mit einem bestimmten Recht assoziiert, sondern immer mehr mit einer Idee, einem Bild. Parallel zu der Entwicklung des Heimatrechts werden in der Forschung für das 19. Jahrhundert verschiedene Heimatbilder festgestellt. Zum einen diente der Heimatbegriff innerhalb der Heimatbewegung Ende des 19. Jahrhunderts als Begründung, eine Landflucht zu vermeiden; der Begriff wertete das Leben auf dem Lande auf. Zum anderen bestand eine zweite Motivation der Heimatbewegung in einer Gegenbewegung zum Internationalismus; Vorstellungen über Heimat waren mit einer Orientierung an der eigenen Nation verbunden und standen im engen Zusammenhang mit dem Begriff des Vaterlandes. Diese nationale Ausrichtung bedeutete auch, dass soziale Gegensätze in der Gesellschaft durch ein übergreifendes Identifikationsmuster überdeckt wurden; Heimat diente somit auch zur Konfliktvermeidung.138 Die Heimatbewegung, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, war vor allem eine Bewegung des Bürgertums und widmete sich verschiedenen Themen im Zusammenhang mit dem eigenen regionalen und lokalen Lebensumfeld. Ein solches Thema war auch der Naturschutz, dessen Ursprung in der Heimatschutzbewegung liegt.139 Das wichtigste Anliegen der Heimatschutzbewegung war die Erhaltung der deutschen Landschaft für das deutsche Volk. In der Ideologie dieser Bewegung sind sowohl deutschnationale als auch völkische Gedanken zu erkennen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Ideologie der Heimatschutzbewegung problemlos von den Nationalsozialisten vereinnahmt werden konnte: sowohl der Natur- als auch der Heimatschutz hatten sich selber „nazifiziert“, so dass eine Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten eher einen formalen Akt darstellte.140

Der Heimatbegriff spielte auch innerhalb der völkischen Bewegung eine Rolle, die ihren Anfang im letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts hatte. Die Schlüsselbegriffe dieser Bewegung wie Volk, Rasse und Religion, spiegelten sich in antisemitischen oder an

137 Siehe für diese Einschätzung Köstlin 1996b: S. 335.

138 Siehe für einen Überblick über die Geschichte der Heimatbewegung Bausinger 1980, 1984: S. 17ff.; Köstlin 1996b; Reeken 1999.

139 Siehe hierzu Zucchi 1999.

140 Zucchi 1999: S. 148.

Rassenideen orientierten Publikationen und Gedanken zur Reinheit der deutschen Sprache wider.141 Mit dem Begriff Heimat wurde innerhalb dieser Bewegung das Zusammenleben eines Volkes bzw. einer Rasse mit der Natur verstanden.142 Dabei stand Natur für eine bestimmte Landschaft, in der das Volk seine Wurzeln hat und somit seine Identität besitzt.

Dieser Heimatbegriff richtete sich dabei auch gegen die Großstadt, in der nach der völkischen Ideologie eine natürliche Lebensweise unmöglich war.

Die Heimatschutzbewegung als ein Teil der Heimatbewegung wird in der Literatur jedoch nicht nur als eine durch deutschnationale und völkische Gedanken geprägte Bewegung bewertet. Eine Analyse des Heimatbegriffes innerhalb der Heimatschutzbewegung zeigt ein Verständnis von Heimat, das nicht nur auf eine Volkstums-, Deutschtums- oder Germanen-ideologie verweist.143 Zudem wird in der neueren Forschung darauf hingewiesen, dass der Heimatschutz nicht allein als reaktionäre Verteidigung der bestehenden gesellschafts-politischen Ordnung bewertet werden kann; so haben Anhänger der Heimatschutzbewegung auch die negativen Folgen der Industrialisierung und des Kapitalismus kritisiert.144

Zwar repräsentiert die Heimatschutzbewegung nur eine von vielen Heimatkonzepten in der Zeit um die Jahrhundertwende, doch wird sie als eine der wichtigsten und kohärentesten Bewegungen bewertet, die ein Heimatkonzept entwickelte.145 Der Heimatbegriff dieser Bewegung, die offiziell im Jahr 1904 mit der Gründung des Heimatschutzbundes ihren Anfang nahm, gründete in idealistischen und ästhetischen Traditionen der Bourgeoisie des 19.Jahrhunderts, von denen zwei besonders prägend waren: die romantische Tradition der Begeisterung für die Natur und ethische Vorstellungen über Nation. In der Praxis äußerte sich dieses Heimatverständnis in dem Engagement, größere Ensembles zu schützen, seien es historische Stadtansichten und Straßenzüge oder bestimmte Landschaften. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit lag in der Bildungsarbeit, die sich an die gesamte Bevölkerung richtete.146 Erstmals wurden so in der Heimatschutzbewegung Naturschutz, Denkmalpflege und Volkstumspflege zusammengeführt.147

Vom Naturschutz unterschied sich die Heimatschutzbewegung insofern, dass nicht nur einzelne herausragende Landschaften geschützt werden sollten, sondern im Prinzip alle Landschaften.148 Im Hintergrund stand dabei die Idee einer größeren Gemeinschaft; auf der einen Seite sollte der einzelne Mensch ermutigt werden, seine unmittelbare Umgebung mitzugestalten, auf der anderen Seite sollte sich das Individuum in eine nach bestimmten ästhetischen Gesichtspunkten gestaltete Gemeinschaft integrieren.149

141 Siehe zu dieser Einschätzung der völkischen Bewegung Puschner 1999.

142 Puschner (1999) weist diesen Heimatbegriff im völkischen Roman oder Drama nach, wo er eine „organische, kulturschöpferische Symbiose von rassisch geschlossenem Volk mit Natur“ beschreibt (S. 28).

143 Siehe für solch eine Analyse Rollins (1996). Rollins argumentiert gegen eine ganze Reihe von Beurteilungen der Heimatschutzbewegungen; diese Kritiken orientieren sich u.a. an dem Vokabular (der Begriff Heimatschutz stammt aus der Militärsprache und verweist auf die Verteidigung des Heimatlandes), wogegen Rollins anführt, dass einer der Begründer der Heimatschutzbewegung, Rudorff, „was in fact creatively twisting the meaning of

`Heimatschutz`, appealing to national sentiments only in order to redirect them“ (S. 92).

144 Knaut 1996: S. 36.

145 Nach Rollins (1996) war die Heimatschutzbewegung „certainly the most coherent and most engaged proponent of Heimat ideas” (S. 89).

146 Rollins 1996: S. 95.

147 Knaut 1996: S. 34. Knaut sieht die Eigenständigkeit der Heimatschutzbewegung erst in dieser Zusammen-führung von Grundgedanken, deren Kernaussagen schon eher propagiert wurden. Siehe für einen Vergleich von Heimatschutzbewegung und Denkmalschutz auch Koshar 1996.

148 Die Heimatschutzbewegung hatte in diesem Sinne einen globalen Anspruch (Rollins 1996: S. 96).

149 Rollins 1996: S. 98.

Ein weiteres Kennzeichen der Heimatbewegung war das Bild vom Landleben, das gegenüber dem Leben in der Stadt als ideal angesehen wurde. Dabei spielten nicht nur Vorstellungen über eine ideale Landschaft eine Rolle, sondern auch ein spezifisches Gesellschaftsbild, das den Bauern als den Bewahrer wichtiger Traditionen ansah. Angesichts der zunehmenden Modernisierung des Agrarsektors waren diese Vorstellungen einer idyllischen bäuerlichen Gemeinschaft jedoch realitätsfern und stellten eher eine Utopie als ein Spiegelbild der Wirklichkeit dar.150 Aus einem bürgerlichen, gebildeten Blickwinkel heraus entstand eine Vorstellung vom Leben eines Bauern, das als ideale Gesellschaftsform interpretiert wurde.151 Eine kritische Betrachtung der Heimatbewegung kommt zu folgenden Charakteristika des Heimatbegriffes: der Begriff wird von jeder Generation aufgrund ihrer Bedürfnisse neu definiert; dies macht deutlich, dass Heimat ein subjektiver und individueller Begriff ist; er wird vor allem mit Sehnsucht und Geborgenheit verbunden und ist damit auch sehr emotional geprägt. Aufgrund der Geschichte des Heimatbegriffes stellt dieser auch eine Herausforderung an aktuelles Handeln dar, das sich in historischen Strukturen bewegt, dabei aber auch zukunftsgerichtet ist.152

Die Entwicklung des Heimatbegriffes nach 1900, insbesondere während und nach der Zeit des Nationalsozialismus, wurde auch anhand der Heimatfilme untersucht, die vor allem in den fünfziger Jahren sehr populär waren und in großer Zahl gedreht wurden. Während des Nationalsozialismus wurde die Agrarromantik, die den Heimatbegriff in der Zeit um die Jahrhundertwende charakterisierte, weiter geführt. Das bäuerliche Leben wurde als der Inbegriff des traditionellen Lebensstils idealisiert; gleichzeitig wurde das fremde und städtische Leben als der Ursprung moralischen Verfalls dargestellt. Die Blut und Boden-Mythologie der Nationalsozialisten wurde in Filmen wie „Die goldene Stadt“ (1942) durch eine starke Bindung zwischen den einzelnen Menschen und einem bestimmten geo-graphischen Ort deutlich; diese Verbindung und das damit verbundene Gefühlt der Sicherheit wurde oft auch „Heimatbindung“ genannt.153

In den Heimatfilmen der fünfziger Jahre wurde diese Bindung des Menschen an seine Umwelt auf andere Weise dargestellt und spiegelte so auch ein verändertes Verständnis von Heimat wider. Die Beziehung des Menschen zu seiner Heimat wird hier nicht mehr primär als eine Bindung an einen geographischen Ort, sondern an eine soziale Umwelt dargestellt. Das Gefühl der Sicherheit, das mit dem Heimatbegriff immer noch stark assoziiert wird, drückt sich nicht mehr in der Beziehung zwischen Mensch und Ort, sondern zwischen Mensch und Mensch aus. Auf diese Weise werden z.B. im Film „Grün ist die Heide“ (1951) auch Obdachlose im Heimatfilm als Menschen mit einer Heimat, also keineswegs heimatlos dargestellt.154 Hier sind also die sozialen Bindungen wichtig, der geographische Ort bietet lediglich die Möglichkeit für das Eingehen neuer Beziehungen.

150 Reeken 1999: S. 76. Reeken weist hier auf den Unterschied zwischen diesem Alltag einer regional orientierten Heimatbewegung und einer lokal orientierten hin: die Arbeit lokaler Vereine integrierte teils auch Bauern und orientierte sich nicht an den geschilderten Konzepten der Heimatbewegung, sondern am realen Alltag (S. 77f.).

151 Wobei „Wunschvorstellungen von einer intakten Gesellschaft auf den Bauernstand“ projiziert wurden (Meiners 2002a: S. 277).

152 Zu dieser Einschätzung kommt Reulecke (1999: S. 19), der außerdem auf die Pervertierung des Heimat-begriffes in der Geschichte hinweist und auf die daraus folgende Verantwortung, die man übernimmt, wenn man diesen Begriff benutzt. Er plädiert für eine bewusste und vorurteilsfreie Gratwanderung zwischen der Heimat und der Gemeinschaft aller, der communio omnium (S. 20).

153 Siehe zu dieser Bewertung mit Beispielen Rippey u.a. 1996: S. 139f.

154 Rippey u.a. 1996: S. 142.

Gleichzeitig wird Heimat in den fünfziger Jahren als ein Kompromiss zwischen Tradition und Moderne, zwischen dem Vertrauten und dem Fremden, verstanden. Das oder der Fremde steht nicht mehr der Heimat gegenüber, sondern wird in die Gemeinschaft integriert. Diese Inte-gration setzt jedoch voraus, dass sich Menschen in ein bestehendes System sozialer Beziehungen einfügen; die Integrität der bestehenden sozialen Gemeinschaft wird von neu hinzugekommenen Menschen nicht nur respektiert; eigene, persönliche Gefühle werden als zweitrangig betrachtet, die Integration in die Gemeinschaft, die eine neue Heimat darstellt, verlangt die Unterordnung in ein bestehendes System sozialer hierarchischer Beziehungen, das nicht in Frage gestellt wird und nicht veränderbar ist. Dieses Ideal der Integration spiegelt die konservativen sozialen Normen dieser Zeit wider.155 Die Darstellung der Heimat als „heile Welt“ wird auch dadurch ermöglicht, dass in den Heimatfilmen keine Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte stattfindet.