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Untersuchungsdesign

Übersicht 13: Grundformen der Konfliktaustragung

7.5 Die Kategorie Kollegialität und Solidarität

Kollegialität bezeichnet ein positives Verhältnis und partnerschaftliches Verhalten zwi-schen den MitarbeiterInnen einer Pflege-Organisation. Dieses Verhältnis trägt idealty-pisch eine kollektive Ausrichtung. Dabei werden für die optimale Leistung solidarische Handlungen und eine wechselseitige Unterstützung erbracht, die frei von individualisti-schen oder egoistiindividualisti-schen Antrieben sind und die von gemeinsamen Zielen bzw. Über-zeugungen – bei gleichen Rechten und Pflichten (Unterschiede resultieren aus Qualifi-kation respektive Funktion) – geleitet werden.

Die Qualität eines Zusammengehörigkeitsgefühls (Solidarität als Gefühl) bei den einzelnen MitarbeiterInnen unterstützt das Beziehungsgefüge, indem es auf affektiver Ebene über emotionale Bindungen zu einer Kohäsion der Gruppe beiträgt. Dass Zu-sammenhalt und das Sich-wohl-fühlen in einer Arbeitsgruppe die Produktivität bzw.

Leistungsbereitschaft steigern, hat Mayo (1950: 164ff) schon vor über 60 Jahren bestä-tigt.

Auf ein heterogen zusammengesetztes Pflegekollegium kann das Solidaritätsverständnis von Rorty (1999: 310) übertragen werden. Er sieht „Solidarität als Fähigkeit, Menschen, die himmelweit verschieden von uns sind, doch zu „uns“ zu zählen“. Durch eine be-wusste Wahrnehmung von negativen Erlebnissen, die diesen Menschen widerfahren, soll die Vorstellung generiert werden, dass der Grad an Unterschiedlichkeit gar nicht so elementar ist, da deren emotionales Erleben auch nicht von unterschiedlicher Beschaf-fenheit ist (a. a. O.: 165).

Solidarität als Handlung entsteht durch Gruppenzugehörigkeit. Es ist die Bereitschaft, für das Wohlergehen (physisch, psychisch, sozial) der anderen Mitglieder einer Gruppe Anstrengungen, aber auch Einschränkungen, auf sich zu nehmen (vgl. Beckert et al.

2004: 9). Solidarität dient als Handlungskoordination, die eine Nachrangigkeit von ei-genen Interessen gegenüber den kollektiven Interessen der Gruppe bewirkt (Kaufmann 2004: 55). Die Motivation zu solidarischem Handeln ist abhängig von gemeinsamen In-teressen und von der Norm der Reziprozität (Bierhoff / Küpper 1998: 275), aber auch von der religiösen Ausrichtung (Zulehner et al. 1997: 214) sowie der Tendenz zu proso-zialem Verhalten (Kiessling 2005: 82).

Hier stellt sich somit die Frage, in wie weit MitarbeiterInnen eines multiethnischen Al-tenpflegeteams vor dem Hintergrund unterschiedlicher Abstammungen zu zusätzlichen Leistungen und partnerschaftlichem Verhalten zum Wohle von KollegInnen und unter Zurückstellung eigener Interessen bereit sind. Zur Einschätzung des Sachverhaltes wird nach prosozialem Verhalten und der Fehlerkultur gefragt.

7.5.1 Der Indikator Prosoziales Verhalten15

Prosoziale Verhaltensweisen sind Handlungen mit der Intention einer konkreten Person etwas Gutes / Positives zu tun, ohne dass eine dienstliche Verpflichtung aufgrund der Rollenstruktur besteht (Bierhoff 2002: 668). Herrscht in einem Team ein gute Stim-mung, ist die Neigung der Mitglieder zu Hilfsbereitschaft erhöht (Bierhoff 1997: 401),

15 Im Rahmen organisationspsychologischer Forschungsaktivitäten wurden mit einer ähnlichen Konzeption die Modelle des Extra-Rollenverhaltens und des Organizational Citizenship Behavior sowie etliche weitere Ausführungen dazu entwickelt (vgl. dazu als Übersicht Nerdinger 1998, 2004). Auf eine weitere Ausdifferenzierung der Modelle wird aber verzichtet.

bei Zeitdruck und Stress ist sie gehemmt (a. a. O.: 396).

Es gibt Unterstützungsaktivitäten, die durch entsprechende Positionen, Strukturen oder Vorgaben (z. B. Stellenbeschreibungen) erforderlich und legitimiert sind. Beispiels-weise assistieren Fachkräfte weniger qualifizierten Personen oder MentorInnen lernen neue MitarbeiterInnen oder Auszubildende an. Darüber hinaus gehende Hilfsangebote entstehen freiwillig, beispielsweise der Tausch von zu betreuenden BewohnerInnen, die Übernahme ungeliebter Tätigkeiten oder der kurzfristige Wechsel von dienstlichen Ar-beitszeiten.

Lässt sich prosoziales Verhalten auch auf egoistische Motive nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip zurückführen, so ist dennoch die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass eine ein-geschränkte Hilfsbereitschaft eine schlechte Stimmung auf einer Station signalisiert (Bierhoff 1997: 402).

Die Annahme in diesem Kontext lautet, dass eine positive respektive „gute“ Stim-mung und bestehende Freundschaften während der Arbeit prosoziales Verhalten im Pflegeteam fördern. Weiterhin wird vermutet, dass bei den Adressaten der Hil-festellungen keine ethnischen Unterscheidungen gemacht werden – entweder es existiert ein Klima der Unterstützung oder nicht. Wird somit bei den Unterstüt-zungsangeboten bzw. -leistungen nicht nach Herkunft und Hintergrund gefragt, deutet dies auf ein gelingendes Integrationsspektrum hin – prosoziale Verhaltens-weisen werden als Indikator einer gelungenen Einbeziehung aller ins Team gewer-tet.

7.5.2 Der Indikator Fehlerkultur

In Institutionen existieren direkte und indirekte normative Strukturen, an denen sich die PflegemitarbeiterInnen mit ihrem Verhalten zu orientieren haben. Auf der einen Seite gibt es explizit ausformulierte Regeln, deren Einhaltung verpflichtend erwartet wird.

Darunter lassen sich das institutionsspezifische Leitbild (z. B. ressourcen-, biografie- oder bedürfnisorientierte Ausrichtung), die praktizierten Pflegemodelle (z. B. AEDL) und das Pflegekonzept subsumieren, woraus detailliert ausformulierte Standards (d. h.

Arbeitsanweisungen) hervorgehen. Indirekte Verhaltensregeln, vielmehr deren Umset-zung, werden von den Gesellschafts- und Teammitgliedern allgemein erwartet (z. B.

Höflichkeit, Respekt). Die Nichteinhaltung derartiger Verhaltensimperative zieht in der Regel Formen der Sanktionierung nach sich. Sanktionen dienen einerseits dazu, das

An-sehen einer Norm weiterhin zu gewährleisten, andererseits sind sie als Motivation für richtiges Agieren anzusehen (Luhmann 1995: 251ff). Ein unabsichtliches, normabwei-chendes Verhalten lässt sich als Fehler, Versehen, Missgeschick oder einmalige Schwä-che titulieren (a. a. O.: 256).

Wo Menschen arbeiten und interaktiv tätig sind, werden Fehler gemacht. Ein Fehler drückt dann die Diskrepanz zwischen Erwartung und Handlung aus. Im Verbund eines Teams übt jedes Mitglied ein gewisses Maß an kollegialer Kontrolle aus. Kommt es dennoch zu einem nonkonformen Verhalten, so kann die Sanktionierung gruppenintern auf kollegiale, informelle Art erledigt werden: ein unmittelbarer, neutraler Hinweis auf einen Fehler, um dem Verursacher die Möglichkeit zu geben, zukünftig sein Agieren adäquat zu gestalten. Daneben besteht auch ein personalpolitischer Sanktionstyp (Luh-mann 1995: 266), der den Weg über Vorgesetzte und organisatorische Strukturen nimmt. Bei einer derartigen Regulierung geht ein Vorfall über die Teamgrenzen hinaus und legitimierte Normensetzer werden sanktionierend tätig, um mit graduell-ansteigenden personalpolitischen Instrumentarien (u. a. Gespräche, Abmahnungen, Kündigung) zum Erhalt des Systems beizutragen.

Im Kontext von kollegialem und solidarischem Handeln spielt auch der Bereich der (Fehler-)Verantwortung eine elementare Rolle. Die Pflicht zur Rechenschaft, d. h. für verursachte Fehler oder Akte des Versagens eintreten zu müssen, korreliert mit der Übernahme von Aufgaben. Diese Verantwortlichkeit umfasst folglich einerseits die Zu-ständigkeit für einen definierten Handlungs- und Wirkungsbereich, der inhaltlich mit an Normen und Standards orientierten Aktionen ausgefüllt ist. Andererseits beinhalten feh-lerhafte Verhaltensweisen und deren Folgen die Notwendigkeit, sich zu diesen verant-wortlich zu bekennen. Dies setzt ein entsprechendes Bewusstsein bei den MitarbeiterIn-nen voraus. Ein positiv strukturiertes Beziehungsverhältnis innerhalb des Teams trägt dazu bei, sich den anderen zu offenbaren (auch Luhmann 1995: 175).

In der Praxis ist es durchaus möglich, Verantwortung auf sich zu laden, sich aber even-tuellen Rechenschaftsforderungen bei Problemen zu entziehen. Die Verteilung bzw.

Streuung der Verantwortung aufgrund des arbeitsteiligen Prinzips, welches in der Pflege existent ist, stellt eine Möglichkeit dar. Die Minimierung von Verantwortung mittels ei-nes sich Berufens auf Traditionswissen („Das wurde schon immer so gemacht“) oder die Anwendung von Verschleierungsstrategien (z. B. Ausreden, Leugnen) eine andere.

Der Grad an Verantwortung nimmt entlang der hierarchischen Anordnung nach oben zu. Je höher ein erreichter Status, desto größer ist die Verantwortlichkeit, was auch die Handlungen anderer, die niedriger positioniert sind, inkludiert. Aus dieser Verantwor-tung lassen sich Forderungen an das Verhalten (der Untergebenen), Kotrollaktivitäten und kritisierende, korrigierende oder zurechtweisende Handlungen legitimieren.

Unabhängig davon, ob ein Fehler als Einzelfall oder Wiederholungsenttäuschung auf-tritt, verdeutlicht die vorhandene Fehlerkultur bzw. das Fehlerverhalten (Erkenntnis, Hinweis, Verbesserung), wie solidarisches Agieren innerhalb des multiethnischen Kol-legiums beschaffen ist.

So wird unterstellt, dass eine konstruktive (aufbauende, zusammenfügende, auf Entwicklung ausgerichtete) Kritik ein Zeichen gelungener Integration darstellt.

Treten persönliche und emotionale Negativäußerungen in den Hintergrund, domi-niert das partnerschaftliche Miteinander und die Zusammengehörigkeit das Teamverhalten.