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EL. Beweisgrundsätze

Im Dokument Von Monat zu Monat (Seite 76-81)

Urteil des EVG vom 1. März 1989 i.Sa. O.K.

Art. 85 Abs. 2 Bst. c AHVG; Art. 7 Abs. 2 ELG.

- Der Grundsatz, dass negative Tatsachen nicht zu beweisen sind, gilt nicht uneingeschränkt.

- Beweislast des Versicherten, der aus negativen Tatsachen Lei-stungsansprüche ableitet (in casu EL infolge Einkommens- und Ver-mögenslosigkeit).

- Gegenbeweis der Verwaltung, wenn sie die aus den üblichen Be-weismitteln sich (im Sinne einer natürlichen Vermutung) ergeben-den Einkommens- und Vermögensverhältnisse als unrichtig bzw.

unvollständig bestreitet.

- Allein aus der Nichtdeklaration von Einkommen und Vermögen darf nicht zwingend geschlossen werden, der Leistungsansprecher ver-füge über Aktiven in einer Höhe, welche den Anspruch

auf

EL aus-schliessen (Erw. 3a—c).

Anwendungsfall (Erw. 4a—d).

Aus dem Sachverhalt:

Der 1927 geborene O.K. ist Bezüger einer ganzen 1V-Rente. Mit Wirkung ab 1. September 1983 kam er in den Genuss entsprechender Zusatzleistungen (EL und kantonale Beihilfe), die sich zunächst auf 723 Franken, ab 1. Januar 1984 auf 817 Franken und vom 1. Januar 1985 hinweg auf 837 Franken beliefen.

Bei der Berechnung war die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenbeihilfe-Kommission der Gemeinde W. (im folgenden: Durchführungsstelle) davon ausgegangen, dass O.K. an Einkommen lediglich über die IV-Rente und über kein Vermögen verfugen würde; anderseits berücksichtigte die Durchfüh-rungsstelle Abzüge für Krankenkassenprämien, den Mietzins und die Sozial-versicherungsbeiträge für Nichterwerbstätige.

Im Frühjahr 1985 leitete die Durchführungsstelle ein Revisionsverfahren ein.

Mit Verfügung vom 26. Juli 1985 stellte sie die Zusatzleistungen zur AHV und IV (EL und Beihilfe) mit Wirkung ab 1Juni 1985 ein, weil O.K. über Vermö-genswerte und Einkommen verfüge, über die er bisher die vollständige und wahrheitsgetreue Auskunft verweigert habe. Ferner verfügte die Durchfüh- 408

rungsstelle am 10. Oktober 1985 die Rückerstattung der in der Zeit vom 1. Sep-tember 1983 bis 31. Mai 1985 bezogenen Zusatzleistungen im Gesamtbetrag von 16960 Franken. Sie begründete dies damit, dass O.K. seit vielen Jahren mit mindestens zwei Firmen geschäftliche Beziehungen pflege, was er bisher verschwiegen habe. Dass er kein Erwerbseinkommen erziele, habe er nicht be-weisen können. Weil er über das Erwerbseinkommen und das tatsächliche Ver-mögen die wahrheitsgetreue Auskunft bisher verweigert habe, müsse ange-nommen werden, es stehe ihm kein Anspruch auf Zusatzleistungen zu und er habe die in der erwähnten Periode ausbezahlten Zusatzleistungen unrecht-mässig bezogen.

Das EVG weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Versicherten mit fol-genden Erwägungen teilweise gut:

. . . (Nichteintreten, soweit Leistungen des kantonalen Rechts betroffen.)

. . . (Kognition.)

3a. Streitig und zu prüfen ist, ob Einkommen und Vermögen ausgewiesen sind, welche einerseits die rückwirkende Aufhebung und die Rückerstattung der vom 1. September 1983 bis 31. Mai 1985 bezogenen EL und anderseits deren Einstellung mit Wirkung ab 1Juni 1985 wegen Uberschreitens der massgebenden Einkommensgrenze rechtfertigen. Für die Beurteilung dieser Fragen ist von den im Sozialversicherungsrecht praxisgemäss geltenden Be-weisgrundsätzen auszugehen. Danach ist der Sozialversicherungsprozess vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht. Der Richter hat von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet sein Korrelat in den Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 110V 52, ZAK 1985 S.53 Erw. 4a und BGE 11OV112 Erw. 3b).

Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer Beweis-führungslast begriffsnotwendig aus. Im Sozialversicherungsprozess tragen so-mit die Parteien in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im Falle der Be-weislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (BGE 107V 163 Erw. 3a mit Hinweisen, 113V 247, ZAK 1988 S. 294 Erw. 4d i. f.). Diese Be-weisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist, im

Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 105V 216 mit Hinweis).

b. Die Rekurskommission hat erwogen, dass der Beschwerdeführer gar nicht imstande sei, die Nichtexistenz von Einkommen und Vermögen zu beweisen.

Daher trage die Durchführungsstelle die Beweislast für das effektive Vorliegen von pflichtwidrig nicht deklariertem Einkommen und Vermögen. Die Anforde-rungen an diesen Beweis dürften aber nicht überspitzt werden. So sei nicht er-forderlich, dass auf Franken und Rappen genau nachgewiesen werde, was der

Leistungsbezüger verheimlicht habe und wo sich die betreffenden Werte be-

fanden. Würde ein solcher Beweis verlangt, so habe dies zur Folge, «dass ein besonders raffinierter Ansprecher zu Lasten der Allgemeinheit bevorzugt»

werde. Vielmehr genüge der «schlüssige Indizienbeweis, dass derselbe über Einkommen und Vermögen verfügen muss, welches er nicht deklariert».

Der Grundsatz, dass negative Tatsachen nicht zu beweisen sind, gilt nicht un-eingeschränkt (Kummer, Zivilprozessrecht, 4. Aufl., S. 139 unten f.). Im Be-reich der EL gilt es insbesondere zu beachten, dass gerade das Fehlen von anrechenbarem Einkommen und Vermögen den Anspruch auf EL zu begrün-den vermag und dass die EL umso höher ausfällt, je geringer das anrechenbare Einkommen und das anrechenbare Vermögen sind. Handelt es sich aber beim -

ganzen oder teilweisen - Fehlen von Einkommen und Vermögen um an-spruchsbegründende Tatsachen, so trägt dafür grundsätzlich der Leistungs-ansprecher die Beweislast, dies entsprechend der allgemeinen Regel (Kummer, a.a.O., S. 139). Als Mittel zum Beweis von Einkommen und Vermögen fallen die üblicherweise erforderlichen Unterlagen in Betracht, beispielsweise die Steuererklärung und -taxation, die Akten über die AHV-beitragsrechtliche und 1V-rechtliche Stellung, Lohnbescheinigungen des Arbeitgebers, Wertschrif-tenverzeichnisse usw. Auf solche Urkunden ist für den EL-rechtlichen Nach-weis von Einkommen und Vermögen primär abzustellen. Will die Verwaltung die aus derartigen Unterlagen sich ergebenden Einkommens- und Vermögens-verhältnisse als nicht der Wirklichkeit entsprechend gelten lassen, so hat sie den Gegenbeweis zu führen, ohne dass sich an der Beweislastverteilung etwas ändern würde (Kummer, a.a.O., S. 141 unten f.). Insofern sind die Ausführun-gen der Vorinstanz zur Beweislastverteilung zu präzisieren.

c. Darüber hinaus ist die vorinstanzliche Auffassung in dem Sinne richtig-zustellen, dass die Nichtdeklaration von Einkommen und Vermögenswerten al-lein nicht zwingend den Schluss erlaubt, der Versicherte verfüge über Aktiven in einer Höhe, welche den EL-Anspruch ausschliessen würde. Die gegenteilige Auffassung der Rekurskommission widerspricht den dargelegten Beweis-grundsätzen und insbesondere auch dem Prinzip der freien Beweiswürdigung (Kummer, a.a.O., S. 1 36) und findet in der bundesrechtlichen Ordnung der EL keine Stütze. Wenn festgestellt wird, dass der Leistungsansprecher Einkom-men oder Vermögen nicht deklariert hat, heisst dies zunächst lediglich, dass ef-fektiv Einkommen und Vermögenswerte vorhanden sind. Das sagt aber für sich allein noch nichts Schlüssiges über die Höhe dieser Aktiven aus. Die Nicht-deklaration allein rechtfertigt daher weder die Einstellung, geschweige denn die rückwirkende Aufhebung von EL. Ob sich diese Rechtsfolge für die kanto-nalen Beihilfen aus dem kantokanto-nalen Recht ergibt, ist für den bundesrechtlichen EL-Anspruch belanglos.

4. Im Lichte dieser Beweisgrundsätze ergibt sich für den vorliegenden Fall fol-gendes:

a. Aus den Bestätigungen betreffend die Steuerveranlagungen geht hervor, dass der Beschwerdeführer in den für die Beurteilung seines Leistungsan-spruchs relevanten Jahren 1983 bis 1985 kein Vermögen, 1985 auch kein Ein- 410

kommen und 1983/84 je ein Einkommen von 2000 Franken versteuert hat.

AH V-beitragsrechtl/ch wird der Beschwerdeführer als Nichterwerbstätiger be-handelt, wobei er den Mindestbeitrag zu bezahlen hat. 1V-rechtlich steht der Beschwerdeführer aufgrund einer Verfügung der Ausgleichskasse vom 25. Ap-ril 1983 seit dem 1. August 1982 wegen 70%iger Invalidität im Genuss einer ganzen IV- Rente.

Diese steuer-, AHV- und 1V-rechtliche Einstufung lässt im Sinne der Darle-gungen in Erw. 3 vermuten, dass die vom Beschwerdeführer gegenüber den EL-Behörden deklarierten tiefen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Wirklichkeit entsprechen. Es ist deshalb im folgenden zu prüfen, ob aufgrund der Abklärungen der Gemeindezweigstelle und des Bezirksrats der Gegenbe-weis dafür erbracht ist, dass der Beschwerdeführer - entgegen den erwähnten Einschätzungen - doch in einem Masse über Einkommen und Vermögen ver-fügt, dass ein Anspruch auf EL wegen Überschreitung der massgebenden Ein-kommensgrenze verneint werden muss.

b. In bezug auf den Lebensunterhalt hat der Bezirksrat in seinem Beschluss vom 13. August 1986 erklärt, der Beschwerdeführer sei verpflichtet, «offene, vollständige und detaillierte Auskunft über die Art und Weise der Bestreitung seines Lebensunterhaltes» zu geben. Indessen sei er die Antwort auf die ent-sprechende konkrete, schriftlich unterbreitete Frage bewusst schuldig geblie-ben. Einem angegebenen monatlichen Einkommen von gesamthaft rund 1100 Franken, bestehend aus der IV-Rente von 720 Franken, einem durchschnitt-lichen Arbeitsverdienst von 200 Franken und dem geltend gemachten Zu-schuss der Tochter von ebenfalls rund 200 Franken, stehe ein monatlicher Be-darf für den Lebensunterhalt von durchschnittlich mindestens 1700 bis 1800

Franken gegenüber, «dies ohne Taschengeld und insbesondere ohne sämtliche Autobetriebskosten für den Volvo 244, Jahrgang 1980, aber inbegriffen der nach den eigenen Angaben (des Beschwerdeführers) noch zu leistenden mo-natlichen Rückzahlungen von 100 Franken an die Fürsorgebehörde P .». Über die Herkunft der fehlenden, zur Bestreitung des notwendigen Lebensunter-halts unerlässlichen Mittel von monatlich zwischen 600 und 700 Franken herr-sche «weiterhin völlige Unklarheit».

Diese Argumentation lässt keineswegs auf das Vorhandensein weiterer Ein-kommens- und Vermögenswerte schliessen, die nicht deklariert worden wären.

Der Bezirksrat übersieht, dass der Beschwerdeführer seit dem 1. September 1983 effektiv im Genuss von Zusatzleistungen (EL und Invalidenbeihilfe) stand, die ziemlich genau der festgestellten Differenz zwischen monatlichem Zwangsbedarf und Monatseinkünften entsprechen und sich 1983 monatlich auf 723 Franken, 1984 auf 817 Franken und vom 1. Januar 1985 hinweg auf 837 Franken beliefen. Mit diesen beträchtlichen Zusatzleistungen zur Invali-denrente, dem geringfügigen Arbeitseinkommen und den Zuschüssen seiner Tochter konnte der Beschwerdeführer sehr wohl seinen Lebensunterhalt be-streiten. Da in der vom Bezirksrat selber vorgenommenen Berechnung der mo-natliche Mietzins von 895 Franken bereits berücksichtigt ist, ist es unerheblich,

ob der Beschwerdeführer allein oder mit einer weiteren Person in der Miet-wohnung lebt.

Was die Bankkonti anbelangt, ist dem Bezirksrat und der Rekurskommis-sion darin beizupflichten, dass der Beschwerdeführer verschwieg, bei der Bank X. in U. und W. je über ein Konto zu verfügen. Diese hob er zwar Ende Mai 1986 auf, doch gab er nicht an, wohin er insbesondere den Schlussaldo seines Kontos bei der Filiale U. transferiert hatte. Im verwaltungsgerichtlichen Verfah-ren hat er nun durch Vorlage entsprechender Kontoauszüge die erforderlichen Auskünfte erteilt. Obwohl er dadurch seine Deklarations- und Mitwirkungs-pflicht gegenüber den Vorinstanzen eindeutig verletzt hat, ist er, angesichts der vollen Kognition des EVG (Erw. 2), mit den neu eingebrachten Beweismitteln zu hören. Aus den Kontoauszügen geht hervor, dass der Beschwerdeführer wohl Vermögenswerte verschwiegen hat, die sich jedoch im Lichte von Art. 3 Abs. 1 Bst. b ELG betreffend den Vermögensfreibetrag von 20 000 Franken auf den EL-Anspruch nicht in erheblicher Weise auswirken. Ihre Nichtdeklaration bleibt daher folgenlos.

Hinsichtlich des in den Rechtsschriften sowie im angefochtenen Entscheid der Rekurskommission und im Beschluss des Bezirksrats vom 13. August 1986 erwähnten Wohnwagenverkaufs und des wechselhaften Besitzes mehrerer Gebrauchtwagen sind die Sachdarstellungen der Parteien völlig kontrovers, was auch vom Bezirksrat eingeräumt wird. Von zusätzlichen Beweisvorkehren sind keine Klärungen zu erwarten. Daher hat es bei der Feststellung sein Be-wenden, dass keine Einkünfte aus dem Verkauf eines Wohnwagens und dem Besitz/Tausch von Altwagen nachgewiesen sind.

Die Rückforderung unrechtmässig bezogener Sozialversicherungsleistun-gen ist an die VoraussetzunSozialversicherungsleistun-gen der prozessualen Revision oder der Wieder-erwägung gebunden. Danach kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, die nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berich-tigung von erheblicher Bedeutung ist. Sodann ist der Sozialversicherungsrich-ter verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen. Unter diesen Voraus-setzungen können zu Unrecht bezogene EL zurückgefordert werden (Art. 27 Abs.1 ELV;BGE11OV178,ZAK19855.63).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil weder erhebliche nicht deklarierte Einkommensquellen oder Vermögenswerte nachgewiesen sind, noch sich die Zusprechung der EL als zweifellos unrichtig erweist. Die vorinstanzlich bestätigte Rückforderung ist daher aufzuheben.

Auch der Anspruch auf EL mit Wirkung ab 1. J uni 1985 kann nach dem Ge-sagten nicht damit verweigert werden, der Beschwerdeführer besitze nicht deklariertes Einkommen und Vermögen. . .

. . . (Verzugszins.) 412

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