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Übersicht 5: Alterspyramide der ausländischen Bevölkerung in Deutschland (2003)

4. Der Pflegebereich alter Menschen in Deutschland

4.5 Gruppendynamische Prozesse in Pflegeteams

4.5.2 Problempotenziale in Gruppen

Aus der Gemeinschaftsaufgabe Pflegearbeit können schwierige Problemlagen für die Beteiligten entstehen.

Vorurteile

"Negative ethnische Vorurteile bezeichnen die Tendenz eines Individuums, ein Mitglied einer Outgroup oder die Outgroup als ganze negativ zu beurteilen und damit die In-group, zu der sich das Individuum gehörig fühlt, positiv zu beurteilen. Ethnische Vorur-teile sind negative Einstellungen, die stabil und konsistent sind. Diese Einstellungen werden gegenüber Mitgliedern einer ethnischen Outgroup geäußert" (Zick 1997: 39)6. Der Begriff Vorurteil wird im Alltag dazu verwendet, um ausgeprägte positive bzw. ne-gative Urteile oder Einstellungen eines Mitmenschen über ein Vorurteilsobjekt zu be-zeichnen, wenn diese für nicht realitätsgerecht gehalten werden und der Betreffende trotz vorhandener Gegenargumente nicht von der Meinung abrückt. So sind in jedem Urteil Momente des Vorurteilshaften zu finden, da Urteile fast immer gewisse Verall-gemeinerungen enthalten und hauptsächlich persönliche Sichtweisen wieder geben.

Es wird ersichtlich, dass derartige Einstellungen die Beziehungsgestaltung zwischen

6 Eine interdisziplinäre Zusammenstellung von verschiedensten Beiträgen über Rassismus und Vorurteile hat Zick (1997) erarbeitet. In einem umfassenden Diskurs werden Erklärungen zu Vorurteilen und

Einheimischen und Zuwanderern beeinträchtigen. Menschen neigen dazu, ihre Über-zeugungen durch Verallgemeinerungen zu simplifizieren und Komplexitäten auf diese Weise zu reduzieren (Allport 1971: 41). Niemand ist ohne Vorurteile, sie spiegeln die soziale Identität einer Person wieder (Dollase 1996: 131). In der Tendenz werden dieje-nigen Vorurteile übernommen, die mit den Interessen der eigenen Gruppe oder der Ge-sellschaft übereinstimmen (Han 2000: 267) und somit wird deutlich, dass Vorurteile als ein Gruppenphänomen bezeichnet werden können (Zick 1997: 120).

Vorurteile beeinflussen also die Wahrnehmung, deren Verarbeitung und die daraus re-sultierenden Handlungen eines Individuums. Dieser kognitive Prozess kann als "All-tagstheorie" (Esser 1980: 136) bezeichnet werden, in der von einem bestimmten Merk-mal auf andere Eigenschaften einer Person oder einer Gruppe geschlossen wird. Über diese Ableitungen bzw. Zuschreibungen vollzieht sich eine subjektive Bewertung, die dann (negative) Sanktionen bedingt. Individuellen, aber auch kollektiven Frustrationen (und Aggressionen) kann somit ein Ausdruck verliehen werden, womit Vorurteile eine – dem Sprachjargon der Chemie entliehene – Katalysatorfunktion einnehmen (Benz 1996:

7). Es ist einfach, aufgrund vorgefasster Dispositionen seine Umwelt sowie deren Ak-teure zu kategorisieren, ohne seine geistigen Schubladen zu evaluieren. Und werden dennoch einmal Annahmen über eine Gruppe durch einzelne Vertreter in Frage gestellt, so lässt sich dies über die berüchtigte "Ausnahme von der Regel" relativieren.

Vorurteile erfüllen wichtige Funktionen für Individuen bzw. für soziale Gruppen. Mit Hansen (1995: 546) lassen sich beispielsweise vier Funktionen hervorheben:

Vorurteile dienen zur Orientierung in einer komplexen Welt, reduzieren Unsi-cherheit und bieten VerhaltenssiUnsi-cherheit. Sie ermöglichen die Herstellung und Aufrechterhaltung von Selbstwertgefühlen.

Vorurteile dienen durch Ein- und Ausgrenzung der Gruppenbildung und ermög-lichen die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts der Eigengruppe und ein negatives Konzept von Fremdgruppen. Sie machen die Verschiebung aggressi-ver Gefühle auf Fremdgruppen möglich und können so auch die Solidarität in-nerhalb der Eigengruppe erhöhen.

Vorurteile dienen der Legitimierung von Herrschaft und tragen dazu bei, den Status quo der ungleichen Machtverteilung zwischen Majoritäten und Minoritä-ten zu erhalMinoritä-ten;

Vorurteile dienen über die Bereitstellung von "Sündenböcken" und Mythenbil-dungen der Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen: über Fremd- und Feind-bilder werden Gruppengrenzen festgelegt, und damit auch die Grenzen der Soli-darität.

Vorurteile beziehen ihre Präsenz aus Situationen tatsächlicher oder vermeintlicher Be-drohung, aus sozialem Stress, aus Umbruchsphasen oder Hierarchieverschiebungen oder aus Ängsten vor Statusverlusten und Konkurrenz (vgl. Esser 1983; Benz 1996).

Schon Hoffmann-Nowotny (1973: 152) konstatiert, dass Diskriminierung, also die ne-gative Beurteilung und Behandlung sozialer Minderheiten, letztendlich nur ein Symp-tom für die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber gesellschaftlicher Tendenzen ist.

Schließlich erleichtert die Abwertung des Anderen die eigene erfahrene Diskriminie-rung zu verdecken (Freyberg 1992: 78).

In seiner Reihe "Deutsche Zustände" versucht Heitmeyer (2002; 2003; 2005a; 2005b;

2006; 2007; 2008) das Ausmaß von Ungleichheit in Deutschland zu untersuchen. Über einen Zeitraum von zehn Jahren werden seit 2002 jährliche Umfragen durchgeführt, um die Einstellung gegenüber Minderheiten zu dokumentieren. Er stellt dabei eine „grup-penbezogene Menschenfeindlichkeit“ fest, die sich aus einem Syndrom divergierender Konstruktbereiche ergibt. Die bisherigen Befragungen und Auswertungen ergaben, dass Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Heterophobie leicht angestiegen sind.

Bspielsweise äußern bundesweit 60% der Befragten, dass zu viele Ausländer in der BRD leben (2005: 21). Die Ursachen dieser fremdenunfreundlichen und -feindlichen Zustände sind in erfahrener sozialer Desintegration (Arbeitslosigkeit, Verschlechterung der finanziellen Situation) sowie relativer Deprivation zu sehen.

Die derzeitige Gesamtsituation der Bundesrepublik drängt viele Menschen dazu, den Fokus auf die Sicherung der eigenen Position, die Wahrung der Privilegien oder auf die Bewältigung der individuellen Probleme auszurichten. Das opportunistische Abwerten von Minderheiten scheint in diesem Konglomerat eine Art Bewältigungsstrategie darzu-stellen.

Gruppenprozesse

Innerhalb eines Altenhilfeteams besteht ein Konformitätsdruck, der die Mitglieder

(di-rekt oder indi(di-rekt) zwingt, ihrer Rolle als Pflegekraft gerecht zu werden, d. h. die beste-henden Normen einzuhalten, anfallende Aufgaben leistungsoptimiert abzuarbeiten und Pflichten funktional und zielgerichtet zu erfüllen.

In der Konsequenz ergeben sich Probleme, wenn einzelne Mitglieder nicht mit den An-sprüchen eines Pflegeteams konform gehen. Beispielsweise reduzieren einige ihre Leis-tung, so dass andere diesen Ausfall ausgleichen müssen. Oder einige halten sich nicht an vorgegebene Arbeitsmuster und Tagesstrukturierungen, was zu Kompromisshand-lungen bei den MitkollegInnen führt. Auch die Autorität zur Weisungsbefugnis kann Friktionen erzeugen, wenn es unter den Fachkräften zu Akzeptanzverlusten kommt oder sich HelferInnen der Unterordnung verweigern.

Auch der Faktor „Gefühl“ ist in diesem Kontext von Relevanz. „Gefühle besitzen in Gruppen mehr noch als in anderen sozialen Systemen eine eminente Bedeutung“ (Neid-hardt 1994: 146). Sie beeinflussen die Ausgestaltung der Beziehungen zu den Mitglie-dern (Entwicklung von Sympathie, Antipathie). Durch den persönlichen Kontakt in ei-ner Gruppe über eine längere Zeit besteht eine günstige Voraussetzung zur Bildung von Vertrauen. Je ausgeprägter die emotionale Komponente dabei ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von sozialen Interaktionen innerhalb eines Teams (Tajfel 1982: 70).

Umgekehrt können negativ bewertete Gefühle aber ebenso zu Friktionen, Spannungen oder sozialen Konflikten führen.

Wie schon erwähnt, sind zur Steuerung der unterschiedlichen Handlungen Führungs-prozesse notwendig, die sich aus hierarchischer Anordnung ergeben. Im Pflegesektor wird diesbezüglich von einer Stations-, Wohnbereichs- oder Team-Leitung gesprochen, die innerhalb eines organisatorischen Systems zur Gestaltung der Gruppenleistung (durch entsprechende Planung, Verantwortlichkeitsaufteilung, Koordination und Kon-trolle) über Einfluss-, Macht- und Autoritätspotenzial verfügt. Auf der formalen Leis-tungsebene geht es um die Organisation von Vorgängen zum Erreichen der Ziele bzw.

zum Bewerkstelligen von Aufgaben. Auf sozialer Ebene geht es um Maßnahmen zur Stabilisierung der Gruppenkohärenz.

In Altenpflegeteams üben verschiedene Akteure Führungsaufgaben aus. Neben der Pri-märposition der Stationsleitung (SL), die den obersten Rang bekleidet, gibt es mehrere Fachkräfte, die aufgrund ihrer Qualifikationsstruktur (also aufgrund von Ausbildung,

Wissen, Dienstalter, Fähigkeit, Kommunikationskompetenz) einen erworbenen Status haben (dazu Luhmann 1995: 156ff) und als Schicht- oder Bereichsleitungen fungieren.

Somit sind sie gegenüber den AltenpflegehelferInnen und den ungelernten Kräften wei-sungs- und delegationsbefugt.

Nach der Definition von Allport (1971: 50) können Gruppen im Arbeitskontext auch als Wir-Gruppen bezeichnet werden, wenn die Mitglieder das Wort „Wir“ in derselben Bedeutung gebrauchen können. Damit wird die einfache Tatsache einer Zugehörigkeit ausgedrückt, mit der bestimmte Gewohnheiten korrespondieren. Die parteiliche Einstel-lung zur Wir-Gruppe und der interne Zusammenhalt können durch andere Gruppen, Außenseiter oder Feindbilder verstärkt werden (a. a. O.: 60). Eine ähnliche Tendenz weist auch die Etablierten-Außenseiter-Beziehung (Elias / Scotson 1990) auf, wo über das Gruppencharisma ein Zusammengehörigkeits- und Wir-Gefühl hergestellt wird, bei gleichzeitiger Abwertung einer Außenseitergruppe (Gruppenschande). Das für den Gruppenzusammenhalt essentielle Wir-Gefühl kann u. a. ethnisch fixiert sein und sich über positive Selbstzuschreibungen hinaus zu einer übersteigerten Wir-Identität entwi-ckeln (Treibel 1993: 340).

Eine Gruppe, zu der sich eine Person gehörig glaubt oder der sie angehört, kann als in-group (Sherif 1966: 64) bezeichnet werden. Innerhalb dieser inin-group herrscht ein hoher Grad an Kohäsion und Gruppenmoral, schließlich geht es um das Erreichen eines ge-meinsamen Zieles (im weitesten Sinne Erfolg). Werden die gleichen Interessen bzw.

übereinstimmenden Ziele auch von einer Fremdgruppe verfolgt, entsteht eine Situation, in der kooperatives und freundliches Verhalten das Ziel erreichbarer gestaltet. Geraten die Gruppen aufgrund eines gleichen Interesses in Konflikt, kann das Resultat eine Wettbewerbssituation, inklusive rivalisierendem und vorurteilsbehaftetem Verhalten zwischen den Gruppen sein (vgl. auch Brown 2003: 547).

Somit stellen sich für die Untersuchung verschiedene Fragen:

Wie ist es um die Ausprägung des „Wir-Gefühls“ innerhalb eines multiethni-schen Teams bestellt?

Bestehen innerhalb eines Altenpflegeteams möglicherweise Cliquen oder Unter-gruppen, wie ist deren Beschaffenheit (Mitglieder) und was zieht diese Konstel-lation für Folgen nach sich?

Wie zeigen sich die horizontale und vertikale Akzeptanz sowie der Umgang in-nerhalb eines Teams? Wird gelacht, gestritten, gewertschätzt, respektiert?

Mit welchen Emotionen begegnen sich die Teammitglieder?

Wie zeigt sich die Präsenz von und der Umgang mit Vorurteilen?

Ebenso können unklare Strukturen in der Führung zu Weisungsbefugnissen führen, die innerhalb eines Teams vermehrte Reibungen auslösen. Umgekehrt kann eine ge-ringe Akzeptanz von fachlicher Autorität auf Seiten der AltenpflegehelferInnen ein erhöhtes Konfliktpotenzial zur Folge haben, welches sich auf das ganze Team auswir-ken kann.

Aus dem Konformitätsstreben lässt sich Spannungspotenzial ableiten, wenn nicht alle Mitglieder eines Kollegiums eine vergleichbare Leistung zur Erbringung des Arbeits-pensums beitragen. Je weniger ein Teammitglied bereit ist, einen Beitrag, der von den übrigen KollegInnen als akzeptabel beurteilt wird, zu leisten, desto konfliktreicher ist die Gruppenkonstellation.

Auch die Existenz von Untergruppen innerhalb eines Altenpflegekollegiums wird als kontraproduktiv gewertet. Existieren verschiedene Gruppierungen innerhalb des Teams, so wird der Zusammenhalt bzw. die Zugehörigkeit zum Team als Ganzes ein-geschränkt. Denn es ist zu vermuten, dass die Untergruppe eher auf Harmonie und Konsens innerhalb der Mitglieder aus ist und sich erst nachrangig um die Werte und Normen des Stationsteams kümmert. Als Konsequenz wird angenommen, dass eine bestehende Untergruppe einen Störfaktor für das Team darstellt. Es wird weiter unter-stellt, dass v. a. die Existenz einer Untergruppe, die nicht aus multiethnischen Mitglie-dern besteht, ein Indikator für eine eingeschränkte Integrationsleistung des gesamten Teams ist.