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Das gegenwärtig vor allem im Kontext von (politischen) Machtkämpfen beheimate-te Bild vom listigen Strippenzieher335lässt sich ebenfalls auf die Jagd, auf den mit zahlreichen Fallentypen betriebenen, traditionellen Vogelfang zurückführen und lenkt den Blick auf die Bedeutung der Falle im Spannungsfeld der Moral.336 Ver-steckt in getarnten Hütten hält der Vogelfänger die Fäden – oder auch nur eine Schlinge wie ein Kupferstich aus dem frühen fünfzehnten Jahrhundert zeigt337– in der Hand, um im rechten Moment daran zu ziehen und so sein Opfer zu fangen.

Daher gilt es auch noch heute als Zeugnis von großer Macht, wenn die Fäden in der Hand eines Einzelnen zusammenlaufen. Vom Vogelfang mit klebriger

Sub-334Man half den Jagdhunden auf die Sprünge, das heißt man verwies sie auf die Hinterläufe der Hasen und deren Spuren, um die Jagd zu beginnen. Strunk 2002, S. 62.

335Strippe bedeutet Schlinge, Riemen, Strick oder auch Bindfaden. Pfeifer 1989, S. 1381. Der Strippenzieher ist der meist in einem Versteck befindliche Vogelfänger, die durch Strippen verlän-gerten Auslöser der Schlagnetze enden in seinen Händen (siehe Abb. 110).

336Die Bedeutung und Funktion der Strippen wird an der ‚Vogelfangstation’ genannten Arbeit von Andreas Slominski (siehe Abb. 111) besonders deutlich, dessen Werk aufgrund der großen Anzahl an Fallen in einem ausführlichen Kapitel besprochen wird. Siehe Kap. 7.3f. Eine historische Vor-lage für die zeitgenössische Kunstinstallation, die sich zum Vergleich anbietet, findet sich in Flem-mings Jagdbuch (siehe Abb. 112) aus dem achtzehnten Jahrhundert.

337Siehe Abb. 54. Die Art des Vogelfangs scheint hier vor allem auf der Zutraulichkeit bzw. Neugier der Vögel zu basieren. Ähnlich dem Treiben von Vögeln in reusenartige Hamen (siehe Abb. 113) musste der Jäger nur vermeiden, dass die Tiere ihn als Mensch erkennen, um sie in die Schlinge oder Fanganlage treiben zu können.

stanz als ‚Klebefalle’ leiten sich auch die Redewendungen ‚Pech haben’ und ‚auf den Leim führen’ und der auch der berühmte ‚Pechvogel’ ab.338

Die literarischen Spuren der Metapher des hinterlistigen Vogelstellers reichen weit zurück, auch Aesop339nutzte die Figur für seine moralischen Fabeln.340Diese wa-ren von der griechischen Antike bis in die Neuzeit hinein sehr populär, wie die Auf-nahme Aesops in die Schedelsche Weltchronik341von 1493 belegt.342Die enorme Bedeutung dieser Fabeln ist jedoch bis weit ins neunzehnte Jahrhundert nach-weisbar und liefert für diese Untersuchung eine Fülle von meist emblemhaften Darstellungen, die die enge Verbindung zwischen dem Motiv Falle und einer

338Strunk 2002, S. 62; Röhrich 1971, S. 316. Auch Mäuse wurden mit Pech gefangen, wie ein Text von Sebastian Franck von 1541 belegt: „Die maus hat das bech, der vogel dem leim versucht. Die maus weiß nit was bech, noch der vogel was leim ist, bis sies versuchen, etwa drob gefangen wer-den und schwerlich davon kommen.“ Röhrich 1971, S. 317. Klebefallen wurwer-den noch im zwanzig-sten Jahrhundert verwendet (siehe Abb. 114 und zum Vergleich Abb. 70) und in der Kunst für das Berliner Flux-Labyrinth konzipiert (siehe Kap. 6.3).

339Aesop lebte um ca. 600 v. Chr. Die ihm zugeschriebenen Fabeln gehen jedoch auf mündliche Überlieferungen zurück, sie sind also noch älter. Emma Brunner-Traut führt zahlreiche Fabeln auf altägyptische Mythen zurück. (Brunner-Traut 1984, S. 57f.) Viele der Fabeln behandeln List, Trug und deren Folgen und gewannen im Laufe der Überlieferung einen sinnbildlichen Charakter, wie auch im Abbildungsverzeichnis dieser Arbeit erkennbar wird. Stellvertretend soll an dieser Stelle eine für das Thema der Untersuchung besonders geeignete Fabel erzählt werden. Die Fabel von Vogelsteller und Schlange erinnert an das Sprichwort ‚wer anderen eine Grube gräbt’ und lautet wie folgt: Der Vogelsteller nimmt Leim und Rohre (um mit der sogenannten Leimstange zu jagen, siehe Abb. 115) und geht hinaus auf Fang. Als er auf einem Baume eine Drossel sitzen sieht, steckt er die Rohre zusammen und schaut in der Absicht, den Vogel zu fangen, nur in die Höhe.

Dadurch tritt er unbedacht auf eine zu seinen Füßen liegende Schlange. Sie beisst ihn und der Vo-gelsteller spricht im Sterben begriffen: „O ich Elender, während ich einen andern fangen wollte, bin ich selber von einem andern in den Tod gejagt worden.“ Zitiert nach www.gutenberg.spiegel.de (1.3.06)

340Eine recht ungewöhnliche Vogelfangszene mit Klobe, die nach Lindner (Lindner 1940, Tafel 76a) auf Aesop bezogen ist, stammt aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert (siehe Abb. 50). Die Vermutung liegt nahe, dass Aesop selbst als Mahner in die Szene integriert wurde.

341Die Schedelsche Weltchronik von 1493 (Nürnberger Chronik) ist ein bedeutendes Zeugnis deut-scher Buchdruckkunst aus der Zeit des Spätmittelalters.

342Siehe Abb. 116.

moralischen Botschaft bildhaft belegen.343Stellvertretend für die vielen Vogelfän-ger-Motive in der Bibel kann an dieser Stelle ein Zitat des Propheten Jeremias stehen, der das Volk vor den Gottlosen warnt, „die den Leuten nachstellen und Fallen zurichten, um sie zu fangen, wie's die Vogelfänger tun.“ „Ihre Häuser sind voller Tücke, wie ein Vogelbauer voller Lockvögel ist.“344

Die auffällige Präsenz des Vogelfängers als Symbol der listigen Verführung in mo-ralischen und religiösen Kontexten zeigt sich bereits in der Spätantike.345In seinen Metamorphosen mahnt Ovid moralisierend: „täuscht auch nicht mit leimiger Rute den Vogel“346und warnt vor den ‚listigen Künsten’. Das negative Urteil Platons über die Fallenjagd dagegen, „welche mit Netzen und Schlingen, nicht durch den Sieg einer des Mühsals frohen Seele“347die Tiere fängt, und über den Vogelfang als „eine Freien nicht besonders würdige Lust“348spiegelt das bis in die Neuzeit vorhandene, für die herrschaftliche Jagd und deren Interpretation nicht zu ver-nachlässigende Verständnis der ‚aktiven’ Jagd als Vorbereitung und Übung für den Krieg.

343Die Fülle der mittelalterlichen, neuzeitlichen und modernen emblemhaften Versionen der Aesop zugeschriebenen Fabeln kann nur am Rande belegt werden. Nur wenige für diese Untersuchung besonders geeignete Bilder werden beispielhaft an den entsprechenden Stellen erwähnt. Vor dem Hintergrund von Moral und Erziehung bietet besonders Datenbank der Bibliothek für Bildungsge-schichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (Berlin) eine reiche Fundgrube.

344Jer 5, 26.

345Etymologische Wurzeln deuten daraufhin, dass der mit Leim betriebene Vogelfang von den Griechen übernommen wurde. Für diese spielte der Leim eine so große Rolle, dass er für den Vo-gelfang an sich stand: „VoVo-gelfang war ‚Leimerei’, ein Vogelfänger ein ‚mit Leim Arbeitender.’“ Lind-ner 1973, S. 22.

346Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, XV, 474 (nec volucrem viscata fallite virga). In der Übersetzung von Voß zeigt sich, dass es sich um eine generelle Ablehnung der Fallenjagd und An-wendung von List handelt: „Sprenkeln und Garne zum Fang und Schlingen und listige Künste nehmt weg; täuscht auch nicht mit leimiger Rute den Vogel.“ Voß 1798, Band II, S. 152. An ande-rer Stelle spricht Ovid jedoch davon, dass es ein geruhsames Vergnügen sei, mit Netz oder Leim-stange („aut lino aut calamis“) kleinem Wild nachzustellen. Publius Ovidius Naso, Remedorium amoris 208.

347Platon leg.824A (laut Verzeichnis im Neuen Pauly, Band 1).

348Platon leg.823D (laut Verzeichnis im Neuen Pauly, Band 1).

Zahlreiche Mosaike, Gemmen, Sarkophage und Tongefäße belegen die Beliebt-heit und Symbolträchtigkeit des Vogelfangs. Die motivische Konzentration auf den Vogelfang mit der Leimstange349, die sich als beliebte Methode zum Sinnbild des römischen Vogelfangs vom ersten bis fünften Jahrhundert entwickelte, ist jedoch weniger der Effizienz als ihrer hohen sozialen Stellung geschuldet.350In diesem Sinne erklärt Kurt Lindner in seiner Untersuchung über Vogelfang und Falknerei im Altertum351auch die Häufigkeit des Leimstangen-Motivs: „Die Sozialordnung bestimmte die Grenzen der Überlieferung eines Tatbestandes, nicht dessen mate-rielle oder gar kulturgeschichtliche Bedeutung.“352

So wie die Wurfholzjagd im alten Ägypten war der Vogelfang mit der Leimrute ein Zeichen besonderer Muße353, ein luxuriöser Sport354, dem aufgrund seiner

Ineffizi-349Der Vogelfang mit der Leimstange basierte auf mobilen, durch das Aufeinanderstecken einzel-ner Elemente verlängerbaren Bambusstangen, an deren dem Vogel zugewandten Ende eine Leim-spindel lose befestigt war. Der Vogelfänger pirschte sich leise an die Vögel heran und steckte die meist in einem Köcher auf dem Rücken getragenen Bambusstangen vorsichtig der Entfernung zum Opfer entsprechend zusammen, um es mit der dünnen Spitze und der Leimspindel zu berühren.

Die klebrige Leimspindel an den Federn verhinderte die Flucht und zog die Vögel zu Boden, wo sie dann eingesammelt werden konnten. Für diese Art des Vogelfangs war sehr viel Geschick und Erfahrung notwendig. Nur der teilweise verwendete ‚Schreckvogel’ – das ‚Gegenteil’ eines Lockvo-gels – konnte dem Vogelfänger die Arbeit erleichtern. Durch die Gegenwart eines GreifvoLockvo-gels fie-len die Vögel in eine Art Starre, um nicht die Aufmerksamkeit ihres natürlichen Feindes zu erregen.

In diesem Zustand konnten sie verhältnismäßig leicht von den Leimrutenfängern aus dem Baum

‚gepflückt’ werden (siehe Abb. 115).

350Das Phänomen wurde bereits einleitend am Motiv der für die Repräsentation besonders geeig-neten Hirschjagd angesprochen. Archäologische Funde und schriftliche Quellen belegen die hohe Bedeutung, die der Vogelfang als Beitrag zur Ernährung im Altertum leistete. „Ganz andere Metho-den des Vogelfangs lieferten die große Ausbeute, an der man sich delektierte. Und andere Men-schen waren es auch, die sie berufsmäßig betrieben. Aber diese Schichten darzustellen, entsprach nicht den Intentionen der Schriftsteller und Künstler, deren Zeugnisse heute die Überlieferung be-stimmen. [...] Hätte allein das urbane Motiv den Künstler gereizt, so würden ebenso viele Eroten den Vogelherd bedienen wie sie mit der Leimstange handwerken.“ Lindner 1973, S. 16.

351Siehe Lindner 1973.

352Lindner 1973, S. 15.

353„Among the fashionable sports of ancient Egypt, none was more popular than fowling. From the Old Kingdom onwards the rich man beloved to have his tomb decorated with ‘photographs’ of him-self hunting in the marshes.” Scott 1940, S. 163.

enz vor allem die gehobenen Schichten nachgehen konnten, wie ein Mosaik aus dem vierten Jahrhundert zeigt.355 In dieser Zeit entwickelte sich das Motiv zum Symbol des Vogelfangs. Neben einer Fischreuse356für den Fischfang und einem Hasen für die Jagd auf Landtiere finden wir die Leimstange und die dazugehörigen Hilfsmittel auf dem Oktoberbild357des Kalendariums von 354, das zum „Sinnbild der herbstlichen Kalendermonate“358und der Jagd auf Land-, Wasser- und Luft-tiere wurde.

Dass es sich beim Leimstangenmotiv jedoch um eine symbolische Darstellung handelt, welche einerseits die hohe Kunst dieser Art Vogelfangs und zugleich

all-354Die Exklusivität ist paradoxerweise vor allem der geringen Effizienz der Methode geschuldet, die den sportlichen Ehrgeiz förderte. Tatsächlich hatte der Vogelfang im Altertum für die Ernährung breiter Bevölkerungsschichten eine große Bedeutung. Die dafür notwendige Masse an Vögeln kon-nte jedoch nicht mit solchen Techniken gefangen werden, sondern nur mit großflächigen Vogel-herdanlagen und Netzen, die von professionellen Vogelfängern verwendet wurden.

355Siehe Abb. 117. Das Mosaik stammt aus dem ‚Haus der Pferde’ in Kathargo, das 1960 entdeckt wurde. Das Haus erhielt seinen Namen aufgrund der ursprünglich 86 symmetrisch angeordneten Bilder von Rennpferden, von denen zwei den Vogelfang mit der Leimstange zeigen. Diese unge-wöhnliche Verbindung – keine Quelle berichtet von der Verwendung eines Pferdes für diese Art des Vogelfangs – wird Lindner zufolge verständlicher, „wenn man sieht, dass jedem dieser oft na-mentlich vorgestellten Rennpferde eine Figur oder eine Gruppe von Symbolen beigegeben wurde, die vorzugsweise der Götterwelt, der Legende, der Mythologie oder den menschlichen Tätigkeiten entstammen.“ Lindner 1973, S. 40. Im Gegensatz zu dem zweiten Mosaik fehlt auf dem hier im Anhang abgebildeten der Vogelfänger selbst. Das Pferd ist aufgrund seiner Statur, des Zaum-zeugs, des grünen Palmzweigs und des durch Buchstaben auf seinem Leib angedeuteten Namen als erfolgreiches Rennpferd gekennzeichnet. Aufgehängt an einem Baum hinter dem Tier finden sich die typischen Hilfsmittel der Leimstangenvogeljagd: Das Bündel der zusammensetzbaren Rohrstäbe und der ‚sedile’ genannte, käfigartige Kasten für den Greifvogel. Die Tatsache, dass die Person fehlt unterstützt die These von der Symbolhaftigkeit des Leimstangenvogelfangs.

356Die Reuse (siehe Kap. 2.3) ist ein „tonnen- oder kegelförmiges Fischfanggerät; sie besteht aus Weiden-, Netz-, oder Drahtgeflecht mit trichterförmigem Eingang, durch den eingeschlüpfte Fische nicht wieder hinausgelangen.“ Meyers großes Taschenlexikon, Mannheim 1992, Band 18, S. 211.

357Das Kalendarium von 354 gehört zu den wichtigsten Dokumenten der antiken Buchillustration.

Es wurde in karolingischer Zeit kopiert und konnte so zur Vorlage für ein große Anzahl von Ab-schriften (Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Cod. 3416, fol. 11r und Bibliotheca Vaticana, Rom, Barberino latino 2154, fol. 21r) im siebzehnten Jahrhundert werden. Neben dem Original gilt jedoch auch die karolingische Kopie seit 1637 als verschollen.

358Lindner 1973, S. 58.

gemeiner formuliert die (Hinter-)List des Menschen verdeutlicht, zeigen bereits Tonlampen aus dem ersten Jahrhundert.359 Während römische Gemmen in der Regel eine Erosfigur beim Vogelfang mit der Leimstange zeigen,360 ein Motiv, dass sich wohl auf eine von Bion361überlieferte Geschichte zurückführen lässt, fin-det man auf Tonlampen aus dem ersten Jahrhundert das gleiche Motiv mit einem verkleideten Fuchs.362

Der auf seinen Hinterläufen wie ein Mensch stehende Fuchs führt mit seiner rech-ten ‚Hand’ eine Leimstange in Richtung des auf einem Baum sitzenden Vogels zu, während er mit seiner linken die restlichen Stangen hält. Sein Kopf ist nach oben auf den Vogel gerichtet, seine Körperhaltung und die Tatsache, dass die Stange nur noch wenige Zentimeter vom Vogel entfernt ist, verleihen der Figur einen Aus-druck von äußerster Konzentration und Spannung. Der Aspekt der Hinterlist wird auch durch die Positionierung des Vogels noch verstärkt: Er wendet dem Fänger den Schwanz zu, so dass der Fuchs ihm sprichwörtlich ‚in den Rücken’ fällt. Die symbolische Bedeutung des Motivs wird in diesem Falle durch den für seine List bekannten Fuchs gesteigert, was durch die angedeutete Verkleidung des Tieres versinnbildlicht wird.363

359Der Vogel gehörte bei den Hebräern zu den beliebtesten Tieren. Diese positive Bedeutung spie-gelt sich in den biblischen Gleichnissen, wo er als Symbol für „Hilflosigkeit und Unsicherheit“ ver-wendet wird. Dietz 1971, S. 69. In diesem Sinne findet sich der Vogel als Symbol des gefährdeten Menschen (oder seiner Seele) auch in der bereits erwähnten Winterlandschaft Bruegels des Älte-ren (siehe Abb. 118 und Kap. 2.9).

360Siehe Abb. 119.

361Bion (von Smyrna) ist ein späthellenistischer Dichter, der um das Jahr 100 v. Chr. lebte. Die von ihm überlieferte Geschichte schildert den vergeblichen Versuch eines Knabens, mit der Leimstan-ge ein kleinen, in einem Baum sitzenden Eros zu fanLeimstan-gen. Verzweifelt zeigt er dem alten Bauern, der ihm die Technik des Vogelfangs beibrachte, den unfassbaren Eros. Der Alte lacht und rät dem Knaben davon ab, diese Art von Vogel fangen zu wollen. Er solle lieber das Leben genießen und froh sein, ihn nicht gefangen zu haben. Denn sobald der Knabe ein Mann geworden sei, komme der Eros von allein zu ihm zurück und setze sich auf sein Haupt. Lindner 1973, S. 22

362Siehe Abb. 120.

363Die Gegenüberstellung von Fuchs (Teufel) und Vogel (Seele) im Kontext der Fallen- bzw. Fang-jagd legt auch die Vermutung nahe, dass es sich bei diesem Motiv um eine symbolische Darstel-lung des teuflischen Seelenfangs im Sinne des Christentums handelt. Doch die Datierung der Ton-lampen auf das erste Jahrhundert widerspricht einer christlichen Interpretation und unterstützt zu-gleich die oben angeführte.

In diesem Sinne vermutet auch Lindner, dass „vom Leimrutenfang gesprochen [wurde], wenn das Überlisten eines schwachen und gutgläubigen Gegners unter Anwendung nicht besonders fairer Mittel ausgedrückt werden sollte.“364Für diese These spricht neben der biblischen Tradition365auch eine Leidener Buchillustra-tion366zu Aesops Fabel vom Habicht und der Nachtigall aus dem elften Jahrhun-dert. Sie unterstützt die These besonders, da es sich, wie Lindner betont, um eine Zeit handelt, in der „jede Erinnerung an eine seit Jahrhunderten in ganz Europa er-loschene [...] Vogelfangmethode verlorengegangen“367war.

Die Fabel vom Raubvogel, der bei seiner Jagd auf die Nachtigall selbst zur Beute des listigen Vogelfängers wird, warnt den Fallensteller im Sinne des Predigers Sa-lomos368davor, nicht selbst das Opfer einer Falle zu werden. Der Fuchs der Ton-lampen des ersten Jahrhunderts brandmarkt wie die Leidener Illustration zu Ae-sops Fabel das hinterlistige Verhalten des Vogelfängers. Die außerordentliche Symbolkraft und Beliebtheit des Motivs zeigt sich daran, dass beide Kunstwerke – obwohl nahezu eintausend Jahre zwischen ihnen liegen – für ihre moralische Bot-schaft das Motiv des Vogelfangs mit der Leimstange verwenden.

Die Hinterlist des Fuchses wird auch im Physiologus369beschrieben, dessen Ein-fluss über lateinische, mittelalterliche Texte370bis hin zu Goethes 1794

erschiene-364Lindner 1973, S. 68.

365Vogelgleichnisse (in der Regel Metaphern für Hilflosigkeit und Unsicherheit) finden sich etwa in Ps. 102,8; 124,7; Spr. 7,23; 27,8; Jes. 16,2; I Tim 3,7; II Tim 2,26. Siehe auch Dietz 1971, S. 69.

366Siehe Abb. 121 und 122.

367Lindner 1973, S. 76. Arabische Dichtung deutet darauf hin, dass Vogelfang mit der Leimstange in diesem Kulturkreis bis ins dreizehnte Jahrhundert ausgeübt wurde. Lindner 1973, S. 102.

368Von Salomo stammt das Sprichwort ‚Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst [...].’ Spr. 26, 27.

369Eine griechische Handschrift mit mythologisch-zoologischen Abhandlungen über Tiere. Die Ur-fassung entstand vermutlich im zweiten Jahrhundert in Alexandria. Im vierten Jahrhundert erschien eine lateinische Übersetzung unter dem Titel ‚Bestiarium’, die Aussehen und Eigenschaften von Fabel- und tatsächlich existierenden Tieren in einen Zusammenhang mit der christlichen Heilslehre stellt. Über den Fuchs heisst es darin, dass wenn er keine Beute finden kann, „wirft er sich auf den Rücken und hält den Atem an und röchelt. Dann glauben die Vögel, dass er tot ist, und setzen sich von oben her auf ihn, um ihn zu fressen. So springt er auf und packt sie und verzehrt sie. Deutung:

So ist auch der Teufel ganz hinterlistig und sein Handeln auch. Wer Anteil haben will an seinem Fleisch, muss sterben. Das aber ist sein Fleisch: Hurerei, Geiz, Lust, Mord.“ Treu 1981, S. 33f.

nen „Reineke Fuchs“ reicht.371An diesem Tier lässt sich die bereits am Leimstan-genmotiv aufgezeigte, Jahrtausende überdauernde Symbolkraft eines moralisch bedeutsamen Motivs feststellen. Noch heute warnt der Volksmund respektvoll vor dem ‚schlauen Fuchs’, auch wenn dessen „Nähe zum Teufel, in die die christli-chen Jahrhunderte den Fuchs gerückt haben,“372in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Peter von Matt erkennt in Goethes Reineke Fuchs ein Zeichen für die fort-währende Anwesenheit einer in der modernen Kulturgeschichte ‚Trickster’373 ge-nannten Figur und spricht im Sinne Schillers von einer „tief eingelagerte[n] Faszi-nation von der intellektuellen Brillanz“374der Täuschung. Sie „geht über rationale Begründungen hinaus. Das zeigt sich an der Tendenz, die urbildlich intrigante Ex-istenz zu mythisieren.“375

Hier wird ein ‚konstantes Motiv’, eine anthropologische Konstante im mythischen Denken des Menschen deutlich. Die historische Verbindung von Teufel und Fuchs

370Ein emblemhaftes Beispiel für den hinterlistigen Fuchs aus dem späten fünfzehnten Jahrhun-dert (Lyon, Champion des Dames, um 1490) zeigt das Tier neben einem rechteckigen, nicht eindeutig identifizierbaren Gegenstand (siehe Abb. 123). Die ‚Subscriptio’ lautet in wörtlicher Über-setzung wie folgt: Ich bin subtil (verschlagen), voller Bosheit, für alle Tiere täuschen (wohl: um alle Tiere zu täuschen) und endet mit der Aussage: Nicht jeder kann alles wissen. Ein Vergleich mit ei-nem Kupferstich aus dem neunzehnten Jahrhundert (siehe Abb. 124) und dessen Bildunterschrift (Nicht mehr zähmend sein Verlangen, Springt er zu und ist gefangen, Steckt, der Schlaukopf, in der Falle, Füchslein, glaubt's: man fängt euch alle) legt die Vermutung nahe, dass auch der Fuchs des fünfzehnten Jahrhunderts sich einer Falle (der rechteckige Gegenstand) nähert. In diesem Sinne wäre dann auch die letzte Zeile (Nicht jeder kann alles wissen) als moralisierende Warnung an den Leser zu verstehen: Auch der alle täuschende Fuchs kann nicht alles wissen und endet einmal (selbst) in der Falle. Die Falle erinnert an jene rechteckigen, die Lindner als Tretfallen interpretiert (siehe Abb. 63 und Abb. 64 sowie Kap. 2.3).

371Matt betont die auffälligen Parallelen zwischen dem lateinischen Text und Goethes Version der

371Matt betont die auffälligen Parallelen zwischen dem lateinischen Text und Goethes Version der