• Keine Ergebnisse gefunden

Übersicht 5: Alterspyramide der ausländischen Bevölkerung in Deutschland (2003)

3.4 Die Bedeutung von Ethnizität

Treibel (1990: 161) hält fest, dass die Beziehung zwischen den MigrantInnen durch Status der einheimischen Individuen, die ethnischen Orientierungen und Neubildungen der ZuwanderInnen, sowie durch die relativen Machtunterschieden der beiden Gruppen

bestimmt wird.

Ethnisches Denken prägt das autochthone – allochthone Verhältnis und schon einer der soziologischen Gründerväter definierte in diesem Zusammenhang: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche aufgrund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen sub-jektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinsamkeit hegen [...] ethnische Gruppen nennen“ (Weber 1980: 297).

Ethnizität ist also ein Kriterium, das Zuschreibungen tätigt, wobei es von Mitgliedern einer bestimmten Gemeinschaft angewandt wird, die subjektiv davon überzeugt sind, Gemeinsamkeiten zu besitzen, welche sie von anderen absetzen und unterscheiden.

Merkmale für solche Differenzierungen können Hautfarbe, Sprache, Religion, Kleidung respektive Mode u. Ä. sein, besonders geeignet sind demnach äußerlich sichtbare An-haltspunkte. So erklärt wiederum Weber, dass „Unterschiede der Bart- und Haartracht, Kleidung, Ernährungsweise, der gewohnten Arbeitsteilung der Geschlechter und alle überhaupt ins Auge fallenden Differenzen [...] im Einzelfall Anlass zur Abstoßung und Verachtung des Andersgearteten geben (können, d. A.)“ (1980: 236).

Diese subjektive Überzeugung kann auf beiden Seiten ausgestaltet sein, wobei unter-schiedliche Motive ausschlaggebend sind. Schon Ende der 60er Jahre stellten Elias / Scotson (1990: 8) in ihrer Untersuchung fest, dass sich Alteingesessene gegen Neuan-kömmlinge in einer englischen Siedlung abwehrend verhielten. In dieser Etablierten-Außenseiter-Figuration wurde die zugezogene Minorität als minderwertiger angesehen, und zwar von einer Mehrheit, deren gemeinsamer Konsens lediglich auf der längeren Wohndauer beruhte. Diese geringfügige Gemeinsamkeit reichte aber aus, um über Zu-schreibungsprozesse die Neuankömmlinge negativ zu bewerten.

Darüber hinaus sehen sie das soziologische Alter (1990: 239) als ein relevantes Phäno-men, das derartige Prozesse bedingen kann. Zu verstehen ist darunter die Präsenz, also die Existenz einer bestimmten Gruppe in einer Gesellschaft, wobei sich die länger an-sässigen Gruppen gegenüber neuen bzw. neueren Zugewanderten abgrenzen und ab-schotten. Die Alteingesessenen stellen sich über eine andere Gruppe, was einerseits eine Zusammengehörigkeit und ein Wir-Gefühl bedingt, andererseits aber auch zu einer Ab-wertung der neu Zugezogenen führt. Diesen Glauben an eine gemeinsame Basis, mit der eigenen Überhöhung, bezeichnen Elias und Scotson als Gruppencharisma. Die

Einstu-fung der Zuwanderer mit ihrer Kultur usw. als minderwertig wird im Gegensatz dazu als Gruppenschande tituliert.

Neben dieser generellen Abgrenzung bzw. Abschottung bilden Ratlosigkeit, Ohnmacht und angstbesetzte Einstellungen auf Seiten der Einheimischen weitere wesentliche Mo-tive für eine ethnische Orientierung (vgl. Hoffmann-Nowotny 1973: 151; Elias / Scotson 1990: 16).

Es wird deutlich, dass die reine Zugehörigkeit zu einer Nation kein Kriterium ist, wel-ches Ausgrenzungs- oder Zuschreibungsprozesse nach sich zieht. Erst gemeinsame, subjektive Überzeugungen von Personen hinsichtlich gleicher Abstammung sowie glei-cher qualitativer Merkmale und deren Unterscheidung zu anderen Personen führen zu ethnischen Differenzierungen. Dieser ethnische Gemeinsamkeitsglaube enthält immer eine intern bindende und extern abstoßende Komponente (Esser 1980: 119).

Es gibt aber auch Ansätze, die ethnisches Denken mit externen Grenzziehungen und gemeinsamen Abstammungsglauben zu widerlegen versuchen (z. B. Elwert 2001: 127).

So verdeutlicht Beck-Gernsheim (2004: 41) in ihrem Blick auf die heutige Bevölkerung der Bundesrepublik, wie die modernen Lebensentwürfe und -formen der MigrantInnen an die deutschen Modelle angepasst sind: es gibt ähnliche Kernfamilienstrukturen, de-ren Teilnehmer im Austausch stehen; die Traditionen sind wichtig und werden gepflegt, sind aber mittlerweile modifiziert und als Identitätsgeber zu vernachlässigen. Alles in allem: die MigrantInnen sind nicht mehr so anders, so fremd, so auffallend.

Häufig finden sich die ZuwanderInnen in niedrigen gesellschaftlichen Schichten4 mit gering angesehenen Beschäftigungsmöglichkeiten wieder. Dort ersetzen sie Einheimi-sche, die es geschafft haben, sich in eine höhere soziale Schicht zu verbessern. Diese Entwicklung wird als Unterschichtung bezeichnet. Gleichzeitig soll den ZuwanderIn-nen der soziale respektive berufliche Aufstieg erschwert werden, so dass sich die Alt-eingesessenen durch eine ausbleibende Konkurrenzlosigkeit für den Aufstieg leichter höhere Positionen sichern können (Hoffmann-Nowotny 1973: 51f).

4 Mit Hradil (2001: 353ff) werden unter Schichten Bevölkerungsgruppen verstanden, deren Einordnung in besser oder schlechter gestellt sich über Einkommen bzw. das Vermögen und vorhandenen Qualifikati-onen ergibt (unabhängig von der Bewertung der Mitmenschen). Schichteinteilung erfolgt demnach zu-nächst berufsorientiert; Dimensionen sind Qualifikation, Einkommen, Stellung im Beruf oder Prestige (ebenso Objekt der Tätigkeit, Aktivitätstypus, Instrumentierung, Branche); Schichtungen nach (Produkti-onsmittel-)Besitz, nach Alter, nach Generation, nach Region, nach Geschlecht, Bildung oder ethnischer

Sieht man den Zuzug von AussiedlerInnen im Kontext der Segmentierungstheorie des Arbeitsmarktes, so wird die Besetzung von belastenden, temporär befristeten, schlecht honorierten und voraussetzungsarmen Positionen mit MigrantInnen ebenfalls verdeut-licht (Greif et al. 1999: 82). Die eingewanderten Arbeitskräfte werden als Lückenbüßer deklariert, sind entsprechend unteren Segmenten des Erwerbslebens zugeordnet und ei-nem hohen Risiko der Erwerbslosigkeit ausgesetzt. Diese Annahme betrifft nach dieser Theorie auch hoch qualifizierte ZuwanderInnen, die im Einwanderungsland sowohl ei-nem beruflichen als auch eiei-nem sozialen Abstieg ausgesetzt sind, wenn sie keine ver-gleichbaren Positionen einnehmen können.

Die Beschäftigung im Bereich der Altenhilfe zeigt folgende Merkmale: die Versorgung wird überwiegend von Frauen (85% der in Pflegeheimen Tätigen) in einem Teilzeitar-beitsverhältnis (zu 59%) ausgeführt (vgl. Statistisches Bundesamt 2011). Laut der Ge-werkschaft Ver.di (verdi-drei 2008) sind nur noch 23% der Pflegeheimträger tariflich gebunden und entlohnen dementsprechend meist untertariflich. So stellt – in Anlehnung an die allgemeinen Variablen zur Bewertung einer Beschäftigung5 – die Tätigkeit im Pflegebereich eine gering bezahlte (vgl. die anhaltende Mindestlohndebatte seit 2008), gesellschaftlich kaum angesehene Erwerbsmöglichkeit (vgl. Voges 2001) dar, die teil-weise schon mit Zeitarbeitsfirmen erbracht wird und relativ wenige Aufstiegsmöglich-keiten beinhaltet.

So erscheint es logisch, dass Personen mit Migrationshintergrund auch in diesem Sektor Anstellung finden, wobei die Situation auf dem Arbeitsmarkt m. E. generell für auslän-dische Personen signifikant schlechter ist (u. a. Bremer 2001: 100).

Ver.di spricht in diesem Kontext aktuell bei Altenpflegerinnen bundesweit von einem 18prozentigen Anteil mit eigener Migrationserfahrung, für Krankenpflegerinnen liegt dieser bei circa 12 und für Krankenpflegehelferinnen bei rund 16 Prozent (Steffen 2010).

5Allgemeine Faktoren, nach denen eine Beschäftigung bewertet wird:

1. Einkommensniveau und Lohnsystem;

2. Qualifizierung und Aufstiegschancen;

3. Einfluss und Handlungsspielraum;

4. Erwerbslosigkeitsrisiko;

5. Gesellschaftliche Wertung bzw. Sozialprestige der Tätigkeit (Greif 1985: 102).

Das beschriebene Phänomen der Unterschichtung steht im Kontext des Altenhilfeberei-ches auch in einem direkten Zusammenhang mit politischem Handeln.

Osteuropäischen EinwanderInnen wurde und wird es nur auf komplizierten Wegen er-möglicht, für schon im Heimatland erworbene berufliche oder akademische Abschlüsse eine bundesdeutsche Anerkennung zu erhalten. Viele der immigrierten Arbeitskräfte konnten in der Folge nicht in ihrem ursprünglichen Beruf tätig werden (z. B. als Lehr-kräfte). Die formalen Verfahren der Verwaltung, um beispielsweise zu einer Akzeptanz eines im Ausland erworbenen Hochschulabschlusses zu gelangen, sind zeitraubend und hürdenreich. Während der Anerkennungsverfahren ist wenig oder kein Einkommen zu erzielen, da entweder der Beruf nicht legitim ausgeübt werden kann oder spezielle Prak-tika vor einer endgültigen Anerkennung zu durchlaufen sind. Oft mündet dies in der Entscheidung, die ursprüngliche Berufung ruhen zu lassen (Maur 2003: 25). Denn „in Deutschland hängen Anerkennungsmöglichkeiten von der Zugehörigkeit zu einer be-stimmten Migrantengruppe, vom Beruf und vom Bundesland ab, in dem die potenzielle Antragstellerin bzw. der Antragsteller wohnt. Im Rahmen der Bildungshoheit sind die Bundesländer für die Anerkennungsverfahren zuständig“ (Englmann 2009:19). Jedes Bundesland übt dementsprechend eine abschlussspezifisch zuständige Verwaltungspra-xis zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungsabschlüssen aus.

Für MigrantInnen, die über entsprechende fachliche Qualifikation in der Pflege verfü-gen, aus Nicht-EU-Staaten gilt eine professionelle Ausübung ihres Berufes nur unter Restriktionen. Im Rahmen der Heimpersonalverordnung in Bayern beispielsweise sind von den Pflegekräften, deren ausländischer Abschluss im wesentlichen mit deutschen Fachausbildungen zu vergleichen ist, sechsmonatige Praktika in einer stationären Alten-einrichtung abzuleisten. Parallel ist eine gebührenpflichtige Fortbildungsmaßnahme zu besuchen. Wurden die zwei vorgesehenen Module erfolgreich durchlaufen, so sind die Absolventen dennoch nicht berechtigt, die in Deutschland üblichen Berufsbezeichnun-gen (Krankenschwester/-pfleger, Gesundheits- und Krankenpfleger/In, Altenpfleger/In, Kinderkrankenschwester/-pfleger) zu führen (vgl. Bayerisches Staatsministerium 2002).

Bei vielen in Deutschland – Einheimischen wie Menschen mit Migrationshintergrund – herrscht die Meinung vor, dass die immigrierten AussiedlerInnen privilegiert behandelt werden. So sind die ZuwanderInnen aus dem Osten de iure deutsche Staatsbürger mit

den dazugehörigen Ansprüchen und Rechten (z. B. Wahlrecht). Ebenso wurden dieser Gruppe staatlich finanzierte Sprachkurse oder Geldleistungen (Eingliederungsgeld, Ein-gliederungshilfe, Lebensunterhaltskosten bei berufsqualifizierenden Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen) nach ihrer Ankunft zugestanden, wenn der Umfang der Ver-günstigungen auch über die letzten Jahre erheblich reduziert wurde. Spannungen und Konflikte zwischen jungen Aussiedlern und Jugendlichen der dritten Migrantengeneration (v. a. Türken) waren die zu verzeichnende Konsequenz (vgl. Bade / Oltmer 1999: 34). In Anbetracht der multiethnischen Teamkonstellationen in der Al-tenhilfe können derartige Hintergründe u. U. auch Einfluss auf das Beziehungsgefüge bei den MitarbeiterInnen nehmen.

Es wird deutlich, dass die Durchdringung der Mitarbeiterschaft im Altenhilfesektor mit unterschiedlichsten Nationalitäten weiter fortgeschritten ist als es die statistische Daten-lage widerspiegelt. Aus dieser Tatsache können verschiedene ethnisch bedingte Prozes-se und Phänomene resultieren, die Einfluss auf das Beziehungsgefüge der dort Tätigen nehmen.