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„In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flim-mernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der ,Weltgeschichte’: aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mußten sterben.“310Friedrich Nietzsche

Der Ursprung und Wandel der Bedeutungshorizonte eines Begriffes sagt viel über die Bedeutung seines Kontextes innerhalb von Kulturen aus, besonders wenn es sich um ein so altes ‚Thema’ wie die Falle handelt und Sprache als Teil des kultu-rellen Gedächtnisses begriffen wird.311Angesichts der so weit in der Entwicklung zurückreichenden Bedeutung der Jagd für die menschliche Zivilisation liegt es na-he, sich dem Thema auch auf diesem Wege zu nähern. Erst vor dem Hintergrund des Wandels und der Bedeutungsvielfalt des Fallenstellens im übertragenen Sin-ne, kann ein Vergleich und eine Interpretation des Motivs in der bildenden Kunst fruchtbar sein.

Eine „Falle [ist eine] Fangvorrichtung, besonders für Raubzeug312, Pelztiere, Ratten, Mäuse. Eiserne Fallen heißen auch Eisen (Berliner Eisen, Tellereisen)“313, so lautet eine gängige, zeitgenössische Definition. Doch „die Falle ist eigentlich nur die Klappe, die niederfällt, wenn die Maus den Fangbrocken berührt“, betont Lutz Röhrich, erst „später ist das Wort dann auf das ganze Gerät übertragen

wor-310 Mit diesen Worten beginnt Friedrich Nietzsche seinen Essay ‚Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne’, Nietzsche 1873 (ohne Seitenzahlen).

311In diesem Sinne erkennt Lutz Röhrich in der Bezeichnung ‚Leimstängler’, ein aus der Vogelstel-lerei abgeleitetes Synonym für die Figur des verliebten Narren, der „in der Komödie des 16. und 17. Jahrhunderts sogar zur typischen Figur des verliebten Gecken wurde, [...] einen Beweis dafür, dass die Sprache in formelhaften Wendungen vieles überliefert, aber auch Unverstandenes, Sinn-losgewordenes weiterleben lässt.“ Röhrich 1971, S. 323. Das zeigt sich besonders deutlich an der sogenannten Leimstange, siehe dazu Kap. 2.5.

312Raubzeug sind „nicht jagdbare Tiere, die sich u.a. von anderen Tieren und Eiern ernähren“, wie Rabenkrähe, Elster, Wanderratte, Waschbär, Marderhund sowie streunende Hunde und Hauskat-zen. Gutt 1977, S. 76.

313Der Brockhaus in einem Band, 9., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Mann-heim 2002, S. 307.

den.“314Der Begriff Falle leitet sich vom Verb ‚fallen’ ab, als dessen etymologi-scher Ursprung das althochdeutsche ‚fallan’ bzw. das mittelhochdeutsche ‚vallen’

aus dem achten Jahrhundert gilt. ‚Falla’ war bereits im frühen Mittelalter der alt-hochdeutsche Begriff für Geräte zum Fangen oder Töten von Mäusen. Schon die frühesten Belege verweisen auf eine „Anwendung [des Worts] auf anderes (Fang-strick usw.). Deshalb [bedeutet es] vielleicht eher ‚was (das Tier) zu Fall bringt’,“315 wie besonders die Metapher vom ‚gefallenen Engel’ deutlich macht. Das Verb

‚fallen’ im Sinne von „sich nach unten bewegen (durch die eigene Schwere), stür-zen, sinken“316impliziert zugleich den Verlust der körperlichen Kräfte und erweitert den Bedeutungshorizont des Begriffs somit um Metaphern des Todes.317Vor die-sem Hintergrund erscheint die ‚Verallgemeinerung’ und die von Röhrich beschrie-bene Übertragung des Begriffs ‚Falle’ auf das ganze Gerät im Sinne einer Subsu-mierung ähnlicher Fangapparate und -techniken plausibel. Denn ihr wesentlicher gemeinsamer Kern ist das ‚zu Fall bringen’, also das Herstellen eines Zustandes, in dem das Tier seine autonomen Kräfte verliert; der Tod des Tieres.

Für diese These der Falle als Metapher des Todes sprechen einerseits noch heute allgemein gebräuchliche Redewendungen wie ‚gefallene Soldaten’ und anderer-seits der weidmännische Terminus das ‚Fallen’ des Hochwilds,318der das

natür-314Röhrich 1991, S. 413. Dieses Phänomen spiegelt sich auch in der Verwendung des Begriffs bei Türschlössern: Eine ‚Schlossfalle’ ist der Teil des Schlosses, der die Türe mit dem Rahmen verbin-det und sie somit blockiert, nachdem sie ‚ins Schloss gefallen ist'. Das ‚Fallriegelschloss' ist das äl-teste bekannte der Menschheitsgeschichte. Erste Hinweise auf Fallriegelschlösser sind Abbildung-en auf akkadischAbbildung-en Siegeln des drittAbbildung-en JahrtausAbbildung-ends v. Chr. (sie zeigAbbildung-en Gott Shamash mit einem Schlüssel in der Hand). Der älteste Fund stammt aus dem Palast von Khorsabad und wird auf ca.

750 v. Chr. datiert.

315Seebold 2002, S. 273.

316Pfeiffer 1989, S. 404.

317Einen weiteren Hinweis für die Nähe des Wortstammes zu den Begriffen Tod und Gefahr liefert der heute häufig in juristischen und judikativen Bereich verwandte Begriff ‚Fall’. Er leitet sich vom althochdeutschen ‚fal’ (765) ab, das „Fall, Sturz, Untergang und Verderben“ bezeichnete. Köbler 1995, S. 121. Folgt man dem griechischen Verb ‚spállein’ wird diese These unterstützt, denn laut Pfeiffer wäre die Wurzel ‚spðl-’ oder ‚pðl’, was „sich nach dem Gesetz der Schwerkraft abwärts bewegen“ bedeutet. Pfeiffer 1989, S. 321.

318Hochwild ist eine Sammelbezeichnung für „Wisent, Elch-, Rot-, Dam-, Sika-, Stein-, Muffel, Gams- und Schwarzwild, Bär, Luchs, Wolf und Auerwild.“ Gutt 1977, S. 52.

liche Sterben der Tiere bildhaft beschreibt,319ebenso wie die zuvor bereits skiz-zierte Entwicklungsgeschichte der Falle selbst. Auch das Verb ‚fällen’ deutet in diese Richtung, es leitet sich vom althochdeutschen ‚fellen’ und mittelhochdeut-schen ‚vellen’ ab, was „fallen lassen, zu Fall bringen und töten“320bedeutet.

Aufgrund der auffälligen Parallelen im Bedeutungshorizont scheint auch das grie-chische Verb ‚sphállein’ verwandt zu sein. Denn es bedeutet „zu Fall bringen, zu-grunde richten“ und – für diese Untersuchung von besonderer Bedeutung – auch

„täuschen.“321Ganz in diesem Sinne bedeutet wiederum auch das lateinische ‚fal-lacia’ „Täuschung, Trug, Betrug, Verstellung und Intrige“322und das Verb ‚fallere’

dementsprechend täuschen, betrügen und hintergehen. Daher schlägt Matt in Be-zug auf Nietzsches Anthropologie – „das Denken selbst [...] verdankt sich der Not-wendigkeit zur Verstellung. Nur durch Lüge habe der Mensch überlebt“323, so der Philosoph – vor, „statt Homo sapiens könnte man ihn [den Menschen] auch Homo fallax nennen, wissentlich täuschendes Wesen.“324

Als Kern des Bedeutungshorizontes der Falle haben die bisher aufgezeigten ety-mologischen Wurzeln vor allem zwei Pole aufgezeigt, die Konzepte von Tod, Betrug und Täuschung, die sich – wie im Folgenden deutlich wird – auch in den Fallen der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts finden. Vor diesem Hintergrund erhellt sich nun auch die Redewendung auf etwas bzw. auf jemanden

‚herein-319 Gutt 1977, S. 38.

320Pfeiffer 1989, S. 320. Im Kontext der germanischen Mystik erscheint es daher auch plausibel, dass die (lebendigen) Bäume gefällt werden.

321Pfeiffer 1989, S. 320.

322Hau 1986, S. 381. Die lateinische Parallele wird jedoch nicht in den hier verwendeten etymolo-gischen Wörterbüchern erwähnt. Strunk dagegen bezieht sich beim „hocharchaischen Nomen lat.

lax“ auf den Sprachwissenschaftler Verdryes. Lax meint gemeinsprachlich „Täuschung und Betrug [...], seine verbale Ableitung lac-io ‚ich locke’ [...] und deren geläufige Komposita al-lic-io‚ ‚ich locke an’, il-lic-io ‚ich locke hinein’“, so dass lax „vermutlich ursprünglich eine jägerlicher Ausdruck für

‚Falle’ [war] und die Ableitungen davon jägersprachliche Verben für ‚locken’, ‚an-‚ und hineinlocken’

(nämlich zur bzw. in die Falle), bevor sie ohne solchen konkreten Sachbezug gemeinsprachlich übertragen (lax‚ Täuschung, Betrug usw.) verwendet wurden.“ Strunk 2002 S. 63 (siehe dazu auch Abb. 37, dort wird das Labyrinth wird mit 'fallacia’ beschrieben und Kap. 2.2).

323Matt 2006, S. 219.

324Matt 2006, S. 220.

gefallen zu sein,’ die Röhrich zufolge auf die „sehr alte und primitive Jagdmethode mit Fanggruben“325zurückführen lässt.

Der Prototyp der ‚aktiven’ Falle, die mittels eines Mechanismus das Tier tötet oder fängt, so dass es nicht mehr fliehen kann, ist wie im Kapitel über die Entwicklung der Fallen bereits aufgezeigt wurde, ein Loch, das ‚passiv’ auf die Unaufmerksam-keit des Opfers326wartet – die sogenannte Fallgrube. Die Effizienz der ‚passiven’

Fallgruben lässt sich mit dem gezielten Hintreiben des Wilds auf die Gruben stei-gern und ermöglicht zudem, auf die je nach Größe aufwändige Tarnung zu ver-zichten. Beispiele für Spuren, welche die bis in die unsere Tage praktizierte Treib-jagd in der deutschen Sprache hinterlassen hat, sind der militärische Begriff ‚Kes-selschlacht’, sowie die beiden Redewendungen ‚durch die Lappen gehen’ und

‚jemanden ins Verderben treiben’. Der Begriff Kesselschlacht lässt sich auf ‚Kes-seltreiben’, eine Form der Feldtreibjagd, „bei der Schützen und Treiber wechsel-weise in gleichmäßigen Abständen [...] bogenförmig um das abzutreibende Gelän-de auslaufen, bis Gelän-der Kreis geschlossen ist,“327zurückführen. Und auch die ge-bräuchliche Redewendung ‚etwas aufzutreiben’ stammt aus diesem Kontext.328

Aufgrund ihrer Bedeutung als größte Sondersprache verwundert es kaum, dass die Weidmannssprache und die Jagd – so wie es im Kapitel über Falle und List in

325Röhrich 1971, S. 321.

326Für das Prinzip der Fallgrube ist es zunächst unwesentlich, ob es sich um eine getarnte, etwa mit Laub bedeckte Grube oder um eine handelt, die offen, ohne Tarnung auskommt, da das Tier aufgrund des Treibens in sie stürzt.

327Seilmeier/Walz 1983, S. 360. Auffallend sind jedoch die entgegengesetzten Perspektiven der beiden Begriffe. Denn Kesseltreiben beschreibt die ‚aktive’ Handlung der Jäger, während der mili-tärische Terminus den Verteidigungskampf der eingekesselten Truppen meint. Auch im Zweiten Weltkrieg wurden Schwerkraftfallen – Fallgruben – verwendet: Statt des Tieres war das moderne Opfer „der Tank, der [...] in die gut getarnten Fallgruben stürzte.“ Lips 1951, S. 99. Fallen dieser Art existieren bis heute, zumeist unentdeckt fort. Einen Eindruck von der nach wie vor großen Bedeu-tung fallenähnlicher Strategien im Militärwesen kann man anhand der sogenannten Sperren gewin-nen, die bis Ende der 1980er Jahre eine große Rolle für die Verteidigungsstrategien auf dem Ge-biet der Bundesrepublik spielten. Eine gute Einführung ins Thema Ge-bietet der Artikel von Michael Grube www.lostplaces.de/cms/verschiedenes/vorbereitete-sperren-wallmeister.html (12.4.06).

328Bevor das Wild in die Falle (Fallgrube, Netz, Wasser oder auf die Schützen zu) getrieben wer-den konnte, musste es aufgetrieben, das heißt, aus seinen Verstecken aufgescheucht werwer-den.

der griechischen Mythologie bereits angedeutet wurde – noch in der zeitgenössi-schen, deutschen Sprache eine solche Präsenz hat. Von der Fülle an Begriffen und Redewendungen können im Folgenden nur einige wenige Beispiele erwähnt werden. Denn ohne die Konzentration auf das Wesentliche, müsste auch diese Unternehmung wie eine erfolglose Jagd ‚abgeblasen’329werden.

Die Redensart ‚durch die Lappen gehen’ als Metapher für das Verschwinden einer Person oder das Verpassen einer Möglichkeit, die man ergreifen wollte, stammt ebenso aus dem Kontext der Treibjagd. Mit Hilfe von Lappen330und Stoffbahnen, die an Schnüren aufgehangen visuelle Barrieren für das Wild bilden, wurden die Tiere eingesperrt oder zurückgescheucht und dazu veranlasst, in eine bestimmte Richtung auszuweichen, so dass sie je nach Jagdart Schützen, Fallgruben oder Gattern nicht ausweichen konnten.331War ein Tier dennoch aus Panik durch diese meist rein visuellen Begrenzungen geflohen, so war es ‚durch die Lappen gegan-gen’. Auch die umgangssprachliche Redewendung ,abklappern’332, eine bildhafte Beschreibung für sehr langes Suchen oder mühseliges Abarbeiten stammt aus dem Kontext der Treibjagd. Wenn Jagdhelfer mit Hilfe von lärmenden Holzklap-pern das Wild aus seinen Verstecken hin zur Falle oder den Jägern treiben und dabei meist große Gebiete durchqueren müssen, nennt man diese Tätigkeit ab-klappern. Die Redensart ‚von einer Sache Wind kriegen’ ist dem für die erfolgrei-che Jagd unabdingbaren Vermeiden von visuellen Spuren oder einer Witterung,333

329Das ‚Verblasen’ bezeichnet Willkomm zufolge den abschließenden Hornklang nachdem das

„zur Strecke gebrachte Wild brauchgemäß reihenweise geordnet“ wurde. Willkomm 1986, S. 30.

330„Stofflappen, auch Federbüschel, die auf einer Schnur aufgereiht zur Lappjagd verwendet wer-den“, Seilmeier/Walz 1983, S. 391. Dinzelbacher zufolge wurde das Jagdgebiet schon bei den Rö-mern durch eine „mit weißen und roten Federn behängten Kordel eingegrenzt.“ Dinzelbacher 2000, S. 89.

331Zahlreiche Illustrationen in Flemmings Jagdbuch zeigen die verschiedenen Typen von Lappen, da sie vor allem Gesellschaftsjagdszenen zeigen (siehe Abb. 109).

332Klappern bedeutet „durch schnelles Aufeinanderschlagen von zwei festen Gegenständen Lärm hervorrufen“, aus dem Mittelhochdeutschen klappern, sinnverwandt mit schwatzen und klatschen, Pfeiffer 1989, S. 661.

333Mit Witterung wird die spezifische Wahrnehmungsfähigkeit, der Geruchssinn der Tiere seit dem sechzehnten Jahrhundert in der Weidmannssprache bezeichnet. Pfeifer 1989, S. 1575. Witterung aufnehmen meint auch, den spezifischen Geruch eines Wesens erkennen und es etwa mit Hilfe von Hunden verfolgen zu können.

die das Tier irritieren und besonders vorsichtig machen können, geschuldet. Der Jäger muss wie der Kommissar eine ‚Fährte verfolgen’, um dem Opfer auf ‚die Schliche kommen’ zu können. So wie man den Jagdhunden ‚auf die Sprünge hilft’, damit sie die Hasen, deren Hinterläufe in der Weidmannssprache als Sprünge be-zeichnet werden, auftreiben und in die gestellten Fallen hetzen.334Daher lobt der Jäger den erfahrenen Jagdhund, weil dieser weiß, ‚wie der Hase läuft.’ Wenn je-mand in eine Sache ‚verstrickt ist’, geht es ihm wie dem Hasen, der von den Hun-den in die Falle getrieben wurde: Er hat sich in Hun-den Seilen des Netzes ‚verwickelt’

und kann sich ohne Hilfe nicht mehr befreien.