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6. MUSEUMSMODELL: HEIMAT UND MATERIELLE KULTUR IM MUSEUM

6.6. Ausblick: Heimatmuseen als ethnologische Museen

Nach dem Museumsmodell präsentieren die Berliner Bezirksmuseen Heimat im Zusammenhang mit der Globalisierung politischer, wirtschaftlicher und soziokultureller Bereiche. Kennzeichnend für einen solchen Heimatbegriff sind erstens die geographische Eingrenzung und gleichzeitige soziokulturelle Offenheit sowie zweitens das Neben- und Miteinander verschiedener Lebensmöglichkeiten, zusammengefasst unter den Begriffen Topographie und Lebensweise. Diese Begriffe weisen darauf hin, dass Heimat nicht nur mit vertrauten Themen und Dingen zu tun hat. Ebenso präsent ist in der Heimat das Element der Fremde; Lebensweisen anderer Menschen und die damit verbundene materielle Kultur innerhalb der Heimat müssen nicht allen Menschen, die an der Gestaltung dieser Heimat beteiligt sind, vertraut sein. In den Museen der Heimaten geht es daher insbesondere auch um die Erforschung und Darstellung kultureller Phänomene, die den meisten Menschen zunächst fremd erscheinen. In diesem Sinne lassen sich Heimatmuseen mit ethnologischen Museen vergleichen.

Das Element der Fremde zeigt sich konkret in den Sammlungen bzw. Exponaten der Museen.

Den meisten Besuchern unbekannt dürften beispielsweise die Objekte der Inszenierungen innerhalb der Dauerausstellung des Köpenicker Museums sein. Das Fremde dieser Gegen-stände erklärt sich hier vor allem aus ihrem Alter: die ehemalige Funktion von Arbeitsgeräten aus der Fischerei oder des Wäschereigewerbes ist nicht mehr bekannt, weil inzwischen andere Geräte benutzt werden oder die Tätigkeiten nur einem kleinen Personenkreis vertraut sind.

Beispiele für fremde Seiten alltäglicher Objekte präsentiert unter anderem das Neuköllner Museum: hier wird (Produktions-)Geschichte von Exponaten gezeigt, deren Funktion zwar, aber deren Herstellung und historische Entwicklung nicht allgemein bekannt sind. Bedeu-tungsebenen von Exponaten leiten sich aus ihrer Funktion oder ihrer Geschichte ab; fremd sind den meisten Besuchern Objekte also nicht nur dann, wenn sie aus einer fremden Kultur

stammen. Daher ist es auch die Aufgabe lokalhistorischer Museen, das Fremde von Exponaten herauszuarbeiten und zu erklären.309

In Deutschland wurde innerhalb der sogenannten Tübinger Schule eine Theorie der Ausstellung entwickelt, die ihren Ausgangspunkt in der Funktion von Exponaten in Ausstellungen nimmt. Dabei wird die Fremdheit von Objekten innerhalb von Museen betont.

Da museale Objekte aus ihrem ursprünglichen zeitlichen und örtlichen Kontext entfernt wurden, um innerhalb einer Ausstellung gezeigt zu werden, erscheinen sie dem Besucher fremd, selbst dann, wenn es sich um Alltagsgegenstände handelt. Gleichzeitig besteht zwischen den Exponaten und den Besuchern der Ausstellung eine Nähe, da sich die Betrachter unmittelbar vor den Gegenständen befinden. Diese Fremdheit und damit Distanz und gleichzeitige Nähe zum Objekt ist die besondere Eigenschaft musealer Gegenstände, die Walter Benjamin, auf den sich diese Theorie teilweise bezieht, als „Aura“ beschrieben hat;

dabei ist wichtig, dass es sich um authentische Objekte handelt.310 Innerhalb einer Ausstellung kann durch entsprechende Inszenierungen versucht werden, diese Fremdheit von Objekten aufzuheben, indem ihr ursprünglicher Kontext rekonstruiert wird; diese Rekonstruktion wird jedoch nie die Wirklichkeit ersetzen können, so dass die Distanz zu den Objekten weiterhin bestehen bleibt.311 Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Fremdheit der Exponate als unvermeidbar zu betrachten und ihre Eigenschaft als Bedeutungsträger zu betonen.312

Das Element der Fremde findet sich nicht nur in der materiellen Kultur, sondern auch in der dargestellten Regionalkultur. Heimat definiert sich unter anderem aus dem Nebeneinander von Lebensweisen. Diese weisen zwar Berührungspunkte auf, doch bleiben sie denjenigen unbekannt, die an Lebensweisen ihrer Heimat, beispielsweise Arbeitswelten, nicht teilneh-men. Das Fremde der Heimat zeigt sich jedoch nicht nur in der Vielfalt der Lebensweisen, sondern auch in der Beziehung der Heimat zu anderen (lokalen) Kulturen. Heimat als lokale Kultur kann nicht losgelöst von anderen Kulturen betrachtet werden, sondern steht immer im Zusammenhang mit regionalen, nationalen und internationalen soziokulturellen Bewegungen.

Museen, die lokale Kultur erforschen und präsentieren, stehen daher vor der Aufgabe, diese Kultur im globalen Zusammenhang zu betrachten.313 Bezogen auf das Museumsmodell heißt

309 Als Aufgabe insbesondere lokaler Museen kann so auch die Herausarbeitung einer Distanz zu Objekten, die aus ihrer Fremdheit resultiert, angesehen werden; siehe hierzu Beutelspacher (1993: S. 80f.).

Auch Korff (1992b) weist darauf hin, dass Museen Dinge auch aus einer „verfremdeten Perspektive“ vorführen können (S. 283); dabei bezieht er sich auf die Position von Sloterdijk, der das Museum als eine „Schule des Befremdens“ betrachtet; für Sloterdijk ist daher das Völkerkundemuseum „das museumshafteste Museum“, das andere Museen dazu inspirieren müsse, seine Aufgabe darin zu sehen, die Gesellschaft „ in einen intelligenten Grenzverkehr mit dem Fremden zu verwickeln – auch mit dem ´eigenen´“ (Sloterdijk 1989: S. 62).

310 Siehe für eine Zusammenfassung der Ausstellungstheorie der Tübinger Schule Tokofsky (1999: S. 271f.), zum Aura-Begriff von Benjamin Korff (1988: S. 77) und Korff/ Roth (1990: S. 17), zur Wichtigkeit der Authentizität von Objekten Korff (1992: S. 278).

311 Tokofsky 1999: S. 271.

312 Korff/ Roth (1990, hier S. 17) weisen in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass es wichtig ist, die Geschichte der Lieferanten von Objekten zu kennen.

313 In diesem Zusammenhang kritisiert der Kunsthistoriker Belting auch das westliche Kunst- und Kulturver-ständnis, wie es sich in vielen Museen wiederfindet. Vor dem Hintergrund der Globalisierung muss sich der Westen „einen neuen und zeitgemäßen Begriff vom eigenen Kanon (Kultur und Kunst) [...] verschaffen, um ihn der übrigen Welt zu vermitteln. Es geht nicht so sehr darum, die anderen zu verstehen, als darum, sich selbst im Dialog mit der heutigen Welt zu verstehen und zu deuten. [...] Dazu bedarf es dann gerade der Orte und der Gegenstände der Erinnerung, um auch das Fremde und das Vergessene in der eigenen Kultur wiederzuent-decken. Die Globalisierung [...] ist eher die Aufforderung zu einem neuen Selbstverständnis als zu einem modischen Fremdverständnis.“ (Belting 2001: S. 32, Hervorhebungen im Original). Siehe dazu auch die Presse-mitteilungen von ICOM und dem Deutschen Museumsbund zum Internationalen Museumstag im Jahr 2002, der unter dem Motto „Museen und Globalisierung“ stand; hier wurde ebenfalls der Zusammenhang zwischen fremder Kultur und Selbstverständnis hervorgehoben (ICOM 2002, Deutscher Museumsbund 2002).

das, über Gegenstände das Element der Fremde in der eigenen Kultur, der Heimat, zu erforschen und zu präsentieren. Hier wird besonders deutlich, warum Heimatmuseen als ethnographische Museen betrachten werden können: es geht um die Darstellung einer Kultur oder Kulturen, die den Forschern und dem Publikum in Teilen unbekannt und fremd ist.

Heimatmuseen können mit diesem Verständnis der eigenen Kultur zu einer neuen Betrachtungsweise von Heimat beitragen und auf diese Weise unter anderem auf die wechselseitigen Einflüsse mit anderen Heimaten aufmerksam machen.314

Es gibt daher mehrere Gründe, Heimatmuseen als ethnologische Museen zu betrachten. Das bedeutet, dass ethnologische Museen Anregungen für die Sammlungs- und Ausstellungsarbeit regionalhistorischer Museen liefern können. In ethnologischen Museen wird Objekten nicht immer eindeutig eine bestimmte Bedeutung zugewiesen, sondern bewusst die Möglichkeit verschiedener Deutungen offen gelassen und dokumentiert. Das bedeutet z.B., dass in der Ausstellung auch auf den Entstehungsprozess von Exponaten eingegangen wird oder bewusst verschiedene Sichtweisen auf kulturelle Phänomene parallel gezeigt werden; die Repräsentanten der ausgestellten Kultur kommen selbst zu Wort bzw. gestalten Teile der Ausstellung selbst. Weiterhin bemüht man sich in diesem Zusammenhang um die Einbeziehung hybrider oder synkretistischer Objekte, also Gegenständen, die einen kulturellen Wandel oder das Nebeneinander von Tradition und Moderne zeigen.315 Ein anderes Beispiel, wie kultureller Wandel oder die Aktualität einer dargestellten Kultur betont werden kann, ist die gleichzeitige Präsentation von Alltags- und sakralen Gegenständen. Die Alltagsgegenstände stammen dabei aus der selben Kultur, die auch mit Hilfe der sakralen Objekte dokumentiert wird, sind dem Publikum aber auch aus der eigenen Kultur bekannt.

Auf diese Weise wird die Distanz zwischen eigener und fremder Kultur aufgehoben; die dargestellte Kultur erscheint dem Besucher nicht mehr exotisch. Gleichzeitig werden Stereotypen der fremden Kultur in Frage gestellt, da in der Ausstellung deutlich wird, dass sich die materielle Kultur wandelt und Gemeinsamkeiten mit anderen Kulturen aufweist.316 Ein wichtiger Punkt bei Neukonzeptionen ethnologischer Ausstellungen ist die Kritik an der Distanz zwischen Besuchern und Ausstellung. Diese Kritik bezieht sich auf Ausstellungen, die den Besuchern fremde Kulturen auf eine abstrakte Weise präsentieren, sich also nicht darum bemühen, den Besucher mit der Kultur vertraut zu machen. Statt dessen entsteht für das Publikum der Eindruck, dass die Autoren der Ausstellung diese fremde Kultur nach bestimmten Kriterien analysiert, geordnet und danach im Museum dargestellt haben. Das Bild der Kultur wirkt dadurch künstlich bzw. eine wissenschaftliche Interpretation und nicht eine Nachbildung der Wirklichkeit. Die Distanz zwischen Publikum und ausgestellter Kultur kann sich außerdem dadurch einstellen, dass der Besucher die Objekte nur aus einer bestimmten Entfernung anschauen darf. Museen versuchen beispielsweise durch eine ironische Darstellung von Kultur, die gleichzeitig die Art der Repräsentation im Museum kommentiert, diese Distanz zwischen Publikum und Ausstellung aufzuheben und einen Dialog zu ermöglichen.317

Des Weiteren gibt es Beispiele ethnographischer Ausstellungen, die bei der Konzeption die Überlegungen von Repräsentanten der ausgestellten Kultur einbeziehen. Vor allem in

314 In diesem Sinne bildet der Heimatbegriff ein "integratives Kulturkonzept“, wie es im Zuge der Globalisierung seit den neunziger Jahren wieder in den Mittelpunkt der Museumsarbeit gerückt wird. Siehe dazu die Aussage von Martin Roth in der Pressemitteilung des DMB zur Jahrestagung 2001 (Deutscher Museumsbund 2001).

315 Siehe zu einer kurzen Zusammenfassung der Einflüsse ethnologischer Diskussionen auf ethnographische Ausstellungen Lidchi 1997: S. 201.

316 Ein Beispiel für eine Ausstellung mit diesem Konzept beschreibt Riegel (1996, S. 94ff.).

317 Eine Kritik an der Distanz zwischen Besuchern und dargestellter Wirklichkeit und Diskussionen zweier Ausstellungen, die mit Hilfe von Ironie diesem Dilemma begegnen, liefert Riegel (1996, S. 84ff.).

ethnologischen Museen in den USA und Kanada spielt dieser Gedanke eine wichtige Rolle.

Museumsmitarbeiter, die nicht aus der jeweils ausgestellten Kultur stammen, und Mitglieder der indianischen Gesellschaft betrachten kulturelle Phänomene oft unterschiedlich und konzipieren entsprechende Ausstellungen auf verschiedene Weise. So divergieren beispiels-weise die Auffassungen darüber, welche Objekte als Kunstwerke betrachtet werden können.318 Ethnologische Museen wählen verschiedene Methoden, um diesem Dilemma zu begegnen und möglichst allen Konzepten von Kultur gerecht zu werden. So bemüht man sich um eine kritische Analyse von Kulturen; innerhalb der Ausstellung werden verschiedene Inter-pretationen kultureller Phänomene präsentiert, auch wenn diese sich teilweise widersprechen;

schließlich beziehen Museen bewusst Vertreter der jeweiligen Kultur in die Ausstel-lungskonzeption mit ein.

Ein Beispiel einer ethnologischen Ausstellung aus der jüngsten Zeit war die Ausstellung

„Menschen und ihre Gegenstände. Amazonien – Ozeanien“ im Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main, die im November 2001 eröffnet wurde. Das Konzept der Ausstellung sah vor, die Bedeutungsebenen von Objekten in den Mittelpunkt der Ausstellung zu stellen. Für die einzelnen Ausstellungsräume wurden Themen gewählt, die ihren Ausgangspunkt in den Bedeutungsebenen der Exponate nahmen und Grundfragen menschlichen Zusammenlebens betrafen; bei der Vermittlung von Lebensweisen in Amazonien und Ozeanien sollte die Ausstellung „Verstehensbrücken“ schaffen.319 Diese „Verstehensbrücken“ wurden durch die Gestaltung der Ausstellungsräume gebildet: Beleuchtung, Textilien, Bodenbelag und Wandfarben erzeugten eigene Atmosphären. Diese Inszenierungen sollten den Besuchern die Auseinandersetzung mit den fremden Kulturen erleichtern.

Die Aufhebung der Distanz zwischen Besucher und Ausstellung bzw. Exponaten, die Mitarbeit der Kulturschaffenden bei der Konzeption sowie die Einbeziehung ungewöhnlicher Raumgestaltungen in die Gestaltung der Ausstellung deuten an, auf welche Weise Heimatmuseen ihre Arbeit erweitern oder ergänzen können, wenn sie sich als ethnologische Museen verstehen und sich an entsprechenden Konzepten orientieren.

318 Andere Beispiele für solche Divergenzen und Beispiele von Ausstellungen, die diese unterschiedlichen Auf-fassungen berücksichtigen, beschreibt Ames (1990).

319 Die Objekte selbst wurden zum „Ausgangspunkt von Betrachtung und Zuordnung zu Kontexten, die weit über ihren alltäglichen Gebrauch hinauswiesen“, gemacht; somit standen „die Bedeutungen, die mit Objekten assoziiert werden“, im Mittelpunkt der Ausstellung (Rein 2002: S. 92f.).