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3. Die Merkmale des höheren Schulwesens

3.3. Mädchen und gymnasiale Bildung

3.3.1. Der Kampf um die Gleichstellung mit den Knabenschulen

Im Allgemeinen kam der höheren Schule neuhumanistischer Ausrichtung (mit den Schwerpunkten Latein, Griechisch, Mathematik und Deutsch), dem Gymnasium, die höchste gesellschaftliche Wertschätzung zu. Letztlich wur-den durch wur-den Kieler Erlaß vom 26.11.1900 die 1859 eingeführten „Real-gymnasien" (mit Latein) und die 1882 entstandenen „Oberrealschulen" (ohne Latein) dem neuhumanistischen Gymnasium gleichgestellt. Aber die Natur-wissenschaftler und die Vertreter der modernen Sprachen mußten zäh kämp-fen, bis ihre Fächer als würdig erachtet wurden, allgemeine Bildung zu ver-mitteln. In Folge wuchs das Ansehen der Naturwissenschaften aufgrund des steigenden Akademikerbedarfs in industriellen Führungspositionen.

Im 19. Jahrhundert waren die höheren Mädchenschulen, zumeist durch pri-vate Initiativen entstanden, oft von engagierten Frauen gegründet, die diese auch leiteten. Ab den 70er Jahren kamen zunehmend höhere Mädchenschu-len in städtischer und staatlicher Trägerschaft hinzu, die aber von Männern geleitet wurden und in denen ausschließlich Männer unterrichteten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts überwog die Zahl der Schulen in privater Träger-schaft; doch mehr als die Hälfte der Schülerinnen besuchten schon öffentli-che Schulen.138

Dennoch kamen die Schülerinnen vorwiegend aus gebildeten und besitzen-den Schichten. Die männlich dominierten Lehrkräfte an besitzen-den öffentlichen hö-heren Mädchenschulen wollten vor allem das höhere Mädchenschulwesen

137 Vgl. C. Hopf, ebd., S. 48.

138 Vgl. Eva Matthes, „Kampfzeiten". Der Weg der Mädchen zur gymnasialen Bildung. In: Das Gymna-sium. Alltag, Reform, Geschichte, Theorie. Hrsg.: Eckart Liebau, Wolfgang Mack, Christopher Th.

Scheilke, Weinheim und München 1997, S. 203 f.

vereinheitlichen und es mit dem höheren Knabenschulwesen gleichstellen.

Sie forderten vehement die Betonung der Andersartigkeit der Mädchenbil-dung. Die ihr Denken bestimmende Vorstellung der Frau als bloße Gehilfin des Mannes, brachte sie zur Ansicht, daß Leitung und Unterricht in den obe-ren Klassen öffentlicher höherer Mädchenschulen weiterhin nur von Männern organisiert werden soll.

Widerspruch erfuhr diese Position im Oktober 1887, als ein „Kreis Berliner Frauen und Mütter" dem Preußischen Kultusministerium und dem Abgeord-netenhaus eine Petition zur Umgestaltung der Lehrerinnen- und Mädchen-ausbildung mit nachstehenden zwei zentralen Forderungen unterbreitete139:

1. dem weiblichen Element müßte eine größere Beteiligung am wissen-schaftlichen Unterricht auf Mittel- und Oberstufe der höheren Mäd-chenschulen zuerkannt werden, der Religions- und Deutschunterricht solle von Frauen erfolgen.

2. von Staatswegen wären Anstalten zur Ausbildung wissenschaftlicher Lehrerinnen für die Oberklassen der höheren Mädchenschulen zu er-richten.140

Mit diesem Gesuch und der beigefügten Schrift von Helene Lange („Gelbe Broschüre") begann der zähe Kampf um die Mädchenbildung.

Helene Lange war aber weit davon entfernt, ein gemeinsames Bildungswe-sen für Jungen und Mädchen zu fordern. Koedukation hätte ihrem Ziel nicht entsprochen, die Mädchen durch gebildete Frauen zu ihrer persönlichen Be-stimmung zu führen, die der männlichen zwar gleichwertig, aber nicht gleich-artig sei. Da diese Forderungen nicht eingelöst wurden, schritt Helene Lange selbst zur Tat und eröffnete 1889 die zweijährigen Berliner „Realkurse für Frauen", die den Abschluß einer zehnjährigen höheren Mädchenschule vor-aussetzte. 1893 wurden die Kurse in vierjährige „Gymnasialkurse für Frauen"

139 Vgl. E. Matthes, ebd., S. 204 f.

140 Vgl. E. Matthes, ebd., S. 205.

umgewandelt. Unterstützung gab es speziell vom Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein. Zusätzlich entstand auf Initiative des Frauenvereins Re-form ein Mädchengymnasium in Karlsruhe, das Mädchen in einem sechsjäh-rigen Kursus zum Abitur führte.

Bedeutungsvoll hierbei war, daß es sich bei dem Fächerkanon um den neu-humanistischen Schultypus handelte und dadurch der Anspruch, die Mäd-chen zur allgemeinen Hochschulreife zu führen, klar unterstriMäd-chen wurde. In der Folge konnte der Staat unter dem Druck der vielen privaten Aktivitäten nicht untätig bleiben; er mußte in irgendeiner Weise reagieren.141

Deshalb kam es zur „Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens" vom 31.03.1894.

Die wichtigsten Bestimmungen waren:

• Festlegung von neun Jahresklassen mit zwei Fremdsprachen;

• Stärkung des Einflusses der weiblichen Lehrkräfte; die Zahl der Klas-senlehrerinnen sollte erhöht und jedem Direktor eine Lehrerin als „Ge-hilfin" bewilligt werden.

Hier zeigte sich Bereitwilligkeit gegenüber den Forderungen der bürgerlichen Frauenbewegung, obschon deren Ziele weit über das Vorgelegte hinausgin-gen. Zentral ist aber, daß trotz der Regelungen von 1894 die Anerkennung der höheren Mädchenschule als höhere Schule im amtlichen Sinne nach wie vor unerfüllt blieb. Erst 1908 kam es in Preußen zu einer entsprechenden

Neuordnung, während Württemberg und Baden schon 1903 bzw. 1905 die höhere Mädchenschule neu gestalteten und Mädchen in Knabengymnasien zuließen.142

Die „Bestimmungen über die Neuordnung des höheren Mädchenschulwe-sens" vom 18. August 1908 hatten folgenden organisatorischen Aufbau:

An die neunjährige höhere Mädchenschule schließt sich das sogenannte Ly-zeum an, das in eine zweijährige Frauenschule mit betonter Ausrichtung auf

„frauliche" Aufgaben und ein vierjähriges Höheres Lehrerinnenseminar

ge-141 Vgl. E. Matthes, ebd., S. 205 f.

142 Vgl. E. Matthes, ebd., S. 206.

gliedert ist. Nach dem 7. Schuljahr bzw. 8. Schuljahr der höheren Mädchen-schule bestehen Übergangsmöglichkeiten in die sogenannte „Studienan-stalt", die dem höheren Schulwesen für Jungen entspricht.

Lyzeum und Studienanstalt stehen jedoch nicht gleichberechtigt nebenein-ander:

Die Errichtung von Studienanstalten sollte nur dort geschehen, wo schon Frauenschulklassen gegründet worden waren. Um das Höhere Lehrerinnen-seminar nochmals auf- und die Studienanstalten abzuwerten, wurde über ersteres ein frauenspezifischer „vierter Weg" zum Studium geschaffen, näm-lich nach zweijähriger Lehrpraxis konnte eine Immatrikulation an der Philoso-phischen Fakultät erfolgen. 1913 wurde der Beschluß dahingehend aus-dehnt, daß den Absolventinnen des Höheren Lehrerinnenseminars aufgrund einer Nachprüfung das Recht zum Studium auch an anderen Fakultäten ge-geben wurde.143

Diese Bestimmungen brachten erste Erfolge für Frauen bezüglich des Auf-baus des Mädchenschulwesens und dem Zugang zur Universität. Die Höhe-ren Mädchenschulen wurden den Provinzialschulkollegien unterstellt und die Lehrkräfte an Anstalten für Mädchen erhielten die gleichwertige Entlohnung wie an den Knabenschulen. Außer in den letzten vier Jahren der Studienan-stalten mußten die Lehrer eine akademische Ausbildung haben, ansonsten reichte es, wenn die Hälfte der Stunden in den wissenschaftlichen Fächern der Mittel- und Oberstufe von akademisch gebildeten Lehrern und Lehrerin-nen erteilt werden. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges blieben die Be-stimmungen aufrecht.144

143 Vgl. E. Matthes, ebd., S. 206 ff.

144 Vgl. C.Hopf, ebd., S. 106 f.

3.4. Die Entwicklung der höheren Mädchenbildung in der Weimarer