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2.9 Die Falle als mahnendes Sinnbild der christlichen Moral

2.9.2 Die Falle und die gerechte Strafe

Dieses mit der Falle verbundene moralische Mahnen zeigt sich besonders deutlich an den beiden folgenden Werken aus dem neunzehnten Jahrhundert, die an die-ser Stelle abschließend für die einleitende, motivgeschichtliche Untersuchung der Falle vorgestellt werden. Es handelt sich um einen von Reimen Johannes Tro-jans565begleiteten Kupferstich566von Guido Hammer aus der sechsteiligen Serie

561Siehe Abb. 167.

562Siehe Abb. 168.

563 Zitiert nach Pictura Paedagogica Online.

564 Zitiert nach Pictura Paedagogica Online.

565Ein Schwerpunkt in Trojans Werk bilden Kinder- und Scherzgedichte sowie Erzählungen für Ju-gendliche, die neben Julius Lohmeyers ‚Deutsche Jugend’ auch in Franz Hoffmanns ‚Neuer

deut-‚Ein Unglückstag aus dem Fuchsleben’, die Teil der in dieser Zeit sehr beliebten Kinder- und Jugendliteratur in Form eines Bilderbuchs (‚Deutsche Jugend’, 1876) ist. Das zweite Werk ist eine volkstümlich verzierte, formal sehr ungewöhnliche Mausefalle aus Hohenlohe in der Nähe von Schwäbischhall, die auf das Jahr 1800 datiert wird.

Der sechste, die Geschichte des Unglückstages des Tieres abschließende Kupfer-stich Hammers, zeigt einen mit seinem rechten Vorderlauf in ein Tellereisen567 ge-ratenen Fuchs. Er hat sich von einem toten Huhn als Köder in die Nähe der Falle locken lassen und erwartet von dieser gefangen den Tod durch den Fallenstel-ler.568Während die ersten fünf Stiche (ergänzt von Trojans Reimen) das typische Verhalten schildern, folgt am Ende der enzyklopädisch anmutenden Bilderge-schichte569über das Leben des Tieres die nach Wilhelm Busch570berühmte Moral der Geschicht’ in Form eines die Erzählung abschließenden Reimes: „Nicht mehr zähmend sein Verlangen; Springt er zu und ist gefangen; Steckt, der Schlaukopf, in der Falle; Füchslein, glaubt's: man fängt euch alle.“571Das Ende des Reimes erinnert an das folgende, von Karl Simrock dokumentierte Sprichwort „Alle listigen Füchse kommen endlich beym Kirssner in der Beitze zusam,"572 das dem Tier seine finale, aufgrund des sittenwidrigen Verhaltens ‚gerechte’ Strafe androht. Die visuell wie sprachlich verfasste und dadurch betonte Botschaft an die Rezipienten

scher Jugendfreund’ erschienen. Hoffmanns ‚Jugendfreund’ diente, so der Untertitel, der ‚Unterhal-tung und Veredelung der Jugend’ und war äußerst erfolgreich. Band 50 der Serie erschien 1895.

566Siehe Abb. 169.

567Es handelt sich um eine noch heute gebräuchliche Totschlagfalle, die Eisenfedern oder soge-nannte Bügel als Energiespeicher nutzt (Biegungsfallen, siehe Kap. 2.3 Torsionsschlagfallen).

568Die Fallenart lässt dem Tier – wenn es nicht bereits durch den ‚Schlag’ gestorben ist, da es sich meist mit dem Kopf bzw. Maul dem Köder genähert hat – in der Regel keine Möglichkeit, zu ent-kommen. Vom Fuchs wird jedoch berichtet, dass er, wenn er wie hier dargestellt ‚nur’ mit einem Lauf in die Falle geraten ist, den Lauf durchbeißt, um fliehen zu können. Fälle wie diese führten zum Verbot dieses Fallentyps in Deutschland.

569Auch der Titel des Buches ‚Deutsche Jugend - Jugend- und Familien-Bibliothek’ von Julius Loh-meyer, aus dem die Stiche stammen, zeigt den intendierten Bildungscharakter des Werkes an.

570So lautet der zum geflügelten Wort gewordene Schluss von Buschs Geschichte ‚Das Bad am Samstagabend’ (1869). Bolz/Krader 2003, S. 555.

571Laut Bildunterschrift stammen die Reime von J. Trojan. Zitiert nach Pictura Paedagogica Online.

572Simrock 1846, Nr. 2888 und Wander 1867, Stichwort Fuchs Nr. 2. Kürschner bezeichnet seit dem dreizehnten Jahrhundert „Pelze verarbeitende Handwerker“. Pfeifer 1989, S. 750.

der Fuchsgeschichte ist, dass es keine Ausnahmen gibt. Trotz Intelligenz und List werden letztlich alle gefangen und bestraft. Vor dem Hintergrund der bereits er-wähnten, den Fallensteller lobenden Redewendung vom ‚Fuchs im Eisen’ und der vielen Sprichwörter, die von der Intelligenz des Tieres573zeugen und sich in Tro-jans Reim in der Bezeichnung ‚Schlaukopf’ spiegeln, erscheint der Stich Hammers wie ein mahnendes Sinnbild für triebhaftes Handeln.574

Die berühmte Vorsicht und List des Fuchses wird dem Leser zweifach vermittelt.

Auf der einen Seite verbal durch den Reim zu dem vorherigen, fünften Stich575der Serie: „Vorsicht! Schlau umstreif' ich; Forschend es und dann erst speis' ich; Nein, hier scheint mir nichts verdächtig!; Nun wohlan! Huhn, du bist prächtig!“576Auf der anderen Seite ist sie motivisch von Hammer über den fünften hinaus auch subtil in der Komposition des finalen Stiches integriert: Die Vorsicht des Tieres zeigt sich auch darin, dass ‚nur’ der Vorderlauf und nicht der Kopf in der Falle steckt. Das deutet darauf hin, dass der Fuchs wohl im Sinne der Vorsicht den Köder zuerst nur mit seiner Pfote berührte, statt ihn ,gierig’ mit dem Maul zu greifen. Darüber hinaus kann der rechte Lauf als Metapher für die in der Regel rechte Hand des Menschen angesehen werden, mit der er in der Regel nach den Dingen greift. Die-se formale Parallele zwischen Hand und Pfote scheint der auf Kinder und Jugend-liche ausgerichteten, moralischen Botschaft geschuldet zu sein. Sie unterstützt den intendierten, pädagogischen Identifizierungsmoment von Kind und Tier. So war es etwa bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein üblich, die ausgestreckten Hände von Kindern mit Schlägen für deren ,ungezogenes Verhalten’ zu bestra-fen.577

573„Ale Fichse gihn schwer ei's Eisen (1); Alte Füchse gehen nicht in die Falle (4); Der Fuchs geht nicht zum zweiten mal ins Garn (47); Des Fuchses List nicht leicht zu errathen ist (106)“, zitiert nach Wander 1867, Stichwort Fuchs.

574Diese These wird durch den im Reim mitgelieferten Grund deutlich: Es ist sein Verlangen und nicht der Hunger, das der in der Regel vorsichtige Fuchs nicht mehr zähmen kann und somit sein Schicksal besiegelt.

575Siehe Abb. 169.

576Siehe Abb. 169.

577Diese Art von Disziplinierung scheint dem im europäischen Mittelalter nicht nur symbolischen Abhacken der Hand eines Diebes verwandt zu sein. Der gemeinsame Nenner dieser Disziplinier-ungsmaßnahme ist die Bestrafung der Hand als das ,schuldige’, weil in der Regel an der Tat we-sentlich beteiligte Körperglied.

Anhand der Bezeichnung des Fuchses als ‚Schlaukopf’ wird außerdem ein unter-schwelliger Aspekt von Schadenfreude erkennbar, wie sie bereits in der Subscrip-tio eines Holzschnitts578aus dem sechzehnten Jahrhundert deutlich wird. Das Em-blem zeigt einen fliegenden Raben, der einen erbeuteten Skorpion in seinen Fän-gen trägt.579Doch der zunächst erfolgreiche Räuber wird von seiner Beute noch im Flug vergiftet („Recht sich an seinem Rauber bald / Nimpt jm das Leben mit ge-walt / es ist fürwah des Lachens wehrt“) und so stürzen beide zu Tode. Aufgrund der eindeutigen Subscriptio wird das Werk von Henkel und Schöne als ein Sinn-bild für die der Schadenfreude eng verwandte Idee der ,gerechten Strafe’ gelesen.

Im Gegensatz zu der ausdrücklichen Schadenfreude des Emblems ist jene über das Schicksal des Fuchses indirekt und subtil im Wort ‚Schlaukopf’ als Hinweis auf eine dem Tier aufgrund seiner Intelligenz zugeschriebenen Arroganz vorhanden.

Diese wird ähnlich der bereits einleitend in diesem Sinne erwähnten Hybris580hart bestraft. Darüber hinaus erinnert Trojans an Leser wie Füchse gerichtete, morali-sierende Drohung am Ende des Reimes – ‚man fängt euch alle’ – an die Sub-scriptio eines Emblems aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert.581Der Kupfer-stich zeigt eine als Lockvogel am Boden fixierte Krähe, die eine andere, von ihr angelockte Krähe mit ihren Klauen festhält und die sogenannte ‚doppelte List’ ver-sinnbildlicht, wie die Subscriptio des Emblems verdeutlicht: „Elln Kräh angehafft ist / Dahinter steckt eine arge List. Wann sie schreyt / andre kommen schawn / So er-greift sie die mit den Klawn. Schalck über Schalck / List über List / Gefunden wird zu jeder frist.“582Von dieser doppelten List, die für den Fang eines intelligenten Tieres wie der Krähe notwendig ist, zeugen zahlreiche Redewendungen, wie etwa die folgende: „Der Fuchs weiss viel, aber der ihn fängt noch mehr.“583Das neu-zeitliche ,gefunden wird zu jeder Frist’ macht den Rezipienten ebenso wie die

spä-578„Der Rab ein Scorpion voll Gifft Fieng und führt jn hoch in die lüft Bald seiner fressigkeit so jach Empfieng verdienten lon und rach Dann der Scorpion allgemacht das Gifft ins raben Glieder bracht Recht sich an seinem Rauber bald Nimpt jm das Leben mit gewalt es ist fürwah des Lachens wehrt Das der anderen Brey anrört Denselben muß essen auß Und kompt sein untreuw jm zu hauß.“ Zi-tiert nach Henkel/Schöne 1996, Sp. 878.

579Siehe Abb. 170.

580Siehe Kap. 2.2 und 2.6.

581Siehe Abb. 151.

582Henkel/Schöne 1996, Sp. 886. Aufgrund von Verhalten und Intelligenz wurde Krähe und Rabe im Mittelalter eine Nähe zum Teufel nachgesagt. Siehe Colpe 1993, S. 68.

583Wander 1867, Stichwort Fuchs, Nr. 91 oder etwa „Bei Füchsen muss man listig sein“ (Nr. 21).

tere, eindeutigere Drohung ,man fängt euch alle’ auf die Konsequenzen der mora-lisch tendenziell negativ bewerteten List und der dem Listigen unterstellten Arro-ganz aufmerksam.

Neben der Verurteilung der hier genannten Eigenschaften offenbart der abschlie-ßende Reim eine weitere, die Motivation des Fuchses, also den Köder der Falle betreffende Ebene. Nachdem der Leser den ‚Tagesablauf’ des Tieres kennen lern-te, wird er nicht nur darüber aufgeklärt, dass auch der ‚schlaueste’ Fuchs irgend-wann in der Falle endet, sondern auch darüber, dass dies aufgrund seines unge-zähmten Verlangens geschehen wird.584Vor dem Hintergrund, dass der seiner In-telligenz wegen gelobte Fuchs durch sein Verlangen gefangen wurde, lässt sich die moralische Botschaft der Geschichte wie folgt zusammenfassen: Auch den Klügsten treibt die Gier in die Falle, also übe dich in Askese und sittlichem Ver-halten, und hüte dein Verlangen. Die Falle wird hier unabhängig von dem zuvor erläuterten, christlichen Kontext als Symbol für eine auf Disziplinierung ausge-richtete Botschaft verwendet.

In diesem Sinne mahnt auch die von einem unbekannten Künstler585geschaffene Mausefalle vom Beginn des neunzehnten Jahrhunderts den Rezipienten eindring-lich mit den Worten ‚Du sollst nicht stehlen’ vor der Todsünde Avaritia (Habgier).586 Das Objekt ist im Rahmen dieser Untersuchung von besonderer Bedeutung, da hier zum ersten Mal an Stelle eines (Sinn-)Bildes von Tier und Falle und den Kon-text erläuternden Worten ein modellhaftes, plastisches Objekt für die Vermittlung

584Ähnlich ergeht es einem an einer Klippe stehenden Bär, dessen rechte Vordertatze in ein ähn-liches Eisen geraten ist. Die Bildunterschrift liefert erläuternde Geschichte dazu: „Bär und Klotz;

Wie ist das nur zugegangen; Hat sich ein Klotz an mein Bein gehangen; Warte, dich werd' ich schon wieder los; Trage dich dort auf den Hügel bloß; Werf' dich herunter mit aller Macht; Plumpst du in's Wasser, daß es kracht; Doch dem Bären ist's übel bekommen; Der Klotz hat ihn mit herun-ter genommen; Ihm war von dem schweren Fall so dumm; Ging wie ein Rad ihm im Kopf herum;

Dachte so sicher ihn loszukriegen; Mußte nun selbst halb todt dort liegen.“ Hey 1837, S. 9 (siehe Abb. 171).

585Die Schreinerfamilie Rößler und ihr Umkreis kommen den Quellen des Häll-Fränkischen Muse-ums zufolge als Urheber in Frage. Siehe Mehl 1985 und Ausst. Kat. Schwäbisch Hall 1987.

586Siehe Abb. 172.

einer moralischen Botschaft verwendet wird.587Es handelt sich um eine für die Nutzung in Innenräumen konzipierte, durch die ungewöhnliche Konstruktion ein-deutig an eine Guillotine erinnernde Falle aus Holz.588Dieser aufwendig modifi-zierte Typ einer Schwerkraft- beziehungsweise Gewichtfalle wurde offensichtlich von der 1792 in Frankreich eingeführten Hinrichtungsmethode beeinflusst. Letzte-re sollte dem Antrag eines Arztes589gemäß das Ideal der Gleichbehandlung für die zum Tode verurteilten Bürger im Sinne eines ,humanitären Fortschritts’ gegen-über den grausamen Hinrichtungsmethoden der vorrevolutionären Epoche ermög-lichen.590Über die Form hinaus wird der Bezug zur Französischen Revolution

zu-587Aus heutiger, kunsthistorischer Perspektive kann diese, etwa in der Ecke einer Küche aufgestel-lte Falle als Installation begriffen werden.

588Die Konstruktion macht das Objekt für Witterungseinflüsse sehr anfällig, die ihre Funktionalität mindern, so es dass über die dekorative Gestaltung hinaus eindeutig für die verwendung in Innen-räumen bestimmt ist. Von solchen Guillotinen-Fallen berichtet auch Martin Warnke (Warnke 2003, S. 79). Es handelt es sich um eine Gewichtfalle, (siehe Kapitel 2.3), die im hier abgebildeten Zu-stand nicht fängisch gestellt ist. Dieser Mausefallentyp war in ländlichen Regionen noch im zwan-zigsten Jahrhundert gebräuchlich, wie ein Vergleich mit Abb. 173) zeigt. Die Maus betritt die Falle durch ein Loch auf der Vorderseite, das auf der Abbildung der Falle aus Hohenlohe nicht zu sehen ist. Im Inneren ist der Köder mit der aus der Rückseite nach außen verlängerten Klinke verbunden.

Berührt das Tier den Köder, verursacht die Bewegung der Klinke die Loslösung des Klemmers und das von ihm zuvor in Höhe gehaltene Gewicht fällt nach unten auf das Tier.

589Joseph-Ignace Guillotin beantragte am 10. Oktober 1789 die Einführung eines mechanischen Enthauptungsgerätes, um die aufgrund ihrer Ungenauigkeit grausamen Hinrichtungsarten wie das Köpfen mit Beil oder Schwert abzuschaffen. Die nach den Plänen des Chirurgen Antoine Louis vom deutschen Klavierbauer Johann Schmidt konzipierte Guillotine „wurde am 25. April 1792 zum ersten mal bei einer Exekution eingesetzt [...]. Der geschäftstüchtige Schmidt ließ sich ein auf sei-nen Namen lautendes Patent ausstellen und sicherte sich damit für fünf Jahre das ausschließliche Herstellungsrecht im Land. Eine Köpfmaschine für jedes der 83. französischen Départements à 824 Livres das Stück! Schmidt wurde eine schwerreicher Mann [...] und endete 1831 als Trinker [...].“ Grandjonc/Voigt 1985, S. 68.

590Der Kunsthistoriker Daniel Arasse widmet dem Zivilisationsobjekt eine ausführliche Untersuch-ung (Daniel Arasse: Die Guillotine, Hamburg 1988) und beschreibt seine BedeutUntersuch-ung wie folgt: „Der Einsatz der Guillotine als Instrument des Schreckens lässt sich durch nichts entschuldigen, bedarf auch keiner falschen Entschuldigung, denn die Quellen belegen einen systematischen Einsatz der Guillotine, und zwar als eine Regierungsmaschine. Deutlich geht aus ihnen hervor, dass das große makabre Theater, welches mit und auf dem Schafott inszeniert wurde, zuvorderst auf die Heraus-bildung eines ,kollektiven Bewusstseins’ (Saint-Juste) abzielte, um das Volk nach Jahrhunderten der Tyrannei und Erniedrigung im revolutionären Sinn zu erneuern, zu einigen und als Macht zu etablieren.“ Arasse 1988, S. 13.

sätzlich durch die farbliche Gestaltung in blau, weiß und rot hervorgehoben.591Die in die Falle getappte Maus wurde jedoch nicht, wie es auf den ersten Blick auf-grund der Form erscheint, im Sinne der Guillotine schnell und effektiv durch eine Klinge geköpft, sondern, wie für den zugrundeliegenden Fallentyp üblich, von dem erhöht gelagerten Gewicht erschlagen oder eingeklemmt.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass man sich entgegen der für die Kon-struktion einer Tierfalle in der Regel wesentlichen Zweckmäßigkeit bei der Gestal-tung des Objektes für eine aufwändige Form entschied, die nicht nur dem Fangen oder Töten des Tieres geschuldet ist. Zum einen ist eine Klinge für die primäre Funktion des Objekts als Mausefalle – das Töten des Tieres – nicht nötig und wä-re darüber hinaus ein im Sinne der Produktion aufwändiges und kostspieliges De-tail. Zum anderen ist die Klinge ebenso für die zweite, im Kontext dieser Untersu-chung bedeutsame Funktion des Objektes als ,plastisches Sinnbild’ für den Men-schen nicht nötig, da es bereits aufgrund seiner Form eindeutig als Guillotine zu erkennen ist. Neben der Form unterstützt auch die farbliche Gestaltung des Objek-tes die These, dass es sich bei der Mausefallenguillotine um ein über die Funktion als Tierfalle hinaus für den Menschen konzipiertes Werk handelt. Das nur von Menschen ‚lesbare’ Design der Falle verleiht ihr im Sinne einer drohenden Mah-nung eine Funktion, die zuvor von schriftlichen und bildlichen Kunstwerken wie Fa-beln oder den neuzeitlichen Emblemata übernommen wurde. In diesem Sinne kann die in ihrer Funktion einer Subscriptio ähnliche, auf der Falle aufgemalte Bot-schaft wie folgt fortgeführt werden: ‚Du sollst nicht stehlen, sonst verlierst du schnell den Kopf.’ Ein Vergleich mit einem zur Vorsicht mahnenden ‚Fallenem-blem’592aus dem siebzehnten Jahrhundert macht deutlich, dass es sich hier um eine Falle handelt, die über ihre eigentliche Funktion hinaus eine weitere,

pä-591Die Abbildung lässt das dunkle Blau nicht als solches erkennen. Harald Siebenmorgen (Ausst.

Kat. Schwäbisch Hall 1987, S. 117) und Auskünfte des Museums gegenüber dem Autor bestätigen jedoch die Anlehnung an die französische Flagge.

592Siehe Abb. 154. Das im Kontext der christlichen Moral (siehe Kap. 2.9f.) hier bereits erwähnte Emblem eignet sich besonders, da es sich um einen sogenannten Massenfang handelt, der wie die Guillotine für zahlreiche Opfer im Sinne rationaler Tötung konzipiert wurde. Die den Leser zu über-legten Verhalten anhaltende Subscriptio lautet: „Leght over eer ghy gaet, yet avontuerlijckx aen, hoe dat ghy alst misluckt, daet werder comt van daen (Ehe du etwas Abenteuerliches unternimmst, erwäge, wie du sicher wieder davonkommst, wenn es mißlingt).“ Henkel/Schöne 1996, Sp. 591.

dagogische Aufgabe erhalten hat: Das Objekt dient als Tierfalle und Mittel der mo-ralischen Erziehung im Sinne der Disziplinierung des Menschen zugleich, wie über seine Form hinaus durch die Beschriftung betont wird.

Dieser ‚Sonderstatus’ der Mausefallenguillotine spiegelt sich über die formale Ge-staltung hinaus auch in der für Fallen unüblichen farblichen GeGe-staltung und Ver-zierung mit Pflanzenornamenten auf der – aus der Perspektive des Fallenstellers betrachtet – Rückseite des Objektes. Diese wird, wie anhand der aufgemalten Worte deutlich wird, zur ‚Schauseite’ umfunktioniert593und verleiht der Falle daher den Charakter einer für den Menschen verblendeten Tierfalle. Vor diesem Hinter-grund wird deutlich, dass es sich um einen kulturhistorisch äußerst interessanten

‚Vorläufer’ der von Andreas Slominski am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts für den Kunstkontext geschaffenen Tierfallen handelt.594Doch die Verblendung der Mausefallenguillotine unterscheidet sich von der anderer Fallen, die für Menschen konzipiert wurden, dadurch, dass sie nicht im traditionellen Sinne das Opfer blen-det und auf diese Weise die Falle ‚unsichtbar’ macht. Im Gegensatz zur traditio-nellen Verblendung ist das Ziel hier, dass die Falle als solche und zugleich als das am Ende des achtzehnten Jahrhunderts in ganz Europa bekannte Hinrichtungs-instrument erkannt wird.595Die je nach politischer Ausrichtung pro- oder contrare-volutionär illustrierten Flugblätter und Schriften über die epochal bedeutsamen Er-eignisse der französischen Revolution sorgten für die Bekanntheit und den hohen symbolischen Stellenwert der Guillotine.596Die Form, die farbliche wie ornamenta-le Verzierung und nicht zuornamenta-letzt die Schrift der Mausefalornamenta-lenguillotine solornamenta-len die Blic-ke der Menschen auf sich ziehen, die vor diesem Hintergrund zunächst nur als ,Opfer’ ihrer visuellen Neugier bezeichnet werden können. In diesem Sinne dient die Verblendung hier der Vermittlung der moralischen Botschaft.

593Dass eine in die Falle geratene, tote Maus daher nur anhand des heruntergefallenen Gewichts zu erkennen ist, da sich ihr Körper auf der im Sinne der Dekoration bezeichneten Rückseite befin-det, kann als positiver Nebeneffekt der Multifunktionalität der Falle betrachtet werden.

594Siehe Abb. 174 und Kap. 7.7.3.

595Arasse erklärt in seiner Untersuchung, wie „die Guillotine zum ,Banner’ des Revolutionärs, wie sie durch ihre Technik und Erscheinung zum Inbegriff der jakobinischen Revolution werden konnte [...]“, die „Bewunderer auch ,Heilige Guillotine’ nannten.“ Arasse 1988, S. 14.

596Siehe Abb. 175 und 176.

Abstrakt betrachtet erfüllt das Objekt vier Funktionen zugleich: Zuerst dient es als Tierfalle. Aufgrund seiner Form, der Beschriftung (Schauseite) und der Positionier-ung (Innenraum) erfüllt es jedoch zugleich eine zweite, einem Hinweisschild ähn-liche Funktion; die Vermittlung einer expliziten (moralischen) Botschaft. Die farb-liche, ornamentale Gestaltung kann darüber hinaus als dritte, über das Fangen und Mahnen hinaus reichende, dekorative Funktion begriffen werden.597Zuletzt kann die Falle aufgrund ihrer farblichen Gestaltung in den Farben der

Abstrakt betrachtet erfüllt das Objekt vier Funktionen zugleich: Zuerst dient es als Tierfalle. Aufgrund seiner Form, der Beschriftung (Schauseite) und der Positionier-ung (Innenraum) erfüllt es jedoch zugleich eine zweite, einem Hinweisschild ähn-liche Funktion; die Vermittlung einer expliziten (moralischen) Botschaft. Die farb-liche, ornamentale Gestaltung kann darüber hinaus als dritte, über das Fangen und Mahnen hinaus reichende, dekorative Funktion begriffen werden.597Zuletzt kann die Falle aufgrund ihrer farblichen Gestaltung in den Farben der