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2.9 Die Falle als mahnendes Sinnbild der christlichen Moral

2.9.1 Die Fabel und die Re-Säkularisierung des Fallenmotivs

Die Falle oder List kann vor diesem Hintergrund, wie Peter von Matt schreibt, als ein „Moralindikator“551in der Kunst angesehen werden. In dieser Tradition wird das Motiv moralisch belehrend besonders im Zuge der Epoche der Aufklärung ein-gesetzt, wie sich an einer Vielzahl von Werken wie der bereits erwähnten Bilder-bibel und den zahlreichen, meist ‚Aesopica’ genannten Fabelsammlungen aufzei-gen lässt. Auch das beliebte, anhand der niederländischen Genremaler erläuterte Thema der Falle als Sinnbild für die Gefangenschaft in der Liebe und die Gefahren der Unkeuschheit lebt fort. In der Regel wählt man dafür jedoch subtilere, weniger eindeutige Formen als es zuvor de Snaphaen und seine Zeitgenossen taten. Bei-spielhaft für diese Entwicklung kann auf das ‚Totes Rebhuhn, Birne und Schlinge auf einem Steintisch’552genannte Stillleben von Jean-Baptiste Siméon de Chardin aus dem Jahre 1748 verwiesen werden.

549Dittrich nennt vier Kategorien von Bedeutungsdimension der Maus bzw. Mausefalle in der Kunst des siebzehnten Jahrhunderts: Sie kann Symbol des Teufels und Häresie, der Sündhaftigkeit bzw.

des Sünders, der Zerstörung bzw. des Todes und zuletzt auch wie oben erwähnt ein Symbol der Luxuria sein. Dittrich 2004, S. 298f.

550Deren Ausbildung zeigte sich bereits im ‚Narrenschiff’ von Brandt (siehe Fußnote 407).

551Matt 2006, S. 465. „Der literarische Intrigenbau mit dem Schauspiel seiner Auflösung ist verkör-perte Moralphilosophie.“ Versteht man den Vogelkäfig als Falle trifft Matts These auch auf erwähn-te Bild Pieerwähn-ter de Hoochs zu, erst die Anwesenheit des Vogelkäfigs macht die Szene und ihre mora-lisierende Botschaft eindeutig.

552Siehe Abb. 163.

Das Werk wurde bereits von Denis Diderot553aufgrund seiner durch die starken Hell-Dunkel-Kontraste, dem expressiven Pinselstrich und Farbauftrag geschaffe-nen Plastizität besonders gelobt und kann vordergründig als Küchenstück oder Jagdstillleben gelesen werden. Vor dem Hintergrund der hier erörterten Vogel-fang-Symbolik verleiht die unter dem Kopf des Vogels liegende, über den Tisch hinaus dem Betrachter entgegen reichende Schlinge der Szene jedoch einen subtil mahnenden, moralischen Charakter. Für diese Interpretation spricht bereits die ungewöhnliche Anwesenheit und besonders die Inszenierung der Schlinge: In der Regel nimmt der Fallensteller die Schlinge nicht samt dem Opfer mit in sein Heim, sondern belässt sie wieder fängisch gestellt an dem ursprünglichen Ort, da dieser sich durch den Fang als geeignet erwiesen hat. Besonders die kleine, unterhalb der Tischkante befindliche, galgenförmige Schlinge unterstützt die These. Durch ihre zentrale Positionierung und Ausrichtung dem Betrachter entgegen, erscheint sie wie für ihn gemacht, während die unter dem Kopf des Vogels gebildete Schlaufe an dessen Schicksal erinnert. Daher scheint es sich um eine symbolische, moralisch belehrende ‚Gegenüberstellung’ von Mensch und Vogel zu handeln, wie sie bereits anhand von Bruegels vermeintlich idyllischer

‚Winterlandschaft’ aufgezeigt wurde. Folgt man dieser Argumentation, kann das ungewöhnlich intensive Rot der Birne, das mit dem Brustgefieder des Rebhuhns korrespondiert, als ein Hinweis auf die Liebe verstanden werden und das ver-meintliche Küchenstück entpuppt sich als eine subtile, aber traditionelle Allegorie für die Gefahren der Liebe. Auch die von die von Diderot gelobte, theatralische Ausleuchtung der Szene fügt sich in diese Interpretation. In diesem Sinne kann Chardins Stillleben weniger luxuriaspezifisch wie die ‚Winterlandschaft’ Bruegels als ein Mahnbild für die Fallstricke des Lebens gelesen werden. Die postulierte Re-Säkularisierung des Fallenmotivs lässt sich anhand dieses Vergleichs in dem Sinne konstatieren, dass Chardin im Gegensatz zu Bruegel keinen Hinweis auf den Teufel als Indiz einer christlich geprägten Moral liefert.

553Der Schriftsteller und Philosoph lobte das Werk Chardins auf dem Pariser Salon (1763) mit den folgenden, an die Rezeption des späteren Impressionismus erinnernden Worten: „Treten Sie nä-her: alles verschwimmt, verflacht und verschwindet. Entfernen Sie sich: alles erschafft und erzeugt sich wieder neu." www.staedelmuseum.de/index.php?id=109 (1.5.08)

Die für die notwendige pädagogische ‚Massenerziehung’ in den sich entwickeln-den Industriegesellschaften gut geeignete (Tier-)Fabel ergänzt im Sinne des Sä-kularisierungsprozesses die zuvor christlich dominierte, moralische Erziehung und tritt zunehmend an ihre Stelle. Dieser Prozess zeigt sich, wie anhand des Stilllebens von Chardin erläutert wurde, in der Bildsprache in der Weise, dass die ehemals eindeutig teuflischen Charaktereigenschaften der Fallensteller in den Hin-tergrund treten. Exemplarisch dafür kann der ‚Aucupium’554genannte Kupferstich aus Johann Georg Lederers Buch ‚Der Kleine Lateiner’555von 1796 dienen, der den traditionellen Vogelfang ohne moralisch wertende Konnotationen zeigt und er-klärt. Das Motiv erinnert an Emblemata, die den Vogelfang als Allegorie der teufli-schen Hinterlist verwenden, wie ein Vergleich mit einem bereits erwähnten, aus dem ‚Sacra Emblemata’ genannten Buch Johann Mannichs von 1625 deutlich vor Augen führt.556 Der Stich aus dem ‚kleinen Lateiner’ wäre nur ein Jahrhundert früher von vielen wohl als ein klassisches Sinnbild des teuflischen Seelenfangs in-terpretiert worden.557

Dank Enzyklopädien558und Fachliteratur559steigt auf der anderen Seite auch die Anzahl ‚profaner’ Darstellungen der Fallenstellerei, die zugleich als ein Indikator für die zunehmend industriell betriebene Jagd gelesen werden können. Diese Ra-tionalisierung der Jagd spiegelt sich in der im neunzehnten Jahrhundert beliebten Figur des Pelztierjägers, dessen englische Bezeichnung Trapper, bereits die Be-deutung der Falle für sein Metier anzeigt.560Mit industriell gefertigten Fallen stillten

554Siehe Abb. 164.

555Der gesamte Titel des Werks offenbart die bereits beschriebene pädagogische Intention: ‚Der Kleine Lateiner oder gemeinnützige Kenntnisse aus der Natur und Kunst in der Gestalt eines neu-en lateinischneu-en Lesebuchs für Kinder zur Bildung des Verstandes und Herzneu-ens durch das Gedächt-nis’, Leipzig 1796. Zitiert nach Pictura Paedagogica Online.

556Siehe Abb. 126.

557Natürlich darf die Bedeutung der Subscriptio für die Interpretation eines Emblemes nicht außer acht gelassen werden, angesichts der hier aufgezeigten, jahrtausende alten Tradition der Allegorie vom teuflischen Vogelfang scheint das Beispiel jedoch besonders geeignet.

558Siehe Abb. 165.

559Siehe Abb. 70. Auch der bereits erwähnte, reichlich bebilderte ‚Vollkommene Teutsche Jäger’

von Flemming aus dem Jahre 1724/49 kann an dieser Stelle erwähnt werden.

560Siehe Abb. 166.

sie den Hunger der aufstrebenden Eliten nach dem ehemals äußerst exklusiven Rohstoff.561

Ein kolorierter Kupferstich aus Friedrich Wilhelm Hempels ‚Neues ABC- Lese- und Bilderbuch für deutsche Knaben und Mädchen’562von 1816, das, wie Hempel be-tont, auch als eine „Anweisung vorzüglich für Aeltern, welche ihren Kindern auf ei-ne leichte und faßliche Art den ersten Unterricht selbst ertheilen wollen“563 konzi-piert wurde, spiegelt diesen Wandel besonders deutlich. Der Stich zeigt einen von seinem Jagdhund begleiteten Jäger. Er hat sein Gewehr abgelegt und kniet auf dem Boden, um mit all seiner Kraft ein Tellereisen zu ‚entspannen’, in dem sich ein Iltis verfangen hat. Ähnlich den hier vorgestellten neuzeitlichen Emblemata wird die Szene durch eine reimartige Subscriptio erläutert: „Den Iltis fing des Jä-gers List hier ein, sey listig, doch vergiß niemals gerecht zu seyn.“564Die beson-dere Bedeutung für den konstatierten Wandel der moralischen Bewertung von Fal-le und List zeigt sich durch den Imperativ im Reim, die Aufforderung an den ju-gendlichen Leser, listig zu sein. Von der pejorativen, christlich geprägten Beurtei-lung der List ist keine Rede mehr, nur die mahnende Botschaft am Ende erinnert noch an die Schattenseite der List und stellt ihr die Idee der Gerechtigkeit als Kor-rektiv zu Seite. Nicht die List an sich, sondern das Ziel, das man mit ihr anstrebt, steht hier im Zentrum des moralischen Urteils.