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Die zuvor kurz skizzierte Genese des Begriffes Skandal zeigt auf, wie das Prinzip des Fallenstellens schon früh von der Tierfalle auf den Menschen selbst übertra-gen wurde. Wenn ein Mensch einem anderen eine Falle stellt, handelt es sich da-bei jedoch nur selten um ein leibhaftiges Fangen oder gar Töten des anderen.467

461Schapiro 1959, S. 327 und Schapiro 1945, S. 185.

462Schapiro bezieht sich in seiner Analyse der Joseph-Figur auf die Geistlichen Peter D’Ailly und John Gerson, die sich für den ‚Joseph-Kult’ einsetzten und beide in Flandern tätig waren. Schapiro 1945, S. 184f.

463National Gallery of Art, Washington D.C.

464Berenson 1956, S. 55f.

465Colalucci 1990. Es handelt sich um einen Balken, dessen auf dem Gemälde sichtbares Ende für eine rechtwinklige Verbindung mit einem anderen in der damals üblichen Weise präpariert wurde.

466Nickel 1966.

467Natürlich kann der Mensch abhängig von Kultur und Epoche auch im leiblichen Sinne das Opfer von Fallen sein, etwa in den älteren ägyptischen Pyramiden, wo Fallen und labyrinthartige Gänge Grabräuber abhalten sollten. Auch das aus dem Mittelalter stammende Märchen ,Der Maurerlehr-ling’ (Teil der Märchensammlung ,Kinder- und Volksmärchen’ von Heinrich Pröhle, Leipzig, 1853)

Die noch heute geläufige Redewendung ‚jemandem eine Falle stellen’ bedeutet, einem Menschen „auf hinterlistige Weise nachstellen, ihn ins Verderben zu locken suchen.“468 Dementsprechend ist die Falle heute außerhalb des Jagdkontextes zumeist ein Synonym für die Intrige; eine egoistische Manipulationsstrategie eines Menschen oder wie Pfeiffer es formuliert, eine „hinterhältige, heimliche Machen-schaft, Ränke.“469

Der Begriff Intrige leitet sich vom französischen Verb ‚intriguer’ ab und bedeutet

‚Ränke schmieden’ und verwirren. Ränke sind „hinterlistige Anschläge, Listen und Machenschaften“, die sich vom Wort Rank ableiten, eine „plötzliche, unvermutete Wendung, [...] List und heimtückische Handlung.“470Der etymologische Ursprung ist die Ranke, ein fadenförmiger, sich um Gegenstände windender Pflanzenteil,471 der die Assoziation einer ‚unvermuteten Wendung’472evoziert. Auch Tätigkeiten wie Fesseln und Festhalten473– also typische Fallenfunktionen – werden mit der Ranke verbunden. Bis weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein wurde der Begriff

berichtet von Fallen für Menschen. Ein Maurer baut mit seinem Lehrling die Schatzkammer des Königs und lässt dabei einen Stein lose, damit er nachts heimlich Schätze rauben kann. Der König erfährt davon und lässt Fallen und Schlingen legen. Als der Maurer sich in einer Schlinge verfängt, befiehlt er dem Lehrling, ihm den Kopf abzuschneiden, um unerkannt zu bleiben.

468Röhrich 1991, S. 413.

469Pfeiffer 1989, S. 589.

470Pfeiffer 1989, S. 1080f.

471Bekannte Beispiele dafür sind Weinreben-, Efeu-, Erbsen-, Bohnen- und Clematisranken.

472In Sinne der unvermuteten Wende bezeichnet man in der Weidmannssprache die erfolgreiche Verfolgungsstrategie eines Jagdhundes, der einen Hasen schlägt, mit dem Wort Rank. Wenn der Hund den Hasen trotz seiner permanenten Wendemanöver gefangen hat, so hat er ihm ‚den Rank angelaufen.’ Strunk 2002, S. 62.

473Die Assoziation des Fesselns bringt wiederum eine interessante Parallele zum scandalon-Be-griff, welcher laut Büchner auch Fußeisen bedeutete. Büchner 1890, S. 29 Für diese Argumenta-tion spricht die Tatsache, dass antike Quellen neben Netzen als Fallentypen für Landtiere vor allem die sogenannte Fußangel erwähnen. Xenophon berichtet laut Lorenz auch von einem „hölzernen und eisernen Nägeln und einem nicht ganz siebzig Zentimeter langen Stock, den sich die betroffe-nen Hirsche auf der Flucht ständig gegen Gesicht und Körper schlugen.“ Lorenz 2000, S. 311. Xe-nophons Fußangeln erwähnt auch Dinzelbacher (Dinzelbacher 2000, S. 33 und Gasset 1957, S.

109). Es scheint sich um eine Art Tretfalle zu handeln, wie sie bereits in den Kapiteln 2.3 und 2.4 erwähnt wurde. Die dem Autor bekannte, älteste ‚bildliche Überlieferung’ dieses Typus stammt von einem altägyptischen Sarkophag (ca. 3500 Jahre v. Chr., siehe Abb. 62) aus Hierakonpolis, so dass eine Übernahme der Fallentechnik durch griechische oder römische Händler nahe liegt.

‚Maschine’ als ein Synonym für die Intrige verwendet.474Der ‚Machinator’ oder

‚Machinatrix’ ist dementsprechend ein Synonym für den hinterlistigen Ränke-schmied.475In diesem Zusammenhang werden Fallenmetaphern für ausweglose Situationen verwendet wie ‚in der Klemme sitzen’, ‚in die der Falle sitzen’, ‚in die Maschen geraten’ oder ‚auf den Leim gegangen.’476

Die Tätigkeit des Fallenstellens ist also über die rein technische Dimension des Fanggeräts und dessen Anwendung auf Tiere und Menschen hinaus auf moralisch ambivalentes, zwischenmenschliches Verhalten übertragen worden. Zwei Rede-wendungen verdeutlichen diese Ambivalenz: Jemanden ‚kirre machen’ bedeutet abgeleitet vom weidmännischen Verb ‚ankirren’477eine andere Person zu verwir-ren oder ihverwir-ren Widerstand gegenüber einer bestimmten, von ihr nicht gewollten Handlung zu mindern. Lässt sich eine so betroffene Person jedoch nicht von ihrer Meinung abbringen und hält gegenüber den Versuchungen stand, so lobt man den Widerstand und die Ausdauer mit den Worten ‚er lässt sich nicht kirre machen.’

Ebenso umschreibt die altniederländische Redewendung ‚dee let sick nich in de Fall krien’478– eine Bezeichnung für jemanden, der sich nicht überlisten lässt – eine positiv bewertete, aus dem Kontext des Fallenstellens abgeleitete Eigen-schaft, welche an die Lobreden über die listreichen Taten des Odysseus erin-nert.479Andererseits verdeutlicht die Verwendung des Begriffs ‚Falle’ durch den neuzeitlichen Satiriker Thomas Murner dessen negative Konnotation im Sinne der hier erwähnten christlichen Überlieferung. In seinem Buch ‚Schelmenzunft’480

wen-474Matt 2006, S. 475. Daniel Arasse dagegen betont die vielen positiven Konnotationen des Begrif-fes: „Am Ende des 18. Jahrhunderts genießt das Konzept der Maschine ein derartiges Ansehen, daß es zum Denkmuster mit vielerlei Bedeutungen wird.“ Arasse 1988, S. 101.

475Matt 2006, S. 88.

476Röhrich 1971, S. 321.

477„Durch Futter-Auslegen Wild anlocken und an eine bestimmte Stelle gewöhnen“, abgeleitet vom mhd. kirre (zahm oder mild). Harrach 1953, S. 7.

478Röhrich 1991, S. 413. Hochdeutsch etwa: Der lässt sich nicht in die Falle kriegen.

479Bei der Redewendung vom ‚durchtrieben sein’ handelt es sich ebenfalls um eine aus dem Fal-len- und Jagdkontext (der Treibjagd) abgeleitete Bezeichnung für eine Person, die sich nicht über-listen oder einfangen lässt ist: Sie bedeutet „schlau und erfahren sein und deshalb immer wieder davonkommen.“ Röhrich 1971, S. 318.

480Das Buch erschien 1512. Murner (1475 - 1537) war Franziskanerkonventuale, Schriftsteller, Ju-rist, Kontroverstheologe und Satiriker. Bautz, Band VI (Herzberg 1993), Sp. 366 - 369.

det der „auf sozialkaritatives Verhalten drängende und mit Sympathie für die ein-fachen Leute“481vortragende Reformer Murner den Ausdruck im Sinne der mo-ralisch verwerflichen Hinterlist auf Kaufleute an, „bei denen das beste Stück, das sie oben auflegen, der Speck an der Falle sei.“482Der Käufer wird durch eine, die eigentliche Qualität der Ware verbergende oder beschönigende Präsentation ge-täuscht, so dass er den Kauf in der Annahme tätigt, es sei ein günstiges Ange-bot.483Hierbei handelt es sich um eine Handelsstrategie, die wohl allen Menschen – gleichgültig, durch welches Wirtschaftssystem die jeweilige Gesellschaft geprägt ist – bekannt ist.484In diesem Sinne definiert die freie online Enzyklopädie Wiki-pedia den Begriff Verführung, sie „bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch, eine Person so zu ‚manipulieren’, dass sie etwas tut, was sie eigentlich nicht wollte (z.

B. etwas kaufen).“485In Bezug auf den griechischen Gott der List (Hermes) be-merkt der Anthropologe Volker Sommer in diesem Kontext, dass es „vermutlich kein Zufall ist, dass in den Zuständigkeitsbereich des geflügelten Götterboten auch Handel und kaufmännischer Vertragsabschluß gehörten.“486

Ein Mittel dieser Fallenstrategie ist die auf optischer Täuschung basierende ‚Ver-blendung’,487die – im Gegensatz zur passiven Tarnung und der ihr zugrunde

lie-481Bautz, Band VI (Herzberg 1993), Sp. 366 - 369.

482Bautz, Band VI (Herzberg 1993), Sp. 366 - 369.

483Die umgangssprachliche Redewendung ‚ein Schnäppchen gemacht’ zu haben beschreibt den Effekt sehr bildhaft und zeigt die reflexartige Bewegung bzw. Reaktion, die für die mittels Verblen-dung arbeitenden Fallen wesentlich ist. Das Schnäppchen ist vom Verb schnappen abgeleitet, des-sen Ursprung das „mittelhochdeutsche snaben = schnappen, schnauben, ursprünglich laut- und bewegungsnachahmend für klappende Kiefer ist“ und übertragend „in rascher Bewegung zu fassen suchen“ und „schnell ergreifen, mit raschem Zugriff festhalten“ bedeutet. Duden 2003, S. 1179.

484 Ein zeitgenössisches Beispiel sind die sogenannten ‚Lockvogel-Werbemaßnahmen’ [sic] im Flugverkehr, die Verbraucherschutzbehörden und Gerichte beklagen. Wie bei Murnau sind die in Werbeaktionen genannten Preise nur der Speck, der Köder der Falle. Die wahren Kosten der Flug-reise verbergen sich im ‚Kleingedruckten’. Siehe dazu auch Die Zeit, 46/2004, S. 35f.

485www.wikipedia.de (1.3.07)

486Sommer 1992, S. 14. Diese Funktion als listiger Vermittler zwischen Gottheit und Mensch kenn-zeichnet auch die afrikanische und karibische Gottheit Elebga. Edwards 1985, S. 8f.

487Abgeleitet von ‚blenden, blind machen, blenden’, mittelhochdeutsch ‚blenden, verblenden, ver-dunkeln’, althochdeutsch ‚blenten’ (9. Jahrhundert). Köbler 1995, S. 61. In der Weidmannssprache hat ‚verblenden’ (auch ein Architekturterminus für das Verdecken minderwertiger Baumaterialien oder Konstruktionselemente) jedoch verschiedene Bedeutungen: 1. Anpassen von Hochsitz und

genden Mimese488– eine aktive „verführerisch auf das angepeilte Opfer ausge-richtete Täuschung darstellt.489Der verblendete Hinterhalt ist nämlich auf parado-xe Weise derart angelegt, dass er auch wirklich entdeckt werden muss, denn nur so kriegt der Fallensteller sein Opfer in die Klemme“490, betont der Kunsthistoriker Max Wechsler. Ein diese Strategie verdeutlichendes Beispiel findet sich in einem Text über den Waschbärenfang mit einer Kastenfalle: „Um und über die Kasten-falle wird ein großer Reisighaufen geschichtet, so dass die Falle weitgehend ver-borgen ist. Reisighaufen werden gerne vom Waschbären als Tagesunterschlupf gewählt und nach krankem, sich darin versteckendem Wild durchsucht.“491Die auf den ersten Blick ‚nur tarnenden’ Reisigbündel haben in Wirklichkeit also eine Kö-derfunktion.

Hier zeigt sich ein grundlegender Unterschied in der Verblendung von Tier- und

‚Menschenfalle.’ Die Tierfalle wird in der Regel im Sinne von Tarnung versteckt oder möglichst unscheinbar in die Umgebung integriert, um das Opfer nicht durch die sichtbare, unnatürliche Konstruktion der Falle zu irritieren. Der Begriff Verblen-dung meint aber, dass die Fallen an den für die Tiere üblichen Orten und mit den Vorlieben des Tieres entsprechenden Materialien verdeckt werden. Bei der ‚Men-schenfalle’ dagegen wird der Köder so verführerisch in den Vordergrund gestellt, dass der Mensch, von dessen Reiz betäubt, für die eigentliche Falle blind wird. Da er potentiell die intellektuelle Fähigkeit dazu hat, eine Falle zu erkennen, muss der Reiz des Köders so stark sein, dass die von ihm angesprochenen Triebstrukturen seine Sinne und Rationalität dominieren; er wird von ihm geblendet und tappt da-her in die ‚offensichtliche’ Falle.

Fallen an die Umgebung im Sinne der Tarnung, 2. Hinterlassen eines das Wild störenden Gegen-stands an einem Bau oder Wechsel und in diesem Sinne auch 3. das Bedecken erlegten Wildes mit auffälligen Stoffen, damit es von Raubtieren nicht angefressen wird. Gutt 1977, S. 101 und Seil-meier/Walz 1983, S. 609.

488„Die Nachahmung von belebten und unbelebten Gegenständen durch Tiere, welche die Tiere davor schützt, als Beute erkannt und gefressen zu werden, und im Unterschied zur Mimikry nicht abschreckend wirkt.“ Meyers großes Taschenlexikon, Mannheim 1992, Band. 14, S. 255.

489Dieser aktive Schritt, die auf das Opfer ausgerichtete Verblendung ist es, die Saussure dazu be-wegte, der asiatischen Gottesanbeterin den teuflischen Namen zu verleihen (siehe Kap. 2.6).

490Wechsler 1998, S. 37.

491Wischmann 1984, S. 90

Stellvertretend dafür sei hier wieder an den leichtsinnigen Epimetheus der griechi-schen Mythologie erinnert, der die eindringliche Warnung seines Bruders Prome-theus, keine Gaben von Zeus anzunehmen, nur kurze Zeit später angesichts der blendenden Schönheit der Pandora vergisst. Sie wurde von den Göttern auf Ge-heiß des Zeus mit allen Gaben so verführerisch ausgestattet und gestaltet, dass sie aus der weidmännischer Perspektive als Verblendung der göttlichen Falle, die von ihr geöffnete ‚Büchse’, erscheint. Das Motiv der zum Bösen verführenden Frau ist von Pandora über die biblische Eva, von der mittelalterlichen ‚Frau Welt’

bis zur ‚femme fatale-’ und ‚Lolitafigur’ des zwanzigsten Jahrhunderts in unserer Kultur präsent.492Stellvertretend für den Gefangenschafts- und Fallenaspekt der Liebe kann hier wieder auf einen Holzschnitt aus dem Narrenschiff493verwiesen werden. Die Opfer der mit engelhaften Flügeln geschmückten Venus im Narren-schiff sind ein Esel, ein Affe, ein Geistlicher und zwei Narren, die mit Stricken an ihren Händen oder Hälsen an die Frau gefesselt sind. Hinter ihrem Rücken jedoch versteckt sich und lauert bereits der Tod. Diese Darstellung der Täuschung im Sinne einer sexualisierten Verblendung findet sich häufig in der Bauplastik go-tischer Architektur,494die etwa der bereits erwähnten Figur ‚Frau Welt’ gewidmet ist.

Ein dem Thema verwandter und für diese Arbeit besonders geeigneter Holzstich von Meister Casper aus dem fünfzehnten Jahrhundert495zeigt die ‚Qualen der Lie-be’ symbolisiert durch eine verführerische, nur von einem um Hals und Geschlecht

492Ein wesentlicher Grund hierfür ist sicherlich – wie im Kapitel über die Falle in der Mytholgie be-reits angedeutet wurde – die Herrschaft des Patriarchats. Siehe Davis 2006, S. 276 und Fink 2001, S. 240. Powells Argument – Männer schreiben für Männer – gilt jedoch nicht nur für die antike Ge-schichte. Der Themenkomplex der weiblichen Versuchung als Falle kann im Rahmen dieser Arbeit aufgrund seines Umfangs jedoch nicht ausführlich behandelt werden. Aufgrund der hier nur ange-deuteten longue durée bedarf er einer eigenen, auf ihn konzentrierten, motivgeschichtlichen wie kulturwissenschaftlichen Untersuchung. Thomas Zaunschirm betont dass Fortleben dieser Vorur-teile noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts: „Die Misogynie, weniger als Haß auf die ein-zelne Frau, sondern als Haß auf das weibliche Element in der Kultur, gehörte, ebenso wie ihre Kehrseite, die Idolatrie und Dämonisierung des Weiblichen, zu dem Denkhabitus der europäischen Intelligenz um die Jahrhundertwende.“ Zaunschirm 1982, S. 108.

493Siehe Abb. 143.

494Etwa am Freiburger und Baseler Münster.

495Siehe Abb. 144.

gewundenen Schal bekleidete Frau. Sie ist von zahlreichen Herzen umgeben, die in Fallen stecken, von Messern, Sägen und Speeren durchbohrt werden und dem Leser die Qualen der Liebe auf diese Weise sehr eindringlich veranschaulichen.

Zu ihren Füßen kniet – wohl auf dem Herz eines anderen Verehrers – ein Mann, der die Schöne mit den folgenden Worten bittet, ihn von seinen Qualen zu be-freien: „Oh Fräulein hübsch und fein; erlös mich aus der Pein; und schließ mich in die Arm dein.“ Drei verschiedene Fallen496, eine Reuse sowie eine Klobe symboli-sieren und warnen zugleich vor den Gefahren und der Gefangenschaft der Liebe.

Die Funktion der Falle als Symbol für diese Versuchung – der (weiblichen) Sexua-lität – belegt wieder ein Holzschnitt aus der Bilderbibel von 1751, der aufgrund der drastischen Wortwahl und Darstellung heutige Leser angesichts der anvisierten, jugendlichen Zielgruppe überrascht.497In der für das Genre üblichen Manier wer-den nacheinander Wörter und Bilder wiedergeben, so dass die Kombination beider den Wortlaut des jeweiligen Bibelverses ergibt, um – so der pädagogische Unter-titel des Buches – „der lieben Jugend zu Erlernung eines jeden Dinges, mit seinem rechten Nahmen zu nennen; Wie nicht weniger die Sprüche der Heiligen Schrift ohne Mühe ins Gedächtniß zu bringen.“498

Der Überschrift zufolge handelt es sich um ein Bibelzitat aus dem Buch Jesus Si-rach:499„Fleuch der Huren freche Tücke, So entgehst du ihre Stricke.“ In der Bibel-version von 1980 lautet der Vers in (nur scheinbar) leicht veränderter Form: „Nah

496Es scheint sich dabei um eine Kammer-, eine Schwerkraft- und eine Torsions- oder Biegungs-falle zu handeln.

497Siehe Abb. 145. Die dem Leser zugewandten, gespreizten Beine und der Spiegel, der bereits im Mittelalter ein Attribut der zuvor erwähnten ‚Frau Welt’-Figur war, kennzeichnen die Frau als eine Prostituierte.

498Bilder-Bibel, Kopenhagen 1751, Quelle: Pictura Paedagogica Online.

499Ähnlich dem ‚Welschen Gast’ von Thomasin handelt sich bei dem Buch Jesus Sirach um eine Art Ratgeber, der Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. von dem in Jerusalem lebenden Juden Jesus ben Eleazar ben Sira auf Hebräisch verfasst und später ins Griechische übersetzt wurde.

Obwohl das Buch nicht in den jüdischen Kanon aufgenommen wurde, wird es im Talmud zitiert, was die Bedeutung des Buches bezeugt. Es ist Teil der Septuaginta und wird von Katholiken und orthodoxen Christen als Teil der Bibel angesehen. In den Kirchen der Reformation wird es zu den Apokryphen gerechnet.

Dich nicht einer fremden Frau, damit du nicht in ihre Netze fällst.“500Statt eines Netzes symbolisiert hier ein zwischen zwei Hölzer über dem Boden geschlunge-nes Seil wie bereits auf dem zuvor erwähnten Holzschnitt501die Falle und verweist somit deutlich auf ihren Ursprung: Der vom lateinischen ‚scandalum’ abgeleitete Fallstrick.