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7.3.2 Kraft-Weiterleitung

Die Ergebnisse der in dieser Arbeit durchgef¨uhrten Krafttransmissions-Messungen (siehe Kapitel 6.6) zeigten, dass die Adh¨asionsseite der Zelle durch lokale Stimulationen anders beeinflusst wird als durch Dehnungsreize. Im Folgenden werden jetzt diese Ergebnisse verwendet, um das zellmechanische Verhalten und die G¨ultigkeit der g¨angigen Zellmodelle zu evaluieren.

Wenn es sich bei Zellen um Tensegrity-Strukturen handeln w¨urde, dann w¨aren zwei Be-obachtungen zu erwarten: zum einen m¨ussten bei einem vorgespannten Zytoskelett schon kleine Kr¨afte ausreichen, um signifikante ¨Anderungen der Adh¨asionskr¨afte auf das Sub-strat zu bewirken, und zum anderen w¨urden die resultierenden Substratkr¨afte ¨uber die gesamte Zelle verteilt auftreten (

”action at a distance“). Insbesondere letzteres stellt eine der wichtigsten Eigenschaften des Tensegrity-Modells dar. Im Rahmen dieser Doktorarbeit konnte jedoch gezeigt werden, dass das Substrat nur lokal beeinflusst wird und dement-sprechend die lokale Stimulation nicht zu einer ¨Anderung der internen Kr¨afteverh¨altnisse innerhalb des gesamten Zytoskeletts f¨uhrt; ein Ph¨anomen, das auch Heidemann und seine Mitarbeiter beobachteten [95]. Dar¨uber hinaus f¨uhren erst sehr hohe Stimulationskr¨afte, die einem Druck von etwa 50N/m2 entsprechen, zu signifikanten ¨Anderungen der Substrat-kr¨afte. Bei einer Tensegrity-Struktur sollte jedoch, so lange das zellmechanische Verhalten einer Zelle nicht ¨uberwiegend durch andere mechanische Eigenschaften bestimmt wird, auf Grund der hohen Vorspannung schon bei kleineren Stimulationskr¨aften eine ¨Anderung der Adh¨asionskr¨afte erkennbar werden.

Die lediglich lokale Kraft-Weiterleitung und die hohe Absorption der externen Defor-mationen sprechen daf¨ur, dass die Zelle nicht hinreichend durch ein Tensegrity-Modell beschrieben werden kann. Ein Kontinuums-Modell oder ein Drei-Schalen-Modell k¨onnte die beobachteten Ph¨anomene besser erkl¨aren, da diese Modelle unter anderem das Zyto-plasma als eine viskose Fl¨ussigkeit und die Zellmembran und das kortikale Aktin-Netzwerk als einen elastischen Kortex ansehen. Eine lokale Deformation w¨urde nur zu einer loka-len Beeinflussung der Zelle f¨uhren. Das Zytoskelett spielt zwar in diesen Modellen f¨ur die interne Krafterzeugung noch eine wichtige Rolle, allerdings ist die Art der internen Kraft-weiterleitung grundlegend von der der Tensegrity-Strukturen verschieden und zum Teil auf das kortikale Aktin-Netzwerk beschr¨ankt.

Die Krafttransmissions-Messungen zeigten unter Verwendung großer Stimulationskr¨afte, dass an den die Hauptachse begrenzenden Zellr¨andern hohe Zugspannungen auftreten (sie-he Kapitel 6.6). Dieses Ph¨anomen spricht zwar f¨ur eine Fernwirkung des Zytoskeletts bei der Kraftweiterleitung und damit f¨ur Tensegrity-Eigenschaften der Zelle, allerdings kann es auch auf zelldurchspannende Aktin-B¨undel, die entlang der Hauptachse im kortikalen Aktin-Netzwerk liegen, zur¨uckzuf¨uhren sein. Solche Aktinfasern k¨onnten die hochelasti-schen Eigenschaften der kortikalen Membran in einem

”Drei-Schalen-Modell“ symboli-sieren. Ihre Deformation w¨urde die L¨ange der Fasern im Verh¨altnis zur L¨ange der Zelle verkleinern, so dass an den Adh¨asionspunkten, an denen die Aktinfilamente verankert sind, eine zus¨atzliche ¨Ubertragung von Zugkr¨aften auf das Substrat erfolgen w¨urde. Allerdings m¨usste unter der Annahme einer hochelastischen Schale dieses Ph¨anomen auch schon bei kleinen Deformationen auftreten, es sei denn, die Schale besitzt außerdem gewisse visko-elastische Eigenschaften.

7.3 Die Ergebnisse im Rahmen der Zellmodelle

Die Richtung der Substratkr¨afte Durch die Applikation von kleinen Stimulations-kr¨aften waren auf der Adh¨asionsseite vor allem nach außen gerichtete Zugkr¨afte zu beob-achten. Dieses Verhalten k¨onnte durch fluide Eigenschaften des Zytoplasmas beschrieben werden, das von einer elastischen Schale, der Zellmembran, umgeben ist. Durch die Erhal-tung des Zellvolumens bei dessen gleichzeitiger Kompression durch ¨außere Kr¨afte w¨urde das Zytoplasma nach außen gedr¨angt, so dass der Druck auf die innere Zellmembran in den Zellrandbereich verst¨arkt werden w¨urde. Die dort lokalisierten Adh¨asionspunkte w¨urden somit auf das Substrat eine nach außen gerichtete Kraft ¨ubertragen. Auch mit Hilfe des Tensegrity-Modells kann dieses Verhalten beschrieben werden: durch die Deformation der Zelle wird das Zytoskelett ¨ahnlich der initialen Adh¨asion einer Zelle abgeflacht. Bei die-sem Prozess werden zum einen die intrinsischen Zugspannungen des Zytoskeletts erh¨oht (bei der Adh¨asion durch die aktive Kraftgenerierung des Aktin-Myosin-Komplexes). In der Folge w¨urden h¨ohere, nach innen gerichtete Zugkr¨afte auf das Substrat ¨ubertragen. Zum Anderen w¨urde durch die Abflachung des Zytoskeletts dessen laterale Ausdehnung und damit die Auflagefl¨ache auf dem Substrat vergr¨oßert. Allerdings k¨onnte sich hierbei die Adh¨asionsfl¨ache der Zelle durch die

”feste“ Anordnung der Adh¨asionspunkte nicht sofort

¨andern, so dass an den Adh¨asionspunkten nach außen gerichtete Kr¨afte auftreten w¨urden.

Die beiden beschriebenen Effekte konkurrierten miteinander. Dabei w¨urden die nach außen gerichteten Kr¨afte dominieren, so lange keine neuen Adh¨asionen gebildet worden sind.

Erh¨oht man die externe Deformation weiter, so treten an den Zellr¨andern fast aus-schließlich nach innen gerichtete Kraftvektoren auf, w¨ahrend die Kraftvektoren am Ort der Deformation ¨uberwiegend nach außen zeigen. Zur Erkl¨arung dieser Kr¨afte k¨onnte das Tensegrity-Modell eingesetzt werden, sofern der Tensegrity-Struktur nur lokale Wirkun-gen zuzuschreiben w¨aren. Die zus¨atzlich nach innen zeigenden Kr¨afte an den Zellr¨andern sprechen zwar f¨ur eine Fernwirkung wie von Tensegrity-Strukturen erwartet, die Rich-tung der Substrat-Kr¨afte ist allerdings damit nicht vereinbar. Betrachtet man die Beob-achtung unter Zuhilfenahme eines kortikalen Membranmodells mit zelldurchspannenden Aktinfasern, so k¨onnte zwar die Richtung der beobachteten Kr¨afte erkl¨art werden, aller-dings m¨usste hier auch bei kleineren Kr¨aften dieses Verhalten auftreten oder es m¨ussten der Schale viskoelastische Eigenschaften bis zu einem gewissen Grad zugesprochen wer-den. Eine Alternative, die nach innen gerichteten Kraftvektoren zu erkl¨aren, bietet das Percolation-Modell: durch die lokale Deformation des internen Zytoskeletts w¨urden dabei ab einer bestimmten ¨außeren Kraft die hervorgerufenen Deformationen durch das gesamte Zytoskelett weitergeleitet. ¨Ahnlich zu den Aktinfasern k¨ame es entlang der L¨angsachse zu einer scheinbaren Verk¨urzung und damit zu nach innen gerichteten Kr¨aften.

7.3.3 Aktive Zellantworten unter mechanischer Stimulation

Die Experimente aus Kapitel 6.5.2 zeigten, dass die externe lokale Stimulation bei Osteo-blasten Zugkraft¨anderungen hervorruft. Unter der Annahme, dass es sich dabei um akti-ve Prozesse handelt, die durch Motorproteine wie Myosin und Kinesin bestimmt werden, k¨onnen diese Zugkraft¨anderungen mit keinem der g¨angigen Modelle beschrieben werden.

Nur spontane Zugkraft¨anderungen, die direkt nach der Stimulation beobachtet wurden, k¨onnen mittels Tensegrity-Strukturen ansatzweise erkl¨art werden: der Bruch oder die Weg-nahme von Mikrotubuli w¨urde zu einer erh¨ohten Zugkraft der Zelle auf das Substrat f¨uhren.

Abbildung 65: Schematische Darstellung der zellul¨aren Zugkr¨afte auf ein Substrat. Die ein-zelnen Strukturen des Zytoskeletts stehen dabei in einem Kr¨aftegleichgewicht (MT: Mikrotu-buli; MF: Mikro-(Aktin-)filamente; IF: Intermedi¨arfilamente). Oberes Bild: Tensegrity-Struktur mit Mikrotubuli. Unteres Bild: Tensegrity-Struktur ohne Mikrotubuli. Durch die Wegnahme der Kompressions-widerstehenden Struktur werden die Substratkr¨afte erh¨oht (aus [116]).

Dieser Mechanismus ist in Abbildung 65 schematisch dargestellt. Hier wird deutlich, dass durch die Interaktion von Mikrotubuli und Aktin-Filamenten ein Kr¨afte-Gleichgewicht im Zytoskelett hergestellt wird, das durch die ¨uber fokale Adh¨asionen vermittelte Kopplung zur extrazellul¨aren Matrix zu einer bestimmten Zugkraft auf das Substrat f¨uhrt. Durch die Wegnahme der Kompressions-widerstehenden Struktur - des Mikrotubulis - kommt es zu einer Erh¨ohung der zellul¨aren Substratkr¨afte. Hierdurch k¨onnte erkl¨art werden, warum die mechanische Stimulation von Osteoblasten zu erh¨ohten Zugkr¨aften f¨uhrt, ohne dabei eine aktive Kraftgenerierung durch den Aktin-Myosin-Komplex anzunehmen. Im Gegensatz da-zu k¨onnte das durch die Stimulation verursachte Abreißen der Spannungs-widerstehenden Strukturen, also der Aktin-Filamente, zu einer Verringerung der Adh¨asionskr¨afte f¨uhren.

Diese Hypothese erh¨alt weitere Unterst¨utzung durch die Betrachtung der vor der Stimu-lation auf das Substrat ¨ubertragenen initialen Zugkr¨afte der Zellen. Waren die Zugkr¨afte der Zellen im Vergleich der Experimente zun¨achst gering, kam es durch die Stimulation zu einer Erh¨ohung der Adh¨asionskr¨afte. Dabei k¨onnten die geringen initialen Zugkr¨afte daher r¨uhren, dass entweder das Aktin-Netzwerk lediglich unter einer geringen Vorspan-nung stand oder die Mikrotubuli auf Grund ihrer AnordVorspan-nung im Zytoskelett den gr¨oßten Teil der internen Zugspannungen

”absorbiert“ haben. Durch letzteres st¨unden die Mikro-tubuli unter sehr hohen kompressiven Kr¨aften. Induzierte man nun zus¨atzlich von außen weitere Kr¨afte in das Zytoskelett, so k¨onnte es zum Bruch der Mikrotubuli kommen und die Zugkr¨afte auf das Substrat k¨onnten dadurch spontan erh¨oht werden. Dementsprechend st¨unden in Zellen mit hohen initialen Zugkr¨aften die Aktin-Fasern der Tensegrity-Struktur unter hohen Zugkr¨aften, so dass eine weitere Belastung zu deren Abreißen f¨uhrte und da-durch eine instantane Verringerung der zellul¨aren Zugkr¨afte zu beobachten w¨are.