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Die strukturationstheoretische Perspektive

4.3 Metatheoretische Einordnung

4.3.1 Die strukturationstheoretische Perspektive

Die Strukturationstheorie wurde ursprünglich von Anthony Giddens (1976, 1979, 1984) in der kritischen Auseinandersetzung mit handlungstheoretischen und struktu-ralistischen Ansätzen entwickelt. In dem Versuch, einen Brückenschlag zwischen voluntaristischen und strukturellen Theoriepositionen vorzunehmen, ist diese ver-gleichsweise noch junge Theorie für eine Vielzahl von sozial- bzw. betriebswirt-schaftlichen Disziplinen interessant geworden. Nachfolgend werden zunächst die

Grundzüge der Strukturationstheorie Giddens' und im Anschluss die Übertragung auf die Konstitution von Unternehmensnetzwerken dargestellt.

Giddens (1984) bezeichnet die von ihm entwickelte Theorie als Sozialtheorie - eine Art Metatheorie als Klammer für alle Problemfelder der Sozialwissenschaften. Dabei liegt der Fokus jedoch auf dem Verständnis menschlichen Handelns und sozialer Institutionen.

Das zentrale Anliegen des Autors besteht in der Überwindung des Dualismus zwi-schen Handlung und Struktur in der Sozial- und Organisationstheorie. Giddens wen-det sich zum einem gegen objektivistische Positionen (Strukturalismus, Funktiona-lismus), in denen das Objekt (die Gesellschaft, die Organisation) das Subjekt (den sozialen Akteur) beherrscht. Zum anderen lehnt er subjektivistische Ansätze ab, in denen Handeln und Sinn den gemeinsamen Primat in der Erklärung menschlichen Handelns besitzen und strukturelle Konzepte eine untergeordnete bis vernachläs-sigte Rolle spielen. Zwischen diesen beiden Grundpositionen ist von jeher strittig, wie die Konzepte des Handelns, des Sinns und der Subjektivität mit den Konzepten der Struktur und des Zwangs in Verbindung gebracht werden können - ebenso strittig ist die Frage, worin das Primat der Erklärung (Objekt oder Subjekt) zu liegen habe (Walgenbach, 2001b).

Dualität von Struktur

Giddens führt zur Überwindung dieser gegensätzlichen Positionen als zentrale Figur die Dualität von Struktur in sein Konzept ein: "The essential recursiveness of social life, as constituted in social practices: structure is both medium and outcome of social practices. Structure enters simultaneously into the constitution of the agent and so-cial practices, and 'exists' in the generating moments of this constitution" (Giddens, 1979, S. 5). Handlung und Struktur stehen hier nicht in Konkurrenz zueinander, son-dern setzen sich wechselseitig voraus:

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Die sozialen Akteure reproduzieren durch ihre Handlungen die Bedingungen

(Strukturen), die ihr Handeln ermöglichen, und

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Strukturen sind sowohl das Medium als auch das Ergebnis sozialen Handelns

(Walgenbach, 2001b).

Handelnde und Handeln

Handelnde (soziale Akteure) sind der Strukturationstheorie zufolge mit Reflexions-mächtigkeit und Intentionalität ausgestattet. Demnach wissen sie, trotz unbewusster Handlungsmotive, viel über sich, über ihr Handeln und die strukturellen Bedingungen ihres Handelns. Die Konzepte des handlungspraktischen Wissens bzw. der hand-lungspraktischen Bewusstheit stellen eine zentrale Basis der Strukturationstheorie dar. Die Aussagen beziehen sich darauf, dass die sozialen Akteure die Struktur des jeweiligen Kontextes, in dem sie in Interaktion treten, nicht oder zumindest nicht voll-ständig benennen können (Walgenbach, 2001b). Jedoch kann die handlungsprakti-sche Bewusstheit auch in diskursive Bewusstheit übergehen – eine Voraussetzung für die reflexive Steuerung des Alltagshandelns. Denn, so Giddens (1984, S. 5), Handeln kann nicht getrennt vom Körper, dessen Vermittlungen mit der Umwelt und wiederum deren Zusammenhang mit dem handelnden Selbst diskutiert werden. Die reflexive Steuerung des Handelns richtet sich folglich auch auf das Umfeld der

Inter-aktion und das Handeln anderer. Walgenbach macht dies an einem Beispiel deutlich:

„Die Mitarbeiter einer Unternehmung wissen nicht nur, dass in der Unternehmung Ziele verfolgt werden, dass arbeitsteilig vorgegangen wird und die eigene Arbeit an die anderer anschließt, sondern sie wissen zudem eine Menge darüber, was die in-stitutionalisierte Identität eines Vorgesetzten, eines Kollegen, eines Mitarbeiters oder auch eines Kunden ausmacht. Dieses Wissen fließt in der Gesamtheit in die Kon-trolle des eigenen Verhaltens ein“ (Walgenbach, 2001b; S. 359).

Trotz der Reflexionsmächtigkeit können Handlungen aber auch in der Folge von un-erkannten, nichteingestandenen Bedingungen neue Bedingungen weiteren Handelns produzieren. Hierbei trägt Giddens der „Begrenztheit“ der menschlichen Bewusstheit Rechnung.

Struktur und Strukturierung

Ein weiteres zentrales Argument von Giddens, mit dem er sich erheblich von objekti-vistischen Theorieprogrammen absetzt, ist, dass Struktur nicht „als ein außerhalb des handelndes Subjekts wirkender Faktor das Handeln determiniert, sondern dass die rekursive Reproduktion sozialer Struktur deshalb erfolgt, weil sie in der (hand-lungs)praktischen Bewusstheit der Akteure repräsentiert ist und als Medium wirkt, an dem Handeln orientiert ist“ (Walgenbach, 2001; S. 360).

Der Strukturationstheorie liegt – wie aus dem vorher Skizzierten deutlich wurde - eine prozessuale Betrachtungsweise zugrunde. Der von Giddens geschaffene Neologis-mus Strukturierung soll dabei hervorheben, dass Struktur als ein Prozess der Pro-duktion und ReproPro-duktion betrachtet werden muss und nicht als stabiler Zustand.

Struktur versteht Giddens (1984) dabei – im Gegensatz zu anderen Organisations-theorien – als Regeln und Ressourcen, die interaktive Beziehungen über Raum und Zeit stabilisieren. Dabei beziehen sich die Regeln auf die jeweilige Form des subjek-tiven handlungspraktischen Wissens der Akteure, wo hingegen die Ressourcen das Handlungsvermögen der Akteure begründen (allokativ und autoritativ). Giddens (ibid.) zufolge beziehen sich die Regeln zum einen auf die Konstitution von Sinn im Hinblick auf Interpretationsschemata, Welt- und Menschenbilder und Stereotypen, die von sozialen Akteuren herangezogen werden, um die sozialen Interaktionen deuten zu können. Diesen Bezug nennt Giddens Signifikation. Zum anderen betref-fen Regeln Rechte und Verpflichtungen, was Giddens mit Legitimation bezeichnet.

Hierbei wird die Sanktionierung sozialer Verhaltensweisen angesprochen. Jedoch nur im Zusammenhang mit Ressourcen schafft die Anwendung von Regeln durch die sozialen Akteure Formen der Herrschaft und Macht. Zwei Arten von Ressourcen werden in diesem Kontext unterschieden: Allokative Ressourcen beziehen sich auf die Fähigkeit bzw. das Vermögen zur Umgestaltung, die Herrschaft über Objekte, Güter oder andere materielle Phänomene – allokative Ressourcen leiten sich aus der Herrschaft des Menschen über die Natur her (Walgenbach, 2001b). Autoritative Res-sourcen kennzeichnen Formen des Vermögens zur Umgestaltung, die Herrschaft über Personen (Akteure) ermöglichen61.

61 Bei dem Allokationsmedium Geld fallen beide Arten von Ressourcen zusammen, da Geld auch Autorität verleiht (Walgenbach, 2001b; S. 362).

Die skizzierten Strukturdimensionen Signifikation, Legitimation und Herrschaft müs-sen Giddens zufolge „as an integrated set rather than three discrete components“

(Giddens, 1976; S. 124) betrachtet werden, da sie in ihrer Wirkung aufeinander be-zogen sind. Walgenbach gibt dazu ein Beispiel: „Das ‚Ökonomische‘ kann bspw.

nicht angemessen als Wettbewerb um knappe Ressourcen beschreiben werden, es ist zugleich mit bestimmten Weltbildern und rechtlichen Institutionen verbunden, und die Durchsetzung von Sanktionen ist immer auch an die aktuelle Verfügung über Ressourcen gebunden und mit bestimmten Wertesystemen verknüpft“ (Walgenbach, 2001b, S. 362). Die folgende Abbildung fasst die Dimensionen der Dualität von Struktur zusammen. Die Rekursivität drückt sich dabei vor allem in der fortwähren-den Bezugnahme der Akteure auf herrschende Strukturen und deren gleichzeitiger Reproduktion zum Ausdruck.

Signifikation Domination

(Herrschaft) Legitimation

Interpretatives

Schema Fazilität Norm

Kommunikation Macht Sanktionierung

Struktur

(Modalität)

Interaktion

Abb. 4.3 Die Dimensionen der Dualität von Struktur (nach Giddens, 1984)

Sowohl für die Regeln der Signifikation und Legitimation als auch für die Ressourcen der Domination gilt, dass sie Akteurshandeln nicht nur ermöglichen und restringieren, sondern dass sie durch das Handeln reproduziert und damit weiter verfestigt, ggf.

aber auch modifiziert bzw. beeinflusst werden (Sydow, 1999). Ferner bemerkt Sydow (ibid.), dass die Strukturationstheorie im Gegensatz zu den evolutionstheoretischen und interventionstheoretischen Ansätzen nicht von gegebenen Regeln und Ressour-cen und vor allen Dingen nicht zwangsläufig von einem Erfolg der Intervention aus-geht, sondern, dass sie mit unintendierten Handlungsfolgen, Entwicklungsbrüchen und sogar Zufälligkeiten rechnet. Netzwerkentwicklung sei somit immer Ergebnis re-flexiver wie nicht-rere-flexiver Strukturation.

Soziale Praktiken ergeben sich schließlich als das „Sichtbare“ des hier skizzierten Bedingungsgefüges. Unter sozialen Praktiken versteht Giddens (1984; S. 2) wieder-kehrend unter Rückgriff auf Strukturen, d. h. auf Regeln und Ressourcen, praktizierte Formen des Handelns. Akteure entwickeln diese Praktiken in sozialen Systemen hervor (in Raum und Zeit koordinierten sozialen Beziehungen und Interaktionen), und zwar im rekursiven Zusammenspiel gesellschaftsweiter Institutionen mit den sozialen Beziehungen sowie Interaktionen der Akteure (Sydow & Windeler, 1999; Sydow &

Windeler, 2000). Zusätzlich beziehen sich die Akteure im Handeln auf Kontexte, z. B.

konkrete Projekte und die Strukturen eines Kooperationsnetzwerkes, des

organisa-tionalen Feldes bis hin zu gesellschaftsweiten Institutionen und Zusammenhängen62. Die strukturationstheoretische Perspektive ist dabei jedoch nicht tautologisch. So schließt sie auf der Ebene der Erfassung des gesamten Spektrums möglicher sozia-ler Aktivitäten das Primat des Handelns über die Struktur sowie bloße Reiz-Reaktions-Verhältnisse aus (Windeler, 2001).

4.3.2 Übertragung der strukturationstheoretischen Perspektive auf die