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Untersuchungsdesign

Übersicht 9: Themenkategorien zur Bestimmung des Integrationsverhaltens

7.2 Die Kategorie Anerkennung und Respekt

7.2.3 Der Indikator Vorurteile / Einstellung

Aus der Tatsache, dass wir alle Vorurteile oder zumindest Voraus-Urteile für unsere Orientierung im alltäglichen Leben brauchen, lässt sich die Frage ableiten, in wie weit diese Wahrnehmungen und die Vereinfachung von Sachverhalten durch die Zusammen-fassung zu Stereotypen, also zu bestimmten Kategorien, das Intergrationsverhalten der Mitglieder in multiethnischen Pflegeteams beeinflussen.

Um die Existenz von Anerkennung und Respekt innerhalb eines Kollegiums zu betrach-ten, ist es notwendig, über die Einstellungsmuster der einzelnen ProbandenInnen Rück-schlüsse auf Aktivitäten und Beziehungsprozesse zwischen den multinationalen Team-mitgliedern anzustellen.

Einstellungen können als gelernte Neigungen eines Individuums verstanden werden,

auf bestimmte Zielreize (sprich Menschen, Gegenstände, Ideen) mit positiven oder ne-gativen Bewertungen zu reagieren, woran wiederum Gefühle und Überzeugungen an-hängig sind. Diese Tendenz, jemanden oder irgendetwas günstig bzw. ungünstig zu be-werten, verfolgt verschiedene Funktionen:

Motivationale Funktion:

Ich-Verteidigung, d. h. Schutz vor negativen Gefühlen gegenüber sich selbst durch Projektion auf andere Individuen;

Instrumentelle Funktion:

Positive Einstellung gegenüber Objekten, die eine Belohnung versprechen und umgekehrt;

Wissens- und Ökonomiefunktion:

Reduzierung von komplexem Wissen;

Ausdruck von eigenen Werten

(Stahlberg / Frey 1997: 229).

Einstellungen hängen von den eigenen Überzeugungen und Gefühlen ab. Negative und ablehnende Einstellungen gegenüber Personen oder Gruppen werden als Vorurteile auf-gefasst. Bezieht sich eine Antipathie gegen eine Gruppe als Ganzes oder nur gegen eine einzelne Person, weil es Mitglied dieser Gruppe ist, so spricht man von einem ethni-schen Vorurteil. Diese Antipathie kann sowohl entsprechende Handlungen nach sich ziehen, sie kann aber auch lediglich emotionale Wirkung haben (Allport 1971: 23;

Schäfer / Six 1978: 40). Das wesentliche Merkmal eines Vorurteils ist seine Resistenz gegenüber neuen Informationen, d. h. aufgrund selektiver Wahrnehmung werden Er-kenntnisse, die potenziell eine Veränderung einer Voreingenommenheit intendieren könnten, ausgeblendet oder als irrig generalisiert. Anhand eines vorhandenen Pseudo-wissens (Heckmann 1987: 66) erleichtern Vorurteile die Generalisierung des mannigfal-tigen Verhaltens der Umwelt (Reduzierung von Komplexitäten) (Tajfel 1982: 76). Vor-urteile erzeugen ein differenziertes und klares Bild der Umwelt, sie führen zu einer posi-tiven Selbstbewertung und beinhalten Erklärungen für allgemeine Ereignisse oder Le-benssituationen von Menschen. Zusätzlich rechtfertigen sie eigenes (negatives) Agieren oder Unterlassen (vgl. Zick 2002: 419).

Letztendlich könnte eine Definition wie folgt lauten: „Vorurteile sind negative oder ab-lehnende Einstellungen einem Menschen oder einer Menschengruppe gegenüber, wobei dieser Gruppe infolge stereotyper Vorstellungen bestimmte Eigenschaften von

vornhe-rein zugeschrieben werden, die sich aufgrund von Starrheit und gefühlsmäßiger Ladung selbst bei widersprechender Erfahrung schwer korrigieren lassen" (Davis 1964: 53).

Nach Allports (1971: 28) gradueller Unterscheidung von feindseligem Verhalten ver-körpert die Verleumdung die unterste Handlungsintensität. Er geht davon aus, dass Menschen mit Vorurteilen diese auch äußern und nur wenige dazu tendieren, ihre Ab-neigungen für sich zu behalten. In einer Skala zur Erfassung von Vorurteilen in einer Gesellschaft nimmt er folgende Abstufungen vor:

(1) Verleumdung: Die meisten Menschen mit Vorurteilen reden auch darüber.

Gleichgesinnten und gelegentlich auch Fremden gegenüber lassen sie ihren feindseligen Gefühlen freien Lauf.

(2) Vermeidung: Wenn das Vorurteil bei einem stärker wird, wird er die Berührung mit Mitgliedern der abgelehnten Gruppe vermeiden, sogar wenn er dafür beacht-liche Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen muss.

(3) Diskriminierung: Der Voreingenommene möchte alle Mitglieder der abgelehn-ten Gruppe von bestimmabgelehn-ten Berufen, von bestimmabgelehn-ten Wohngegenden, von poli-tischen Rechten, Erziehungs- und Erholungsmöglichkeiten und anderen sozialen Einrichtungen fernhalten.

(4) Körperliche Gewaltanwendung: Unter der Bedingung von gesteigerter Emoti-onalität führt das Vorurteil zu verschiedenen Arten von Gewaltanwendung, bei-spielsweise werden Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen geschändet.

(5) Vernichtung: Lynchjustiz, Pogrome, Massenmorde oder der Völkermord kenn-zeichnen den höchsten Grad von Gewalt, durch den sich das Vorurteil ausdrückt.

Nach Hansen (1995: 546ff) lassen sich vier wesentliche Funktionen von Vorurteilen hervorheben:

(1) Vorurteile dienen der Orientierung in einer komplexen Welt, reduzieren Unsi-cherheit und bieten VerhaltenssiUnsi-cherheit; sie ermöglichen die Herstellung und Aufrechterhaltung von Selbstwertgefühlen;

(2) Vorurteile dienen durch Ein- und Ausgrenzungen der Gruppenbildung und er-möglichen die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts der Eigengruppe und ein negatives Konzept von Fremdgruppen. Sie machen die Verschiebung

aggres-siver Gefühle auf Fremdgruppen möglich und können so auch die Solidarität in-nerhalb der Eigengruppe erhöhen;

(3) Vorurteile dienen der Legitimierung von Herrschaft und tragen dazu bei, den Status quo der ungleichen Machtverteilung zwischen Majoritäten und Minoritä-ten zu erhalMinoritä-ten;

(4) Vorurteile dienen über die Bereitstellung von "Sündenböcken" und Mythenbil-dungen der Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen: über Fremd- und Feindbilder werden Gruppengrenzen und folglich auch die Grenzen der Solidari-tät definiert.

Ist der statistische Zusammenhang zwischen Vorurteilen und daraus resultierenden Handlungen als eher schwach zu sehen (vgl. Heckmann 2001: 76), erscheint es dennoch angebracht, in einem multiethnischen Pflegekollegium nach vorhandenen Voreingenommenheiten zu fragen. Diese negativen Einstellungen beziehen sich sowohl auf deutsche als auch auf Pflegekräfte mit Migrationshintergrund.

Im Rahmen dieser Untersuchung war es a priori nicht möglich, die diversen Einstel-lungsmuster der unterschiedlichen Pflegepersonen zu eruieren, dies war auch nicht das Ziel. Jedoch ist es tendenziell möglich, eine allgemeine Einstellung gegenüber Men-schen mit differenter kultureller Herkunft bei den einzelnen GesprächsteilnehmerInnen herauszufiltern. Diese Bewertungstendenz stellt eine übergeordnete, individuelle Nei-gung dar und beeinflusst dementsprechend das Verhalten eines Individuums. Hat eine Person beispielsweise eine positive Einstellung zum Energiesparen, so resultiert aus dieser Haltung ein Aktivitätsbündel, z. B. die Verwendung von Energiesparlampen, Vermeidung unnützen Strombedarfs, Wärme-Isolierung von Räumen etc.

So wurde versucht, die generelle Einstellung einer Pflegekraft gegenüber anderen Teammitgliedern herauszufiltern. Der spezielle Blick richtete sich dabei auf das Ver-hältnis zwischen deutschen Pflegenden und Personen mit Migrationshintergrund, d. h.

die einheimischen Pflegekräfte wurden explizit nach ihrer Meinung über KollegInnen mit einer differenten Herkunft gefragt. Umgekehrt wurden den Pflegenden mit Zuwan-derungsgeschichte Fragen nach ihrer Einschätzung zu den deutschen Pflegekräften ge-stellt.

Vor dem Zusammenhang von Einstellung und Vorurteilen richtet sich der Fokus

auf die Einstellung der Pflegekräfte gegenüber der jeweiligen Fremdgruppe. Die ausgeprägten negativen oder positiven Urteile gegenüber den allochthonen bzw.

autochthonen KollegInnen nehmen Einfluss auf die Integrationsleistung eines Teams. Offen geäußerte negative Einstellungen gegenüber VertreterInnen der an-deren Gruppe deuten auf eine suboptimale Gruppensituation hin, in an-deren Folge eine verzerrte Wahrnehmung der anderen Gruppe, eine erhöhte Konfliktbereit-schaft sowie eine geringe Wandlungsfähigkeit (durch die Abschottung gegen frem-de Einflüsse) resultieren kann. Je höher frem-der Grad an negativen Aussagen, frem-desto ungünstiger ist die Einbeziehung aller Mitglieder ins Team zu werten.

Neuere Untersuchungen zeigen, dass Religiosität keinen bedeutenden Zusammenhang zur Einstellung gegenüber ausländischen Personen herstellen kann. Neben dem generel-len und auch statistisch messbaren13 Bedeutungsverlust von Religion und Kirchen wur-de festgestellt, dass religiöse Menschen nicht philanthropher bzw. altruistischer gegen-über ausländischen Personen eingestellt sind (Kneubühler 2001: 127; Kecskes / Wolf 1996). Für die vorliegende Befragung hatte dies zur Konsequenz, dass der Faktor Reli-gion keine gesonderten Fragestellungen nach sich zog.