• Keine Ergebnisse gefunden

Forschungsdesign und Forschungsverfahren

5.1.1 Qualitatives Forschungsdesign und Forschungsmethodik

Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt in der detaillierten und systematischen Darstel-lung des qualitativen Forschungsdesigns bzw. der Forschungsmethodik. Dabei wer-den alle Forschungsschritte vorgestellt, die der Beantwortung der gestellten For-schungsfragen dienen und somit zum Erkenntnisgewinn beitragen. Im nächsten Schritt soll diskutiert werden, inwieweit genau die qualitativen Forschungsmethoden im Rahmen des Forschungsprojektes angewendet werden.

In den 1970er-Jahren wurden qualitative Forschungsmethoden, etwa das offene Interview, wie es in den USA bereits Anwendung fand, im deutschsprachigen Raum adaptiert. Zunehmend wurde die quantitative Forschung in methodologischen Dis-kussionen auf den Prüfstand gestellt und zu einer eigenständigen Disziplin. Diese Eigenständigkeit ist jedoch weiterhin diskussionswürdig, denn die Bezeichnung be-deutet, dass der qualitative Ansatz ein eigenes Forschungsobjekt hat oder entwirft, indem er soziale Phänomene auf eine bestimmte Art und Weise berücksichtigt und erforscht (Bortz und Döring 2006, S. 306 f.).

Nach Becker (1996) umfasst qualitative Forschung ein bestimmtes Verständnis der Beziehung von Untersuchungsgegenstand und Methode. Darüber hinaus sollte die qualitative Forschung einzelne konzeptionelle, methodische und empirische Stu-fen des Forschungsprozesses stärker berücksichtigen (Flick 2017, S. 122 f.).

Auf der Grundlage einer relativ kleinen Stichprobe von Personen erlauben quali-tative Forschungsmethoden eine umfassende Erforschung eines Gegenstandes oder eines spezifischen Problems. Neben der quantitativen Forschung liefert der systema-tische Einsatz qualitativer Methoden auch zuverlässige und objektive Untersuchungs-ergebnisse. Im Gegensatz zu quantitativen Methoden, die die Darstellung der Realität wesentlich vereinfachen, spiegeln qualitative Methoden die Komplexität der Wirklich-keit wider.

„Qualitative Forschung hat den Anspruch, Lebenswelten ‚von innen heraus‘ aus Sicht der handelnden Menschen zu beschrieben. Damit will sie zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerk-male aufmerksam machen.“ (Flick, Kardorff und Steinke 2017, S. 14)

Hierbei ist anzumerken, dass qualitative Daten für genaue Schätzungen und die Dar-stellung der Zusammenhänge nicht immer ausreichen. Allerdings ist es oft unmög-lich, aufgrund des Mangels an zufriedenstellenden theoretischen Schlussfolgerungen

über das zu untersuchende Thema und des begrenzten Zugangs zu den Probanden quantitative Methoden beispielsweise in Form einer Umfrage zusammen mit metho-disch qualitativen Interviews anzuwenden.

Die große Anzahl qualitativer Befragungsoptionen wirft die Frage auf, nach wel-chen Kriterien im Einzelfall eine Technik ausgewählt werden sollte. Qualitative Me-thoden werden teilweise gezielt für bestimmte Fragestellungen erarbeitet und lassen sich nicht im gleichen Maße wie standardisierte Methoden auf andere Themen über-tragen (Bortz und Döring 2006, S. 308 f.).

Da Menschen mit den Förderschwerpunkten „Lernen“ und „ geistige Entwick-lung“in Kombination mit psychischer Beeinträchtigung häufig enorme Schwierigkei-ten mit dem Sprachverständnis und sprachlicher Reproduktion von zeitaufwendigen erinnerungsbezogenen Denkprozessen haben (Vollmer und Frohnenberg 2014, S. 30 ff.), wäre ein narratives Interview eine nur wenig geeignete Methode, um schu-lisch und berufsbiografisch fokussierte Übergangsverläufe von den Interviewten zu erfahren. Dementsprechend ist es notwendig, im Voraus herauszufinden, mit wel-chen kognitiven Anstrengungen das Forschungsthema verbunden ist, da manche Er-fahrungen ohnehin schwer zu begreifen, schwer zu erkennen oder sogar unbewusst sind. (Bortz und Döring 2006, S. 309) Dies erfordert nicht nur einen erhöhten Zeitauf-wand und die Verwendung der Leichten Sprache34, sondern auch eine gedächtnisstüt-zende Technik. Hierzu sind beispielsweise bildhafte thematische Übersichten in der Darstellungsform eines Lebensbaums und die moderierte Dokumentation der Le-bensgeschichte von Interviewten in Form eines Lebensweges (Methode des dokumen-tierten Bewahrens von Erinnerungen) gut geeignet.

Bei der Arbeit mit Lebensgeschichten zu schulisch-beruflichen Übergängen, die teils als biografisches Material betrachtet werden können, scheint es sinnvoll, die Exemplifikation als Strategie zu bevorzugen, da diese erlaubt, exemplarische Auszüge aus dem teils biografischen Material heranzuziehen. Weil die Suche nach der Theorie entsprechender Information zielgerichtet erfolgt, funktioniert eine Exemplifikation in der Praxis immer (Bortz und Döring 2006, S. 347).

In Bezug auf die Exemplifikationsstrategie erscheint das episodische Interview nach Flick eine geeignete Methode der Datenerhebung zu sein. Sie kombiniert situa-tionsbedingte narrativ-episodische Wissenselemente mit dem semantischen Wissen und konzentriert sich somit darauf, die Konzentration und die Erinnerung von Inter-viewten auf spezifische thematische Bereiche beim Erzählen der eigenen Lebens-geschichte zu fokussieren (Flick 2017, S. 238).

Ein weiteres Merkmal qualitativer Methoden ist, dass die Grenzen zwischen Da-tenerfassung und Analyse oft verwischt sind oder beide Prozesse nebeneinander er-folgen. Bei einem qualitativen Interview muss der Interviewer die Antworten mental während des Interviews analysieren, um angemessene Folgefragen zu formulieren.

(Bortz und Döring 2006, S. 308) Das bedeutet, dass die Analyse der Ergebnisse

wäh-34 Leichte Sprache bezeichnet eine Form des sprachlichen Ausdrucks, die besonders leicht zu verstehen ist. Die Aufberei-tung von Texten wird durch illustrierte Bilder erweitert. Die einfach lesbare und verständliche Form ist darauf ausgerichtet, Sprachbarrieren vor allem für die Menschengruppen mit gering ausgebauten sprachlichen Fähigkeiten zu reduzieren und ihnen den Zugang zu Informationen zu eröffnen. (Rehadat Lexikon 2020b)

rend der Datenerhebung verläuft und damit die fortdauernde Reflexion des Datenge-winnungsprozesses unterstützt.

Qualitative Interviewmethoden werden verwendet, um die subjektive Sicht der Akteure auf vergangene Ereignisse, zukünftige Pläne, Meinungen, Beschwerden über Gesundheit, Beziehungsprobleme, Arbeitserfahrung usw. zu ermitteln. Ein Merkmal qualitativer Interviewtechniken ist, dass der Interviewprozess weniger vom Intervie-wer als vielmehr von den Befragten gesteuert wird. Ein offenes Interview bietet nur wenig Struktur für Befragende. Die Interviewer setzen nur einen Rahmen und lassen die Befragten ohne jeden Einfluss erzählen. Dabei können offene Fragen streng ge-nommen nicht als Interview im engeren Sinne bezeichnet werden, da es keinen typi-schen Frage-und-Antwort-Stil gibt. Aus diesem Grund werden sie oft Forschungs- und Feldgespräche genannt. In qualitativen Interviews spielen die Interviewer nicht die Rolle der distanzierten Befragenden, sondern jene der engagierten, freundlichen und emotional engagierten Gesprächspartner, die flexibel auf die Befragten reagieren und deren Reaktionen genau reflektiert wiedergeben (ebd., S. 308 f.).

„Qualitative Befragungen arbeiten mit offenen Fragen, lassen den Befragten viel Spiel-raum beim Antworten und berücksichtigen die Interaktion zwischen Befragtem und In-terviewer sowie die Eindrücke und Deutungen des InIn-terviewers als Informationsquellen.“

(ebd., S. 309)

Die Klärung der Gütekriterien in Vorfeld des Erhebungsprozesses sollte nicht unter-schätzt werden. Hier spielen die subjektiven Erfahrungen eine entscheidende Rolle.

Diese lassen sich in sechs Dimensionen einteilen, wozu im Einzelnen Realitätsbezug, Zeitdimension, Reichweite, Komplexität, Gewissheit und Strukturierungsgrad ge-zählt werden. Um einer Annäherung an die Realität, so gut es geht, gerecht zu wer-den, sollte zwischen der Vorstellung, den Beschreibungen und auch zwischen Erinne-rungen und zukünftigen Plänen im Rahmen der Zeitdimension unterschieden werden. Die Reichweite sollte also nicht mit der Alltagsroutine verbunden sein, son-dern der Lebensgeschichte entsprechen. Bei der Betrachtung der Komplexität sollte die Aufmerksamkeit von einer einfachen Personenbeschreibung auf die Charakteri-sierung verlagert werden. Zu unterscheiden sind Vermutungen vom Erfahrungswis-sen (Dimension: Gewissheit) (ebd.).

Zu den in diesem Forschungsprojekt verwendeten qualitativen Methoden, die in den folgenden Kapiteln näher erläutert werden, gehören das episodische Interview nach Flick und die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring.

5.1.2 Grundlegendes Forschungsdesign und Ausrichtung der Studie

Das Forschungsprojekt zielt darauf ab, empirische Erkenntnisse über die herrschen-den Bedingungen des Gelingens und die bestehenherrschen-den Gründe für das Scheitern im Übergang von Menschen mit den Förderschwerpunkten „Lernen“ und „geistige Ent-wicklung“ in manchen Fällen in Kombination mit psychischer Beeinträchtigung von der Schule in eine Beschäftigung im Kontext von Inklusion zu gewinnen.

Abbildung 28 stellt systematisch alle Untersuchungsschritte des Forschungspro-jektes dar.

Grundlegendes Forschungsdesign des Projektes (eigene Darstellung)

Die Arbeit setzt sich aus einem theoretischen und einem empirischen Teil zusam-men. Nach der thematischen Einführung (Kap. 1 und 2), in der die Problemstellung erläutert und die Relevanz des Forschungsvorhabens begründet wurde, erfolgt die theoretische Fundierung des Forschungsanliegens im Hinblick auf die inklusive all-gemeine und berufliche Bildung sowie Beschäftigung (Kap. 3) im Kontext der norma-tiven Anforderungen. Nach Erörterung der rechtlichen Rahmenbedingungen wurden die Teilhabegrundsätze beleuchtet. Anschließend wurde das Behinderungsverständ-nis diskutiert sowie Behinderungsarten mit der Fokussierung auf die Förderschwer-punkte Lernen und geistige Entwicklung dargestellt.

Auf Grundlage der Situationsdarstellung bewegt sich die weiterführende Litera-turauswertung und Dokumentenanalyse entlang der Übergangsthematik Schule – Be-ruf unter der Betrachtung der genannten Zielgruppe, die eigene Ansprüche an eine inklusive berufliche Bildung und Beschäftigung aufgrund des fehlenden Zugangs zu den anerkannten Ausbildungsberufen häufig aufgibt. Ausgehend von der Definition des Übergangs als ein Wechsel zwischen den schulisch-beruflichen Sozialisations-instanzen in eine Beschäftigung werden die Angebote des Übergangssystems und des-sen positive und negative Leistungseffekte thematisiert und diskutiert. Nach der Dar-stellung der Unterstützungsleistungen für Menschen mit Förderbedarf im Rahmen der Benachteiligtenförderung und der beruflichen Rehabilitation liegt der Schwer-punkt dieses Forschungsprojektes auf den bislang gewonnenen Erkenntnissen der Übergangsforschung in Bezug auf die untersuchte Zielgruppe und auf die bildungs-politische Initiative Bildungsketten. Das zugrunde liegende Konzept der Bildungsket-ten wird im weiteren Forschungsverlauf als erweiterter theoretischer Anstoß für die

Abbildung 28:

Rekonstruktion von schulisch-beruflichen Übergängen von Menschen mit Förderbe-darf genutzt.

Auf Basis von Ergebnisausschnitten diverser Studien der vergangenen 20 Jahre und den inklusionspädagogischen Perspektiven ausgewählter Experten soll in den fol-genden Ausführungen das theoretische Konstrukt zu miss- bzw. gelungenen Über-gängen weiter vertieft werden. Anhand dieses theoretischen Konstrukts wird die Erhe-bung von empirischen Daten aufbereitet. Die Erfahrungen und Erlebnisse von Men-schen mit Förderbedarf werden mittels episodischer Interviews nach Flick erhoben und unter Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Die zusammengefassten Ergebnisse werden dargestellt, interpretiert und anhand von in-haltsanalytischen Gütekriterien nach Mayring ausgewertet. Abschließend werden Schlussfolgerungen für die Unterstützungsstrategien der Ausbildungs- und Arbeits-marktteilhabe von förderbedürftigen Menschen aus den Studienergebnissen für die Nutzung von angehenden und tätigen pädagogischen Fachkräften abgeleitet.

Das Grundgerüst des Forschungsprojektes bilden drei grundlegende Fragen, welche am Anfang dieses Kapitels als Zielsetzung beschrieben sind und im nächsten Abschnitt dargestellt werden.