4 Ältere Menschen und ÖPNV
4.1 Einschränkungen der Mobilität im Alter
In Nahverkehrsplänen werden ältere Menschen wenn überhaupt, dann fast aus-schließlich in Zusammenhang mit Barrierefreiheit, teilweise reduziert auf Barriere-freiheit von Haltestellen, Bahnsteigen und Fahrzeugen, angesprochen (BMVBS 2010: 47 f., 55 ff. und 105 ff.). Dabei sind für viele ältere Menschen nicht einzelne Barrieren unüberwindbar: Schwierigkeiten bereitet die Summe der vielfältigen in-dividuellen Herausforderungen. Von besonderer Bedeutung sind daher die großen Unterschiede innerhalb der Gruppe ältere Menschen (vgl. Holz-Rau, Kasper, Scheiner 2004: 189). Die unterschiedliche Verfügbarkeit materieller Ressourcen, regionale Differenzierungen, die soziokulturelle Einbettung älterer Menschen, ihre Wünsche und Präferenzen sowie schließlich der gesellschaftliche Wandel des Alterns lassen kaum generalisierende Aussagen zu. Die Verkehrsplanung thema-tisiert diese Vielfalt bisher wenig. Sie nimmt „ältere Menschen“ häufig als einheitli-che Zielgruppe wahr. Sieinheitli-cherlich sind diese vielfältigen Dimensionen für die vkehrsplanerische Praxis nur teilweise relevant. Von besonderer Bedeutung er-scheinen die jeweiligen Verkehrskompetenzen und –ressourcen und deren Beein-trächtigungen.
Das Altern ist mit dem Abbau von Leistungsfähigkeit verbunden, die zu geringerer physischer und geistiger Beweglichkeit führt. Dazu werden viele ältere Menschen von Ängsten belastet. Dabei verändern sich die Situationen älterer Menschen im Laufe des Alterns nicht linear. Es gibt Phasen der Stabilität, des allmählichen Kompetenzverlustes, plötzlichen Einbrüche, aber auch Phasen in denen neue Kompetenzen entwickelt oder verlorene wieder erlangt werden (Kasper 2007: 3 ff.).
Die Nahverkehrsplanung sollte diese Vielfalt erkennen und zur differenzierteren Auseinandersetzung zumindest drei Gruppen älterer Menschen prototypisch un-terscheiden:
1. fitte Ältere, deren Mobilität sich kaum, deren Ziele und Aktivitäten sich aber dennoch von der übrigen Bevölkerung unterscheiden,
2. Ältere mit leichten altersbedingten Beeinträchtigungen und Unsicherheiten bei der Nutzung von Verkehrsmitteln, die aber noch keine wesentliche Be-einträchtigungen erfahren,
3. Ältere mit körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen, deren An-forderungen an Verkehrsangebote denen anderer in ihrer Mobilität beein-trächtigten Menschen ähneln (Anforderungen an Barrierefreiheit, Lichtver-hältnisse, Beschilderungen usw.).
Hinzu kommen Differenzen in den finanziellen Ressourcen und der Pkw-Verfügbarkeit, die eng verbunden sind mit der Unterscheidung zwischen älteren Frauen und Männern sowie zwischen älteren Menschen mit und ohne Migrations-hintergrund.
Die Gesundheit ist die von älteren Menschen mit Abstand am häufigsten erwähn-te Einschränkung der eigenen Mobilität (Hieber et al. 2006: 63 f.). Daneben tragen eingeschränkte finanzielle Ressourcen, die Pflegebedürftigkeit von Familienange-hörigen, der Verlust von Freundinnen und Freunden oder Angehörigen zu Ein-schränkungen und zum Verzicht auf Aktivitäten. Ähnliche Effekte können von
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hörigen, der Verlust von Freundinnen und Freunden oder Angehörigen zu Ein-schränkungen und zum Verzicht auf Aktivitäten. Ähnliche Effekte können von feh-lenden Angeboten und schlechten Bedingungen am Wohnort und im Verkehrssys-tem ausgehen.
Einschränkungen des Körpers und der Sinne
Medizinisch gesehen treten im Alter folgende Gesundheitseinschränkungen be-sonders häufig auf (vgl. Cebulla 2007: 99 ff., Kocherscheid/Rudinger 2005: 22 ff.):
− Das Sehvermögen und die Sehschärfe lassen nach. Die Lichtbedürftigkeit steigt. Die Anpassung des Auges an die Dunkelheit ist verzögert und das Sehen in der Dämmerung eingeschränkt. Die Orientierungsfähigkeit und die Geschwindigkeitseinschätzung mit den Augen werden langsamer und neh-men ab. Die Abbildungen 9 bis 13 zeigen die Kreuzung der Abbildung 8 mit einigen im Alter häufigen Sehbehinderungen.
− Der Rückgang des Hörvermögens erschwert die akustische Orientierung und das Wahrnehmen von Motorengeräuschen, Signal- und Warntönen so-wie das Verstehen von Gesprochenem.
− Die Muskelkraft, die Knochenstärke und die Beweglichkeit gehen zurück.
Die motorische Koordination wird schwieriger. Bei diesen Aspekten ist Trai-ning möglich. Alltägliche Wege können hierzu einen Beitrag leisten.
− Häufig auftretende gesundheitliche Probleme wie Arthrose (Abnutzung von Gelenkflächen), Herzkreislauferkrankungen oder neurologische Störungen schränken die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ein.
− Im Alter häufiger verwendete Medikamente senken die Leistungsfähigkeit im Verkehr, was für die Betroffenen häufig nicht ersichtlich ist.
Abbildung 9: Kreuzung mit grünem Star (Glaukom) gesehen
Bild: Sehbehinderungs-Simulator des Allgemeinen Bilden- und Sehbehindertenvereins Berlin gegr. 1874 e. V (www.absv.de)
Abbildung 8: Straßenkreuzung, wie mit gesunden Augen gesehen
Photo: Andreas Friese
Abbildung 10: Kreuzung mit Retinopathia Pigmentosa (auch Retinitis Pigmentosa) gesehen
Bild: Sehbehinderungs-Simulator des Allgemeinen Bilden- und Sehbehindertenvereins Berlin gegr. 1874 e. V (www.absv.de)
Abbildung 11: Kreuzung mit grauem Star (Katarakt) gesehen
Bild: Sehbehinderungs-Simulator des Allgemeinen Bilden- und Sehbehindertenvereins Berlin gegr. 1874 e. V (www.absv.de)
Abbildung 12: Kreuzung mit Makula-Degeneration gesehen
Bild: Sehbehinderungs-Simulator des Allgemeinen Bilden- und Sehbehindertenvereins Berlin gegr. 1874 e. V (www.absv.de)
Abbildung 13: Kreuzung mit Diabetischer Retinopathie gesehen
Bild: Sehbehinderungs-Simulator des Allgemeinen Bilden- und Sehbehindertenvereins Berlin gegr. 1874 e. V (www.absv.de)
digkeit, Schnelligkeit t im Alter. Das Altern
d Erfahrungswissen, Wortschatz und Sprachver-ständnis, die „kristalline Intelligenz“, mit dem Altern steigen. Sie wird erst im ho-hen Alter durch biologische Proz
07: 19). Ängste äußern sich auch darin,
der individuellen Beweglichkeit einschließlich der Verkehrskompetenzen ändern sich die relevanten Ziele und Aktivitäten und damit das realisierte
Ver-kehrsv ältere Menschen ist der Austritt aus
dem Ber t sich stark und muss
4.2.1 Wichtige Ziele und Aktivitäten
dern und Parks (BMVBS 2010: 124 f.).
4.1.2 Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit und Reakti-onsgeschwindigkeit
Die Intelligenzforschung fasst Fähigkeiten wie geistige Wen und Flexibilität als „fluide Intelligenz“ zusammen. Diese sink
verringert auch die Konzentrationsfähigkeit. Insbesondere in Situationen unter Zeitdruck verzögert sich die Reaktion, da mehrere Dinge nur begrenzt gleichzeitig verarbeitet und Entscheidungsprozesse verlangsamt werden. Verlangsamungen der Reaktionsfähigkeit werden von einem großen Teil der älteren Menschen selbst wahrgenommen (Limbourg, Matern 2008: 30 f.).
Dagegen können Allgemein- un
esse begrenzt.
4.1.3 Ängste
Ältere Menschen büßen auch durch Ängste Lebensqualität ein. Im Zusammen-hang mit Mobilität erleben je über 20 % der Befragten „die Angst vor Stürzen, die Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden, und die Angst vor Kfz-Lenkern“
(Haindl, Risser 2007: 19).3 Je über 10 % der Befragten fürchten sich davor gesto-ßen oder umgeworfen zu werden und davor, dass es ihnen in einer belebten Stra-ße schwindelig wird (Haindl, Risser 20
dass viele ältere Menschen, vor allem Frauen, vermeiden, bei Dunkelheit unter-wegs zu sein (Limbourg, Matern 2008: 33 ff.).