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Begriffsbestimmungen: Kooperation, Netzwerke und

1.2 Kooperation und Netzwerkbildung als Phänomen

1.2.1 Begriffsbestimmungen: Kooperation, Netzwerke und

Ohne den Problematisierungen im Hinblick auf die Vielfalt der verwendeten Theorien verschiedener Disziplinen weiter unten vorzugreifen, werden nachfolgend Definitio-nen des Phänomenbereiches vorgestellt, um dem Leser eine erste Einordnung in den Phänomenbereich zu ermöglichen und um einen Rahmen für den Betrachtungs-gegenstand dieser Arbeit zu geben. Eine umfassende Übersicht über Definitionen von Kooperation und über den Diskussionsstand würde allerdings den Rahmen die-ser Arbeit sprengen. Daher werden lediglich die zentralen Merkmale der Kooperation und von Netzwerken kurz dargestellt, welche später in den Operationalisierungen der Theorieentwicklung dieser Arbeit Eingang finden1.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die in Kapitel 4 ff. beschriebenen und disku-tierten Theorieansätze nicht vollkommen den hier zugrunde gelegten Begriffen ent-sprechen. Jedoch wäre ein Weglassen theoretischer Ansätze aufgrund unterschiedli-cher Begriffssystematiken im Sinne des weiter unten beschriebenen wissenschafts-theoretischen Vorgehens wenig sinnvoll, da unter allen Einschränkungen einige für den weiteren Erörterungsprozess „im Kern“ befruchtende Informationen nicht be-trachtet werden würden. Gravierende Abweichungen von der hier als Basis vorge-stellten Morphologie der Erkenntnisobjekte werden allerdings daher hinsichtlich der Relevanz der in den Kapiteln 4 und 5 erfolgten theoretischen Ausführungen behan-delt.

Zum Kooperationsbegriff

Es sei an dieser Stelle auf ein Zitat von Kumbruck (2001) verwiesen, die bei ihrer Suche nach Hinweisen aus der Sozialpsychologie zum Thema Kooperation sowie verwandter Begriffe wie Gruppe, Konkurrenz, Konflikt und Vertrauen mit Greif (1987, S. 169 ff.) feststellt, dass "eine heterogene Vielfalt [existiert], in der Minitheorien, Konzepte, Einzelprobleme und Methoden nebeneinander stehen". Auch interdiszipli-när wird dieser Begriff durchaus unterschiedlich verstanden und mit verschiedenen Qualitäten belegt. So tendieren ökonomische Definitionsversuche dazu, Kooperation eher im Sinne einer Koordination von Akteuren als im Sinne eines synergetischen Outputs zu fassen. In diesem Sinne definieren etwa Picot, Reichwald & Wigand (1998, S. 13) Kooperation als "eine Form der freiwilligen zwischenbetrieblichen Zu-sammenarbeit von mindestens zwei Unternehmen unter Wahrung wirtschaftlicher und rechtlicher Selbständigkeit. Auf Basis einer Kooperationsvereinbarung findet

1 Zur vertieften Beschäftigung mit Kooperationen wird der interessierte Leser auf die jeweilige aus-führlichere Literatur verwiesen (s. dazu z. B. Axelrod, 1984; Argyle, 1991; Rotering, 1993; Rössl, 1994; Spieß, 1995; Picot, Reichwald & Wigand, 1998; Lohmann, 2000)

ne zweckorientierte Zusammenarbeit statt, die eine gemeinsame Erreichung eines oder mehrerer übergeordneter und nur gemeinsam erreichbarer Ziele anstrebt." So wird das Hauptziel einer Kooperation darin gesehen, dass sich die Kompetenzen und wirtschaftlichen Beziehungen der Unternehmen komplementär ergänzen, um für alle Beteiligten Kooperationspartner eine bessere Position im Wettbewerb zu erreichen.

Nach dem Vorbild der Arbeitsteilung übernimmt bei einer derartigen Koordination jeder die Aufgabe, die er am besten erledigen kann.

Ferner wird im ökonomischen Bereich noch nach horizontaler (gleiche Produktions-oder Marktstufe), vertikaler (verschiedene Produktionsstufen) sowie diagonaler (ver-schiedene Branchen) Kooperation unterschieden.

Der Soziologe Bernd Marin (1996, S. 461) betont hingegen Interessengegensätze und Interessenabhängigkeiten als charakteristisch für Kooperationen: "Ohne Interes-sengegensatz wäre Kooperation nicht notwendig, und ohne Interesseninterdepen-denz wäre sie nicht möglich“.

Mit Blick auf die Mehrdimensionalität von Kooperation weist die Psychologin Erika Spieß (1996) in ihrer Habilitationsschrift auf unterschiedliche Kooperationsformen hin: So versteht sie unter strategischer Kooperation ein Handeln, das rational und zielgerichtet seinen Nutzen kalkuliert und mit dem Menschenbild des "homo oeco-nomicus" korrespondiert; der empathischen Kooperation liegt zwar auch das ge-meinsam zu erreichende Ziel zugrunde, jedoch unter Bemühung, sich in den Partner hineinzuversetzen; schließlich erfolgt in der Pseudokooperation ein "als ob"-Handeln - eine Gemeinsamkeit zwischen den Kooperationspartner ist de facto nicht mehr vor-handen, sondern nur vorgespielt.

Hinsichtlich der Erfordernis, in dieser Arbeit eine Breite an Konzepten, Theorien und Modellen zum Kooperations- und Netzwerkphänomen zu integrieren, wird schließlich eine Definition von Argyle (1991, S. 4) zugrunde gelegt, der Kooperation in einem weiten Verständnis fasst als „acting together, in a coordinated way at work, leisure, or in social relationsships, in the pursuit of shared goals, the enjoyment of the joint activity, or simply furthering the relationship“.

Zum Netzwerkbegriff

Ähnlich wie zur Kooperation sind auf dem Gebiet der Netzwerkforschung zahlreiche Definitionsansätze und Konzeptualisierungen existent, deren ausführliche Erörterung an dieser Stelle nicht erfolgen kann. Insbesondere betriebswirtschaftlich und soziolo-gisch orientierte Arbeiten haben wiederum dazu viele Konzepte hervorgebracht2. Netzwerkdefinitionen, die sich auf Forschungen zu sozialen (familären, freundschaft-lichen etc.) Verbindungen beziehen, werden an dieser Stelle nicht berücksichtigt, da es bei dieser Arbeit um Spezifika interorganisationaler Netzwerke geht.

Die Tabelle 1.1 soll zunächst als stilisierte Beschreibung von Organisationsformen dienen. Powell (1996) entwickelte dieses Schema in seiner Analyse zur Systemati-sierung und Weiterentwicklung ökonomischer Organisationsformen. Eine für diese

2 (vgl. dazu z. B. Adamek, 1980; Miles & Snow, 1986; Hollingsworth, 1996; Mayntz, 1996; Hage &

Alter, 1997; Balling, 1998; Castells, 2000; Sydow & Windeler, 2000; Howaldt, Kopp & Martens, 2001).

Arbeit relevante Beschreibung und Diskussion ökonomischer Ansätze wird jedoch ausführlicher in Kapitel 5.1.2 vorgenommen3.

Tab. 1.1 Ein stilisierter Vergleich ökonomischer Organisationsformen (Quelle:

Powell, 1996):

Flexibilitätsgrad hoch niedrig mittel

Stärke der Verpflich-tungen zwischen den Parteien

niedrig mittel bis hoch mittel bis hoch

Atmosphäre oder Klima

Genauigkeit und/oder Misstrauen

Formal, bürokratisch „open-ended“, ge-genseitige Vorteile Akteurpräferenzen

oder Entscheidungen

unabhängig abhängig interdependent

Mischformen Wiederholte Transak-tionen (Geertz, 19784)

Informelle Organisa-tion (Dalton, 19575)

Statushierarchien, vielfältige Partner Verträge als

hierar-chische Dokumente (Stinchcombe, 19856)

Marktähnliche Eigen-schaften: Profitcen-tren, Verrechnungs-preise (Eccles, 19857

formale Regeln

Bei diesem Vergleich verdeutlicht der Autor, dass Netzwerke sich insbesondere in der zu Grunde liegenden Beziehungsform zwischen den Akteuren (sowohl normativ

3 Allerdings muss bei dieser Darstellung, die als Beispiel einer Ordnungsmöglichkeit von Koordinati-onsformen angeführt wurde, ein kritischer Beitrag hinzugefügt werden, der bereits als Verweis auf das Kapitel zur Notwendigkeit theoretischer Erweiterungen (Kapitel 1.2.2) sowie zu den systemati-schen Theorieerörterungen in dieser Arbeit dient. So schreibt Wiesenthal (1999) über Powells An-satz: „Der Autor bedient sich (...) des Tricks, Organisation (Hierarchie) auf die Exekution von Rou-tinen als ‚means of communication‘ (sic) zu reduzieren und (Beziehungs-)Verträge ausschließlich als Konstituens von Netzwerken zu behandeln. Damit setzt er sich allerdings in einen unüberwind-lichen Gegensatz sowohl zur institutionellen Ökonomie, die ‚relational contracts‘ im Anschluss an Coase (1937) als konstitutiv für Organisationen betrachtet, als auch zur Organisationswissenschaft der Carnegie Mellon School um Herbert A. Simon, welcher Organisationen als prinzipiell strate-giefähig gelten“.

4 Geertz, C. (1978). The Bazar Economy: Information and Search in Peasant Marketing. In: Ameri-can Economic Review, 68 (2), S. 28 - 32

5 Dalton, M. (1957). Men who Manage. New York: Wiley

6 Stinchcombe, A. (1985). Contracts as Hierarchical Documents. In: Stinchcombe, A & Heimer, C.

(Hrsg.). Organization Theory and Project Management. Oslo: Norwegian University Press

als auch zwischenmenschlich) von den anderen Koordinationsmechanismen unter-scheiden.

Tab. 1.2 Typologie der Steuerungsmechanismen (Hollingsworth, 1996) Aktionsbereich über-wiegend auf der Beeinflus-sung der individuellen Handlungsanreize

Koordination beruht über-wiegend auf dem Appell an solidaristische Werte und

- kurzfristig liquidierbare Verkäufe

- Kassa- und Effektivge-schäfte am Markt - „spot markets“

Zelle 4

Überwachungsnetzwerke - ausgedehnte

Unter- nehmensverflechtun-gen zum Zwecke des Informationsaustau-sches und der Kontrolle - Preisführerschaft - „Joint Ventures“ und strategische Allianzen - „Relational Contracting“

- „Franchising“ und Kon-zessionen - Forschungs- und

Ent-

- vertikale und horizontale Integration

- Konglomeratbildung -

Arbeitsplatzbeschreibun-gen (werden durch die Gewerkschaften mit

7 Eccles, R. (1985). The Transfer Pricing Problem: A Theory for Practice. Lexington, MA: Lex. Books

Einen weiteren Ordnungsversuch hinsichtlich gesellschaftlicher und ökonomischer Steuerungsmechanismen nimmt Hollingsworth (1996) vor. Dabei differenziert er ei-nerseits zwischen einem kollektivistischen und individualistischen Aktionsbereich und andererseits zwischen der jeweiligen Form der Koordination.

In Tabelle 1.2 sind die wichtigsten Merkmale einer derartigen Typologie dargestellt.

So kategorisiert er auf individualistischer Ebene so genannte Verpflichtungsnetzwer-ke, und auf kollektiver Ebene Überwachungs- und Unterstützungsnetzwerke.

Sydow & Windeler (1999, S. 11 ff.) tragen wesentliche Strukturmerkmale von Netz-werken zusammen, die bislang in der von ihnen gesichteten Literatur ausgemacht worden sind: Die Erfordernis zur Kooperation bzw. eine Kooperationszusammen-hang, eine Vertrauensbasis und Selbstverpflichtung zum nicht-opportunen Verhalten der Netzwerkakteure untereinander, Verlässlichkeit, Verhandlung und Verträge sowie ein dauerhafter Beziehungszusammenhang. Jedoch mahnen die Autoren die weitere Notwendigkeit einer theoretischen Spezifizierung auch für konkrete Anwendungsfel-der an (vgl. weiter unten).

Interorganisationale Kooperationsnetzwerke

Da in dieser Arbeit nicht nur die Kooperation in Netzwerkstrukturen zwischen einzel-nen Akteuren im Vordergrund steht, sondern auch die Kooperation auf institutioneller Ebene wird im Weiteren von interorganisationaler Kooperation gesprochen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die kooperierenden Akteure sowohl Abhängigkeiten un-tereinander aufweisen als auch zwischen ihnen und ihren eigenen Institutionen. Dar-über hinaus bestehen nicht personengebundene Abhängigkeiten zwischen den In-stitutionen (z. B. rechtlicher oder wirtschaftlicher Art). Mit Blick auf die weiteren Erör-terungen wird eine weit gefasste Definition entwickelt, die den kleinsten gemeinsa-men Nenner der interorganisationalen8 Netzwerkforschung unter Berücksichtigung des vorher Skizzierten darstellt. Demnach sind interorganisationale Netzwerke durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

!!!! !!!!

Ein längerfristig orientierter Kooperationszusammenhang zwischen mindestens

drei Organisationen besteht oder wird angestrebt.

!!!! !!!!

Die Netzwerkpartner sind untereinander weitgehend hierarchisch autonom (da

ansonsten von einer vertikalen Verflechtung ausgegangen werden muss bei der Kooperationszusammenhänge unter anderen Voraussetzungen stattfinden).

!!!! !!!!

Es existieren Interdependenzen zwischen den Netzwerkpartnern, die

Kooperati-onserfordernisse begründen.

!!!! !!!!

Das Netzwerk ist abgrenzbar von anderen existenten Organisationsstrukturen.

Auf der Folie dieser Definition werden in Kapitel 3 weitere Konkretisierungen für Ko-operationsnetzwerke im Anwendungsfeld 'Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit' vorgenommen.

8 Der Begriff "interorganisational" ist die deutsche Anlehnung an den im anglo-amerikanischen Sprachraum gebräuchlichen Terminus "interorganizational".