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Bildungspolitische Initiative „Bildungsketten“

4.4 Übergangsforschung

4.4.3 Bildungspolitische Initiative „Bildungsketten“

Schulisch-berufliche Übergänge erfüllen nicht nur eine wesentliche gesellschaftliche Funktion für die Berufsausbildung in Deutschland, sondern auch für die qualifika-tionsspezifischen Arbeitsmarktbedarfe. Entlang der Bildungsketten ist es möglich, die vielfältigen Übergangsverläufe der ersten Schwelle von Jugendlichen sowohl während der Schulzeit mit Fokus auf die Berufsorientierung als auch nach dem allgemeinbil-denden (Förder-) Schulabschluss schrittweise zu analysieren.

Im September 2010 wurde die Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“ ins Leben gerufen (Jeger 2011, S. 6). Ursprünglich war die Förderung bis 2014 geplant und wurde im Sinne der Nachhaltigkeit über den geplanten Zeitraum verlängert (BMBF-Internet-redaktion 2017).

Von 2015 bis 2018 wurde die Initiative Bildungsketten zu einem wesentlichen Bestandteil der Allianz für Aus- und Weiterbildung (BIBB 2019).

Übersicht Gesamtkonzept der Initiative Bildungsketten (BIBB 2019)

Die Initiative verfolgt das Ziel, die schulische Bildung über die optimierten Angebote des Übergangssystems mit der beruflichen Bildung systematisch zu verzahnen (s. Abb. 21) und „frühzeitig bereits während der Schulzeit eine Verantwortungsge-meinschaft zwischen den Akteuren der genannten drei Bereiche zu entwickeln“

(Thiele 2011, S. 6). Dem erfolglosen Übergang junger Menschen von der Schule in eine anerkannte Berufsausbildung soll entgegengewirkt werden.

Thiele ist davon überzeugt, dass die Initiative nicht nur das Potenzial hat, Schul-abbrüche zu vermeiden und Warteschleifen zu verhindern, sondern auch,

„effiziente Übergänge in die duale Ausbildung und deren Absolvierung insbesondere für förderbedürftige junge Menschen – auch durch Stärkung der betrieblichen Verantwor-tung für die AusbildungsvorbereiVerantwor-tung – zu erreichen und damit last not least dem durch den demografischen Wandel drohenden Fachkräftemangel zu begegnen.“ (Ebd.)

Abbildung 21:

Die Bildungsketten-Initiative richtet ihren Fokus auf solche Jugendliche, die über kei-nen Schulabschluss verfügen und/oder weder eikei-nen direkten noch indirekten Über-gang in eine Berufsausbildung erreichen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sehr häufig haben diese Jugendlichen keine Vorstellung von ihren beruflichen Perspek-tiven. In der Folge finden sie keinen Ausbildungsplatz oder treffen Fehlentscheidun-gen bei der Wahl ihres Berufsbildungsplatzes, was zu vermehrten Ausbildungsabbrü-chen führt. Unvermeidbare Konsequenzen sind dann ein zunehmend spürbarer Fachkräftebedarf, unbesetzte Ausbildungsplätze in Betrieben und deren ausbildungs-bezogene unrentable Investitionen sowie ausbildungsplatzsuchende junge Menschen (BMBF-Internetredaktion 2017).

Im Rahmen der Initiative Bildungsketten werden längst verfügbare BMBF-, BMAS-, BA- und Länder28-Förderprogramme29 sowie neue, bestehende und ange-passte Förderinstrumente nach gegenseitiger Abstimmung eingesetzt (BMBF-Inter-netredaktion 2017).

Die individuelle Unterstützung der Jugendlichen beginnt bereits während der Schulzeit und strebt den direkten Übergang in eine Berufsbildung bis hin zum Be-rufsstart an. Die drei verzahnten Instrumente können zum Erreichen des Ziels der Initiative führen und sind in Abbildung 22 dargestellt (ebd. sowie Jeger 2011, S. 6 f.).

Die Bildungsketten: von der Schulbank bis zum Berufsstart (Jeger 2011, S. 7) Abbildung 22:

28 Bisher sind Bund-Länder-Vereinbarungen mit folgenden Ländern abgeschlossen: Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Brandenburg und Baden-Württemberg (BIBB 2019). Die weiteren Vereinbarungen sind vorgesehen (BMBF-Internetredaktion 2017). Bis Ende 2016 sollten bundesweit Bund-Länder-BA-Vereinbarungen abge-schlossen werden (BMAS Meldungen 2015).

29 Folgende Förderprogramme werden im Zuge der Umsetzung der Initiative in Anspruch genommen: BOP: BMBF Berufs-orientierungsprogramm (seit 2008); Berufseinstiegsbegleitung: BMBF (2010–2014), ESF-Bundesprogramm (seit 2015);

BMBF „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen - VerA“ etc. (BMBF-Internetredaktion 2017 sowie Thiele 2011, S. 6 f.).

Einsatzorte der Bildungsketten-Initiative sind Haupt- und Förderschulen. Mit der Potenzialanalyse und anschließenden Werkstatttagen startet an diesen Schultypen ab der 7. bzw. 8. Klasse die individuelle Berufsorientierung (ursprünglich BOP: BMBF Berufsorientierungsprogramm) von Schülern und Schülerinnen. Die Potenzialana-lyse soll den Schülern und Schülerinnen ihre Stärken, Neigungen, unsichtbare Poten-ziale und Talente bewusst machen, zeigt jedoch auch Förderbedarfe30 auf (BMBF-Internetredaktion 2017 sowie Thiele 2011, S. 6 f.).

Auf der Bildungsketten-Konferenz Ende 2016 schlug verdi-Bereichsleiterin Uta Kupfer vor, die oben genannte Potenzialanalyse nicht einmalig, sondern begleitend einzusetzen, um die Evaluierung der Berufsorientierung voranzutreiben und den Entwicklungsprozess der individuellen Berufsorientierung besser in den Griff zu be-kommen, sodass dieser besser nachvollzogen werden kann (Kupfer 2016).

Beim Feststellen einer sonderpädagogischen Förderbedürftigkeit auf Basis der durchgeführten Potenzialanalyse wird den betroffenen Schülern und Schülerinnen empfohlen, die Berufseinstiegsbegleitung31 in Anspruch zu nehmen, einen schu-lischen bzw. außerschuschu-lischen Förderplan gemeinsam zu entwickeln und mit allen Beteiligten (Bildungslotsen als Mentoren, Schülern und Schülerinnen, Eltern etc.) ab-zustimmen (BMBF-Internetredaktion 2017 sowie Thiele 2011, S. 6 f.).

„Diese Jugendlichen werden dann außerschulisch individuell und kontinuierlich über mehrere Jahre – in Problemfällen bis hin zum Ausbildungsabschluss – von hauptamt-lichen, pädagogisch versierten Bildungslotsen betreut. […] Sie haben den Auftrag, die Ju-gendlichen als Mentoren persönlich zu unterstützen und zu betreuen, jeweils individuelle Lösungen für Probleme in der Bildungskarriere zu entwickeln und zu realisieren und dabei eng mit den regionalen Bildungs- und Förderinstitutionen zusammenzuarbeiten.“

(Thiele 2011, S. 7)

Ab der 8. Klasse kommt die praxisnahe Berufsorientierung von Schülern und Schüle-rinnen zum Einsatz, die handlungsorientiert unter der Anleitung von erfahrenen Ausbildern verläuft und das Kennenlernen von drei verschiedenen Berufsfeldern über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen vorsieht.

Die praxisnahe Berufsorientierung erfolgt in überbetrieblichen bzw. wirtschafts-nahen Einrichtungen. Dort erhalten Jugendliche die Möglichkeit, ihre Neigungen auszutesten, Stärken und Talente zu erproben sowie praktische Erfahrungen zu sam-meln und das erworbene Schulwissen im praktischen Nutzen (zum Beispiel: Mathe-matik im Bauwesen) zu begreifen.

Die Ergebnisse des jeweiligen Schrittes der Berufsorientierung können beispiels-weise in einem Berufswahlpass oder ähnlichen Dokumenten – sogenannten Gestal-tungs- und Begleitinstrumenten – festgehalten werden.

30 Unter dem Förderbedarf ist laut Rehadat Lexikon das Bedürfnis nach bestimmten zielgerichteten sonderpädagogischen Fördermaßnahmen zu verstehen (Rehadat Lexikon 2020a).

31 BMBF-Sonderprogramm im Zeitraum von 2010–2014, seit 2012 in § 49 SGB III Regelinstrument aufgeführt, seit 2015 ESF-Bundesprogramm des BMAS.

In dieser Art und Weise werden Schüler und Schülerinnen über die gesammel-ten persönlichen Einblicke auf ihre künftige Berufswahlentscheidung vorbereitet bzw.

bei ihrer Entscheidungsfindung begleitet (Thiele 2011, S. 7).

Das Hauptanliegen der Initiative besteht in einem schnellen Übergang in eine berufliche Ausbildung, die auf Basis der Kooperation zwischen Schule, wirtschaft-licher und betriebwirtschaft-licher Ausbildungsvorbereitung ausgebaut werden soll.

Für Jugendliche mit ausbildungsbezogenen Schwierigkeiten ist es möglich, wäh-rend der Ausbildungsbegleitung (seit 2015 BMBF Förderprogramm; BIBB JOBSTAR-TER-VERA) Unterstützung von ehrenamtlichen Coaches – sogenannten Senior-Expertinnen und -Experten sowie „Experten im Rahmen der Initiative ‚Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen – VerA‘“ (BMBF-Internetredaktion 2017) zu erhalten.

Bei der Entwicklung der Bildungsketten-Initiative fanden gegenseitige Abstim-mungen mit dem BMAS und der Bundesagentur für Arbeit statt. Die ursprünglichen Erfahrungen der Berufseinstiegsbegleiter wurden dabei berücksichtigt.

Um eine höchstmögliche Kohärenz zu erzielen, wurde die Bundesagentur für Arbeit „mit der Durchführung des Einsatzes der ,BMBF‘-Bildungslotsen beauftragt“

(Thiele 2011, S. 7). Das Besondere an diesem BA-Auftrag besteht darin, dass die BMBF-Bildungslotsen zur Durchführung von Potenzialanalysen bei der Auswahl von Jugendlichen sowie bei dem Schließen von individuellen Fördervereinbarungen ver-pflichtet sind. Anschließend sollen die BMBF-Begleiter über einen längeren Zeitraum einsatzbereit sein.

Außerdem erfolgte mit der Bundesagentur für Arbeit eine weitere kontinuier-liche Abstimmung der Umsetzungsqualität. Grundlegend dafür ist eine Verwaltungs-vereinbarung, welche bei der Realisierung der Berufseinstiegsbegleitung im Rahmen der Bildungsketten-Initiative als Regelwerk für Ausschreibungs- bzw. Auswahlverfah-ren galt. (ebd.)

Die oben genannten eingesetzten Förderinstrumente sind im Gegensatz zu ihrer strategischen Verzahnung und systematischen, bundesweit kohärenten Durchfüh-rung der durchgesetzten Förderphilosophie nicht neu (ebd.).

Zunehmend wichtiger ist es, die bestehenden Erfolg versprechenden und an-schlussfähigen Instrumente bei Bedarf zu optimieren bzw. zu kombinieren, anstatt den Instrumentenkasten ständig zu erweitern. In Anlehnung an Thiele können aus-bildungsbegleitende Hilfen und Einstiegsqualifizierung sinnvoll kombiniert werden, um beispielsweise betriebliche Ausbildungsvorbereitung von leistungsschwächeren Jugendlichen mit „Klebeeffekt“32 in die Ausbildung auszubauen (ebd.).

„Aber auch das Übergangssystem in seiner Gesamtheit muss auf den Prüfstand. Nach BMBF-Studien bestanden bereits 2008 über 190 Bundes- und Landesförderprogramme im Übergangssystem.“ (Thiele 2011, S. 8)

32 Ein sogenannter Klebeeffekt kann durch praktische Anteile in einem Betrieb durch eine betriebliche Maßnahme erzielt werden und äußert sich in einer anschließenden Ausbildungs- und/oder Beschäftigungsaufnahme.

Dem BMBF obliegt die Aufgabe, die bestehende Palette von Bundes- und Landesför-derprogrammen im Übergangssystem auf Effizienz zu prüfen, prioritär wirksame Förderungsinstrumente zu nutzen und somit die gezielte Optimierung zu unterstüt-zen (ebd.).

Im Rahmen der Bildungsketteninitiative-Evaluierung von schulisch-beruflichen Übergängen und der Bewertung von Fördermaßnahmen soll das Übergangssystem flexibler, kohärenter und praxisreicher werden. Um die möglichst direkteren Über-gänge in eine Ausbildung bzw. Beschäftigung zu erzielen, sollen bundesweit gültige Übergangsstrategien entwickelt werden. Auf der Grundlage eines Praxisbeispiels des Landes Baden-Württemberg wurde gezeigt, wie anhand der Neugestaltung der Über-gangszeit durch die individuelle Begleitung und den deutlich größeren Anteil der Be-triebspraktika der vermisste Klebeeffekt – Anbindung an einen Ausbildungsplatz – gesichert wurde (Schröder und Schulte 2019, S. 8).

Demzufolge kann der Zugangsmangel zu einer regulären Ausbildung durch Du-alisierung der Ausbildungsvorbereitung, Qualifizierungsbausteine bzw. Berufsquali-fizierung sowie durch ein ganztägiges Berufsschulangebot (ebd., S. 14) schrittweise bewältigt werden.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt stellen die beteiligten Akteure der Bildungsketten-Initiative fest, dass die Berufseinstiegsbegleitung die zentrale Maßnahme der Über-gangsbegleitung ist. Im Verlauf der Bildungsketten-Konferenz 2016 stellten sich die Experten die Fragen nach künftigen Verbesserungen, günstigeren Rahmenbedin-gungen sowie optimalen BedinRahmenbedin-gungen für das Gelingen erfolgreicherer Übergänge (Schulte 2016).

Vier Jahre hintereinander (seit 2016) finden jährlich bundesweite Basisseminare zur Berufseinstiegsbegleitung statt. Die Seminare richten sich an die Neulinge der Initiative Bildungsketten und deren Sensibilisierung in Fragen ihres Berufsbeglei-tungsauftrages und fokussieren auf ein breites Handlungsspektrum sowie ihre kom-plexere Begleiter-Rolle. Ziel der Seminare ist die Erweiterung der Kenntnisse von be-teiligten Experten und der Erwerb des Basiswissens im Hinblick auf die Berufsein-stiegsbegleitung, „BerEb an Schule“ und „Integration in Ausbildung“ (GEBIFO 2019) und die Initiierung des gegenseitigen Austausches.

Hierbei geht es vor allem im Rahmen des Forschungsprojektes um die schulisch-beruflichen Übergangserlebnisse von Menschen mit den Förderschwerpunkten Ler-nen und geistige Entwicklung sowohl während der ersten Schwelle (Schule – Berufs-ausbildung) als auch während der zweiten Schwelle (Ausbildung – Erwerbsleben).

Des Weiteren geht es um die Analyse der Hindernisse dieser Übergänge und der Be-dingungen des Übergangsgelingens. Auf der Basis des wissenschaftlichen Erkennt-nisstandes werden im nächsten Kapitel die theoretischen Konzepte der genannten Forschungsschwerpunkte ausgearbeitet. Diese fokussieren sich auf das Übergangs-system, die Vielfalt von Übergangsverläufen und die Übergangsforschung,