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4. Die Höhere Mädchenbildung in Österreich

4.1. Die Emanzipation der Frauen im Bildungsbereich

Der viel zitierte Ausspruch Maria Theresias „Das Schulwesen ist und bleibt ein Politikum",^55 drückt eindeutig die Auffassung der Regentin aus, daß es Angelegenheit des Staates ist, die Durchführung des Unterrichts sowie die gesamte Oberaufsicht über das Unterrichtswesen zu regeln. Dies bedeute daher, daß es zu einem zunehmenden Einfluß des Staates auf das Unter-richts- und Studienwesen kam. Schon Karl VI. erläutert in einem Hofdekret im Jahr 1735, daß es die Aufgabe der Regierung sei, die Aufsicht und die Einrichtung von Studien zu sichern.156

Schließlich erläßt die Kaiserin Maria Theresia im Jahre 1774 die allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen" und be-gründete in der Folge die österreichische Volksschule. Für die Studien wur-den neue Reformpläne ausgearbeitet und diskutiert und noch im gleichen Jahr werden neue Gegenstände in das philosophische Studium aufgenom-men sowie Lehrer für lebende Fremdsprachen (Italienisch, Französisch, Spanisch) bestellt. Ein Jahr danach wird ferner ein neuer Lehrplan für Gym-nasien eingeführt.157

Im Allgemeinen kann behauptet werden, daß es der Öffentlichkeit schwer fiel, den Mädchen den Weg zu den „mittleren" Schulen und zum Universitäts-studium freizugeben. Für eine über die Elementarschule hinausreichende Bildung der Mädchen sorgten zwar eine Reihe von Erziehungsinstitutionen weiblicher katholischer Orden (z. B. Ursulinen, Englische Fräulein, Schul-schwestern u.a.), das staatliche Offizierstöchter-Erziehungsinstitut (gegrün-det 1775) und das Zivilmädchenpensionat (gegrün(gegrün-det 1776) in Wien, doch wurden diese Einrichtungen meist von einer schmalen Schicht des Adels und vom gehobenen Mittelstand in Anspruch genommen. Aus diesem Grunde

herrschten im Lehrplan dieser Schulen die Fremdsprachen, didaktisch auf

155 Zit. n.: Josef Schermaier, Geschichte und Gegenwart des allgemeinbildenden Schulwesens in Ös-terreich unter besonderer Berücksichtigung der Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS). Wien 1990, S. 102.

156 Vgl. J. Schermaier, ebd., S. 102.

157 Vgl. J. Schermaier, ebd., S. 103.

Konversation im Salon ausgerichtet, Musik und weibliche Handarbeit vor.

Das Curriculum wurde letztlich den Wünschen der Eltern angepaßt, der Er-ziehung und der Gesellschaftsfähigkeit der Schülerinnen großes Augenmerk zugewendet.158

Die wirtschaftliche Not des Mittelstandes gab im Jahr 1866 den Anstoß zur Gründung des „Wiener Frauen-Erwerb-Vereines", der den Frauen neue Berufswege weisen wollte. Die Mitglieder des Vereines waren zuversichtlich, daß der Frau durch den Beruf eine neue Lebenswirklichkeit erschlossen wird und ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit gesichert werden könne. Es waren also Vereine, die durch beharrliche Wiederholung ihrer Forderungen, durch Petitionen und Anträge ein schrittweises Umdenken einer noch in patriarcha-lischen Autoritätsstrukturen verhafteten Gesellschaft herbeiführten. Öster-reich hinkte hier sehr hinter der westeuropäischen Entwicklung nach.159

Dieser „Wiener Frauen-Erwerb-Verein" eröffnete im Jahre 1871 eine eigene vierklassige „höhere Bildungsschule" für Mädchen. Der Gründung waren län-gere Diskussionen darüber vorausgegangen, welcher Typ von Schule ge-schaffen werden sollte. Marianne Hainisch160 trat für ein Realgymnasium ein, aber ihre Bemühungen schlugen fehl, obgleich einige einflußreiche Männer sie dabei unterstützten. Aber das Gros der Vorstandsmitglieder konnte sich dies nicht vorstellen.

Die vierklassige höhere Bildungsschule war im Grunde nicht das, was Mari-anne Hainisch angestrebt hatte. Der Lehrplan beinhaltete Deutsch, Geogra-phie, Geschichte, Mathematik Naturgeschichte, Physik und Chemie. Erst 1874 wurde Französisch als Fremdsprache verpflichtend. Generell hielt die

158 Vgl. Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unter-richtauf dem Boden Österreichs. Bd. 4. Von 1848 bis zum Ende der Monarchie. Wien 1986, S. 278.

159 Vgl. H. Engelbrecht, ebd., S. 279.

160 Hainisch, Marianne (geborene Perger) wurde am 25.03.1839 in Baden (Niederösterreich) geboren;

Begründerin und Führerin der österreichischen Frauenbewegung; Mutter von Dr. Michael Hainisch (erster Bundespräsident der Republik Österreich); forderte 1870 die Errichtung von Realgymnasien für Mädchen und die Zulassung der Frauen zum Hochschulstudium; Initiatorin des Muttertags in Öster-reich (seit 1924 in ÖsterÖster-reich gefeiert); Hainisch start) am 05.05.1936 in Wien.

(vgl. http://www.aeiou.at/aeiou.encvclOD.h/h092783.htm vom 06.06.2004.)

Schulbehörde diese Schulform den Bedürfnissen der Mädchen entsprechend und daher bekam der Verein ab 1873 vom Unterrichtsministerium Subventio-nen in der Höhe von 6000 fl. (Gulden) jährlich. 1877 wurde die Schule auf sechs Jahre erweitert, 1892 bekam sie dann das Öffentlichkeitsrecht und erst 1899 nahm sie nach dem Vorbild von Schulen in Graz und Prag den Namen Lyzeum an.161

Anfangs waren alle Sekundärschulen für Mädchen Privatanstalten, von Ver-einen getragen oder von Frauen gleich einem Unternehmen geführt. Im Jah-re 1885 konnte als erstes Lyzeum das von Graz den Sprung in die städtische Verwaltung tun und bekam ein Jahr darauf als erste Mädchenschule das Öf-fentlichkeitsrecht. Diese Schulen waren im Vergleich zu den staatlichen „Mit-telschulen" für Knaben, nur durch ein hohes Schulgeld zu erhalten, denn die Subventionen des Staates und der Länder blieben hierfür äußerst gering;

obschon der Staat sich selbst mit dem Gedanken trug, höhere Mädchen-schulen zu errichten.

Hauptprobleme in der Anfangsphase der höheren Mädchenbildung waren die Verschiedenheit der Lehrpläne, das Fehlen zweckmäßiger Lehrbücher und die umständlichen Stundenpläne, die dadurch gegeben waren, daß die Leh-rer den Unterricht an diesen Schulen nur als Nebenbeschäftigung wahrnah-men. Weibliche Lehrkräfte waren hier nur spärlich anzutreffen. In den neun-ziger Jahren suchte man schließlich auch in Österreich nach einer einheitli-chen Organisation eines höheren Mädeinheitli-chenunterrichts.162

Eine Enquete am 14. und 15.05.1900 bereitete sodann die so lange hinaus-gezögerte Entscheidung des Unterrichtsministeriums vor. Hauptsächlich die weiblichen Teilnehmerinnen der Enquete lehnten die körperlichen Übungen, Gesang und Handarbeiten aufgrund gemachter Erfahrungen als obligatori-sche Fächer ab. Die Heranziehung von Lehrerinnen für weltliche Gegenstän-de an Gegenstän-den Lyzeen wurGegenstän-de aber von allen bejaht. Die Ergebnisse Gegenstän-der Enquete wurden rasch in die Schulwirklichkeit umgesetzt. Bereits im November 1900

161 Vgl. G. Simon, ebd., S. 129 f.

162 Vgl. H. Engelbrecht, ebd., S. 283 f.

konnte der Unterrichtsminister dem Kaiser das provisorische Statut für die neue Form des Mädchenlyzeums zur Unterschrift vorlegen. Das neue „Mäd-chenlyceum" war sechsklassig und konnte mit einer Reifeprüfung abge-schlossen werden. Der Zweck war es, den Mädchen „mit besonderer Be-rücksichtigung der modernen Sprachen und ihrer Literatur eine höhere, der weiblichen Eigenart entsprechende allgemeine Bildung zu gewähren" und sie

„zugleich für ihre berufliche Ausbildung vorzubereiten". Sprachen herrschten vor (Deutsch und Französisch ab der 1. Klasse, Englisch ab der 4. Klasse) und sie nahmen 42,9% der verfügbaren Unterrichtszeit ein. Lehrziele in den anderen Fächern wurden niedriger gehalten als an den „Mittelschulen" für Knaben. Der Lehrstoff war nicht zweistufig angeordnet. Beziehungen zur Hauswirtschaft und zum bürgerlichen Leben der Frau mußten in den Fächern hergestellt werden.163

Aufgrund der unterschiedlichen äußeren und inneren Organisation der Mäd-chen-Mittelschulen sowie das steigende Bildungsinteresse der bürgerlichen

Frauen veranlaßte die Unterrichtsbehörde Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Mädchenschulen zu setzen. Mit dem Erlaß vom 11.12.1900 wurden zum ersten Mal ein Statut und auch ein vorläufiger Lehrplan für Mädchen-Lyzeen verlautbart. Demgemäß waren Lyzeen vier- bis sechsklassige Mittelschulen, die ähnlich den Knabenschulen auf den Kenntnissen der vierten und fünften Volksschule aufbauten und die Aufgabe hatten, eine höhere, der weiblichen Eigenart entsprechende Allgemeinbildung unter besonderer Berücksichti-gung der modernen Sprachen und ihrer Literatur, zu genehmigen. Grund-sätzlich waren 26% der Gesamtunterrichtszeit der Lehre lebender Fremd-sprachen (Englisch, Französisch) gewidmet; ferner wurden an einigen Schu-len neben den Pflichtgegenständen (Religion, Deutsch, Geschichte, Geogra-phie, Mathematik, Naturgeschichte, Naturkunde, Geometrie, Freihandzeich-nen und Schönschreiben) auch „Erziehungslehre" unterrichtet. Immerhin konnten die sechsklassigen Vollanstalten mit einer fakultativen Reifeprüfung abschließen, jedoch berechtigte diese nicht zum ordentlichen Hochschulstu-dium. Die Lyzeen selbst waren bestrebt, zusätzliche Kurse in Latein,

Zeich-163 Vgl. H. Engelbrecht, ebd., S. 285 f.

nen und Malen, Sprachschulen sowie wissenschaftliche Kurse verschiedens-ter Art anzubieten, um eine über den Lehrplan hinausgehende Qualifikation zu vermitteln.164 1911 bestanden bereits 27 Lyzeen auf österreichischem Bo-den; seit 1904 richteten auch weibliche Orden (z. B. Ursulinen

etc.) derartige Anstalten ein.

Die Direktoren der Lyzeen hatten sich schon im Jahre 1903 eine Plattform für ihre Reformwünsche geschaffen und sie trafen sich regelmäßig zu Konferen-zen und suchten für ihre Anliegen Unterstützung bei der Unterrichtsverwal-tung und in der Öffentlichkeit. In diesem Rahmen wurde 1907 zum ersten Mal der Antrag auf Verlängerung des Studiums an Lyzeen auf sieben Jahre gestellt, 1909 wiederholt und auch erweitert. Die Lage der Lyzeen wurde 1910 verschärft, als der zuständige Minister Karl Graf Stürgkh die Teilnahme von Mädchen als Hospitantinnen im Unterricht der Knaben-Mittelschulen ra-dikal begrenzte. Im Grunde wurde durch die Hospitiererlaubnis den Mädchen ein weniger kostenaufwendiger Weg zur Reifeprüfung geöffnet, aber dem wurde nun ein Riegel vorgeschoben, weil die Unterrichtsverwaltung um den

Bestand der Mädchenlyzeen fürchtete. Das Unterrichtsministerium versuchte durch die Ablehnung der Koedukation die Frequenz der Mädchenlyzeen an-zuheben.165 Bis zum Beginn der Ersten Republik galt das Mädchen-Lyzeum als der dominierende Schultyp innerhalb der Mittelschulen. Da ein Großteil der Mädchen-Mittelschulen durchgängig Privatschulen waren, hatten die Schülerinnen zur Erhaltung der Schule und Aufrechterhaltung des Unter-richtsbetriebes teures Schulgeld zu bezahlen. Mittellose Mädchen konnten daher eine Mittelschule von vornherein nicht besuchen, da dies eine be-trächtliche zusätzliche finanzielle Belastung darstellen würde.166

1912 erschien schließlich das neue „Normalstatut" für Mädchenlyzeen. Darin wurde festgehalten, daß deren Sechsklassigkeit aus wirtschaftlichen Grün-den beibehalten werde, doch wie an anderen „Mittelschulen" wurde die Zwei-stufigkeit eingeführt. Auf diese Weise verfügten die Schülerinnen nach Abschluß der vierten Klasse über eine einigermaßen abgeschlossene

allge-164 Vgl. J. Schermaier, ebd., S. 263 f.

165 Vgl. H. Engelbrecht, ebd., S. 286 ff.

166 Vgl. J. Schermaier, ebd., S. 265.

meine Bildung und die Übertritte in Kurse und andere schulische Einrichtun-gen wurden erleichtert. Der Lehrplan des Mädchenlyzeums wurde nun stär-ker den „Mittelschulen" für Knaben angepaßt. Unterschiede fand man bei der Auswahl und der Darbietung des Lehrstoffs. Der Beginn der zweiten Fremd-sprache wurde jetzt in die dritte Klasse vorverlegt und Turnen als obligatori-scher Gegenstand aufgenommen. Den Lehrkräften an den Lyzeen konnte außerdem der Titel „Professor" verliehen werden.167 Nichtsdestoweniger er-wies sich dieses „Statut" keineswegs als Sprungbrett für eine neuerliche Aufwärtsentwicklung der Mädchenlyzeen, sondern vielmehr als Schlußpunkt der Blütezeit. Mit ihm setzte der Niedergang dieser Schulform ein. Die Zwei-stufigkeit des Mädchenlyzeums machte es leicht, der vierklassigen Unterstu-fe das 1908 geschafUnterstu-fene Reformgymnasium (mit zwei lebenden Fremdspra-chen) aufzusetzen. Da es aber nur eine Stundentafel gab, nicht aber einen genauen Lehrplan, fiel eine Umstrukturierung der bestehenden Mädchenly-zeen recht leicht. Wollten die MädchenlyMädchenly-zeen ihren Bestand sichern, mußten sie oft ihre Umwandlung in achtklassige „Mädchenreformrealgymnasien" vor-nehmen oder durch angefügte realgymnasiale Klassen das Erwerben des Reifeprüfungszeugnisses ermöglichen. Zumindest Lateinkurse sollten ange-boten werden, denn damit erreichten die Mädchen den Zutritt zu den Univer-sitäten und Hochschulen als ordentliche Hörerinnen.168

Prinzipiell hatten die Mädchen zu Beginn des Ersten Weltkrieges bereits viele Möglichkeiten zu einer besseren Ausbildung. Die Lyzeen wurden auch von immer mehr Mädchen in Anspruch genommen, sodaß die vorhandenen Plät-ze bald nicht mehr ausreichten. Die Interessen der Lehrer an den Mädchen-schulen richteten sich vor allem auf deren weiteren Ausbau. Letztlich verhin-derte aber nur das Kriegsgeschehen, das viele Männer von ihren Berufen abzog, daß die angespannte Situation am Arbeitsmarkt für Frauen mit Reife-prüfung oder akademischer Bildung hoffnungslos wurde. Folglich wurden sie zunächst als Ersatz geduldet, aber da sie sich bei der Bewältigung vieler

167 Vgl. H. Engelbrecht, ebd., S. 288.

168 Vgl. H. Engelbrecht, ebd., S. 288 f.

Aufgaben bewährten, sicherten sie ihre neu gewonnene Position erfolgreich ab.169