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Bundesweite Angebote des Übergangssystems

4.1 Übergang Schule – Beruf

4.1.4 Bundesweite Angebote des Übergangssystems

Bei der gezielteren Analyse des Übergangssystems mit seinen zahlreichen Angeboten stellt sich die Frage nach seiner Aufgabe.

„Eine wesentliche Funktion des Übergangssystems besteht darin, Jugendliche, die den Übergang in eine berufliche Vollqualifizierung nicht erfolgreich bewältigt haben, diesbe-züglich zu unterstützen. Betrachtet man das Übergangssystem aus der pädagogischen Per-spektive des ‚Förderns‘, dann rücken weitere Aufgaben dieses Systems in den Vorder-grund: Unterstützung dabei, Autonomie, Kompetenzerwerb und Kompetenzentwicklung entfalten zu können und gleichberechtigte soziale Teilhabe […] zu ermöglichen.“ (Nigges-Gellrich und Schmidt 2013, S. 312)

Als Teilsystem der beruflichen Ausbildung wurde das Übergangssystem in die Abbil-dung von deutschen BilAbbil-dungsorten neben der dualen BerufsbilAbbil-dung aufgenommen (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 20). Der Ursprung der Entstehung des Übergangssystems ist auf die mangelnde Aufnahmefähigkeit und die abneh-mende Funktionalität des dualen Berufsbildungssystems (Schmidt 2011, S. 32 f.) zu-rückzuführen.

Kurz vor dem Übergang von der beruflichen Ausbildung ins Erwerbsleben stehen junge Menschen vor dem Dilemma einer zunehmenden Distanz der auch vom Über-gangssystem unterstützten berufsfachschulischen bzw. außerbetrieblichen Berufsbil-dung von eigentlicher Erwerbstätigkeit (Müller 2008, S. 13 f.). Dieses Dilemma besteht in der räumlichen Distanz, da eine vollzeitschulische bzw. außerbetriebliche Ausbil-dung keine Aneignung von praktischen Erfahrungen an dem zukünftigen Beschäfti-gungsort und damit keine Entwicklung der beruflichen Handlungsfähigkeit ermög-licht. Die Ursachen hierfür sind nach Müller auch in dem deutlichen Engpass dualer Ausbildungsstellen zu suchen (ebd.). Die kurzfristigen diskontinuierlich laufenden Praktika erzielen keinen erwarteten Bindeeffekt und vertiefen keine praktischen Er-fahrungen von Auszubildenden. Diese Trennung erschwert den Übergangsprozess vor allem für Menschen mit Förderbedarf enorm. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Bedingungen für das Gelingen eines Übergangs der zweiten Schwelle von der Ausbildung in eine Beschäftigung von Menschen mit Förderbedarf.

Die Analyse der sich in dem Übergangssystem befindenden Abgänger und Ab-gängerinnen der allgemeinbildenden Schulen bzw. Förderschulen in der Periode zwi-schen 2005 und 2019 (s. Abb. 18) bestätigt, dass das duale System gegenüber dem schulischen Berufssystem und dem Übergangssystem nur unwesentlichen Schwan-kungen unterliegt und bedeutsam bleibt. Die Inanspruchnahme des schulischen Be-rufssystems bleibt mit kleinen jährlichen Abweichungen fast konstant. Der Umfang von Beteiligten an Übergangsmaßnahmen minderte sich seit 2005 (417.648) bis zum Jahr 2019 (255.282) um fast die Hälfte.

Die hohe Auslastung des Übergangssystems im Zeitraum von 2005 bis 2011 ist auf eine angespannte Arbeitsmarktlage und gestiegene Arbeitslosigkeit zurückzufüh-ren. In den Jahren 2015 und 2016 erfolgte eine vermehrte Einmündung in das Über-gangssystem. Diese lässt sich anhand der Zuwanderung von Schutz- und Asylsuchen-den im Ausbildungsalter erkennen (Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen 2020).

Junge Absolventen und Absolventinnen von Förderschulen bleiben mit bis zu 63 Prozent dauerhaft im Übergangssystem oder in fragmentierten Übergangsverläufen verhaftet. Der Anteil an Förderschulabgängern und -abgängerinnen mit Hauptschul-abschluss beträgt innerhalb der gesamten HauptschulHauptschul-abschluss-Kohorte 14 Prozent.

Da nicht alle Förderschulabgänger und -abgängerinnen über einen Schulabschluss verfügen, gestalten sich die Übergänge von Betroffenen überwiegend langwierig und, wie bereits angedeutet, fragmentiert. Um wenigstens einen Hauptschulabschluss zu erreichen, verbleiben viele der Menschen mit Förderbedarf in Berufsvorbereitungs-maßnahmen des Übergangssystems (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, S. 167).

Verteilung der Neuzugänge auf die drei Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems 2005 bis 2019 (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020, S.152, eigene Darstellung)Abbildung 18:

Im Zeitraum von 2011/2012 bis 2016/2017 (s. Abb. 19) erreichten lediglich 5 Prozent aller Förderschulabgänger und -abgängerinnen der 4. Startkohorte (Welle 1 bis 10) einen stabilen Übergang ins Schulberufssystem (in Ausbildungsgänge von Berufs-fachschulen). Ein Viertel der Förderschulkohorte ist mit einer Verzögerung in das duale System eingemündet. Der direkte bzw. stabile Übergang in die duale Berufsbil-dung ist lediglich 7 Prozent der Förderschulabsolventen und -absolventinnen gelun-gen. Über 60 Prozent aller Förderschulabgänger und -abgängerinnen haben diverse Maßnahmen des Übergangssektors absolviert. Ca. 26 % der jungen Menschen erleb-ten einen fragmentiertern bzw. instabilen Übergangsverlauf.

Verlaufsübergänge der Förderschulabsolventen und -absolventinnen (Autorengruppe Bil-dungsberichterstattung 2020, S. 16726, eigene Darstellung)

Wie bereits angedeutet, haben geringqualifizierte Jugendliche aufgrund ihrer persön-lichen Bildungsvoraussetzungen (Abschlusszeugnisse und -leistungen) kaum eine Chance, am Ausbildungsstellenmarkt eine Ausbildungsstelle zu erhalten (Nigges-Gellrich und Schmidt 2013, S. 307 f.). Einerseits können diese geringen Übergangs-chancen durch einen bedarfsorientierten Umfang von angebotenen Ausbildungsstel-len erklärt werden. Andererseits sind die Zugangsbarrieren zu einer Ausbildung auf strukturelle Wirtschaftsveränderungen globaler Maßstäbe und auf den technologi-schen innovativen Wandel in deuttechnologi-schen Betrieben zurückzuführen. Zudem spielt in

Abbildung 19:

26 Verlinkung mit der Excel-Tabelle E4_2020 ist über die „Tab. E46web“ auf Seite 167 zu finden. Quelle: LIfBi, NEPS Start-kohorte 4, Welle 1 bis 10 (2011/12 bis 2016/17), doi:10.5157/NEPS:SC4:10.0.0, gewichtete Daten

der Argumentation der Wirtschaft das Konstrukt der „Ausbildungsreife“ als eine der individuellen Bildungsvoraussetzungen eine entscheidende Rolle für den Zugang zu einer Ausbildung. Der in den Mittelpunkt rückende Fachkräftemangel ist nach wie vor stark durch die Diskussion um mangelnde Ausbildungsreife geprägt. Gegenwär-tig werden – bei steigender gesellschaftlicher Nachfrage nach Ausbildungsstellen – die aktuellen Problemlagen mit einer rückläufigen Ausbildungsreife begründet (ebd., 309). Um der rückläufigen Ausbildungsreife entgegenzuwirken, werden „darauf ab-gestimmte Maßnahmen entwickelt und dokumentiert“ (Maier und Vogel 2013, S. 9).

Aufgrund des Fachkräftemangels und des demografisch bedingten rückläufigen Nachfrageüberhangs sollen die Ausbildungsplatzsuchenden im dualen System zu-künftig mehr Chancen für die berufliche Ausbildung erhalten. Allerdings wird es, so Maier und Vogel (2013, S. 14), nicht für alle die Chance geben, eine Stelle zu erhalten.

Es ist daher damit zu rechnen, dass das Übergangssystem nach wie vor bestehen blei-ben wird.

Statt den Mangel an Ausbildungsstellen zu betonen, werden als Ursachen der Kompetenzdefizite von Betroffenen deren „mangelnd(e) Kulturtechniken, Lernschwä-che bzw. Lernbeeinträchtigung, fehlende Sozialkompetenzen, schlechte Schulnoten bis hin zum Verlust von Tugenden wie Höflichkeit, Arbeitsmotivation, Engagement oder Pünktlichkeit“ (Dobischat, Kühnlein und Schurgatz 2012, S. 12) kritisch disku-tiert. Die betroffenen Personen werden für ihre nicht ausgeprägten Kompetenzmerk-male verantwortlich gemacht (Thielen, Katzenbach und Schnell 2013, S. 8), ohne „die strukturellen, bildungs- und arbeitspolitischen und ökonomischen Bedingungen, die die Problematik des Übergangs von der Schule in den Beruf [hervorruft]“ (Maier und Vogel 2013, S. 9) zu berücksichtigen.

Strittig ist auch, dass der Übergang Schule – Beruf laut Definition nur auf die erste Schwelle des Übergangs begrenzt ist. Wenn es um die Bezeichnung Beruf geht, handelt es sich nicht nur um eine berufliche Ausbildung unterschiedlicher Art, sondern auch um die Beschäftigung in der Arbeitswelt. Wie bereits angekündigt, unterliegt unsere Arbeitswelt Modernisierungs- bzw. Wandlungsprozessen. Dem-entsprechend soll sich die Teilhabe jedes gesellschaftlichen Mitglieds Dem-entsprechend der eigenen Stärken und Schwächen gestalten und durch ein unterstützendes Instru-mentarium oder eine beratende Expertise hinsichtlich der Umsetzung von sich stetig ändernden Arbeitsabläufen ergänzt werden.

Die Kreativität des jeweiligen Mitarbeiterteams ist hierbei für die Betriebe von großer Bedeutung. Die Unterstützung des Kollegiums ist erforderlich, unabhängig davon, ob junge Menschen mit Förderbedarf während des Übergangsverlaufs ein Praktikum in einem Betrieb absolvieren bzw. bereits ihre Ausbildung durchlaufen oder beschäftigt sind. Der Arbeitsort ist dabei Teil eines inklusiven Systems und sollte gemeinsam mit der förderbedürftigen Person interagieren.

In manchen Berufen ist es durchaus möglich, dass Menschen ohne einen beruf-lich qualifizierenden Abschluss auf dem zweiten oder sogar auf dem ersten Arbeits-markt tätig sind. In vielen Stellenanzeigen zu diversen Berufen ist zu lesen, dass ein qualifizierter Berufsabschluss von Vorteil sei. Dies schließt nicht aus, dass eine

för-derbedürftige Person beim Übergang der zweiten Schwelle für die Ausführung von bestimmten einfacheren Tätigkeiten angenommen werden kann. Allerdings werden die Übergänge Schule – Berufsausbildung und Schule – Arbeitsleben immer proble-matischer. In den vergangenen 30 Jahren vervielfältigte sich die Landschaft an Über-gangsmaßnahmen, die je nach identifiziertem Problembereich den betroffenen Men-schen bei der Bewältigung von persönlichen Schwierigkeiten bei der Einmündung in den Arbeitsmarkt hilfreiche Unterstützung gewährleisten sollten (Maier und Vogel 2013, S. 13). Angesichts der großen Menge unterschiedlicher Übergangsmaßnahmen ist es für Menschen mit Förderbedarf und deren Angehörige sehr schwer, den Über-blick zu behalten (Ginnold 2008, S. 61). Infolge dieses Maßnahme-Dschungels und aufgrund der vielfachen Verkettung von Übergangsmaßnahmen entstehen soge-nannte Maßnahmenkarrieren. Diese erweisen sich als höchst problematisch, da Be-troffene immer wieder in Warteschleifen geraten. Neben der Unüberschaubarkeit und der Verkettung von Wartezeiten kommt es zu „teils wiederholte[r] Teilnahme von Jugendlichen an denselben oder ähnlichen Maßnahmen“ (ebd., S. 14), was zur Ver-schwendung von Lebenszeit und Bildungsinvestitionen führt. Um diese Probleme strategisch zu bewältigen und die Qualitätssteigerung von Übergangsmaßnahmen zu sichern, bedarf es eines lokalen Übergangsmanagements, das die Vorortvernetzung aller Bildungsakteure initiiert und einen Raum für die gegenseitigen Absprachen schafft (ebd., S. 13 ff.).

Außerdem ist – durch die Schaffung spezieller Bildungsangebote im Übergangs-system – eine Verschiebung der Übergangsprobleme von der ersten Schwelle auf die zweite zu beobachten. So können beispielsweise Menschen mit Förderbedarf wegen fehlender beruflicher Qualifizierung nicht in den Arbeitsmarkt eintreten (Spies und Tredop 2006, S. 13).

„Die sich verschärfende Übernahmeproblematik in eine Dauerbeschäftigung zeigt an, dass eine Benachteiligung nicht damit aufhört, wenn ein Jugendlicher einen (betrieb-lichen oder außerbetrieb(betrieb-lichen) Ausbildungsplatz erhalten hat. Der geläufige Ausspruch

‚Jede Ausbildung ist besser als keine Ausbildung‘ führt nicht selten genug zu einer (lang-fristig wirkenden) Fehlqualifizierung. Die sich an die Ausbildung anschließenden Maß-nahmen (Plural!) sind wiederum mit der Gefahr verbunden, dass Jugendliche trotz zu-sätzlich erworbener Qualifikationen stigmatisiert werden (können). Die Folge ist, dass strukturell wirkende Probleme so mit unter von den Jugendlichen gleichsam internalisiert werden, d. h. die fehlende Integration wird als individuelle Schuld wahrgenommen.“

(ebd.)

Viele Anzeichen sprechen dafür, dass sich die Periode der berufsbiografischen Insta-bilität von förderbedürftigen Menschen über den gesamten Lebenszyklus erstreckt, nur um sich durch viele beschäftigungsbezogene Übergänge anpassen zu können (Maier und Vogel 2013, S. 14). Unter der Betrachtung der oben genannten Problematik kann der Nutzen solcher Übergangsmaßnahmen, deren Effektivität und Gestaltung zur Debatte gestellt werden.

Basendowski und Werner (2010, S. 64 ff.) beziehen sich auf Ginnolds Studie (2008) und betonen, dass die Übergangsprobleme von jungen Menschen mit

Förder-schwerpunkt Lernen wesentlich schärfer als bei anderen Risikogruppen seien. Infolge dieser Übergangsprobleme seien nach Thielen, Katzenbach und Schnell „viele dieser jungen Menschen auf unsichere, zeitlich befristete, körperlich anstrengende und schlecht bezahlte Tätigkeiten im Niedriglohnsegment verwiesen“ (Thielen, Katzen-bach und Schnell 2013, S. 8).

4.2 Übergangsmöglichkeiten im Rahmen der