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3.1 Modelle des mathematischen Lernens

3.1.2 Entwicklung schulischer Mathematikfertigkeiten

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Bezug zu den notwendigen oder erreichten sprachlichen Fähigkeiten. Das vorschulische Förderprogramm „Mit Baldur ordnen, zählen, messen“ (Clausen-Suhr, 2009b) basiert auf diesem Modell und konnte bereits mit positiven Effekten evaluiert werden (Clausen-Suhr, 2011).

Bedeutung dieser Modelle für die schulische Entwicklung

Alle abgebildeten Modelle, die vordergründig die vorschulische Entwicklung sowie die frühen mathematischen Vorläuferfertigkeiten fokussieren, stellen eine geeignete Grundlage für Modelle dar, in denen das Mathematiklernen in der Schule fokussiert wird. Gleichzeitig besitzen diese Modelle auch eine Bedeutung für die Entwicklung mathematischer Kompetenzen in der Primar- und Sekundarstufe.

Die abgebildeten Vorläuferfertigkeiten gelten als spezifische Prädiktoren für die mathematischen Leistungen in der Grundschulzeit. Sowohl die Kompetenzen der Ebene I, die Basiskompetenzen, als auch die der Ebene II, das einfache Zahlenverständnis, aus dem Modell nach Krajewski, Renner, et al. (2007) gelten als signifikante Prädiktoren (Krajewski & Schneider, 2006, S. 256). Diese vorschulischen Kompetenzen stellt das Vorwissen für weitere mathematische Lernprozesse dar und ist folglich sehr bedeutsam (Kapitel 2.3). Diese Prädiktoren bzw. dieses spezifische Vorwissen beeinflussen die Leistungen in der ersten Grundschulklasse sowie die Mathematikleistungen am Ende der Grundschulzeit (Krajewski & Schneider, 2006, S. 258).

Eine weitere Bedeutung dieser Modelle zeigt sich in der Forschung von mathematischen Basiskompetenzen mit Sekundarschülern. Für die Erschließung eines neuen Zahlenraumes, wie in den Entwicklungsmodellen veranschaulicht, werden ähnliche Entwicklungsschritte vollzogen (Krajewski & Ennemoser, 2010, S. 366). Ennemoser und Kollegen (2011, S. 237) zeigen, dass sich die Mengen-Zahlen-Kompetenz noch in der Sekundarstufe von der fünften bis zur neunten Klasse unabhängig von der Schulform weiterentwickelt. Zudem verdeutlichen diese Studienergebnisse, dass die Mengen-Zahlen-Kompetenz die Mathematikleistung in der neunten Klasse am meisten vorhersagt (Ennemoser et al., 2011, S. 239).

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Um diese Entwicklung nachvollziehen zu können, werden im Folgenden zwei Modelle mit Fokus auf die schulische Entwicklung vorgestellt. Zum einen wird das Kompetenzstrukturmodell nach Reiss (2004) beschrieben, welches auf mathematikdidaktischen Grundlagen basiert. Zum anderen wird das Modell der Entwicklung der Zahlverarbeitung nach Aster et al. (2005) vorgestellt, welches auf neuropsychologischen Grundlagen aufbaut.

Modell nach Reiss (2004)

Das Kompetenzstrukturmodell nach Reiss (2004, S. 645f.) entspricht einem Strukturgitter (Abbildung 11), in dem sowohl die Entwicklung der Kompetenzen während der Grundschulzeit als auch eine Stufung der einzelnen mathematischen Kompetenzen berücksichtigt wird. Übrige Kompetenzstrukturmodelle für den Grundschulbereich, wie u.a. in der IGLU-Studie (Walther, Geiser, Langeheine & Lobemeier, 2004, S. 122) beschrieben, stellen die Entwicklung der Kompetenzen in keiner zeitlichen Abfolge dar. Reiss (2004, S. 645f.) kritisiert dieses Vorgehen, da der Verlauf der Entwicklung nicht nachvollzogen werden kann. In diesem Kompetenzmodell werden fünf Kompetenzstufen der mathematischen Fähigkeiten von der ersten bis zur vierten Klasse der Grundschule differenziert.

Kompetenzstufe V Anspruchsvolles Problemlösen im mathematischen Kontext

Beschreiben und Modellieren von Sachsituationen

Problemlösender Umgang mit Größen

Anwendung mehrerer

Grundrechenarten in komplexen Sachsituationen

Bewältigung kombinatorischer Fragestellungen

Kompetenzstufe IV Beherrschung der Grundrechenarten unter Nutzung der Dezimalstruktur und begriffliche

Modellierung

Addition und Subtraktion mit Zehnerzahlen

Rechnen in Sachkontexten (z.B. Längen)

Informationen in Sachsituationen nutzen und verarbeiten

Sichere

Beherrschung der schriftlichen Rechenverfahren in Sachkontexten

Kompetenzstufe III Sicheres Rechnen in curricularem Umfang und einfaches Modellieren

Zählfähigkeiten über 30 hinaus

Gute

Beherrschung des kleinen

Einmaleins

Halbschriftliches Rechnen im Zahlenraum bis 1000

Rechenergebnisse überschlagen

Kompetenzstufe II Grundfertigkeiten im Umgang mit dem Zehnersystem, der ebenen Geometrie und Größen

Grundlagen des kleinen

Einspluseins (z.B. mit kleinen Summanden)

Grundlagen des kleinen

Einmaleins (z.B.

Zweier- und Fünferreihe)

Kontextfreies Rechnen im Zahlenraum bis 100

Schriftliche Addition im Zahlenraum bis 1000 ohne Übergänge

Kompetenzstufe I Numerisches und begriffliches Grundlagenwissen (Routineprozeduren)

Zählfähigkeiten bis etwa 20

Übertragung der Ergebnisse des kleinen

Einspluseins auf Zehnerzahlen

Grundlagen des kleinen

Einmaleins

Kontextfreies Rechnen im Zahlenraum bis 100

Klasse 1 Klasse 2 Klasse 3 Klasse 4

Abbildung 11 - Kompetenzstrukturmodell von Reiss (2004)

Die fünf Kompetenzstufen beinhalten einen stetigen Anstieg des Anforderungsniveaus. Auf den ersten drei Kompetenzstufen werden Vorläuferfähigkeiten (z.B. die Zählprozedur) und Faktenwissen (z.B. das kleine Einspluseins sowie Einmaleins), aber auch basale Rechenfertigkeiten abgebildet.

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Dieses Faktenwissen und die grundlegenden Rechenfertigkeiten stellen die Voraussetzung dar, um auf den Kompetenzstufen IV und V dieses Wissen flexibel nutzen und in mathematischen Sach- und Problemlöseaufgaben anwenden zu können. Ein Anstieg des Anforderungsniveaus erfolgt ebenfalls von einer Klasse zur nächsten Klasse. Dabei stellen die erreichten Kompetenzen der vorherigen Klasse die Voraussetzung dar, um die Kompetenzen der nächsten Klasse erreichen zu können.

Reiss (2004, S. 647) stellt heraus, dass ein derartiges Kompetenzstrukturmodell die Basis für die Entwicklung von Beispielaufgaben zur Überprüfung der einzelnen Kompetenzebenen darstellt. Mittels derartiger Beispielaufgaben kann zugleich eine Entwicklung innerhalb der Grundschulzeit über die verschiedenen Niveaus dokumentiert werden. Dieser Vorschlag wird sowohl in den Bildungsstandards für das Fach Mathematik (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK), 2005a) als auch in den Standards des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (Walther, Heuvel-Panhuizen, Granzer & Köller, 2011) berücksichtigt. Das Modell nach Reiss (2004) sowie andere ähnliche Kompetenzstrukturmodelle sind bisher nicht empirisch überprüft. Somit sind sowohl die Zuordnung der Kompetenzstufen zu den einzelnen Jahrgängen der Grundschule als auch die Inhalte der einzelnen Kompetenzstufen nur begrenzt gültig. Darüber hinaus werden für die Bearbeitung der verschiedenen Kompetenzen auf den einzelnen Stufen und Jahrgängen unterschiedliche Teilkompetenzen sowie kognitive Fähigkeiten benötigt. Diese werden jedoch in dem Kompetenzstrukturmodell nicht näher aufgeführt, sodass bei der Auswahl von Aufgaben zur Kompetenzdiagnostik bzw. Kompetenzentwicklung eine detailliertere Differenzierung empfehlenswert ist. Gleichzeitig werden in dem Kompetenzmodell nicht alle mathematischen Fertigkeiten abgebildet, die in den ersten vier Jahrgangsstufen vermittelt werden. Hierbei fehlt eine Begründung, warum die einbezogenen Kompetenzen die Entwicklung der schulischen Mathematikfähigkeiten am geeignetsten abbilden.

Modell nach Aster, Kucian, Schweiter und Martin (2005)

Das Entwicklungsmodell nach Aster et al. (2005) basiert auf dem „ Triple-Code-Modell“ von Dehaene (1992) sowie neuropsychologischen Ergebnissen. Dieses Modell soll im Folgenden kurz dargestellt werden, um den Aufbau des vierstufigen Modells der Entwicklung zahlenverarbeitender Fähigkeiten nach Aster et al. (2005) besser nachvollziehen zu können.

Dehaene (1992, S. 31) entwickelt ausgehend von Ein-Routen-Transkodiermodellen (McCloskey, Caramazza & Basili, 1985; Noël & Seron, 1993) ein Modell mit drei Modulen und vielfältigen Verarbeitungswegen. Sowohl die Module als auch die Beziehung dieser Module zueinander sind durch neuropsychologische Befunde bestätigt worden (W. Schneider et al., 2013, S.

43). In dem Triple-Code-Modell werden drei verschiedene Repräsentationsformen von Zahlen veranschaulicht, die für die kognitive Verarbeitung einer Zahl notwendig sind (Abbildung 12). Diese drei Formen, die verbale, die visuelle und die semantische, bilden neuronale Netzwerke und lassen sich unterschiedlichen Gehirnregionen zuordnen (Aster et al., 2005, S.

614).

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In dem sprachlich-alphabetischen Modul erfolgt die Verarbeitung von Zahlwörtern, sowohl von gesprochenen als auch von geschriebenen. Diesem Modul wird ebenfalls das Zahlwortlexikon zugeordnet, welches für die Zählprozedur sowie für die Nutzung des kleinen Einspluseins und Einmaleins notwendig ist (W. Schneider et al., 2013, S. 44). Die Verarbeitung von Zahlen in der arabischen Schreibweise erfolgt im visuell-arabischen Modul. Dieses Modul befähigt sowohl Ziffern zu lesen als auch zu schreiben und wird für die Berücksichtigung des Stellenwertsystems bei Rechenprozessen genutzt.

Abbildung 12 - Triple-Code-Modell nach Dehaene (1992) in vereinfachter Form nach Aster et al.

(2005)

Das semantische Modul mit der analogen Größenrepräsentation umfasst die Fähigkeit, Zahlen mit den entsprechenden Mengen zu verknüpfen. Durch dieses Modul können Zahlen bezüglich ihrer Größe verglichen, Überschlagsrechnungen bzw. Schätzungen durchgeführt sowie die visuelle Simultanerfassung von kleinen Mengen ohne Abzählen umgesetzt werden (ebd.). Diese drei Module stehen bei Verarbeitungsprozessen von Zahlen in ständiger Wechselbeziehung und ermöglichen das Transkodieren von Zahlen in unterschiedliche Repräsentationsformen: Das Diktieren einer Rechenaufgabe beansprucht eingangs das sprachlich-alphabetische Modul. Bei der Verschriftlichung der Aufgabe wird das visuell-arabische Modul aktiviert. Für eine Überschlagsrechnung zur Überprüfung des Ergebnisses der Rechenaufgabe erfolgt dann der Einsatz des semantischen Moduls. Für die abschließende Verbalisierung des Ergebnisses wird dann wiederum auf das sprachlich-alphabetische Modul zurückgegriffen.

Diese grundlegende Vorstellung der Verarbeitung von Zahlen wird von Aster et al. (2005) in Verbindung mit der Entwicklung der jeweiligen kognitiven Funktionen in einem Entwicklungsmodell dargestellt (Abbildung 13).

0 20

13 dreizehn

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Abbildung 13 - Modell der Entwicklung der Zahlenverarbeitung nach Aster et al. (2005)

Wie die Modelle zu den mathematischen Vorläuferfertigkeiten wird auch in diesem Modell die Erkenntnis berücksichtigt, dass bereits im ersten Lebensjahr Mengen unterschieden werden können (Aster et al., 2005, S. 614). Diese frühe Kompetenz stellt nach Aster et al. (ebd., S. 612) eine fundamentale Basisfertigkeit dar, die Vorbedingung für das Lernen abstrakterer Kompetenzen ist. Zunächst wird vor dem Schuleintritt der Erwerb der Zahlwortreihe, d.h. der sprachlichen Fähigkeit Anzahlen und Mengen wiederzugeben, erlangt. In den ersten Jahren der Schulzeit werden u.a. die arabischen Zeichen der Ziffern erlernt, sodass mit dem visuellen Zahlensystem schriftliche Rechenverfahren durchgeführt werden können. Die Kompetenz, Zahlen sowohl in ihrer verbalen als auch in der visuellen Repräsentation auszudrücken, ist Voraussetzung für den Erwerb der dritten Repräsentation, der abstrakten Zahlenraumvorstellung während der Schulzeit. Diese Kompetenz entspricht dem semantischen Modul des Triple-Code-Modells (Abbildung 12). Die Entwicklung über diese vier Phasen ist abhängig von individuellen Ressourcen, wie Intelligenz, Arbeitsgedächtniskapazität, Verarbeitungsgeschwindigkeit und zugleich von Erfahrungen, der sozialen Umwelt sowie dem Mathematikunterricht (Aster et al., 2005, S. 616). Während der Entwicklung steigt u.a. die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses, sodass während der Schulzeit mehr kognitive Prozesse gleichzeitig ablaufen können, als dies während des ersten Lebensjahres der Fall ist (diagonaler Pfeil in Abbildung 13). Darüber hinaus vergrößern sich im Laufe der Entwicklung die neuronalen Netzwerke der jeweiligen Gehirnregionen. Bei einer guten Ausbildung dieser Netzwerke und damit auch der einzelnen Kompetenzen ist für die Bearbeitung mathematischer Aufgaben keine zusätzliche Unterstützung, bspw. durch das Arbeitsgedächtnis, notwendig (Aster et al., 2005, S. 616).

In diesem Modell werden auch die Vorläuferfertigkeiten differenzierter betrachtet als die Entwicklung der schulischen Kompetenzen. Dennoch können mit dem Triple-Code-Modell die Prozesse, die bei der Bearbeitung mathematischer Aufgaben der Primar- und Sekundarstufe stattfinden, nachvollzogen werden. Das Modell nach Aster et al. (2005) stellt die Basis für die Diagnostikinstrumente ZAREKI-K, ZAREKI-R (Aster, Weinhold Zulauf & Horn, 2009) und TeDDy-PC (Schroeders & Schneider, 2008) dar. Gleichzeitig basiert das

Kapazit Arbeitsgedächtnis

Repräsentation Konkrete Mengengr̈ße

(Kardinalität) Zahlwortreihe

/ein/ /zwei/ ...

Visuell arabisches Zahlensystem

..., 13, 14, 15, ...

Abstrakte Zahlenraumvorstellung

(Ordinalität)

Lokalisation

biparietal links pfontal biokzipital biparietal

Funktion

Unterscheiden von Mengen

Zählen, Abzählen, arithmetische Zählprinzipien

Schriftliches Rechnen, gerade/ungerade

Schätzen, Überschlagen,

Vergleichen

1. Lebensjahr Vorschulalter Schulalter Zeit

0 10

50 100

1000 Mio.

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Computerprogramm Calcularis (Aster, Käser, Kucian & Gross, 2012; T. Käser, Baschera, et al., 2013) zur Förderung von Rechenschwierigkeiten auf diesen Grundlagen.