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4. Kommunikationstheoretische Fundierung

4.1. Die Gatekeeper-Theorie

„As readers become their own storyteller the role of ‚gatekeeper’ is largely passed from the journalist to them.” (Hall, 2001: S. 5)

Die Gatekeeper-Theorie sieht den Journalisten als sogenannten Schleusenwärter. Dieser Begriff bezieht sich auf die Selektionsfunktion von Nachrichtenjournalisten. Der Journalist ist demnach „Träger einer spezifischen Berufsrolle, zu der die Selektion und Verarbeitung von Nachrichten nach bestimmten, empirisch belegbaren Regeln gehört“ (Bentele / Brosius / Jarren, 2006: S. 80).

Eine in der Literatur vorherrschende Diskussion im Bezug auf den Journalismus und das Internet beschäftigt sich mit der Frage danach, ob der Journalist im World Wide Web immer noch, beziehungsweise auch, als ein eben solcher „Gatekeeper“ fungiert, der selektiert und auswählt, was die Nutzer rezipieren und was nicht. Es stellt sich die Frage, ob die Rezipienten, die im Internet eigentlich selbst recherchieren und zusätzliche Informationen sammeln können, und sogar selbst Inhalte herstellen können dennoch; wie bei den Printmedien und auch anderen Massenmedien; nur eine eingeschränkte Auswahl und Anzahl an Informationen erhalten und ob die Journalisten auch bei diesem „neuen“ Medium immer noch als Gatekeeper fungieren.

Diese Art der Selektion und Komplexitätsreduktion durch den Journalisten stellt eine wesentliche Funktion des Journalismus dar und sollte somit auch ein zentrales Kriterium und Merkmal bei der redaktionellen Integration von UGC sein, weshalb diese Problematik auch so viel diskutiert wird.

“*…+ one of the most important responsibilities of the journalist, that is, to choose what the reader will and will not see.” (Ward, 2002: S. 60)

Journalisten haben nicht nur die Aufgabe zu recherchieren, sondern sie sind es auch, die schlussendlich entscheiden, was an die Öffentlichkeit kommt und was nicht:

„Journalismus recherchiert, selektiert und präsentiert Themen, die neu, faktisch und relevant sind. Er stellt Öffentlichkeit he, indem er die Gesellschaft beobachtet, diese Beobachtung über periodische Medien einem Massenpublikum zur Verfügung stellt und dadurch eine gemeinsame Wirklichkeit konstruiert. Diese konstruierte Wirklichkeit bietet Orientierung in einer komplexen Welt“ (Meier, 2007: S. 13)

Doch genau diese Funktion und Aufgabe ist es, die durch das Internet und das Web 2.0;

welche den Rezipienten die Möglichkeit geben selbst zu Produzenten zu werden; in Frage gestellt wird. Auch Mike Ward (2002) setzt sich mit dieser Problematik auseinander und beschäftigt sich mit der Frage, ob diese Verantwortung auch im Internet weiterhin von den Journalisten getragen wird.

“Does the journalist still have the same responsibility in the online world, where the user is free to choose from millions of documents, sites and sources? The answer is

‘Yes’, as:

many of the documents posted on the Web are completed stories which will have required journalists to execute their traditional role, selecting what to include and what to exclude;

it will often be the journalist who selects additional information and data as part of any storytelling – again, choices will be made; and

even when links to original sources are offered, these will have been chosen by journalists.”

(Ward, 2002: S. 60)

Ward ist der Ansicht, dass auch im Internet weiterhin diese Aufgabe des Selektierens und Auswählens von Informationen von Journalisten erfüllt werden muss. Somit muss auch der Journalismus im Internet diesen grundlegenden Funktionen nachkommen. Ward bezieht sich in seinen Ausführungen jedoch hauptsächlich auf den Online-Journalismus und geht dabei weniger auf partizipativen Journalismus und Social Media ein.

Laut Wards (2002) Ansichten selektiert und wählt der Online-Journalist Informationen ebenso aus, wie der Print-Journalist. Auch er fungiert also als Gatekeeper. Dennoch ermöglicht das Internet den Rezipienten einen schnellen Zugriff auf zusätzliche Informationen, sollte ihnen das Angebot nicht genügen. Der Online Journalist fungiert demnach weniger als Gatekeeper, sondern eher als ein Wegweiser, der Informationen anbietet, die dem User eine erste Selektion ermöglichen und ihn so in eine gewisse Richtung weisen, um ihn bei der weiteren Informationssuche zu unterstützen. Ward bringt hierbei den Begriff des „Gatewatchings“ ins Spiel und betont somit die neue journalistisches Rolle als Kontrolleur und weniger als Schleusenwärter. (vgl. Bruns, 2005: S. 12)

Axel Bruns betont in seinen Ausführungen zu Journalismus, Internet und Gatekeeping, dass das ursprünglich Modell von Gatekeeping, welches bei Print- und Rundfunkmedien vorherrscht, auf die digitalen Medien wie das Internet nicht angewandt werden kann.

Gatekeeping funktioniert beim Journalismus in Verbindung mit Internet nicht nach dem

„Input-Output-Response Schema“, bei dem Nachrichten durch insgesamt drei Schleusen laufen (vgl. Bruns, 2005: S. 12):

1. die Informationen die Journalisten recherchieren, (Input Stage)

2. die Nachrichten die tatsächlich veröffentlicht werden und (Output Stage) 3. die Auswahl der Leserbriefe, etc., die veröffentlicht werden. (Response Stage)

Durch das Internet haben sich diese Schleusen, laut Bruns (2005), stark verändert. Bei der Auswahl der Nachrichten, der Output Stage, müssen zum Beispiel keine Platzbeschränkungen, wie bei Zeitungen, oder Sendezeit berücksichtigt werden. Demnach sind Journalisten bei ihrer Recherche und Informationsbeschaffung weniger eingeschränkt und es können mehr journalistische Produkte veröffentlicht werden. Auch in der Input Stage, d.h. wenn es darum geht zu recherchieren und Material zur Veröffentlichung zu finden, gibt es durch das Internet eine Veränderung. Journalisten müssen nicht alles gründlich recherchieren, da sie durch das World Wide Web die Möglichkeit haben auch Links zu bestimmten Quellen anzugeben, wenn zu viele Informationen zu einem gewissen Thema vorhanden sind. Die größte Veränderung der Schleusen findet auf der Ebene der Rückmeldung durch die Rezipienten statt. Im Internet haben User die Möglichkeit direkt auf

abzugeben. (vgl. Bruns, 2005: S. 13) Diese werden nun nicht mehr im Vorhinein selektiert, was nicht immer unbedingt als positiv zu bewerten ist.

Durch das Internet haben sich die Strukturen der verschiedenen Schleusen, die durch den Journalisten, beziehungsweise oft von der ganzen Redaktion oder dem Medienunternehmen, geregelt werden, teilweise stark verändert. Die ursprüngliche Rolle des Journalisten als Gatekeeper ist deshalb, bis zu einem gewissen Ausmaß, nicht mehr dieselbe, stattdessen tritt der Journalist vielmehr als sogenannter „information guide“

(Bruns, 2005: S. 14) auf, der einen gegliederten Überblick über Informationen und relevante Themen gibt. (vgl. Bruns, 2005: S. 13f)

Grundsätzlich erfüllen Journalisten aber immer noch eine Funktion als Gatekeeper, jedoch eher auf der Ebene des Outputs. Eine Regelung seitens der Journalisten auf der Input-Ebene ist nur noch schwer einzuhalten. Durch die Möglichkeit des freien Publizierens im Web können nicht nur Journalisten sondern auch Laien Inhalte veröffentlichen und somit jedem zur Rezeption zur Verfügung stellen. Es kann also jeder bestimmen, was zu einer Nachricht und was veröffentlicht wird, ohne, dass eine journalistische Tätigkeit dahinter steht. (vgl.

Bruns, 2005: S. 15f) Eine Qualitätskontrolle der Inhalte, die sich schon in den traditionellen Medien oft schwierig gestaltet, wird im Internet noch zusätzlich erschwert.

Im Bezug auf Online-Nachrichtenportale und Ausgaben von Tageszeitungen verhält sich die Rolle des Journalisten als Gatekeeper dennoch eher traditionell, da hier kein Einschreiten und Publizieren seitens der Rezipienten bzw. User möglich ist. Diese treten wiederum nur auf der Response-Stage auf, die im Internet aber nicht von den Journalisten und Redaktionen reguliert werden kann. Es gibt also tatsächlich Veränderungen in der Gatekeeperrolle des Journalisten durch das Medium Internet. Diese finden aber in unterschiedlichen Ausprägungen statt und unterscheiden sich wiederum je nach Art des Online-Portals oder der Website.

Das Internet hat vor allem die Dimensionen der Kommunikation verändert und ist heute viel mehr als nur ein Distributionskanal. Es ist ein neues Kommunikationsmedium, dass vor allem aus der Rezipientenperspektive das klassische Modell des Journalismus verändert hat und damit auch Einfluss auf die journalistische Berufsrolle als „Gatekeeper“ nimmt. (vgl. Bucher / Büffel, 2005: S. 87)

Bucher und Büffel (2005) sprechen zudem davon, dass durch das Internet „das Bedürfnis einer Gegenöffentlichkeit entstanden ist“ (Bucher / Büffel, 2005: S. 87), welche die

ursprüngliche Rolle der Journalisten und Journalistinnen als Gatekeeper vor neue Herausforderungen stellt. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer neuen Form des Journalismus, der sogenannte „Open Source Journalismus“ (Bucher / Büffel, 2005: S. 87), der Lesern, Hörern und Sehern Mitgestalten und Mitbestimmen ermöglicht. Somit ist nicht mehr nur der Journalist oder die Journalistin allein dafür verantwortlich welche Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, sondern auch Rezipienten sind nun Produzenten.

Auch Neuberger et al. (2010) sprechen diese Veränderungen des Journalismus und der journalistischen Berufsrolle an und weisen darauf hin, dass das Gatekeeper-Modell, bei dem die Journalisten als Schleusenwärter gelten, „die weitgehend selbständig über den Zugang zur aktuellen Öffentlichkeit über die wenigen Kanäle entscheiden können“ (Neuberger et al., 2010: S. 11), durch das Internet und partizipative Formate womöglich bereits überholt ist und nicht mehr in seiner ursprünglichen Form betrachtet werden kann. Vor allem das Phänomen UGC hat Auswirkungen auf das klassische Modell des Gatekeeper - Journalismus.

Dadurch sind, wie bereits erwähnt, nicht nur neue Kommunikationsformen und -inhalte entstanden, sondern auch der Informationsaustausch ist interaktiver geworden. (vgl.

Neuberger et al., 2010: S. 11)

„Durch die erweiterte Partizipation hat der Journalismus seine zentrale Stellung als

‚Gatekeeper’ verloren – jetzt ist er nur noch ein Anbieter unter vielen anderen. Jene Akteure, zwischen denen der Journalismus bisher vermittelt hat, haben sich im Internet verselbständigt.“ (Neuberger et al., 2010: S. 13)

Vor allem weil das Publikum im Internet selbst aktiv werden kann und nutzergenerierte Inhalte als Teil der Laienkommunikation mittlerweile ebenso Bedeutung erlangen können wie journalistische Inhalte (z.B. Augenzeugenberichte, Videos, Naturkatastrophen, etc.), muss die journalistische Rolle neu durchdacht werden. (vgl. Neuberger et al., 2010: S. 13)

„Dieser Wandel der Öffentlichkeit zwingt den Journalismus dazu, seine Rolle präziser und zum Teil auch neu zu bestimmen, und zwar im Verhältnis zu den neuen Anbietern im Internet.“ (Neuberger et al., 2010: S. 13)

Dennoch haben Journalisten ihre Rolle als Schleusenwärter nicht ganz verloren und haben immer noch eine wichtige Aufgabe in der Selektion und Aufbereitung von Informationen.

Insbesondere durch die stetig wachsende Flut an Informationen, die über das Internet verbreitet wird und die fehlende Qualitätssicherung im Netz, müssen die Kommunikatoren eine Art Moderationsfunktion erfüllen. Durch die neu entstandene Öffentlichkeit im Netz ist die Gatekeeper-Funktion des Journalismus zwar nicht mehr so stark umsetzbar und kontrollierbar wie im klassischen Journalismus, dennoch liegt es immer noch in der journalistischen Verantwortung Kommunikationsprobleme zu bewältigen und Komplexität zu reduzieren. (vgl. Neuberger et al., 2010: S. 14f) Drei wesentliche Leistungen stehen dabei im Vordergrund:

Navigation: Journalisten sind keine Gatekeeper mehr, sondern Gatewatcher, die bei der Orientierung im Netz helfen sollen.

Moderation: Im Internet sollten Journalisten als Moderator dienen und geeignete Bedingungen für die Kommunikation zwischen den Nutzern bereitstellen und schaffen.

Produktion: Beim Schaffen von Informationen im Internet sollte das Gatekeeping immer noch an erster Stelle stehen und journalistische Inhalte sollten aus den Redaktionen der klassischen Medien kommen.

(vgl. Neuberger et al., 2010: S. 15)

Die klassische Gatekeeper-Rolle der Journalisten ist durch das Internet, nutzergenerierte Inhalte und die wachsende Zahl an partizipativen Formaten also nicht mehr das, was sie einmal war. Dennoch hat der Journalismus für die Gesellschaft immer noch eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Journalisten sind dafür zuständig Komplexität zu reduzieren, zu selektieren und Informationen verständlich aufzubereiten. Im Internet ändert sich diese Rolle aber und die Kommunikatoren werden zunehmend zu Gatewatchern, welche die Kommunikationsprozesse und -inhalte im partizipativen Web eher leiten, moderieren und navigieren, als diese zu selektieren und zu bestimmen was an die Öffentlichkeit kommt und was nicht.